Der Begriff „katholisch“

Schon öfter las ich von REINHARD M. HÜBNER  diverse Artikel. Zufällig fiel mir folgender Aufsatz in die Hände: Überlegungen zur ursprünglichen Bedeutung des Ausdrucks „Katholische Kirche“ bei den frühen Kirchenvätern. In: Väter der Kirche, ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit“, hrsg. Von J. Arnold, R. Berndt, R.W. Stammberger, Paderborn 2004. downloadbar von der Bayerischen Staatsbibliothek – aufrichtigen Dank! – siehe Link:

Hinter dem Wort „katholisch“ verbirgt sich, so meine Eindruck nach der Lektüre, nicht bloß ein  konfessioneller, bloß historischer Begriff – zu dem er leider wieder geworden ist? – sondern eine Wesensbegriff des christlichen Glaubens. M. a. W., ein transzendental-kritischer Begriff des Denkens von Gott als VATER aller Menschen, als SOHN in der Beziehung aller Menschen zu diesem VATER, und als HEILIGER GEIST in Form der Beziehung zur Welt. Obwohl nicht wörtlich im Neuen Testament vorkommend, ist „katholisch“ eine vernunftkritische, notwendige Weiterinterpretation des Glaubens an einen Gott in drei Personen geworden.
Die Prägung „katholisch“ mag sich äußerlich zufällig diesen oder jenen hermeneutischen Bedingungen verdanken, der Begriff selber verweist für mich auf eine überzeitliche Sinnidee, die sich glücklicherweise so verzeitet und inkarniert hat. Generell ist eine wirkliche Erkenntniserweiterung eigentlich nur im ideellen Wissen möglich ist. Die historischen und empirischen Daten gewähren keine neue Erkenntnis, wenn sie nicht selbst in einen übergeordneten Sach- und Geschichtszusammenhang und in einen apriorischen Vernunftzusammenhang verstanden werden können.

R. Hübner arbeitet historisch und transzendental-hermeneutisch die Charakteristika dieses Begriffes heraus – was meine Kenntnis bei weitem übersteigt. Aber transzendental-kritisch höchst bedenkenswert: Wenn wir an einen wahren Gott glauben, so kann die Einheit desselben nur in einem interpersonalen Verhältnis und im Verhältnis zu einem Du und zusammengenommen in einem WIR adäquat bestimmt werden.

Von der transzendentalen Bildlehre her besteht das Wesen eines Menschen in der Anschauung eines Bildes von sich wie vom anderen, zusammengefasst in einem Postulat der ichlichen Vereinigung in Liebe. Die Form dieser Vereinigung finde ich im Überbegriff von „Kirche“ ausgedrückt, und nochmals spezifiziert im Sinne von „katholisch“, d. h. dass alle Vernunftwesen diese göttliche Berufung in sich tragen, in Liebe zu Gott wie untereinander ihr Wesen zu finden.

Wenn das Denken von Gott durch die positive Offenbarung JESU zum Denken eines personalen Vertrauensverhältnisses zum VATER im Hl. GEIST führt, so führt es auch notwendig, zumindest der Idee nach, zu einem Vertrauensverhältnis untereinander, von allen, für alle, zu allen Zeiten, zu einer „katholischen“ Gemeinschaft.

( R. M . Hübner, ebd. S 71) „Der Begriff katholisch enthält also – das hat Th. Keim richtig gesehen – ein negativ-polemisches und ein positives Element, welches F. Kattenbusch zutreffend mit den Worten: Kirche „für alle“ bestimmt hat. In dieser positiven Bedeutung entspricht das Kirchenattribut katholisch, das nicht in der Schrift steht, durchaus dem, was der Neutestamentler H. Merklein als evangeliumsgemäß festgestellt hat.

Die Ausbildung dessen, was gemeinhin als die grundlegenden Merkmale des Katholischen‘ gilt (Schriftkanon, Glaubensregel, Amt), vollzieht sich dabei folgerichtig, lässt aber eine aufschlussreiche zeitliche Entwicklung erkennen. Die apostolische Tradition des in den inspirierten Schriften bezeugten universalen Heilswillens Gottes verlangt den in der apostolischen Sukzession stehenden, öffentlich beglaubigten Lehrer als Übermittler, Verteidiger und Interpreten, der die lebenspendende Botschaft des Evangeliums in der (antignostischen) Glaubensformel konzentriert. Dieses Stadium ist in den Pastoralbriefen schon kräftig angebahnt, im Polykarpmartyrium erscheint es in Vollgestalt. In dieser Zeit erfolgt zugleich der Wechsel von der kollegialen Gemeindeleitung zum Monepiskopat, der erstmals im Martyrium Polycarpi 16 (Text 3) angedeutet ist (wo Polykarp als „Bischof der katholischen Kirche in Smyrna“ tituliert wird) und der nicht viele Jahre später in den Ignatianen in seiner nachhaltigen Gestalt propagiert wird. Auch hier, im Smyrnäerbrief 8 (Text 5), wird der Bischof (Polykarp von Smyrna!) in einem Atemzug mit der „katholischen Kirche“ genannt. Katholische Kirche und Monepiskopat erscheinen in diesen beiden frühesten Zeugnissen ihres Vorkommens gemeinsam am selben Ort, verbunden mit derselben Person. Ist es zuviel gefolgert, wenn man annimmt, daß sie sich zusammen zu gleicher Zeit im Raume Smyrna ausgebildet haben?“

M. a. W., es geht in der historischen Begrifflichkeit „katholisch“ um eine Wesensfrage des Glaubens. Entweder kann die Sinnidee des jüdisch-christlichen Glaubens im Wort „katholisch“ substantiell gut beschrieben werden, oder es ist nur eine akzidentielle, zufällige Weiterbestimmung. Das Wesen wäre unterbestimmt, wenn das „katholisch“ nur in Abgrenzung und Negation zur Gnosis formuliert worden wäre, sozusagen, als Abgrenzung gegenüber alle gnostische Ausgrenzung.

R. Hübner belegt akribisch, in welchem historischen Kontext und in welcher prekärer Lage und in welcher Auseinandersetzung der christliche Glaube und die junge Kirche um die Mitte des 2. Jhd. geraten war. Die christliche Offenbarung musste sich sozusagen neu explizieren, aber von ihrem Wesen her, nicht durch reine Assimilation. Im Begriff „katholisch“ kam das Wesen dann zum Ausdruck, in Abgrenzung zu allen Sekten und doch in positiver Öffnung auf die Gleichrangigkeit aller Menschen hin.

Mir gefällt die scharfsinnige Zusammenfassung und zugleich bescheidene Auffassung des Historikers R. Hübner, wenn er sagt, dass historisch noch nicht geklärt werden kann, wie die Verhältnisbestimmung der Gültigkeit der Sakramente mit der Institution des Bischofs zusammenhing; ob die Sakralität der Sakramente von einem Bedürfnis der Sicherheit und Garantie gegenüber gnostischen Elementen abhing, usw…. Diese Fragen können m. E. historisch nie ganz geklärt werden, wenn nicht eine systematische, transzendental-kritische Antwort gegeben werden kann: Was war die Sinnidee der positiven Offenbarung überhaupt – und dazu gehört dieses kostbare Wort „katholisch“.

Ob die gültige Feier der Sakramente von der Legitimierung eines Bischofs abhängig war, warum nur männliche Bischöfe, Priester, Diakone zur Hierarchie bestellt worden waren….. das sind bloß historische Fragen, die rein aus Historie heraus sowieso keine Entscheidungshilfe bieten, wenn nicht die transzendental-kritische Frage beantwortet werden kann: wie soll das Verhältnis Gott und Mensch und das künftige Verhältnis Mensch zu Mensch aus dem Glauben heraus gestaltet werden. Gnostisch, manichäisch, individualistisch, esoterisch – oder ganz anders: katholisch.

Im Zusammenspiel vieler Ideen, Umstände, systemtheoretischer Bedingungen, wurde offensichtlich das neue, spezifizierende Merkmal „katholisch“ geboren, dass die Kraft einer transzendentalen Idee in sich trägt, d. h. eine vernunftkritische Gesetzlichkeit aufweist: wenn an Gott geglaubt werden kann, so nur in dieser gleichrangigen, interpersonalen Weise. Diese Sinnidee „katholisch“ übertrifft die anderen historischen und im weiteren Sinn „kirchenrechtlichen“ Fragen der damaligen Zeit.

Aus rein induktiven Vergleichen und historischen Texten wird die Wesensidee des Christlichen nie zureichend begründet werden können, wenn sie nicht zugleich apriorischen Vernunftgesetzlichkeiten gehorcht. Der Begriff „katholisch“ als das spezifizierende Kennzeichen der Kirche ist eine transzendentalkritische Grenze sowohl für die Glaubwürdigkeit der Kirche gegenüber allen Völker und Nationen, als auch gegenüber innerkirchlichen Fragen wie z. B.  Geschlechtergerechtigkeit, Standesunterschiede.  

© Franz Strasser, 9. 12. 2019

 

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser