Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen (Lektüre)1. Teil.

Ernst CASSIRER, Gesammelte Werke. Bd. 11. Philosophie der symbolischen Formen. Teil 1. Die Sprache, Hamburg 2001.1

Die Einleitung zu diesem an historischem Material sehr umfangreichen Werkes, 1. Band, 1923 erschienen, beginnt mit folgender Gesamteinschätzung: Gab es vor Sokrates/Platon noch eine empirische Abbildtheorie, d. h. dass die Bestimmungen des Seins irgendwie von den Dingen selbst ausströmten, zumindest vom Stofflichen und Physikalischen abhingen, und selbst die Zahl noch an der stofflichen Wirklichkeit haftete, so brachte das skeptisch-kritische Denken des Platonismus eine vernunfttheoretische, rationale Welterklärung ins Spiel, oder mit den Worten Ernst CASSIRERS gesprochen, die „symbolische“ Welterklärung und Weltsicht. 

Ich setze „symbolisch“ unter Anführungszeichen, weil ich große Zweifel an dieser philosophischen Leitidee habe, alle Erkenntnis und alles Wissen zu den verschiedensten Bereichen des Lebens – zu Mythos, Religion, Kunst, Naturwissenschaft, Sprache – in „symbolische“ Erkenntnistheorie aufzulösen. Der Begriff „symbolisch“ wird zu einem Aller-Welts-Erklärung, zu einem scheinbaren Universalschlüssel, leicht einsetzbar da und dort. Was man nicht mehr genau erklären oder beschreiben kann kann, wird mit „symbolisch“ erklärt und beschrieben – und das geht fast immer!

Ich erlaube mir die Einleitung dieses Buches (des 1. Teils der symbolischen Formen) zu kommentieren.
E. CASSIRER zeichnet sich durch ein ungemein enzyklopädisches Wissen aus, durch höchste Gelehrsamkeit, pflegt einen schönen Rede- und Schreibstil, spricht verschiedenste Themen der Philosophie frei nach, bezieht ungemein viel Literatur aus allen Gebieten mit ein und kombiniert dieses und jenes. Wenn mir ein Vergleich erlaubt ist, so ähnlich wie der „Zettelkasten“, wie ihn Niklas Luhmann in jüngster Zeit entwickelt hat. Sein Vortrag in den Hörsälen stelle ich mir lebendig und spannend vor, gerade weil er aus einer schier unerschöpflichen Quellen des Wissens schöpft. In seinem etwa 25 Jahre später in Amerika verfassten Werk – E. Cassirer musste aus den bekannten, scheußlichen Gründen der Nazis fliehen – „Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur“, fasst er nochmals das Thema der drei Bände (siehe Anm. 1) zusammen. „Kulturphilosophie“ sollte das Paradigma werden.  

Am Schluss dieses 1. Bandes seiner symbolischen Formen frage ich mich allerdings: Soll eine Kulturphilosophie das herkömmliche philosophische Fragen nach den Gründen und einer vernünftigen Durchdringung der Wirklichkeit ersetzen oder ablösen? Ich hänge mich sozusagen jetzt nur an den Buchstaben dieses 1. Bandes – und las nochmals die Einleitung unter transzendentalkritischen Augen.

1) EINLEITUNG UND PROBLEMSTELLUNG

I.[Der Begriff der symbolischen Form und die Systematik der symbolischen Formen]

Der erste Anfangspunkt der philosophischen Spekulation wird durch den Begriff des Seins bezeichnet. In dem Augenblick, da dieser Begriff sich als solcher konstituiert, da gegenüber der Vielfältigkeit und Verschiedenheit des Seienden das Bewußtsein von der Einheit des Seins erwacht, entsteht erst die spezifisch-philosophische Richtung der Weltbetrachtung. (ebd. S 1)

Man fühlt sich bei dieser Lektüre von Anfang an bei den Griechen zu Hause: Beim klassischen PARMENIDES oder beim „Parmenides“ und „Sophistes“ des PLATON u. a. „Ideenfreunden.“

E. CASSIRER kommt sofort in seiner Einleitung auf das grundlegende Problem zu sprechen:

(…) daß bei ihm (sc. PLATON) das Sein, das dort in der Form eines einzelnen Seienden als fester Ausgangspunkt genommen wurde, zum erstenmal als Problem erkannt worden sei. Er fragt nicht mehr schlechthin nach der Gliederung, nach der Verfassung und der Struktur des Seins, sondern nach seinem Begriff und nach der Bedeutung dieses Begriffs. Dieser scharfen Frage und dieser strengen Forderung gegenüber verblassen alle früheren Erklärungsversuche zu bloßen Erzählungen, zu Mythen vom Sein.“ (ebd. S 2)

E. C. interpretiert PLATON als die Entdeckung der Reflexivität des Denkens (Anspielung bei ihm auf „Sophistes“ 243c u. a.), sodass nicht mehr ein materielles Seiendes, sondern eine vernunftgemäße, rationale Erklärung der Wirklichkeit in den Mittelpunkt rückt. Das Sein und seine Bestimmung wird durch die Reflexion zum Problem und zugleich zur Referenz seiner Lösung nach vernunftkritischen Perspektiven.

In dem Maße, als sich diese Einsicht in der Wissenschaft selbst entfaltet und durchsetzt, wird in ihr der naiven Abbildtheorie der Erkenntnis der Boden entzogen. Die Grundbegriffe jeder Wissenschaft, die Mittel, mit denen sie ihre Fragen stellt und ihre Lösungen formuliert, erscheinen nicht mehr als passive Abbilder eines gegebenen Seins, sondern als selbstgeschaffene intellektuelle Symbole. Es ist insbesondere die mathematisch-physikalische Erkenntnis gewesen, die sich dieses Symbolcharakters ihrer Grundmittel am frühesten und am schärfsten bewußt geworden ist“ (ebd. S 3)

Bereits hier, ganz am Anfang der Einleitung – sicherlich als Vorwegnahme seiner Ergebnisse gedacht? – verwendet E. C. dieses Wort „Symbol“ und „symbolisch“. Wenn aber schon auf PLATON verwiesen werden sollte – als wesentliche Weiterführung der Vorsokratiker und Pythagoräer und der damaligen Materialisten -, wieso kann die sprachliche Erkenntnis- und Wissensform nicht in einer schärferen Terminologie der Teilhabe am Totalitätsganzen bzw. einer Begründung der sprachlichen Sinn-Bilder aus den höchsten Ideen weitergeschrieben werden?2 Wenn ein Begriff oder ein Bild eine Weiterbestimmung der geschauten Idee ist, so kann doch leichter durch Teilbestimmungen dieser Idee zu einem neuen Möglichkeitsraum sprachlicher Beschreibung gelangt werden – als mit diesem Hilfsausdruck einer „symbolischen“ Bestimmung des Seienden?

Hätte PLATON seine Ideenlehre nur sprachanalytisch, „symbolisch“ gemeint, ohne Begründung und Rechtfertigung aus dem Totalitätsganzen der Wirklichkeit (des Seins), wäre er wohl ein Sophist geworden, der die Teilbestimmungen auch eines gegenteiligen, negativen Seins rhetorisch benutzt hätte, um eine Seinserkenntnis als widersprüchlich zu beweisen. Aber gerade von dieser vermeintlichen, sophistischen Nicht-Beschreibbarkeit eines positiven Seins wollte sich Platon mit seiner Reflexiologie des Wissens abgrenzen. Mittels transzendentaler Einschränkungsbedingungen kann das Seiende bestimmt werden, selbst negativ durch Ausgrenzungsbedingung aus einem allumfassenden und totalen Sein, aber nie kann vom Nicht-Sein des Seins und der Wahrheit selbst ausgegangen werden. Die positiv als spezifische Bestimmung des Seienden durch Reflexion bildbare Wissenseinheit, warum soll das im Sinne von E. C. eine symbolische“ Bestimmung sein? Ich beginne jetzt bei der zweiten Lektüre der Einleitung zu den symbolischen Formen skeptisch und kritisch zu werden.

Das Wort „symbolisch“ macht ja von Anfang an eine Differenz zwischen Sein und Wissen auf. Wäre PLATON von einer letztlich unüberwindlichen Unterschiedenheit zwischen Ideen (Wissen) und Sein ausgegangen, hätte er die Ideenlehre nicht schreiben können bzw. wäre ihm die Sprache ausgegangen in einer nur „symbolischen“ und sophistischen Beschreibung der Ideen und der dazu komplementären Wirklichkeit.

Natürlich muss am Anfang eines umfangreichen Buches und der These einer „symbolischen Erkenntnis“ nicht gleich die Begründung folgen, aber, so verstärkt sich immer mehr der Eindruck, die Bestimmung „symbolisch“ ist zu kurz gegriffen, wenn eine ideelle und bildhafte Wirklichkeitserkenntnis, also eine wahres Bild des Bildes vom Sein, geleistet werden soll.

Gerade die von E. C. herausgehobene Logik des ARISTOTELES (ebd. S 62f), deren Wissensformen und Kategorien eben durch die Urteile und Sprache geprägt sind, sind schon sekundäre Ableitungen des Wissens vom Sein ohne Rechenschaft ihrer Entstehungsbedingungen. Ich lese den von E. C. übernommenen Vorwurf des ARISTOTELES an PLATON, dass dessen Ideenwelt und Sinneswelt getrennt seien („Chorismostheorie“) – das ist aber reines Nachsagen. Umgekehrt muss gesagt werden, dass ARISTOTELES seine Wesenserkenntnis und Klassifizierungen erst recht im schlechten Sinne an den „platonischen Ideenhimmel“ einer vorgegebenen kosmischen Ordnung warf. Der „Chorismos“ (die Trennung) fällt auf ARISTOTELES zurück, weil die Wissensformen und logischen Zeichen von den Einzeldingen heraus abstrahiert sind und somit nie in und aus einer gemeinsamen, genetischen Einheit des Wissens und des Gegenstandes begründet sind. Die platonischen Ideen seien für sich etwas abstrakt Allgemeines, so der Einwand des ARISTOTELES, als hätte PLATON diese Wissensformen nie aus einer höchsten Einsicht von Intuition und Intellektion des Seins verstanden und begründet und in concreto angewandt.

Es muss gesagt werden, die Gegenthese von ARISTOTELES ist mehr als abstrakt: Das Allgemeine sei immer nur als das Seiende zu erkennen und käme nur im Einzelnen vor, es gäbe nur induzierteWesensformen“.
So ist
(nach Aristoteles) das herausabstrahierte Wesen per se nur mehr „zweite Substanz“, „deutero ousia“. Wenn es diese Zweiheit zwischen Sein und Seiendem wirklich gäbe, wäre erst recht der „Chorismos“ besiegelt!

PLATON reflektierte in seinem Erkennen und Handeln auf ein qualitativ Totalitätsallgemeines. Die Ideen und die sinnlichen Dinge sind zwar verschieden, können aber in Differenz bestimmt werden.
Wie sollte durch diskursive Verstandesschlüsse alleine – expliziert dann als formale Logik bei Aristoteles – erkenntniskritisch die Einheit von Denken (Idee) und Sein eingeholt werden?

Liest man sich in E. C. hinein, so ist der unbefangene Leser wohl durch seine Gelehrsamkeit und Eleganz gefesselt, aber ist eine „symbolische“ Erkenntnis, wie sie E. C. beschreibt, die Explikation der Ideenlehre? E. C. zitiert in diesem Zusammenhang den Mathematiker und Physiker Heinrich Hertz (ebd. S 3): Es ist offensichtlich von H. Hertz ganz begeistert und abhängig. Die Sprache und die intellektuelle, anschauliche Synthesis der Mathematik (nach Kant), sozusagen als reine Elementarsprache gesehen, kann sie die ganze Funktion der Sprache ersetzen? In weitere Folge wird an Helmholtz (ebd. S 4) angeknüpft, der eine Theorie der Zeichen entwickelt hat. Die wesentliche konstituierende Form (und das Bild) der sprachlichen Erkenntnis und speziell der Wissenschaft besteht in ihrer Funktion.

(…) aber der Begriff des „Bildes“ hat nun in sich selbst eine innere Wandlung erfahren. Denn an die Stelle einer irgendwie geforderten inhaltlichen Ähnlichkeit zwischen Bild und Sache ist jetzt ein höchst komplexer logischer Verhältnisausdruck, ist eine allgemeine intellektuelle Bedingung getreten, der die Grundbegriffe der physikalischen Erkenntnis zu genügen haben. Ihr Wert liegt nicht in der Abspiegelung eines gegebenen Daseins, sondern in dem, was sie als Mittel der Erkenntnis leisten, in der Einheit der Erscheinungen, die sie selbst aus sich heraus erst herstellen. Der Zusammenhang der objektiven Gegenstände und die Art ihrer wechselseitigen Abhängigkeit soll im System der physikalischen Begriffe überschaut werden, — aber diese Überschau wird nur möglich, sofern diese Begriffe schon von Anfang an einer bestimmten einheitlichen Blickrichtung der Erkenntnis angehören. Der Gegenstand läßt sich nicht als ein nacktes Ansich unabhängig von den wesentlichen Kategorien der Naturerkenntnis hinstellen, sondern nur in diesen Kategorien, die seine eigene Form erst konstituieren, zur Darstellung bringen.“ (ebd. S 4)

Ich möchte schlicht zurückfragen, was bedeutet diese funktionale Sinn-Erklärung und Charakteristik von Sprache? Eine Funktion ist eine Gleichung. Geht es in der unendlichen Mannigfaltigkeit der sprachlichen Kommunikation um Gleichungen? Eines soll durch etwas anderes erklärt werden. Was wäre dann der Sinn eines Gedankenaustausches, einer Anrede, einer Frage, einer Bitte, eines Dankes …..? Könnte die mathematische und logische Begriffssprache, in der gewöhnlich eine Funktion beschrieben und dargestellt wird, die Hauptnorm und Grundnorm aller Sinnbestimmung von Sprache sein? In welches Weise der Funktion steht eine funktionale Erklärung selbst? Kann die Abbildung einer Funktion einer höheren Funktion zugeordnet werden und mit welchem Recht? Jede Abbildung kann als Einschränkung einer Beziehung zwischen Elementen eines Bildes und Sachen verdeutlicht werden, als strukturerhaltende, eindeutige Zuordnung zwischen Elementen zweier Objektbereiche, doch woher und wie diese Zuordnung und Isomorphie herholen und begründen? Aus dem beobachtbaren Kosmos? Aus dem Subjekt? Aus der Kultur? Der Zuordnungsbegriff wird syntaktisch und semantisch und pragmatisch aus der Sprache geleistet, doch übersteigt diese Kunst und Variabilität weitaus ein funktionales Abbilddenken.

Eher muss umgekehrt gefragt werden: Wie rechtfertigt eine Logik oder Mathematik die Darstellungsform ihrer Begriffe und ihrer Aufgaben und Funktionen? Woher stammen ihre Begriffe und appositionellen Einheiten der „Abbilder“? Wie sollte eine rein formale Zeichensprache der Mengenlehre oder der Zahlen – und im weiteren ein „symbolische“ Erkenntnis nach E. Cassirer a) einen Inhalt und die Wahrheit eines Ausgesagten erreichen und b) den ganzen Sinn- und Bedeutungsgehalt der Sprache abdecken, wenn c) die Zuordnungsbedingungen des „Funktionierens“ (man entschuldige dieses häßliche Wort) der Sprache aus einer Interpersonalitätstheorie fehlen – ich las zumindest in diesem Werk von 1923 nichts von der interpersonalen Konstitution des Vernunftwesens –  und d) die Bestandteile der Zuordnungsbegriffe (z. B. die Zahlen, die Symbole für Gegenstände, die Kennzeichnungen in einer zweiwertiger Satz-Logik) in ihrer semantischen Tiefe und epistemologischen Bildung aus dem Sich-Wissen und Sich-Bilden nicht abgeleitet werden können?

E. C. beruft sich vorerst auf die kantische Erkenntniskritik, später dann auf PLATON und ARISTOTELES, um seine „symbolische“ Spracherklärung zu begründen. Die Sprachformen seien aus den Anschauungsformen und den Urteilsformen abzuleiten. Transzendentalkritisch zurückgefragt: Was sind die apriorischen Wissbarkeitsbedingungen der Anschauungen und der begrifflichen Urteile? Wenn deren gemeinsame Entstehungsquelle eingesehen werden kann, so könnte von einer ebenfalls darin enthaltenen schöpferischen Bildungs-Quelle der Sprache gesprochen werden, sozusagen von einer epistemologischen Quelle der Sprache, aber nicht umgekehrt, als sei die Sprache selbst unter die zeitlichen und räumlichen Anschauungsformen zu subsumieren und abzuleiten – und darin funktional zu beurteilen.

Die Berufung auf KANT hält m. E. nicht, was sie verspricht: Denn weder wird genau auf die Definitionen der formalen und intellektuellen Synthesen der Mathematik bei Kant eingegangen, noch kann mit Kant eine Einheit der Vernunft behauptet werden, worin und woraus Anschauung und Begriff gleichzeitig entspringen – und zugleich auf eine epistemologische Mitte der Bildung des Sprache verwiesen werden kann.

Die Einheit des Wissens kann jetzt allerdings nicht mehr dadurch verbürgt und sichergestellt werden, daß es in all seinen Formen auf ein gemeinsames „einfaches“ Objekt bezogen wird, das sich zu diesen Formen wie das transzendente Urbild zu den empirischen Abbildern verhält, — aber statt dessen ergibt sich jetzt die andere Forderung, die verschiedenen methodischen Richtungen des Wissens bei all ihrer anerkannten Eigenart und Selbständigkeit in einem System zu begreifen, dessen einzelne Glieder, gerade in ihrer notwendigen Verschiedenheit, sich wechselseitig bedingen und fordern. Das Postulat einer derartigen rein funktionellen Einheit (Hervorhebung von mir) tritt nunmehr an die Stelle des Postulats der Einheit des Substrats und der Einheit des Ursprungs, von dem der antike Seinsbegriff wesentlich beherrscht wurde. Von hier aus ergibt sich die neue Aufgabe, die der philosophischen Kritik der Erkenntnis gestellt ist.“ (ebd. S 5)

M. A. W: Für mich ist in dieser einleitenden Beschreibung a) der Begriff der philosophischen Erkenntnis auf einen sehr eingeengten, nicht gerechtfertigten, spezifischen Begriff von formaler Anschauung eingeengt und umgekehrt b) die Sprache in ihrer „funktionellen Einheit“ selbst nicht in ihrem viel weiteren, umfassenden Sinn erkannt als intentionaler und interpersonaler Zweckbegriff zwecks Gedankenaustausch und als vernünftige Synthesis und verstandliche Fixierung der Erkenntnis der Wirklichkeit.

Es finden sich bei E. C. hervorragende phänomenologische Beobachtungen der ästhetischen Seite der theoretischen Vernunft wie z. B. Aber neben dieser Form der intellektuellen Synthesis, die sich im System der wissenschaftlichen Begriffe darstellt und auswirkt, stehen im Ganzen des geistigen Lebens andere Gestaltungsweisen. Auch sie lassen sich als gewisse Weisen der „Objektivierung“ bezeichnen: d.h. als Mittel, ein Individuelles zu einem Allgemeingültigen zu erheben; aber sie erreichen dieses Ziel der Allgemeingültigkeit auf einem völlig anderen Wege als auf dem des logischen Begriffs und des logischen Gesetzes. Jede echte geistige Grundfunktion hat mit der Erkenntnis den einen entscheidenden Zug gemeinsam, daß ihr eine ursprünglich-bildende, nicht bloß eine nachbildende Kraft innewohnt. Sie drückt nicht bloß passiv ein Vorhandenes aus, sondern sie schließt eine selbständige Energie des Geistes in * sich, durch die das schlichte Dasein der Erscheinung eine bestimmte „Bedeutung“, einen eigentümlichen ideellen Gehalt empfängt.“ (ebd. S 6./7.) – doch der ideelle Gehalt des Vernunfthandelns geht nicht nur von ästhetischen Empfindungen und Mannigfaltigkeiten alleine aus, sondern von praktischen Intentionalitäten, die ich nicht als „symbolisch“, sondern als praktisch und interpersonal und mit sittlich-werthaften Geltungs- und Wahrheitsanspruch bezeichnen täte.

  1. Es gibt dann nach E. C. eigentümliche, verschiedene , vier Bildwelten(ebd. S 7): die der Kunst, der Erkenntnis, des Mythos, der Religion. Woher hat er diese Einteilung in philosophische Hauptgebiete seiner Kulturphilosophie? Diese vier Schwerpunktsetzungen seien ihm überlassen und nachgesehen, aber was will er damit beweisen? Die verschiedenen Anwendungsbereiche symbolischer Wirklichkeitserkenntnis, so nehme ich an. Die Anwendung rechtfertigt die objektive Gültigkeit dieses Universalschlüssels „symbolischer“ Erkenntnis. E. Cassirer unterstellt, dass es solche objektive Gültigkeit gibt, man muss nur entsprechend weise und erfahren diese vom endlichen Vernunftwesen unabhängig existierende Zuordnung „symbolischer“ Wirklichkeitserkenntnis finden. Durch seine Belesenheit und seinen Realismus/Idealismus erweckt E. Cassirer tatsächlich diesen Eindruck. Doch muss man nicht vorher schon wissen, was Erkenntnis der Erkenntnis und Erkenntnis der Kunst,  des Mythos, der Religion ist, um diese Zuordnung „symbolisch“ nachträglich konstruieren zu können? Wieviele subjektive Einschätzungen und Bedingungen rutschen hier E. Cassirer hinein? Eine objektive Gültigkeit oder ein Geltungs- oder Wahrheitsanspruch dieser „symbolischen“ Wirklichkeitserkenntnis kann nicht eingesehen werden, weil eine Rekursion auf ein alles begründende Prinzip fehlt.  Man verweist auf kulturelle Entwicklungen, auf mathematische Erfolge usw., aber das ist nur selektiv aufgelesen. 

Es folgt im weiteren die kantische These (ebd. S 7), dass die Erkenntnis mit dem Urteil beginnt. Damit ist aber transzendentalkritisch nicht die erste Ebene der Erkenntnis getroffen. Kant versteht das zwar so, doch dem Urteil aus der Vorstellung „Ich denke“ geht eine intentionale und voluntative und praktische Sinngebung voraus. (Siehe Blogs zu Kant)

E. C. übernimmt hier blind die Erkenntnistheorie von Kant, sodass in Folge, anscheinend erkenntniskritisch gerechtfertigt und ausgewiesen, das Kommunikationsgefüge der Sprache ebenfalls auf der Urteilsebene und in ihrer Faktizität beurteilt werden kann.

Die Handlung des Geistes ist m. E. längst vor einem Urteil durch ein viel umfassenderes, geistiges Vermögen gebildet: durch den praktischen Willen und die produktive und reproduktive Einbildungskraft in theoretischer und praktischer Funktion. Der Inhalt dieser „Funktion“ gibt die unendliche Vielfalt des gebildeten Seins, die in Form der Sprache objektiviert und nach-gebildet und schöpferisch neu, inventiv, metaphorisch, logisch, bildbar erscheint, wider.

Die Zugehörigkeit einer Anschauung und ihres sinnlichen oder intelligiblen Sinn-Gehaltes im Übergang zu einer bestimmten Redeweise der Sprache in einem mathematischen oder rechtlichen oder moralischen oder religiösen oder geschichtlichen Sinnbereich sind nach einem intentionalen, interpersonalen Zweckbegriff „funktional“ bestimmt, „funktional“ in dem Sinne, dass der interpersonale Austausch zu einem Selbstbezug von Freiheit führen kann.

Der Sinn der Sprache und der Sinn einer transzendentalen Erklärung von Sprache kann m. E. nur genetisch in und durch das Wissen selbst geschehen, das mittels ursprünglich produzierender, darstellender Einbildungskraft und der immensen produktiven Bildungskraft der Sprache in Syntax, Semantik, Pragmatik, mit ihren Konjugation- und Deklinationsmöglichkeiten, ihren Rektionen und Tempi, einen interpersonalen Zweck erreichen will: Gedankenaustausch, Verstehen,  willentliche, freie Vereinigung durch Sprache.
Der vermittelnde Austausch, die freie Wechselwirkung aufeinander, die ganze Performanz durch Sprache und Zeichen, wäre von vornherein missdeutet, sollte die Sprache eine versteckte, mathematisch auflösbare, Determination bedeuten. Die
Rede– und Sprechweise, oder bei  verschriftlichte Form, die Leseweise, sie sind doch viel emotionaler, praktischer, wertbesetzter, ästhetischer und vieles mehr, als dass sie auf eine „Elementarsprache“ eines künstlich, funktional eingeführten Abbildungsverhältnisses heruntergestuft werden könnten.

Immer liegt die entscheidende Frage darin, ob wir die Funktion aus dem Gebilde oder das Gebilde aus der Funktion zu verstehen suchen, ob wir diese in jenem oder jenes in dieser „begründet“ sein lassen. Diese Frage bildet das geistige Rand, das die verschiedenen Problemgebiete mit einander verknüpft: — sie stellt deren innere methodische Einheit dar, ohne sie jemals in eine sachliche Einerleiheit zusammenfallen zu lassen. Denn das Grundprinzip des kritischen Denkens, das Prinzip des „Primats“ der Funktion von dem Gegenstand, nimmt in jedem Sondergebiet eine neue Gestalt an und verlangt eine neue selbständige Begründung. Neben der reinen Erkenntnisfunktion gilt es, die Funktion des sprachlichen Denkens, die Funktion des mythisch-religiösen Denkens und die Funktion der künstlerischen Anschauung derart zu begreifen, daß daraus ersichtlich wird, wie in ihnen allen eine ganz bestimmte Gestaltung nicht sowohl der Welt, als vielmehr eine Gestaltung zur Welt, zu einem objektiven Sinnzusammenhang und einem objektiven Anschauungsganzen sich vollzieht.“ (ebd. S 8.9)

Bei E. C. schlägt immer wieder – bei allem historischen Vergleich mit vielen anderen Sprachen – eine eigenartige, logisch-rationalistische, instrumentelle Weltbewältigung und Weltbeherrschung durch:

Das philosophische Denken tritt all diesen Richtungen gegenüber — nicht lediglich in der Absicht, jede von ihnen gesondert zu verfolgen oder sie im Ganzen zu überblicken, sondern mit der Voraussetzung, daß es möglich sein müsse, sie auf einen einheitlichen Mittelpunkt, auf ein ideelles Zentrum zu beziehen. Dieses Zentrum aber kann, kritisch betrachtet, niemals in einem gegebenen Sein, sondern nur in einer gemeinsamen Aufgabe liegen. Die verschiedenen Erzeugnisse der geistigen Kultur, die Sprache, die wissenschaftliche Erkenntnis, der Mythos, die Kunst, die Religion werden so, bei all ihrer inneren Verschiedenheit, zu Gliedern eines einzigen großen Problemzusammenhangs, — zu mannigfachen Ansätzen, die alle auf das eine Ziel bezogen sind, die passive Welt der bloßen Eindrücke, in denen der Geist zunächst befangen scheint, zu einer Welt des reinen geistigen Ausdrucks umzubilden.“ (ebd. S 10)

Die Eindrücke verwandeln sich in Ausdrücke? Wie soll das gehen? Was sind die Kriterien der Wahrheit dieser „symbolischen“ Formen und wie werden sie gebildet? Weiter gefragt: E. C. kritisierte am Anfang die materialistische Abbildtheorie der Sprache, jetzt aber sollen die „symbolischen“ Formen funktionale Abbilder des Begreifens von Welt, Kunst, Mythos, Religion sein? Funktional in welchem Sinne und zu welchem Zweck? Die antike Abbildtheorie der sinnlichen Dinge wird verworfen, aber die funktionalen, „symbolischen“ Abbilder erheben den realistischen/idealistischen Geltungsanspruch, die Welt zu verstehen und zu bewältigen?

Das Vertrauen E. C. in die sogenannte „Wissenschaft“ (ebd. S 11) mit ihren begrifflichen Formen der Anschauung – das ist mir viel zu technizistisch und instrumentell. E. C. vertraut hingebungsvoll auf die Mathematik und Naturwissenschaft. Paradigmatisch drückt sich darin, überschwenglich von ihm formuliert, ein „neuer“ Logos aus – als könne „symbolisch“ das Totalitätsganze der Wirklichkeit erkannt und dargestellt werden.

E. C. liest z. B. R. Descartes in einem völlig verkehrten Sinne, als habe dieser die mathematische Erkenntnis bevorzugt. Im Gegenteil, es war gerade anders herum, dass dieser professionelle Mathematiker die Unbegründetheit mathematischer Sätze erkannte. Descartes wollte ja gerade von einer bloß mathematischen Erkenntnis wegführen, um zu einer umfassenderen „mathesis“ der metaphysischen Erkenntnis zu gelangen. Gerade das Ungenügen an der mathematischen und bloß logischen Erkenntnis zwang ihn zur Notwendigkeit einer apriorischen Gottesidee und zu einer „prima philosophia“ – woraus alle kategoriale Erkenntnis, oder z. B. formale Anschauung der Mathematik, abgeleitet und in ihrer Funktionsweise und Gültigkeit begründet werden konnte. E. C. pocht auf das Gegenteil und erniedrigt Descartes zu einem Vorläufer dieses „neuen“ Logos.

Wie die Philosophie Descartes‘ von einem neuen umfassenden Begriff des Bewußtseins ausgeht, dann aber diesen Begriff, im Ausdruck der cogitatio, wieder mit dem reinen Denken zusammenfallen läßt — so fällt für Descartes und für den gesamten Rationalismus auch die Systematik des Geistes mit der des Denkens zusammen. Die universitas des Geistes, seine konkrete Totalität gilt daher erst dann als wahrhaft erfaßt und als philosophisch durchdrungen, wenn es gelingt, sie aus einem einzigen logischen Prinzip zu deduzieren. Damit ist die reine Form der Logik wieder zum Prototyp und Vorbild für jegliches geistige Sein und jegliche geistige Form erhoben.“ (S 13)

Mein erster Gesamteindruck des Kapitels I. der Einleitung: Manchmal holt E. C. erkenntnistheoretisch die Position PLATONS großartig ein, kaum aber steigt er in seine Sicht der „symbolischen“ Formen ein, wird die Ideenerkenntnis des PLATON erniedrigt zu einer Vorläufererkenntnis der rationalistischen Erkenntnisart nach ARISTOTELES oder neuerer Grundlegungsversuche der Logik und Mathematik. Das ist philosophiehistorisch nicht richtig und problemtheoretisch keine transzendentale Antwort auf die Sinnbestimmung von Sprache und Zeichensetzung. Was sind die Bedingungen der Wissbarkeit dieser präferierten rationalistischen Weltsicht? Wird uns das E. C. noch verdeutlichen und vor allem in ihrem Geltungsanspruch rechtfertigen?

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(c) Franz Strasser, 13. 5. 2017

1Philosophie der symbolischen Formen ist der Titel des Hauptwerks des Philosophen Ernst Cassirer. Die Erstausgabe erschien in Berlin in den Jahren 1923–1929. Sie umfasst drei Bände: 1. Band: Die Sprache, 1923; 2. Band: Das mythische Denken, 1925; 3. Band: Phänomenologie der Erkenntnis, 1929; siehe auch Wikipedia. Ich las etwas später: „Die Kantischen Elemente in Wilhelm von Humboldts Sprachphilosophie. In: Festschrift für Paul Hensel/Erlangen, 1923, 105-127. In: Ernst Cassirer. Geist und Leben. Schriften. Reclam-Verlag 20032 , 236-273. M. E. zeigt der zweite Artikel eine viel transzendentalere Sicht was die Erkenntnisbestimmung der Sprache betrifft. Diesen Artikel würde ich ganz anders beurteilen als diesen 1. Teil der „Philosophie der symbolischen Formen“

2Natürlich kommentiert dann E. C. ausführlich den Teilhabe-Begriff – (ebd. S 61f), aber für die Sache der Begriffsbestimmung braucht er keine Teilhabe. 

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser