Zum Sinnbegriff bei N. L. – 3. Teil

In einer naturwissenschaftlichen oder faktischen Erklärung werden vermittels der ursprünglich produzierenden Einbildungskraft die Gegensätze logisch gesetzt und aufeinander mittels Zeitform bezogen. Die Reflexion der dialektisch schwebenden Einbildungskraft, d. h. das denkerisch erfasste Schweben der Einbildungskraft, setzt den von N. L. viel beschworenen „Unterscheidungsgrund“  in der Anschauung mittels logischer Vorzeichnung.

Transzendentalkritisch – nicht durch Beobachtung der Unterscheidung (nach Brown und Luhmann) bloß faktisch vollzogen – werden die unterschiedlichen Zeitmomente aber zugleich mit den Objekten erzeugt, sodass eine logische Bestimmbarkeit der Anschauung erst möglich wird. Die  transzendentale Logik in der Bestimmbarkeit gliedert sich dabei in eine Wechselverhältnis von conditionalen Bedingungen und causalen Ursache-Wirkungsbedingungen. 

Bei Luhmann und Derrida, soweit ich das bisher gelesen habe oder meine verstanden zu haben, werden die unterschiedlichen Zeitmomenten den Dingen selbst  zugehörig gedacht – und ebenso deren äquivalente, differenten Nicht-Setzungen. Setzungen wie Negationen sind zeitlich bzw. zeitlos objektiv vorhergehend schon vorgegeben.  

Es wird der durch Schweben der Einbildungskraft und Denken  gesetzte Zusammenhang in der Entgegensetzung nicht auf die geistigen Korrelate von gleichzeitiger Realität und Negation aufgeteilt, sondern von einer zeitlichen Realität und zeitlosen Negierbarkeit der Realität  wird ausgegangen, wobei vergessen wird, dass der existentielle Erkenntnisakt, der diese Negation trifft, folglich genauso zeitlich wäre?

Um nur ein Beispiel zu bringen: Unmittelbar an den Einstieg in das Thema Religion mit der medialen Vermittlung des Sinns heißt es dann folgendermaßen:

„Wenn unser begrifflicher Ausgangspunkt zutrifft (der paradoxen Einheit in der Operation Sinn), dass jeder bestimmte Sinn seine eigenen Negierbarkeit einschließt, kann es keinen Weltsinn geben, dessen Negation unvollziehbar wäre. (…) Das führt uns zu dem Schluss, dass jeder Sinn (und also auch: jeder Letztsinn) seine eigene Einheit nur als Paradoxie behaupten kann: als Selbigkeit von Bejahung und Verneinung, von wahr und und unwahr, von gut und schlecht – von welchen positiven und negativen Fixierungen auch immer. Es gibt deshalb keine Einheit, auf die sich alles andere gründen ließe. Was immer bestimmt wird, muss die Form der Entfaltung einer Paradoxie annehmen – der Ersetzung der Einheit der Paradoxie durch eine (irgendwie plausible, damit aber auch historisch relative) Unterscheidung bestimmbarer Identitäten. (N. Luhmann, Religion, ebd. S 17. 18) 

Wie oben (Zum Sinnbegriff -1. Teil)  schon gesagt: Die logische Negation ist nur gedacht – ist nicht eine absolute, reine Negation, Negation an sich, sondern nur gedachte Negation in der Einheit einer Erkenntnis, ist Entgegensetzung und neue Setzung eines erkannten Zusammenhangs. Nie wird aber damit die alte Setzung selbst aufgehoben, sondern eine von derselben verschiedene Setzung eines erkannten (oder behaupteten) Zusammenhangs wird neu gesetzt. Die Gegensetzung, wenn sie auch logisch Negation ist, setzt Realität und Negation als gemeinschaftliche Korrelate mit.

(Es ist dies alles bereits bei PLATON angesprochen im „Sophistes“: z. B: 241d Weil wir den Satz des Vater Parmenides notwendig, wenn wir uns verteidigen wollen, prüfen und erzwingen müssen, dass sowohl das Nichtseiende in gewisser Hinsicht ist, als auch das Seiende wiederum irgendwie nicht ist. –
oder 260d: 
FREMDER: Und der Sophist, sagten wir, hätte sich in diese Gegend  zwar geflüchtet, dabei aber gänzlich geleugnet, //III283// es gäbe gar keinen Irrtum.
Denn das Nichtseiende könne man weder denken noch sagen. Denn am Sein habe das Nichtseiende nirgendwie Anteil.

Mit S. MAIMON gesagt: Die Setzung des einen ist nicht bloß die Aufhebung des anderen, sondern eine von derselben verschiedene Setzung. Die, wie N. L. sagt, „eigene Negierbarkeit“ von Sinn setzt ja zugleich einen neuen Sinn voraus – was er ja glauben muss, sonst hätte seine Rede selbst keinen Sinn, aber zugleich muss er diesen Sinn iterabel wieder bezweifeln.  Die Mitsetzung von Realität und Negation im Wort „paradox“ zu beschreiben, verwischt und vernebelt das Mit-Setzen im Gegensetzen, den neuen Setzungsakt des Gedachten.

Schon gar nicht kann dann der Gegenstand selber beide Seiten aufweisen, wie N. L.  schreibt, dass der Sinn (oder jeglicher Gegenstand) die Selbigkeit von Bejahung und Verneinung, von wahr und unwahr … aufweist. Vielleicht spricht Luhmann hier nur in abgekürzter Rede, dass er meint, die Klasse der Sinnsätze kann verneint werden, so wie sie positiv gesetzt werden kann; aber dann ist wieder die Frage, ob die Negation an sich oder nur für sich, d.h. für die Erkenntnis, gesetzt ist. Die Frage der Zuordnung von Elementen einer Menge, d. h. hier der Zuordnung von wahr oder unwahr als Eigenschaften einer Menge, wird aber nicht aufgedeckt und begründet.

Luhmann ist ja genial in seinem analysierendem Denken: Er erfasst die Anschauung der synthetischen Gegensatzglieder intuitiv. Je konkreter der Gegensatz, umso größer der Erklärungswert des Begriffes. So z. B. im Hinblick auf die soziale Stabilisierung der Erwartungen wird das Rechtssystem einsichtig. Aber schon beim Begriff der Religion würde ich starke Zweifel anmelden. Dort geht sein intuitiver Blick daneben: Im Hinblick auf den Begriff der Invarianz der Zukunft soll der „Trost der Religion“ verständlich werden. Was ist das für ein Bestimmungsgrund? Ganz im Gegenteil meine ich, das sichere Streben und Glauben schafft erst die Zukunft und lässt Zukunft erst denken. Wir haben nicht Religion, weil wir aus Mängel und Bedürfnis uns ewiges Leben (Zukunft) wünschen, sondern haben Religion und postulieren Unsterblichkeit, weil es genetisch aus unserem Wollen hervorgeht.

Aber nehmen wir an, dass manche Begriffsbestimmungen richtig getroffen sind: Warum ist der Erklärungswert seiner Theorien, je eingeschränkter ein Begriff ist, um so weiter? Weil die ursprünglich produzierende Einbildungskraft auch ein praktisches Interesse hat, durch Theorie und einen möglichst genauen Begriff die praktische Selbstbestimmung des „psychischen“ und „sozialen“ Systems, d. h.  des Menschen und seiner Gesellschaft, d. h. die Selbsterkenntnis und  freie Selbstbestimmung in Interpersonalität,  so vollkommen wie möglich (begrifflich) zu beschreiben. Der Begriff des Vollkommenen ist die Vermittlung zwischen der Idee des Allgemeinen und dem Besonderen der Wirklichkeit.

Stillschweigend muss – was transzendental zu konzipieren wäre –   a) ein individueller Zugang zum Vollkommenen im Gewissen des einzelnen vorausgesetzt und b)  ein überindividueller,  interpersonaler Zugang  angenommen werden,  sonst wäre die sozial-kommunikative Vermittlung von Sinn – die ja N. L. ständig vollzieht und voraussetzt – nicht möglich.

Dazu müsste jetzt nachgelesen werden in Schriften zur Kommunikation bei N. L. , oder in Schriften zur Familie, zur Liebe. Es wird sehr stark der Begriff der „Erwartungshaltung“ als Lösung propagiert. Aber welche ideologischen und praktischen Interessen liegen in diesem Begriff?
Ebenso, so fällt mir auf, wird der Begriff der „Aufklärung“ gepusht und geradezu verklärt, aber welcher Bestimmungsgrund liegt stillschweigend und unausgesprochen dahinter, wenn sich die Erkenntnis erst aus dem operativen Handeln und einer Erwartungshaltung erst nachträglich ergeben soll? Geht das Handeln dem Erkennen voraus? Und sollte das aus dem Handeln folgende Erkennen – was ich nicht für möglich halte – schon eine „Aufklärung“ bedeuten (oder werden)? 

© Franz Strasser, 22. 2. 2017

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser