Stichworte – Anweisung zum seligen Leben, 4. u. 5. Vorlesung; 2. Teil

Stichworte – zu J. G. Fichte, AzsL – 2. Teil

S. 447 – 460; Vierte Vorlesung

„Es ist, ausser Gott, gar nichts wahrhaftig und in der eigentlichen Bedeutung des Wortes da, denn — das Wissen: und dieses Wissen ist das göttliche Daseyn selber, schlechthin und unmittelbar, und inwiefern wir das Wissen sind, sind wir selber in unserer tiefsten Wurzel das göttliche Daseyn. Alles andere, was noch als Daseyn uns erscheint, — die Dinge, die Körper, die Seelen, wir selber, inwiefern wir uns ein selbstständiges und unabhängiges Seyn zuschreiben, — ist gar nicht wahrhaftig und an sich da; (…)“ (4. Vorlesung, ebd. S 448)

Das Festhalten von „Grundsätzen und Annahmen über Gott und unser Verhältnis zu ihm“ ist die erste Voraussetzung. Zweitens gehört zum seligen Leben,

„(…) dass diese lebendige Religion wenigstens so weit gehe, dass man von seinem eigenen Nichtseyn, und von seinem Seyn lediglich — in Gott und durch Gott — innigst überzeugt sey, und dass man diesen Zusammenhang stets und ununterbrochen wenigstens fühle, und dass derselbe, falls er auch etwa nicht deutlich gedacht und ausgesprochen würde, dennoch die verborgene Quelle und der geheime Bestimmungsgrund aller unserer Gedanken, Gefühle, Regungen und Bewegungen sey. —„ (ebd. S 449)

Die Frage ist jetzt, wenn eine organische Einheit von Sein und Dasein schon gefunden ist, wie es im Vollzug des Lebens zu einer Mannigfaltigkeit der Welt und des Gebildeten kommen kann: „(…) „und diese Aufgabe besonders dadurch zu lösen, daß man nachweise, woher denn nun eigentlich und aus welchem Prinzip jene Mannigfaltigkeit in das an sich einfache Sein komme –„ (ebd. S. 450)

Anders gesagt, es geht um das Prinzip der Spaltung im notwendigen Sehen, das begründet ist im Sein. Dabei gilt zuerst festzuhalten, dass diese Spaltung oder dieser Akt des Sehens und der Reflexion nicht ein Akt oder im Akt des göttlichen Daseins selbst sein kann: „(….) sondern es muß außer denselben fallen; jedoch also, daß dieses Außer einleuchte als unmittelbar, mit jenem lebendigen Akte verknüpft, und aus ihm notwendig folgend, keinesweges aber etwa in diesem Punkte die Kluft zwischen uns und der Gottheit und unsere unwiederbringliche Ausstoßung von ihr befestigt werde.“ (ebd. S. 452)

Es folgt ein ähnliche Schematisierung wie oben in der 3. Vorlesung, wo es um die genetische Ableitung des Daseins als Offenbarung des Seins ging.

Es folgt hier die Schematisierung  des Begriffs-Ich“, weil die obige Identität zwischen Sein und absolutem Dasein (göttlichem Dasein)1 nicht mehr gegeben ist.

„ 3. Ferner sagte ich in der vorigen Vorlesung: das Sein darf in dem bloßen Dasein mit dem Dasein nicht vermischt, sondern beides muß voneinander unterschieden werden, damit das Sein als Sein, und das Absolute als Absolutes, heraustrete.“ (ebd. S. 452) 2

Das bloße Dasein kann als Form des göttlichen Daseins mit dem Begriff identifiziert werden.

Der Begriff bildet jetzt den Ausgangspunkt für das „Princip aller nachmaligen Trennung und Mannigfaltigkeit“ (ebd. S. 452)

Das „bloße Dasein“ trägt den Charakter der Bildlichkeit an sich. Diese Form wird, wie gesagt,  als Form des Begriffes identifiziert. Der Charakter des Unterscheidens im bloßen Dasein wird von Fichte  im „Als“ gefasst. (vgl. 4. Vorlesung, ebd. S. 453f)

Es kommt a) zur Beschreibung des „Als“ als reiner Relation;

b) zum Wesen des Begreifens, und

c) zur Begründung des göttlichen Daseins in einer stehenden Welt. (ebd. S. 453. u. 454): „die Verwandlung des unmittelbaren Lebens in ein stehendes und totes Sein ist der gesuchte Grundcharakter derjenigen Verwandlung, welche der Begriff mit dem Dasein vornimmt. – Jenes stehende Vorhandensein ist der Charakter desjenigen, was wir die Welt nennen; der Begriff daher ist der eigentliche Weltschöpfer, vermittelst der aus seinem innern Charakter erfolgenden Verwandlung des göttlichen Lebens in ein stehendes Sein, und nur für den Begriff und im Begriffe ist eine Welt, als die notwendige Erscheinung des Lebens im Begriffe; jenseit des Begriffes aber, d. h. wahrhaftig und an sich, ist nichts und wird in alle Ewigkeit nichts, denn der lebendige Gott in seiner Lebendigkeit.“ (ebd. S. 454)

Schließlich startet dann die Deduktion der Mannigfaltigkeit aus dem Ich: d) Der Begriff erfasst sich selbst und „(…) (mit dem Kunstausdruck nennt man diese selbständige Sich-Erfassung des Begriffs die Reflexion;“ (ebd. S. 455)3

In der 4. Vorlesung wird diese ganze Selbstständigkeit und Freiheit des Bewusstseins sehr deutlich und in schlichter Weise dann so ausgedrückt (nach der Verwandlung der Absolutheit des absoluten Daseins in ein bloßes Dasein): „Diese Kraftanwendung des Daseins und Bewußtseins folgt daraus, daß ein Als des Daseins sein soll; dieses Soll selbst aber ist gegründet unmittelbar in dem lebendigen Daseien Gottes. Der Grund der Selbständigkeit und Freiheit des Bewußtseins liegt freilich in Gott; aber eben darum und deswegen, weil er in Gott liegt, ist die Selbständigkeit und Freiheit wahrhaftig da und keinesweges ein leerer Schein. Durch sein eigenes Dasein und zufolge des innern Wesens desselben stößt Gott zum Teil, d. h. inwiefern es Selbstbewußtsein wird, sein Dasein aus von sich und stellt es hin wahrhaft selbständig und frei: (…)“ (ebd. S. 455)

Was ist jetzt der Gegenstand und das Resultat dieser Spaltung der Reflexion? Die Welt, welche aus der Verwandlung des göttlichen Daseins durch den Begriff hervorgegangen ist (vgl. ebd. S. 456 unter e).

Es wird das Ergebnis nochmals zusammengefasst (vgl. ebd. S 457 unter f bis S. 460.)

Das eine göttliche Dasein wird verwandelt in ein „Sein eines aufgehendes Bewusstsein“ (ebd. S. 458): „Wo bleibt denn nun in diesem durch unaufhörliche Veränderungen ablaufenden Strome der wirklichen Reflexion und ihrer Weltgestaltung das Eine, ewige und unveränderliche, in dem göttlichen Dasein aufgehende Sein des Bewußtseins? Es tritt in diesen Wechsel gar nicht ein, sondern nur sein Repräsentant, das Bild, tritt darin ein. –„ (ebd. S. 458)

Anders gesagt: Das Schema Sein – Dasein (1. und 3. Vorlesung) wurde erweitert durch das Schema Begriff – Ich.

Aus einem Einheitsprinzip des Ichs und Erkennens lässt sich die ganze Erscheinungs-Wirklichkeit der Welt in ihren Prinzipien, „Gestalten“, „Klassen“, „Arten“ (vgl. ebd. S 460), ableiten, in systematischer Form. Es soll die „fünffache Form ihrer möglichen Ansicht“ als Vorbereitung für das „innere Wesen sowohl, als die äusseren Erscheinungen des wahrhaft seligen Lebens“ herausgestellt werden (vgl. ebd. S 460)

S 461- 475 FĂĽnfte Vorlesung

„In der fünften Vorlesung führt Fichte neben der Spaltung der Welt in unendliche Mannigfaltigkeit durch die Reflexion eine zweite Spaltung ein: die Spaltung der Reflexion auf die Welt in fünf Weltansichten durch die Reflexion der Reflexion.“4

„(…) daß mit dieser auf das eine Grundgesetz aller Reflexion sich gründenden Spaltung der Welt ins Unendliche noch eine andere Spaltung unzertrennlich verknüpft wäre, die wir an diesem Orte, wenn auch nicht abzuleiten, denn doch historisch deutlich anzugeben und zu beschreiben hätten. Ich fasse diese neue und zweite Spaltung im allgemeinen hier nicht tiefer, denn so. Erstens ist sie in ihrem innern Wesen von der in der vorigen Stunde abgeleiteten, hier soeben wieder erwähnten Spaltung also verschieden, daß jene die durch die Form des Wissens überhaupt aus dem göttlichen Leben entstandene, stehende Welt unmittelbar spaltet und teilet; dagegen die jetzt zu betrachtende nicht unmittelbar das Objekt, sondern nur die Reflexion auf das Objekt spaltet und teilet.“ (ebd. S. 462. 463)

Beide Spaltungen sind unmittelbar miteinander verbunden und „in einem Schlage“ (ebd. S. 463)

„ Das Resultat der ersten Spaltung ist, wie wir in der vorigen Rede zeigten, die Unendlichkeit; das Resultat der zweiten ist, wie wir damals erwähnten, eine Fünffachheit: somit ist die jetzt behauptete Unabtrennlichkeit beider Spaltungen also zu verstehen, daß die ganze bleibende und nie aufzuhebende Unendlichkeit in ihrer Unendlichkeit auf eine fünffache Weise angesehen werden könne; und wiederum, daß jede der fünf möglichen Ansichten der Welt denn doch wieder die eine Welt in ein Unendliches spalte. Und so fassen Sie denn alles bis jetzt Gesagte also in einen Überblick zusammen. Im geistigen Sehen wird das, was an sich göttliches Leben ist, zu einem Gesehenen, d. i. zu einem vollendet Vorhandenen oder zu einer Welt. Welches das erste wäre. Dieses Sehen ist nun immer ein Akt, genannt Reflexion, und durch diesen Akt, teils als gehend auf sein Objekt, die Welt, teils als gehend auf sich selber, wird jene Welt in ein unendliches Fünffache oder, was dasselbe sagt, in eine fünffache Unendlichkeit gespalten. Welches das zweite wäre“ (ebd. S 463. 464)

Es folgen dann die Schilderung der Weltsichten.

Insofern zum göttlichen Leben zurückgekehrt werden soll, kann von einer Stufenfolge des Aufstiegs gesprochen werden. Fichte verweist auf die 3. Vorlesung (vgl. ebd. S. 464) und die „verschiedenen möglichen Stufen und Entwicklungsgrade des inneren geistigen Lebens.“ 5

1) „Die erste, niedrigste, oberflächlichste und verworrenste Weise, die Welt zu nehmen, ist die, wenn man dasjenige für die Welt und das wirklich Daseyende hält, was in die äusseren Sinne fällt: dies für das höchste, wahrhafte und für sich bestehende.“ (5. Vorlesung, ebd. S 465.466)

2) „Die zweite, aus der ursprünglichen Spaltung möglicher Ansichten der Welt hervorgehende Ansicht ist die, da man die Welt erfasset als ein Gesetz der Ordnung und des gleichen Rechts in einem Systeme vernünftiger Wesen. Verstehen Sie mich gerade also, wie die Worte lauten. Ein Gesetz, und zwar ein ordnendes und gleichendes Gesetz für die Freiheit mehrerer, ist dieser Ansicht das eigentliche Reale und für sich selber Bestehende; dasjenige, mit welchem die Welt anhebt, und worin sie ihre Wurzel hat.“ (ebd. S 466)

3)„Die dritte Ansicht der Welt ist die aus dem Standpuncte der | wahren und höheren Sittlichkeit. Es ist nöthig, über diesen, dem Zeitalter so gut als ganz verborgenen Standpunct sehr bestimmte Rechenschaft abzulegen. — Auch ihm ist, ebenso wie dem jetzt beschriebenen zweiten Standpuncte, ein Gesetz für die Geisterwelt, das höchste, erste und absolut reale; und hierin kommen die beiden Ansichten überein. Aber das Gesetz des dritten Standpunctes ist nicht, so wie das des zweiten, lediglich ein das vorhandene ordnendes, sondern vielmehr ein das neue und schlechthin nicht vorhandene, innerhalb des vorhandenen, erschaffendes Gesetz.“ (ebd. S 468.469).

„Sein Zweck lässt sich kurz also angeben: es will die Menschheit in dem von ihm Ergriffenen, und durch ihn in andern, in der Wirklichkeit zu dem machen, was sie ihrer Bestimmung nach ist, — zum getroffenen Abbilde, Abdrucke und zur Offenbarung des inneren göttlichen Wesens.“ (ebd. S 469)

4) „Die vierte Ansicht der Welt ist die aus dem Standpuncte der Religion; welche, falls sie hervorgehet aus der dritten soeben beschriebenen Ansicht, und mit ihr vereinigt ist, beschrieben werden müsste als die klare Erkenntniss, dass jenes Heilige, Gute und Schöne keinesweges unsere Ausgeburt, oder die Ausgeburt eines an sich nichtigen Geistes, Lichtes, Denkens, — sondern, dass es die Erscheinung des inneren Wesens Gottes, in uns, als dem Lichte, unmittelbar sey, — sein Ausdruck und sein Bild durchaus und schlechthin, und ohne allen Abzug also, wie sein inneres Wesen herauszutreten vermag in einem Bilde. Diese, die religiöse Ansicht, ist eben diejenige Einsicht, auf deren Erzeugung wir in den bisherigen Vorlesungen hingearbeitet haben, und welche wir nun, in dem Zusammenhange ihrer Grundsätze, schärfer und bestimmter also ausdrücken können. 1) Gott allein ist, und ausser ihm nichts: — ein, wie mir es scheint, leicht einzusehender Satz, und die ausschliessende Bedingung aller religiösen Ansicht. 2) Indem wir nun auf diese Weise sagen: Gott ist; haben wir einen durchaus leeren, über Gottes inneres Wesen schlechthin keinen Aufschluss gebenden Begriff. Was wollten wir denn aus diesem Begriffe auf die Frage antworten: Was denn nun Gott sey? — Der einzig mögliche Zusatz, dass er absolut sey von sich, durch sich, in sich, ist selbst nur die an ihm dargestellte Grundform unsers Verstandes, und sagt nichts weiter aus, als unsere Denkweise desselben; noch dazu nur negativ, und wie wir ihn nicht denken sollen, d.h. wir sollen ihn nicht von einem Andern ableiten, so wie wir, durch das Wesen unsers Verstandes genöthiget, mit andern Gegenständen unsers Denkens verfahren.“ (ebd. S 470)6

Es bleibt hier nur ein apo-phatische Rede von Gott übrig, wie Gott nicht ist, weil er kraft der Reflexion im Begriff nicht zu erfassen ist. Es bleibt das absolute Sein Gottes aber als „Leben“ übrig, „als dein eigenes Leben, das du leben sollst und leben wirst. Nur noch die Eine, unaustilgbare Form der Reflexion bleibt, die Unendlichkeit dieses göttlichen Lebens in dir, welches in Gott freilich nur Eins ist; (…)“ (ebd. S 471)

Dieses Leben ist das, was ein „heiliger Mensch thut, lebet und liebet, (….)“ (ebd.)

5) „Die fünfte und letzte Ansicht der Welt ist die aus dem Standpuncte der Wissenschaft. Der Wissenschaft, sage ich, der Einen, absoluten und in sich selber vollendeten. Die Wissenschaft erfasset alle diese Puncte der Verwandlung des Einen in ein Mannigfaltiges, und des Absoluten in eine Relatives, vollständig, in ihrer Ordnung und in ihrem Verhältnisse zu einander;“ (ebd. S 472)

Die Wissenschaft steht vom Inhalt interpersonaler Liebe her nicht ĂĽber der Religion, sie wird aber – siehe dann 10. Vorlesung – vielmehr als intellektuelle Liebe beschrieben, als die im Denken erreichbare höchste Liebe (als Teilvollzug des Lebens und einer umfassenden, größeren, praktischen Liebe. Die WL wird hier selbst ein WL in spezie verglichen mit dem ganzen Leben und einem umfassenderen Begriff von Liebe.)

M. Gerten beschreibt es so: „ (…)die Wissenschaftslehre keine Ăśberbietung des Standpunktes der Religion sein: sie stellt vielmehr insofern den fĂĽnften und obersten Standpunkt dar, als sie qua Vernunft- oder Wissenslehre die vollendete Klarheit durch RĂĽckfĂĽhrung aller Mannigfaltigkeit auf Einheit leistet und so auch die anderen Standpunkte aus der Gesetzlichkeit der Vernunft selbst ĂĽberblicken und in ihrer Nichtigkeit wie in ihrer relativen Notwendigkeit einsehen kann. Die Wissenschaftslehre beansprucht, aus der obersten Perspektive des Einen Wissens dieses selbst sowie die vier anderen Perspektiven zu vereinigen und zu verstehen, während alle anderen Standpunkte das fĂĽnffache Ganze von Natur, Recht/niederer Moralität, Ideen/höherer Moralität, Religion und Wissen durch ihre einseitige Perspektive verzerren. In ihrer tieferen Entfaltung als apriorische Weltbildlehre könnte die Wissenschaftslehre zugleich einen entscheidenden theoretischen Beitrag zur vernĂĽnftigen und argumentativen Lösung des fĂĽr die Menschheit bisher so katastrophalen Streites der Weltanschauungen liefern.“ 7

Der religiöse Mensch glaubt an diesen absoluten Einheitsgrund aller Mannigfaltigkeit, liebt affektiv das Ewige, tut das Heilige; die Wissenschaft bringt zudem jetzt Klarheit in die Form hinein – und ist insofern eine zusätzliche moralische Aufgabe.

Für die Wissenschaft wird „(…) genetisch, was für die Religion nur ein absolutes Factum ist. Die Religion ohne Wissenschaft, ist irgendwo ein blosser, demohngeachtet jedoch unerschütterlichen Glaube: die Wissenschaft hebt allen Glauben auf und verwandelt ihn in Schauen. — Da wir hier diesen wissenschaftlichen Standpunct keinesweges als zu unserem eigentlichen Zwecke gehörig, sondern nur um der Vollständigkeit willen angeben, so sey es genug, über ihn nur folgendes hinzuzusetzen. Das gottselige und selige Leben ist durch ihn zwar keinesweges bedingt; dennoch aber gehört die Anforderung, diese Wissenschaft in uns und andern zu realisiren, |in das Gebiet der höheren Moralität.“(ebd. S 472.473)

Für Fichte tut sich jetzt wieder folgendes Problem auf, ähnlich zur befürchteten obigen Kluft zwischen dem absoluten Sein und Dasein und dem nur reflektierten Dasein: Für die Religion wie für die Sache der Wissenschaft könnte das rein abstrakt und theoretisch als bloß „stehende und ruhende Ansicht, die im Inneren des Menschen bleibt, keinesweges aber zu einem Handeln treibend.“ (ebd. S 473) gesehen werden?
Aber das wäre eine falsche Sicht, bloß „brütend über andächtigen Gedanken“ (ebd.S. 473). Notwendig geht die Religion über zur Legalität und höheren Moralität.

(c) Franz Strasser, 9. 10. 2025

1„2. Hierin nun ist Sein und Dasein völlig ineinander aufgegangen und miteinander verschmolzen und vermischt; denn zu seinem Sein von sich und durch sich gehört sein Dasein, und einen andern Grund kann dieses Dasein nicht haben: „(ebd. S. 452)

2Vgl. J. N. Jaenecke, ebd. S. 205. Er ĂĽberschreibt diesen 2. Teil der Darstellung der genetischen Ableitung des Ich als Form der Sicherfassung des Begriffs in der vierten und achten Vorlesung (Bildlehre). Ebd. S. 204.

3 Jaenecke „Ganz zentral ist nun die Tatsache, dass Fichte in der achten Vorlesung (…) die allgemeine Reflexionsform als Ich bestimmt. Das Ich ist die Art und Weise (= Form) des freien und selbstständigen Zu-sich-Kommens (= Reflexion) des Begriffs:“ (ebd. S. 207)

4J. N. Jaenecke, ebd. S. 208.

5„Unser Leben ist nur dasjenige, was aus jenem nach dem Gesetze zu Stande gekommenen, von uns mit klarem Bewusstseyn erfasst, und in diesem klaren Bewusstseyn geliebt und genossen wird. Wo die Liebe ist, da ist das individuelle Leben, sagten wir einmal: die Liebe aber ist nur da, wo da ist das klare Bewusstseyn.“ (3. Vorlesung, ebd. S 432)

6 Dazu wäre jetzt noch die Ableitung der Interpersonalität in der 9. Vorlesung beizuziehen, worin die Religon zum Ausdruck inniger Gemeinschaftsliebe und Geisterwelt geschildert wird. „1. Das in der vorigen Rede deutlich genug abgeleitete und beschriebene Eine freie Ich, welches als Reflexion auch ewig Eins bleibt, wird als Objekt, d. i. als die lediglich in der Erscheinung vorkommende, reflektierende Substanz, gespalten: nach dem ersten Anblicke in eine Unendlichkeit; aus einem für diese Vorlesungen zu tief liegenden Grunde aber in ein zu vollendendes System – von Ichen oder Individuen. (Diese Spaltung ist ein Teil aus der zu mehrern Malen sattsam beschriebnen Spaltung der objektiven Welt in der Form der Unendlichkeit, gehört somit zur absoluten, durch die Gottheit selbst nicht aufzuhebenden Grund-Form des Daseins: wie in ihr ursprünglich das Sein sich brach, so bleibt es gebrochen in alle Ewigkeit; es kann daher kein durch diese Spaltung gesetztes, d. h. kein wirklich gewordnes Individuum jemals untergehen; welches nur im Vorbeigehen erinnert wird gegen diejenigen unter unsern Zeitgenossen, welche, bei halber Philosophie und ganzer Verworrenheit, sich für aufgeklärt halten, wenn sie die Fortdauer der hier wirklichen Individuen in höhern Sphären leugnen.“(9. Vorlesung, ebd. S. 530)

7Michael Gerten, Das Verhältnis von Wissen, Moralität und Liebe. Ebd.,  S 317.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser