J. G. Fichte – Philosophie zur Sprache

Ziemlich am Anfang der Entdeckung der WL schrieb Fichte bereits einen bemerkenswerten Artikel zur Sprache: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache“ (1795) (siehe Werke GA I/3, S 91ff). Ebenfalls zu diesem Thema Sprache, Entstehung und Sinn der Sprache, äußerte er sich in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik“ – ein Kommentar zur „Platners Aphorismen“ (1794) (Nachschriften GA II/4 – siehe dort besonders Abschnitt „von der Sprachfähigkeit“ Seite 158f); vgl. auch die Kollegnachschriften zu diesen „Vorlesungen über Logik und Metaphysik“ 1797, GA IV/ 1.

In Zusammenhang mit diesen Platnervorlesungen bringt Fichte die drei Hauptansichten seiner Zeit vom Ursprung und Sinn der Sprache auf folgenden Nenner: „Die Sprache ist angeboren; sie ist dem Menschen durch ein Wunder gelehrt; sie ist von ihm selbst erfunden. – Alle drei sind durch berühmte Philosophen vertheidigt; durch ebenso berühmte widerlegt worden.“ (GA II/4, 158)

1) Überblick

Ich fasse hier systematisch das so zusammen: Die Sprache ist weder physei noch thesei, sondern muss

1.1) aus ihrem apriorischen Begriff ihrer selbst (ihrer apriorischen Idee) und

1. 2. ) aus einem apriorischen Begriff des Vernunftwesens „Mensch“ und seiner interpersonalen Natur und schließlich als

1. 3) Wunder und göttliche Gabe verstanden werden. Alle drei Antworten treffen in gewisser Hinsicht zu. (An Sekundärliteratur las ich J. Widmann1, Klaus Kahnert2 und Kaoru Hoshiba 3)

Kaoru Hoshiba 4 beurteilt m. E. richtig, dass Fichte ähnlich wie J. G. Herder von einer apriorischen Vernunftnatur des Menschen ausgeht, aber die Frage auf eine höhere Stufe stellt: Es zeigt sich die Vernunft nicht anhand bestimmter, naturaler Bedingungen, z. B. der Bedingung der Besonnenheit im Unterschied zum Tier, sondern aus einem apriorischen Begriff des Denkens der Vernunftnatur wird das Wesen des Menschen deduziert und innerhalb dieser Deduktion muss Sinn- und Zweckbestimmung der Sprache zu finden sein. 
Bei Herder in seiner Sc
hrift „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“ (1769) bleibt ein naturalistischer Zirkel: Die angebliche Besonnenheit und Menschennatur erzeugt die Sprache, die der Mensch kraft seiner (Vernunft)-Natur somit selbst erfunden hat? – und umgekehrt bezeugt die Sprache die Vernunftnatur. Es ist eine glatte petitio principii, die Vernunftnatur erzeugt die Sprache und die Sprache bestätigt die Vernunftnatur. Was ist hier die Sprache? Ist das nicht eine totale Nicht-Erklärung, wie und warum die apriorische Vernunftnatur zur Sprache kommt, d. h. Sprache verlangt, und eine totale  Bankrotterklärung, was das Wesen und der Sinn der Sprache ist? Die Sprache ist in ihrer Sinn- und Zweckbestimmung nicht abgeleitet, d. h. apriorisch nicht gedacht und erkannt, sondern als staunenswertes Wunder nur festgestellt und beschrieben.

Fichte hingegen kann mit seiner Entdeckung der Tathandlung und der höchsten Einheit des Sich-Wissens und Sich-Bildens selbst-transparent die Erscheinung der Sprache a) als notwendiges Werkzeug des Gedankenaustausches ableiten,  erkenntnistheoretisch begründet in der triebhaft-organischen Natur des Menschen, und b) praktisch-logisch begründet in einer vernünftigen Wert-Intentionalität und  vernünftigen Interpersonalität.
Anders gesagt: Sie ist das adäquate Werkzeug und Mittel, einen absoluten Sollensanspruch und einen reflexiven Geltungsanspruch von Freiheit  zu Freiheit in einer  Gemeinsamkeit des Wollens in bildhafter Weise darzustellen und auszuführen. (P. S. Ich könnte  hier noch genauer unterscheiden zwischen verbaler Sprache und vielen anderen Zeichen der Kommunikation; man nehme „Sprache“ hier sehr allgemein,  umfassend als intentionale Kommunikation.)  

Nochmals anders gesagt: Der  Möglichkeit nach ist die Sprache die absolute Möglichkeitsbedingung eines freien Sich-Verhältnisses in einer interpersonalen Gemeinschaft und die Darstellung von Intentionalität. Sie ist angeboren, erfunden und gnadenhaft geschenkt, dreifach je nach Hinsicht, zweimal von der Sicht des Betrachters aus gesehen und einmal von der Sicht des geschenkten Gebildes und der Evidenz des Logos in der Sprache her gesehen.

Die Evidenzform der Sprache wird in ihrer Mächtigkeit und Vielfältigkeit in der Semiotik und Hermeneutik vielfach beschrieben und besungen, doch die transzendentale Ableitung ihrer apriorischen Idee und Sinnhaftigkeit für den interpersonalen Austausch – wo ist sie wirklich geleistet? Man liest über ihren faktischen Gebrauch, zerlegt sie nach Syntax, Semantik, Pragmatik, spricht von grammatischem und psychologischem Verstehen (Schleiermacher), wie aber das Verstehen derselben der transzendentalen Bedingung der Wissbarkeit nach wirklich verläuft, nämlich in einem interpersonalen Austausch-Verhältnis, wie es ferner zu einer repräsentativen Abbildlichkeit des gebildeten Seins in Begriffen und Metaphern kommen kann, das müsste ich genetisch aus der Idee ihrer selbst erklären können, nicht bloß metaphysisch feststellen, ja sie wirkt interpersonal, ja, sie hat logische Abbildungskraft.

Fichte geht wie Herder von der Voraussetzung des Urmenschen als vernunftbegabt aus. Eine andere Voraussetzung wäre willkürlich und nicht gerechtfertigt. Fichte zeigt sich hier sehr belesen und überaus scharfsinnig. Ich verweise dafür auf die Nachzeichnung seiner Gedanken bei K. Kahnert.5

Mir geht es um die apriorische Begriffsbestimmung der Idee von Sprache in erkenntnistheoretischer und in logisch-praktischer Hinsicht, d.h. in ihrer interpersonalen Funktion mit ihrem kategorischen und teleologischen Charakter.

Sie ist apriorische Sinnidee und Zweckidee, wie die wissende, sich selbst bewusste Sich-Genesis individueller Freiheit innerhalb einer Gemeinsamkeit von anderen Individuen möglich sein kann.
Anders gesagt: Die Idee der Sprache muss apriorisch so formuliert und beschrieben werden, dass sie als Werkzeug und Mittel a) der apriorischen Vernunftidee des Vernunftwesen „Menschen“ notwendig angeboren ist, ferner b) durch Freiheit mit-erfunden und mit-gebildet ist und schließlich c) durch göttlichen Geltungs-Anspruch gnadenhaft-geschenkt erscheint: 
„(…) man muß aus der Natur der menschlichen Vernunft die Nothwendigkeit dieser Erfindung ableiten; man muß darthun, daß und wie die Sprache erfunden werden mußte“. („Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache“, GA I/3, 97)

1. 1) Sprache aus dem apriorischen Begriff ihrer selbst.

Die erste Definition von Sprache nach Fichte verläuft dahingehend: „Sprache, im weitesten Sinne des Wortes, ist der Ausdruck unserer Gedanken durch willkürliche Zeichen.“ (GA I/3, 97)

Für Fichte besteht ein großer Unterschied zwischen dem Zeichen, das als Sprache und Gedankenäußerung sichtbar wird, und der Sichtbarkeit einer Handlung, die ja von sich noch sehr ambivalent in ihren Bestimmungsgründen beurteilt werden mag. Eine Handlung zu definieren stellt für sich allein schon eine gewisse Schwierigkeit dar, weil damit entweder ein rein erkenntnistheoretischer, gedanklicher Begründungszusammenhang verknüpft sein kann,  oder sie ist durch einen eigenen Motivationsgrund bewirkt  z. B. durch  Anreize oder Antriebe,  oder überhaupt nur mechanisch bewirkt, wodurch sie den Namen „Handlung“ im originären Sinne aber nicht mehr verdient.

In einer Sprechakttheorie scheint die Bedeutung eines Wortes oder eines Satzes durch den Tatcharakter der Handlung charakterisiert und festgelegt zu sein. Natürlich geht ein sprachlicher Ausdruck direkt (oder höchst subtil indirekt) auf eine Handlung hinaus, aber beides gehört bleibend distinguiert, um sowohl die Evidenform der Sprache sui generis für den Gedankenaustausch als auch für den interpersonalen (kategorischen und teleologischen) Austausch  dem Zwecke nach von einer Handlung zu unterscheiden. 

Fichte drückt das kurz und prägnant aus: Sprache dient der Gedankenübertragung; Handlung ist hingegen etwas ganz anderes. K. Hoshiba zitiert: „Ausdrücken heißt, einen Gedanken oder ein Gefühl, also eine Vorstellung, auszudrücken. Dagegen handelt man nicht, um etwas auszudrücken. „Bei einer Handlung hingegen ist der Ausdruck des Gedankens nur zufällig, ist durchaus nicht Zweck. Ich handle nicht, um andern meine Gedanken zu eröffnen; ich esse z. B. nicht, um andern anzudeuten, daß ich Hunger fühle“. (GA I/3, 98). 6

Wir handeln zwar gemäß unseren Gedanken und Absichten, aber unsere Handlungen sind keine Ausdrücke unserer Gedanken und Absichten. Denn die Handlung selbst erfüllt die Absicht und ist somit Zweck; dagegen erscheint der Gedanke erst, wenn er durch Zeichen ausgedrückt wird. Um etwas auszudrücken, braucht man Zeichen. In Hinsicht auf den Gebrauch des Zeichens unterscheidet sich der Ausdruck von anderen Handlungen.“ 7

Die Performativität des Sprechaktes, worin Sagen und Tun zwar als eins erscheinen, sofern man auf das Ende der Sprechhandlung blickt, kann nicht die dahinterliegenden Erkenntnis dieses Sprechaktes selber erklären. Das ist das Manko in den performativen Sprechakttheorien: Der nachträgliche, nur gedanklich investierte Begründungszusammenhang in eine Sprechhandlung erklärt den Tatcharakter der  Handlung – und umgekehrt die Handlung erklärt den gedanklichen Zusammenhang – das ist eine petitio principii. Sprache und sprachliche Gedankenaustausch sind in dieser Sprechakttheorie  zu einer Funktion einer Handlung geworden, die, wer weiß von wo, die Erkenntnis und Sinnhaftigkeit hernimmt!?  

Intuitiv erkennt Fichte in seiner Unterscheidung oben, Sprache ist Übertragung von Gedanken/Äußerung von Gedanken – und nicht Handlung. Er erkennt intuitiv diese eigene Sichtbarkeit und Erkenntnisfähigkeit der Sprache und weiß natürlich in dieser anfänglichen Beschreibung, worauf er hinaus will: Die Sichtbarkeit der Reflexion des Sich-Wissens und Sich-Bildens kann klar im Gedanken als Aufforderung zu einem freien Handeln hervortreten und objektiviert werden, als Licht, als sprachliche Evidenzform, als Intention von Wert – und anders wäre eine freie Anerkennung des anderen und eine interpersonale Form und ein echter Dialog nicht möglich.

Wenn ich Brot esse, kann ich nachträglich rationalisieren und aussprechen und begründen und äußern, weil ich Hunger habe, aber wenn ich esse, so hat das unmittelbar den einen Zweck zu essen – ohne mich deshalb erkenntniskritisch äußern zu müssen. Eine rein „sprachliche Handlung“ ist m. E. schon eine contradictio in adjecto, eine irreführende Systase: das Adjektiv „sprachlich“ ist bezogen auf ein Verstehen und inneres Sehen, die „Handlung“ ist hingegen nur äußere Beschreibung eines Vorgangs, abgesehen davon, dass eine „Handlung“ als solche nochmals interpersonale Kategorien voraussetzt, die aber wiederum ohne sprachliche und verständliche Aufforderungen zu einem freien Handeln nicht möglich wären. Der Gebrauch der Sprachbilder, ihre ganze Logizität, der performative Sprechakt, die Syntax, die Semantik, die Pragmatik, diese ganze dahinterstehende Semiotik, dazu die ganze Hermeneutik des Verstehens, das ist zuerst ein im Denken und Wollen Geschautes, Sichtbares, in ihrer Evidenzform zu bewährendes Wissen – oder im gegenteiligen Fall, nicht zu bewährendes, lügenhaftes Wissen. Das Denken begründet die Abbildlichkeit und alle Repräsentation des Seins in genetischen Bildern, nach einem im Denken liegenden realen inneren Gesetz und inneren Sinn, und nach einer absoluten Form der Kreativität und Schöpfung gemäß einer freien Selbstbestimmung, Bild Gottes zu sein und zu werden.


Das geistige Sichtbare und Evidierbare wird durch die konkrete Aussage zu einer eingeschränkten Konkretion des Sichtbaren und Evidierbaren im Gebrauch und in der Handlung. In der Erscheinung kommt notwendig und genetisch die Logik eines Gebrauches hinzu, eine Performativität der Handlung, das will ich alles nicht bestreiten und die ganze Taxonomie der Semiotik, aber das ist bereits logisch-praktisches Konsequenz eines inneren Sollens und Wollens, generiert durch Denken und Anschauung in einem.

Nochmals anders gesagt: Das Sprach-Zeichen ist genetisch eng mit der Handlung verbunden, aber das Sichtbare des sprachlichen Verstehens und Vorstellens ist nicht in der Handlung als solcher begründet, sondern letztere ist  deren Aus-Zeichnung und Folgewirkung. Die freie Konstruktion liegt schon im Begriffe.
Der Tatcharakter einer Handlung kann dann in verschiedenen Redeweisen unterteilt werden, die Kunst des Verstehens verschieden begründet – aus dem Zusammenhang, durch einen gemeinsamen Verständnishorizont, durch psychologische Einfühlung usw., diese Klassifizierungen können zutreffen, aber das setzt bereits eine apriorische Evidenz der Gleichheit und Übereinstimmung zwischen dem Zeichen und dem bezeichenbaren Möglichen voraus – die als solche transzendental bewusst sein muss und im Denken genetisch erzeugt wird.

Nochmals anders gesagt: Die performative oder praktisch-logische oder semantische Darstellung zwischen Sprachzeichen und Gegenstand ist, soweit ich das für meine spärliche Lektüre der Analytischen Philosophie sagen kann, dort eine bereits begriffliche Nach-Vermittlung und Um-Interpretation von etwas gedanklich Sichtbarem. Das Zeichen geht als solches auf Sichtbares, d’accord, aber die epistemologische Entstehung des Zeichens, das es dann für etwas Sichtbares steht oder auf etwas Sichtbares hinweist, dass es tatsächlich zu repräsentieren vermag, ist eine schon vorausgesetzte, vorgestellte Idee, worin Zeichen wie Bezeichnetes in einem Repräsentationsverhältnis, letztlich in einer absoluten Form des Denk-Bildes, bereits eins sind. Die Sprache ist dem Vermögen nach angeboren, der freien Bildung nach durch absolutes Denken erworben. Der Gedanke oder das Licht der Erkenntnis gehen dabei nicht im Tun oder in einem Sprachspiel auf, dann wäre ja letztlich die Sprache der Tod des Gedankens und des interpersonalen Austausches.

Natürlich hat Fichte dieses Erkenntnisproblem und die Frage der Wissensvermittlung durch Sprache und durch die Kunst des Philosophierens stets vor Augen gehabt. Dazu gäbe es viele Äußerungen, kritische wie äußerst würdigende Bemerkungen. 8

Die Idee eines sprachlichen Gedankenaustausches, wie Fichte die Sprache beschrieben hat, trifft  aber nicht nur die dahinterliegende genetische Erzeugung der Sprachbilder durch Denken, sie hat ebenso im Fokus den „Austausch“. Die Sprache ist Mittel und Werkzeug (der Gedanken) für einen ideellen Zweck: Ideelle Einheit  einer kategorischen und teleologischen Sollensforderung (in Interpersonalität) zu erreichen, Unterschiedenheit wie differenzierte Einheit (interpersonal) zu erreichen durch anschaulichen Zeichen/Bilder/Symbole.

Es kommt dabei jetzt schon die dritte, gnadenhaft-geschenkte Wissbarkeitsbedingung herein: Es muss eine vom göttlichen Logos herkommende, kategorisch fordernde, unwandelbare,  evidierbare Wahrheit geben, dem Prinzip nach, dass die Abbildlichkeit jedes Individuum sich in einer ideellen Einheit aller Individuen sich vollenden kann – unter Bedingungen der Freiheit.

Die angestrebte ideelle Einheit gegenüber einem absoluten Soll der Wahrheit und einem Soll interpersonaler Gemeinschaft kann nicht durch den Gebrauch, durch die Konvention, durch Syntax oder durch spätere Semantik-Relationen  oder durch Pragmatik gebildet werden. Die performative, pragmatische und persuasive Definition des Sprechens ist  offensichtlich, aber das ist alles Beobachtung von außen. Sprache ist durch die selbst unbildbare, unsichtbare Epistemologie einer finalen Genesis interpersonaler Einheit, Mittel und Werkzeug in der Ordination der Wirklichkeit nach einer ideellen Idee von Liebe, Gemeinsamkeit.

Die Realität des Sich-Setzens und Sich-Bildens spannt den Begriff eines absolut Möglichen auf – und durch Restriktion und Negationsunterscheidung eines geistigen Gehaltes wird die „Idee“ der Sprache in ihren unendlichen Bildern und Begriffen gebildet. Ein Kind lernt das bereits meisterhaft. Die „Idee“ bildet stets eine neue Bestimmung des Gesetzes des Sich-Setzens – und das lässt sich ins Unabsehbare wiederholen und fortführen. „Die reine Begriffsform des Idee ist nichts anderes als die Nachkonstruktion der bloßen Gesetzesgenesis und ihrer reinen Begriffsfolgen (Negation, Bild).“9

Die Idee der Sprache für den Gedankenaustausch  kann durch die Vielfalt der sprachlichen Bildungen und Begriffe ins Unabsehbare herausgestellt werden – je nach Volk und Sprache. 
Sprache und sprachliches Zeichen und diese ganze Wunderwelt der Sprache dient der durch Freiheit herzustellenden Vernunftsynthesis und Vernunfteinsicht.
Das Licht in der epistemologischen Bildung geht dabei auf das konkrete, begriffliche Zeichen über und wird im Begriffe festgehalten.

Wie kann ein sprachliches Repräsentationsverhältnis und sprachliches Zeichen evident erscheinen? Der Begriff einer Evidenz, wie ist er zu fassen? Dazu J. Widmann zum Begriff der Evidenz im naturalen Erkennen:.10

Es kann nie die absolute Möglichkeit des Sich-Bildens eines Begriffes aufleuchten, aber mittelbar stößt jeder Begriff oder jedes Zeichen, wofür er/sie steht, auf den eigenen Sehensreflex, die Bestimmtheit der eigenen Natur, sobald er/es auf ein konkret gebildete Bewusstseinsqualität des Gesehenen stößt, die er/es nicht durchschauen kann. Das Sehen oder Bezeichnen fließt zwar nicht mehr ins Unbestimmte fort, wenn es auf Konkretes stößt, kann sich aber in dieser Reflexion nicht mit seinem faktischen Quale synthetisieren, sondern kehrt qualitativ in sich zurück. Es wird ein faktischer Begriff des Möglichen evidiert, und an und in diesem Begriff wird die Differenz zwischen absoluter Möglichkeit des Sich-Bildens und konkreter Realisierung dieser prinzipiellen Möglichkeit offenbar. Der Begriff begreift das Mögliche – die Evidenz kann er als solche in diesem Möglichen aus dem prinzipiell umgebenden absolut Möglichen nicht erblicken. „Sie ist nur konkrete Objektivation, nicht aber jenes Unverwirklichte, das der Begriff als das rein Mögliche begreift.“ 11

Anders gesagt: Die Vermittlung und Bildung des Begriffes (eines Wortes, einer Sprache) verdeckt gerade die unsichtbare Mitte der epistemologischen Bildung und ihres finalen Sinnes, verdeckt die der Sichtbarkeit zugrundeliegende Unsichtbarkeit, und ist in der Einheit von Denken und Anschauung bereits eine eingetretene Differenz zwischen ideal geschauter Idee und realisierter Evidenz des faktisch Begriffenen.

Zugleich ist es allein auch der Wert und die Schönheit des Begriffes, der durch seine Bestimmtheit und Bildlichkeit wieder qualitativ in sich zurückgeht, sodass er diesen Unterschied zwischen sich und der selbst unsichtbaren Mitte der Evidenz erfasst und objektiviert und geltend macht. Die Erfassung des absolut Möglichen, wie gesagt, bringt er aber nicht zustande, den Geltungsanspruch einer vollendeten Synthesis des Verstehens, der Intepersonalität, die finale Genesis des Werdens von Interpersonalität, das schwingt aber im Begriffe mit. 

Diese Geltendmachung und Objektivierung, trotz und gerade wegen der in sich zurückgehenden Handlung, hat Fichte mit dem Begriff des „Triebes“ beschrieben. Der „Trieb“ ist die transzendentale Bedingung der Möglichkeit eines begreifenden und erfüllenden Sehens – aber nur der Möglichkeit, nicht der Wirklichkeit nach. Der Trieb als „Kausalität ohne Wirkung“ bedarf einer höheren Evidenzform, um erfüllt zu werden –  hier einer im Konkreten realisierten Bildlichkeit und Sichtbarkeit im vorgestellten Begriffe. Die Sprache ist hier das angeborene Mittel und Werkzeug.

Anders gesagt: Die im konkreten Begriff oder Zeichen liegende Differenz zwischen einer eingeschränkt-begriffenen Möglichkeit von Evidenz und absoluter Möglichkeit der Evidenz ist eine im Trieb und als Trieb zu beschreibende Differenz zwischen einer natürlichen, angeborenen Seh-, Sprach- und Bildfähigkeit und einer im konkreten realisierten Bildlichkeit und Sichtbarkeit.

Die Konkretisierung des Gesehenen im Begriffe bezweckt, das wäre wieder der praktisch-logische Teil der Erkenntnisanalyse, eine Vermittlung der Gedanken im interpersonalen Austausch zu Bedingungen der Freiheit zu erreichen.

Diese Konkretisierung kann ins Unabsehbare sprachliche Bilder und Zeichen wiederholen und erzeugen – in der Unsichtbarkeit der epistemologischen Bildung des Sich-Wissens.
In concreto des Vollzuges und des konkreten Austausches der Gedanken ist das sprachliche Zeichen somit immer die Eingeschränktheit eines bestimmten Gesehenen und die Teil-Eingeschränktheit einer bestimmten Möglichkeit aus der absoluten Möglichkeit begrifflichen Verstehens. Sie kann nie das Ganze der Wirklichkeit abbilden und in einem Akt.

Anders gesagt: die Realisierung der selbst nicht bildbaren, unsichtbaren Bildbarkeit und Sichtbarkeit der epistemologischen Einheit ist triebhaft angelegt in der Vernunftnatur des Menschen, die ein Herausgehen und ein In-sich-Zurückgehen ist, eine reflexive Einheit, kann aber nur  durch Freiheit und in getreuer Nachvollziehung des Sich-Setzens und Sich-Bildens der Gesetzesgenesis der Vernunft in eine begreifbare, sichtbare Evidenzform eines sprachlichen Zeichens umgeformt und evidiert werden. So trifft beides zu: Die Sprachfähigkeit ist triebhaft angeboren durch die transzendental-reflexive Einheit des Sich-Setzens und Sich-Bildens, ist Sichtbarkeit auf der Grundlage der Unsichtbarkeit der absolut prinzipiellen Möglichkeit des Sehens und Begreifens; die Sprachfähigkeit wird aber erst durch Freiheit konkretisiert und bewusst gemacht und wird zur Genesis eines intersubjektiven und interpersonalen Gedankenaustausches. Sprachliche Bilder und Begriffe sind somit auch erfunden. Der Vorstellungstrieb wird dank Freiheit immer erfüllt und befriedigt, sofern die Vorstellung begrifflich klar ist – und der genetischen Vernunftsynthesis eines wirklich Gesehenen entspricht.

Es stimmt aber auch die dritte Kennzeichnung der Sprache: Sie ist ein Wunder, göttliches Geschenk, göttlicher Logos. Die Evidenz eines möglich Sichtbaren wird durch die Form des Begriffes projiziert, aber es sind zwei verschiedenen Bildformen damit gesetzt, die nicht vermischt werden dürfen: a) Die Differenz einer prinzipiellen Möglichkeit, Bilder zu schaffen und zu erzeugen (=die unsichtbare Mitte der epistemologischen Bildung der Begriffe) und b) die angeborene, triebhafte Möglichkeit des Vernunftwesen „Mensch“, aus sich herauszugehen und auf etwas, oder besser, auf andere Personen frei zuzugehen, damit das triebhafte Streben und Wollen eines Gedankenaustausches befriedigt werden könne, d. h. frei verwirklicht werden könne.

Die Differenz zwischen den prinzipiellen Möglichkeiten, die im Vernunftgesetz liegen, und die prinzipielle Möglichkeit der Evidenz im Begriff wird somit zu einer gewissenhaften Evidenz eines interpersonalen, bezeichenbaren Wirklichkeitsbezuges, der als Ganzes Erscheinung und Sich-Erscheinung des göttlichen Seins ist.

© Franz Strasser, 13. 11. 2022

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1J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens nach Joh. Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre 1804/2, Hamburg 1977,

2K. Kahnert, Sprachursprung und Sprache bei J. G. Fichte. In: Sinn-Reflexion-Freiheit. Aspekte der Philosophie J. G. Fichtes. Hrsg. v. C. Asmuth, 1997, 191-219.

3Kaoru Hoshiba, Das Problem der Sprache bei Fichte. In: Fichte-Studien, Bd. 32, 2009, S 57 – 65-

4Kaoru Hoshiba, ebd. S 61.

5Durch gewisse Mängel in der Ursprache kommt es zu einer ausschließlich hörbaren Sprache „So nennt Fichte die ersten, noch nicht „willkürlichem, unartikulierten Lautzeichen ebenso wie die gemalten Bildzeichen der „Ursprache“ reine Nachahmungen der Natur und bespricht anschließend – illustriert mit zahlreichen Beispielen – die Defizite einer mit derartigen Mitteln durchgeführten Kommunikation, die auf eine Kombination lautlicher und bildhafter Zeichen mit deiktischen Gesten angewiesen ist. Aus all diesen Beschränkungen ergibt sich der nächste Schritt der Sprachgenese: Die Erfindung und Entwicklung einer ausschließlich hörbaren Sprache und eine erste notwendig damit einhergehende Abstraktionsleistung, denn das Stadium bloßer Nachahmung von Gegebenem wird nun verlassen – wie sollten denn auch Wesensmerkmale stummer Gegenstände durch Nachahmung hörbar gemacht werden? Der Vollzug der Transformation einer „Ur-“ in eine „Gehörsprache“ ist historisch wohl kaum rekonstruierbar; er liegt so weit im Dunklen, dass einzelne Schritte allenfalls in hypothetischen Spekulationen nachvollziehbar sind. Die schon oft bedachte Frage, ob bei der „Erfindung“ einzelner Wörter die Übereinkunft eine wesentliche Rolle gespielt habe, beantwortet Fichte hier er­neut negativ – (…)“ – (Kahnert, ebd. S 206 ff)

6K. Hoshiba, ebd. S 62.

7K. Hoshiba, ebd. S 62.

8Siehe z . B. „Vorlesungen zur Einleitung in seine philosophischen Collegia“, Kollegnachschrift von Twesten, Berlin 1810. „Das Mittel alles sich mittheilens, die Sprache, ist es, wodurch allein es auch hier vor sich gehen kann. Sprache aber ist die den Sprechenden gemeinschaftliche Bezeichnung innerer und äußerer Anschauungen; und sprechen heißt, einen anderen auffordern, gehabte Anschauungen zu erneuern.fhs1, Hrsg. v. H. G. v. Manz u. a., Stuttgart, 2000, S 209.210.

9J. Widmann, ebd., S 164.

10Vgl. den ganzen Abschnitt 5.0 Natur: J. Widmann, S 187 – 190.

11J. Widmann, ebd. S 188. Widmann bezieht diesen reinen Begriff einer Evidenz hier auf die Evidenzform der Natur. Die Evidenzform der Sprache müsste jetzt nochmals weiter und differenzierter gefasst werden hinsichtlich ihres interpersonalen und werthaften Charakters. Es ist mir die Beschreibung einer Evidenz in der Evidenzform „Natur“ hier sozusagen nur der Ausgangspunkt. Sprache als angeboren, naturhaft, aber dann genauso erfunden und gebildet. 

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser