Zur Deduktion des Rechtsbegriffes bei FICHTE in der GNR – 3. Teil

„Der Deduktion des Rechtsbegriffs als metaphysische Deduktion im Sprachgebrauch Kants schließt Fichte die Deduktion der Anwendbarkeit dieses Begriffs als transzendentale Deduktion an. In ihr wird die Anwendungsmöglichkeit des reinen Rechtsbegriffs aufgewiesen. Es muss gezeigt werden, dass und wie der transzendentale Rechtsbegriff auf die Erfahrung angewandt werden kann und d. h. auf eine reale Gesellschaft, in der die individuelle Freiheitssphären wechselseitig begrenzt werden. Dazu müssen zuvor jene Kategorien aufgesucht werden, mittels derer sich die Manifestationen von Freiheit in der Sinnenwelt begreifen lassen.“ 1

Es ist die GNR zugleich eine EinfĂĽhrung in die transzendentale Naturlehre:  Bewegung, Artikulation, Sensation, Organisation, die fĂĽr eine physikalische oder lebende Natur vorausgesetzt werden – woher haben sie ihren Wissbarkeit? Ein Naturalismus setzt immer schon voraus, was er beschreibt: Sensation, Bewegung, Organisation, Information, weiĂź aber nicht um deren Denkbarkeit. 

1. 1) FICHTE beginnt im Zusammenhang der Ableitung des Leibes (aus dem apriorischen Begriffe einer freien Wirksamkeit) mit einer bewussten, sozusagen offiziellen, Einführung des Begriffes der „Person“.

„Das vernünftige Wesen setzt, nach dem oben geführten Beweise, sich als vernünftiges Individuum, statt welches Ausdruckes wir uns, von nun an, des der Person bedienen werden, dadurch, dass es sich ausschliessend zuschreibt eine Sphäre für seine Freiheit. (GNR, ebd. § 5, S 56.) 2.

Diese Sphäre ist dem Ich entgegengesetzt; sie ist „ein Teil der Welt“ (ebd. S 57). Realität gewinnt diese Sphäre durch die Anschauung des Subjekts. Die reflexive Tätigkeit des Subjekts konstituiert in der Anschauung den Gegenstand.

„Durch das Anschauen selbst, und lediglich dadurch entsteht das Angeschaute; das Ich geht in sich selbst zurĂĽck; und diese Handlung gibt Anschauung und Angeschautes zugleich; die Vernunft (das Ich) ist in der Anschauung keineswegs leidend, sondern absolut tätig; sie ist in ihr produktive Einbildungskraft“ (GNR § 5 , ebd. S 58).

Die ursprĂĽngliche Konstitutionsfunktion der Anschauung nennt Fichte ein „Linienziehen„. Diese ursprĂĽngliche Linie ist die reine Ausdehnung (GNR ebd. S 58). Aus dieser Grundfunktion werden die Formen der Anschauung, die bei KANT zwar wunderbar herausgestellt, aber nur faktisch festgestellt sind – Zeit und Raum. Die Sphäre der individuellen Wirksamkeit wird durch „Linienziehen“ konstituiert und somit zu etwas Ausgedehntem. Durch die Bestimmung der individuellen Freiheitssphäre, die zugleich Beschränkung, Eingrenzung ist, bestimmt das Subjekt sich selbst. Und so wie die Person sich als identisch (dauernd – unveränderlich) setzt, muss auch jene Sphäre als identisch angesetzt werden. 
Die genauere Ableitung der Zeit-Anschauung muss hier entfallen, aber es kommt jetzt gleich zur Raum-Anschauung:
Die „ruhende, und einmal fĂĽr immer bestimmte Ausdehnung ist Ausdehnung im Raume“ (GNR ebd., S 58f.). Die individuelle Freiheitssphäre als Umfang aller möglichen freien Handlungen der Person findet sich, so jetzt die notwendige Folge, aus der Denkbarkeit der Aufgabe, ein freies und selbstständiges und wirksames Selbst-Bewusstsein zu erkennen, in einem räumlich ausgedehnten, materiellen Leib.

„Wenn „Wollen“ in „Handeln“ übergehen soll, und dies nur in der angegebenen Sphäre sich vollziehen kann, ist zu klären, wie durch diesen Körper Ursachen (in der Welt) gesetzt werden können. Die Person kann nur durch diesen Körper wirken, kann sich nur durch ihn äußern, und eine Wirksamkeit, die von diesem so bestimmten Körper ausgeht, muss als Äußerung, als Willensmanifestation der Person verstanden werden. Dazu muss der Begriff des Körpers als Synthese aus Unveränderbarkeit und Veränderbarkeit gedacht werden. Einerseits kann die Materialität dieses Körpers nicht aufgehoben werden (vernichtet oder neu geschaffen) und er muss in Identität erhalten bleiben, andererseits muss er veränderbar sein, um verändern zu können (um selbst Kausalität sein zu können). Dies Problem ist dadurch zu lösen, dass  der Körper als aus Teilen zusammengesetzt gedacht wird; ihr Verhältnis zueinander ist seine Form. Es kann verändert werden durch Veränderung der Lage der Teile zueinander, d. h. durch deren Bewegung. Diese ist möglich durch freie Bestimmung der Teile zueinander bzw. des Teils zum Ganzen.“ 3

„Die Bestimmung, was jedesmal Ein Teil sein solle, mĂĽĂźte abhängen lediglich vom Begriffe. Ferner, daraus, daĂź etwas als ein Teil gedacht wäre, mĂĽĂźte folgen eine eigentĂĽmliche Bewegung desselben; und diese abermals vom Begriffe abhängen“ (GNR, § 5 ebd. S 60).

Diesem Leib oder Körper muß eine durchgängige Gliederbarkeit zukommen. Fichte nennt dies „Articulation“ (GNR, ebd. S 61)

„Ein Körper, wie der beschriebene, an dessen Fortdauer und Identität wir die Fortdauer, und Identität unserer Persönlichkeit knüpfen; den wir als ein geschlossenes artikuliertes Ganzes, und uns in demselben als Ursache unmittelbar durch unseren Willen setzen, ist dasjenige, was wir unseren Leib nennen; und es ist so nach erwiesen, was erwiesen werden sollte“ (GNR, ebd. S 61)

1. 2) „Damit ist der Leib als Vermittlungsinstrument zwischen reiner (noumenaler) Subjektivität und der Sinnenwelt begrifflich erfasst und das Postulat des Leibes als Möglichkeitsbedingung von Wirksamkeit bewiesen. (….) Mit der Deduktion des Leibes in der Linie der Deduktion des Anwendbarkeit des Rechtsbegriffs wird der Sphäre der Leiblichkeit in der Folge auch eine spezifisch rechtliche Bedeutung zugewiesen, die dann zum Inhalt spezifischer Rechte führt (z. B. zu Grundrechten“ wie das Recht auf leibliche Unversehrtheit. S. u., unter ,Urrecht“). 4

Die Deduktion des Leibes könnte jetzt noch viel weiter ausgefĂĽhrt werden – und kommt auch noch im Corollarium des § 6. Es ist fĂĽr den Naturalismus und Empirismus ein Problem höchsten Grades, wie eine sinnliche Einwirkung gedacht und begrĂĽndet werden kann. Ich erinnere mich an Naturphilosophie-Vorlesungen von Prof. R. LAUTH: FĂĽr das stehende Objekt der sinnlichen Natur sind die Verstandesbestimmungen, die Kant als die „Grundsätze der Verstandes“ darlegt, grundlegend. Mittels dieser Grundsätze wird eine rein objektive, wirkliche Natur aufgebaut. Sie sind die notwendigen Bedingungen, dass ĂĽberhaupt so etwas wie ein materielles AuĂźenobjekt sein kann. Hier in der Deduktion des Rechtsbegriffes wird aber noch weiter analysiert: Nicht die Grundsätze des Verstandes, sondern die Reflexionsformen der reflektierenden Urteilskraft deduzieren die subjektiv-objektive Wirklichkeit des Verstehens von Bewegung, Artikulation, Organisation, mithin das Verstehen einer sinnlichen Natur. Ich kann nur dann eine physikalisch-bewegte und lebendig-organisierte Natur-Welt haben, wenn ich primär eine andere Person als frei und selbst zwecksetzend wissen und voraussetzen kann. Das Verstehen der Grundsätze des Verstandes bedeutet aber dann eine andere reflexive BegrĂĽndung als bloĂź ein faktisch festgestellte Einheit zwischen Verstand und sinnlichen Gegenstand in einer abstrakten Synthesis des „Ich denke“. Man muss es deutlich sagen:  Die wie selbstverständlich in die sinnliche Natur hineingelegten Begriffe von Motorik, Sensibilität, Organisation – sie kommen ihrem genetischen Ursprung nach aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit freien Zwecksetzens. Die Natur wird von zwei Seiten verstanden: von der faktischen Materie her und vom Begriff der Person her.

Es ist mit dem Leib ein Punkt innerhalb mehrerer möglicher Linien im Raume gesetzt, ein Anfangspunkt für den inneren Sinn, ein Wirkansatz immanenter Kraft, eine gefundene Freiheit des Konstruierens, absolut in einem Punkte. Das Ich umfasst sich dabei, so wie es sich als Kraft fasst, notwendig als lebend und sich äußernd in einem Momente. Der philosophische (nicht medizinische) Leib ist ein Ganzes sinnlicher (sensorischer) Wahrnehmungsstellen und motorischer Insertionsstellen und bildet als solcher eine Organisation, die von einer distributiven, nicht additiven!, Wechselwirkung gesteuert wird. Die aufeinander bezogenen, verschiedenen Sensations- und Insertionspunkte bilden eine Mannigfaltigkeit von Anfangspunkten, die mit den Hemmungen kommunizieren, sodass eine lebendige Wechselwirkung zwischen Gefühl und Hemmung und eine distributive Einheit des Lebens möglich wird.

© Franz Strasser, 29. 4. 2021

1H. G. v. Manz, FairneĂź und Vernunftrecht, ebd. S. 103

2Indem das Subjekt sich eine Sphäre seiner möglichen freien Handlungen zuschreibt, „(….) begrenzt es sich, und wird aus dem absolut formalen ein bestimmtes materiales Ich, oder eine Person“ (GNR, ebd. § 5, S 57)

3H.G.v.Manz, ebd. S. 104.

4H.G.v.Manz, ebd. S. 104.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser