Zum Begriff des Transzendentalen – 4. Teil

Es sei hier schon entschieden einer Meinung vorgebeugt, dass transzendentales Wissen nichts mit der sinnlichen Materie und den Empfindungen und den anderen Momenten auf der Erscheinungsebene der Dinge zu tun hätte. Im Gegenteil weist gerade FICHTE nach, dass die Intentionalität und intelligible Seite des Wissens schon im sinnlichen Gefühl beginnt und dort als intelligible Wertmaterie erkannt werden kann. Die Erkenntnis ist auf der eine Seite Gefühl/Empfindung, weil das Gefühl/die Empfindung auf der anderen Seite gerade in und aus der Geschlossenheit der universellen Vernunft als Vorstufe einer intelligiblen Wertmaterie wahrgenommen wird. Das basalste Gefühl wäre ohne Geschlossenheit eines transzendentalen Wissens als solches nicht zu verstehen und zu wissen. 1

Gehen wir vorerst davon aus, was aber noch zu rechtfertigen wäre, dass es in der Philosophie in erster Linie um Erkenntnis gehen soll, Erkenntnis der Wirklichkeit im Ganzen in und aus Prinzipien und deren Darstellung (Vollziehung),  ferner um vollkommene Erkenntnis, weil Erkenntnis ja wesentlich eine werthafte Erkenntnis einschließt (R. LAUTH).2

Die Erkenntnis muss  aus einer unmittelbaren Evidenz hervorgehen, wobei allerdings nicht bei einer bloßen Intuition stehen geblieben werden darf, sondern die Intuition selber im Denken intelligiert und gerechtfertigt sein muss!  Es ist die Evidenz einer zeitlosen, unwandelbaren, materialen Wertfülle einerseits,  deren Realisierung durch die  Wahrnehmung und Reproduktionsanschauung in der Zweiheit einer reflexiven Subjekt-Objekt-Einheit andererseits zerfällt – und so in einer zeitlich-geschichtlichen Realisierung im Bildsein sich bewähren muss können.

Eine Definition der Erkenntnis, wo wir nichts haben und nichts voraussetzen dürfen – auch nicht den Begriff Gottes oder des Menschen – ist am Anfang der philosophischen Reduktion nicht möglich, ist aber auch nicht das Problem. Denn gemäß der Voraussetzung des transzendentalen Wissens ist  das im Wissensbild vorausgesetzte Sein  erkennbares Sein, d. h. in Differenz und Nichtdifferenz zwischen Seinsbild und Wissensbild (Erkenntnisbild) erkennbares Sein, sofern in und aus dem Grund der Einheit (dem Geltungsgrund) das faktische Sein genetisiert  werden kann.  Die philosophische Aufgabe ist, die Differenz wie Nichtdifferenz der Erkennbarkeit ohne sekundärreflexive Verfälschung im Rahmen des philosophischen Vollzugs in ihrer Gültigkeit herauszustellen und zu bewähren.

FICHTE ging aus logisch-synthetischen und didaktischen Gründen zumeist den reduktiven Weg der Analyse, ähnlich wie PLATON, um aber letztlich die Selbst-Bewährung des Wissens genetisch einsichtig zu machen, d. h. in Intuition und Intellektion zu bewähren. Das reduktive Vorgehen und die begriffliche Analyse der Faktizität kann bestenfalls die Bedingungen für das Sich-Erzeugen der genetischen Einsicht selbst vorbereiten. Es wäre hier jetzt die Stelle, FICHTES Begriff der „intellektuellen Anschauung“ zu explizieren. Siehe aber dazu andere Blogs.

[…] die W. = L. hat stets bezeugt, daß nur als erzeugt sie das Ich für rein anerkenne, und es an die Spitze ihrer Deduktionen, nicht etwa ihrer selbst, als Wissenschaft, stelle, indem ja doch die Erzeugung höher liegen wird, als das Erzeugte.“ (WL 1804/2, 13. Vortrag)

(c) Franz Strasser, 29. 10. 2015

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1Hier finde ich im  Buch von S. RÖDL, Selbstbewusstsein, 2011, das rätselhaft, wenn er plötzlich von einem „wahren Materialismus“ (ebd., S 30) oder von einem „materiellen Substanzbegriff“ für das Subjekt ausgeht (ebd. S 169 – 177), sich berufend auf die Kategorien des Zeitlichen bei ARISTOTELES oder KANT. So klar und verständlich  RÖDL in seinen Definitionen und Beschreibungen  ist,  so wunderbar das Buch „Kategorien des Zeitlichen“, so absolut unverständlich sind mir solche Aussagen und Folgerungen „vom wahren Materialismus“. DIe Bezugsart auf den Gegenstand, reflexiv oder rezeptiv genannt, ist doch nicht selbsterklärend ein „Materialismus“?  

2Ich verweise hier auf R. LAUTH, Begriff, Begründung und Rechtfertigung der Philosophie, München 1967, S 37ff.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser