Evolutionstheorie – 5. Anfrage; über Rezeption und Hirnforschung.

Gleinker Weltchronik

1) Es wird meistens ohne terminologische Genauigkeit von einer nachhaltigen Evolution des Anorganischen und des organischen Lebens bis zum sprachlichen und vernünftigen Bereich des Geistes gesprochen, anstatt umgekehrt die Wissens- und Sichtbarkeitsbedingungen der Bestimmbarkeit von Entwicklung zuerst im Schweben der Einbildungskraft aufzusuchen und daraus eine abgeleitete Theorie der Evolution  des Anorganischen und Organischen und Vernünftigen zu entwickeln.

Wenn es zu einer vernünftigen Durchdringung der Wirklichkeit kommen soll, so bedürfen wir des Zweck-Begriffes, wie im 4. Teil oben schon zitiert:  Zweck ist Selbsttätigkeit in Beziehung auf Selbsttätigkeit, wie Ursache auf ihre Wirkung.“ (GA II, 3, 12.13)

Oder in anderer Weise zum Zweckbegriff gesagt:  G. COGLIANDRO fasst in seiner Analyse der Wlnm das Schweben der Einbildungskraft als der Position der Transzendentalphilosophie und Grundlage allen Bewusstseins so zusammen: „Das Schweben, so wie die Fähigkeit, die Bestimmungstätigkeit anzuschauen (die Gegenteil des Schwebens ist), sind in der Tat auf der intellektuellen Anschauung gegründet, die das Ich als ursprünglich in sich selbst zurückkehrende Tätigkeit erfasst. Das Ich sieht seinem Bestimmen zu, weil es seine Tätigkeit überhaupt sehen kann. Diese Tätigkeit zerfällt ursprünglich in die Fähigkeit, sein eigenes Ziel zu bestimmen (Ursprung der idealen Reihe), und in der Fähigkeit, das Objekt des eigenen Willens zu bestimmen (Anfang der wirklichen Reihe).“ 2

2) Der Entwicklungsbegriff  und die ideologisch besetzte „Evolutionstheorie“ entspringen –  und damit spreche ich eine gewisse Vermutung aus –  m. E.  einer psychischen Verdrängung. Denn nichts kann aus einem beobachteten Verlauf selbst abgelesen werden, sondern alle Beobachtung existiert nur in der Realisierung des Begriffes und in der Intention einer Absicht. Das ideale Denken geht dem realen Übertragen und kategorialen Erkennen voraus. Die Realisierung folgt notwendig aus dem Begriffe. 

Die naturwissenschaftlichen Daten erreichen uns „stets durch die starken Filter unserer Kultur, ihrer Hoffnungen und Erwartungen“ (Gould 1989, 122). Siehe dazu download 18.12.12  100 Jahre Piltdown-Mensch

Verschiedenes zu denken und genauer gesagt, unterscheiden zu können, heißt entgegensetzen, limitieren. In einschränkender Limitation wird etwas bestimmt, das es das ist, was das andere nicht ist und das andere das ist, was das eine nicht ist.  Das „gleich“ und „entgegengesetzt“ sind transzendentalanalytisch verbunden durch die Denkakte, die ich bereits vollzogen haben muss, wenn ich limitiere. Durch die Unterscheidung setze ich einen Denkakt, durch den ich den Gehalt an Erfahrung „rekonstruiere“. In diesem Sinne werden dann die verschiedenen Empfindungen, die als  Hemmungen (oder Aufforderungen) unableitbar sind, entgegengesetzt. Die Mannigfaltigkeit der Empfindungen ist dem qualitativen Gehalt nach a priori vorausgesetzt, denn sonst könnte eine Empfindung nicht gegen eine andere abgegrenzt und bestimmt werden. Formal gesehen ist aber die Mannigfaltigkeit im mannigfaltigen Sehen und im Vermögen der Rezeption aus der Einheit der Vernunft selbst ableitbar  (Fichte hat das in den späteren WLn stark herausgearbeitet.) 3

Der Grund für diesen Denkakt des Unterscheidens und Beziehens liegt in einem Akt der Spontaneität, welcher Akt aber wiederum nicht einfach faktisch vorausgesetzt werden darf, sondern selbst transzendental apperzeptiv in einer werdenden Zeit- und Raumanschauung durchdrungen werden muss. Hinter der transzendentalen Apperzeption des „Ich denke“ bei KANT, faktisch festgestellt,  steht das Wollen und Handeln der freien Selbstbestimmung und damit einhergehend das Werden des Ichs. 

Die Spontaneität ist eine „Kausalität auf sich selbst“ (EIGNE MEDITATIONEN, GA II, 3 43.) Wenn man das kantische „Ich denke“ seiner Intention und seinem Geist nach verstehen will, so kann es nur aus dem Schweben der Einbildungskraft und kategorial bestimmt als Beziehen verstanden werden. (ebd. GA II, 3, 40). Zwecks Präzisierung und Abhebung von KANT müsste man bei FICHTE von einer reinen, überzeitlichen, intelligiblen Apperzeption sprechen.

Allein schon das Verschiedene zu begreifen verlangt ein Denken der Verschiedenheit, das durch die Kraft der Negation und Affirmation ermöglicht ist. Mit der Negation wird etwas entgegengesetzt, insofern etwas identisch ist. FICHTE exerziert das in den EIGNE MEDITATIONEN und in der PRACTISCHEN PHILOSOPHIE aufs Äußerste durch (1793/1794). Das Entgegensetzen geschieht immer innerhalb des „Ichs“, im Horizont des „absoluten“ Ichs, und vollendet sich in der Form eines „absoluten“ Wissens, das zur qualitativen und quantitativen Bestimmung des Gewussten  und zu einem System des Wissens übergeht. 

Verschiedenheit ist setzbar durch den gedanklichen Schritt des Entgegensetzens, d. h. durch ein gedanklich gesetztes Nicht-Ich innerhalb einer Sphäre des „absoluten Ichs“ mittels eines teilabsoluten Setzen des Grundes (der Limitation).  Mit der Verschiedenheit ist außer der negierten Sphäre die Setzung einer unbestimmten Sphäre X bzw. eines transzendentalen Grundes vollzogen. Damit ist eine qualitative und (mathematische) Quantitierung innerhalb der Einteilbarkeit überhaupt (innerhalb der Quantitabilität) ermöglicht.

Wiederum ist es aber die Existenz, die sich in der Negation behauptet, wenn letzteres ein bestimmtes Nichtseyn, ein Läugnen einer bestimmten Realität: nicht der Existenz überhaupt.“ (GA II, 3, S 40.) ist. Im Unterscheiden des endlichen Ichs vom (unendlichen) Nicht-Ich fasst das intelligible  Ich (oder Bilden)  begrifflich seine eigene Existenz. Es kann dabei Realität immer nur von Realität unterscheiden (GA II, 3, 53). Nicht-Ich ist Verneinung des Ichs (GA II, 3, 28), Verneinung des Denkens von bestimmtem Existierenden, nicht des Existierenden überhaupt. Die erwähnte Reflexionsform der Quantitabilität im Setzen und Gegensetzen ist damit nicht eine abstrakte Einheit, sondern primär eine qualitative Einheit, weil die Wechselbeziehung ja immer angesetzt und bezogen ist auf der qualitativen Ebene der Empfindung (des Gefühls, des Aufrufs) und der praktischen Ebene der Erfahrung. Die Kategorie der Qualität geht der Kategorie der Quantität voraus – so die Entdeckung FICHTES in den EIGNE MEDITATIONEN.

Beispiel: in der Hirnforschung wird mittels Reiz-Reaktions-Schemata im Gehirn das geistige Erkennen abzuleiten versucht. Durch chemische Aufbau- und Abfall-Ereignisse, neuronische Feuerungen etc. wird der „Reiz“  weitergeleitet, und dieser wird „Information“ genannt. Die „Information“ wird dann in Graphen anscheinend „gemessen“ und sonstigen bildgebenden Verfahren angezeigt. Aber was zeigen die Graphen oder die Bilder wirklich an? Springen die Graphen der Messungen und deren formale Anschauungen in den mathematischen Quanta und Zahlen als visuelles Denken heraus?   Sind „messbare“ Reize, oft noch mit künstlichen Farben unterlegt zur Unterscheidung,  kongruent und isomorph zur  transzendental gedachten Wirklichkeit der Empfindung/des Gefühls?
Soweit ich dieses „visuelle Denken“  bis jetzt kenne, ist das alles dogmatischer Realismus, überzeugend und nichtssagend – und nennt sich „Kognitionswissenschaft“.  Die Weitergabe der „Information“ zwischen den entgegengesetzten Synapsen und  die Veränderungen in den chemischen und energetischen Zuständen ist selbst Wissen und Sich-Wissen. Es wird durch die Schaltungen nichts apperzipiert noch rezipiert, weil nichts bewusst wahrgenommen und  rezipiert und  entgegengesetzt und verglichen wird. Es wird den Sensoren und elektromagnetischen Strömen eine Information und Interpretation zugetraut, die aber gar nicht von den gemessenen Reizen selbst kommen kann. Die energetischen Zustände werden dogmatisch als „messbar“ benannt,  und dank dieser Auszeichnung existieren sie dann. Aber das wäre ja das Interessante, wie die Existenz in die Messbarkeit hineinkommt?!  Würden die Reize und messbaren Veränderungen für sich. d. h. reflexiv, existieren, müssten sich die einzelnen Zellen oder Zellverbände mittels der chemischen Reaktionen zuerst voneinander abgrenzen und unterscheiden und dann auf sich zurückbeziehen und das wissen. Sie müssten aktiv oder rezeptiv-passiv andere Zellen aufnehmen oder abstoßen…… etc. Das ist für mich alles schlampige Rede, oder gelinde gesagt, leichtgläubige Übertragung der Intelligenz auf neuronale Prozesse, wenn man die „Kognitioswissenschaft“ hineinschmöckert. Was bedeutet wirklich ein Reiz? Durch die Messbarkeit wird er kein Reiz. Ich muss mit einem absoluten Quale meiner selbst beginnen, mit dem Gefühl. Was ist Gefühl? Das Setzen der angeschauten Freiheit in einem angeschauten Objekte.
Aus  einem angeblich  sichtbaren Prozess in den Nervenbahnen und Gehirnzellen lässt sich keine Erkenntnis entwickeln.  Ich leugne nicht die Existenz dieser Milliarden Schaltungen, die im System zusammengeschaltet unvorstellbar und wunderbar funktionieren und kommunizieren, sie sind aber nur innerhalb des Bewusstseins existent und als wunderbar „kommunizierend“ gesetzt. Wir intuieren die Bestimmung eines Reizes/ eines Gefühls, interpretieren eine Gen-Codierung, lokalisieren ein Reiz-Reaktionsschema im Gehirn, wir konstruieren einen physischen Zusammenhang – aber immer sind nur wir es, die nachkonstruieren, was erscheinend ist.   (vgl. dazu R. LAUTH, Naturlehre, S 77-79)
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© Franz Strasser, 20. 12. 2015

2Dankenswerterweise ins Internet gestellt – abgerufen am 11. 12. 2015. – siehe pdf-download: https://www.academia.edu/8239773/Die_Dynamik_der_Fünffachheit_in_der_Wissenschaftslehre_nova_methodo, S 13. 

3Der Grund für den Unterschied der Empfindungen der Form nach ist a priori – nicht wie die Sensualisten sagen, dass die Rezeption mit der Mannigfaltigkeit der Sinneswahrnehmungen beginnt. KANT ist hier ebenfalls noch dogmatisch, weil er die Mannigfaltigkeit der Empfindungen für die Synthesis der Erkenntnis blind voraussetzt. Der Grund für unser Unterscheidenkönnen  ist bereits ein aktives „Vermögen“ (schön bei Platon nachzulesen im „Sophistes“), das Rezeptionsvermögen des Ichs. Ein J. LOCKE u. a. tricksen hier gewaltig: Sie können den Übergang von Materie zu Geist und umgekehrt nicht erklären, deshalb spielen sie mit Worten.  

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser