Um 1800 hat Fichte kurze Rezensionen zu erschienenen Büchern und „Heften“ der Philosophie von C. G. Bardili und C. L. Reinhold verfasst, die nichts an Aktualität verloren haben.
Die Kritik Fichtes an Bardili betrifft die nicht eingestandenen und gesehenen Verobjektivierungen des Gedachten, denn Bardili meint, die Wirklichkeit mit logischen Elementen aufbauen und verstehen zu können. Dies ergibt aber nur, wie Fichte hinterfragen wird, einen höheren Realismus der Logik bzw. einen überheblichen Idealismus, der den transzendentalen Grund der Objektivierung nicht kennt und sich jeder intelligiblen Rechtfertigung entzieht.
Die Verobjektivierung des Gedachten, die den Setzungsakt der Anschauung und des Begriffes vergisst, ist bis heute ein Hauptproblem der Wissenschaft. Sei es in einer empirischen Erkenntnistheorie, wie z. B. in der Hirnforschung, oder sei es in logifizierenden oder digitalen Verstehensmustern der Gesellschaft, die von Einschlüssen und Ausschlüssen reden, aber den Grund der Differenzierung und den Setzungsakt der Differenzierung nicht mehr angeben.
Mit den Zeichentheorien der Sprache, die auf die Sprache quasi als eigene Entität blicken, scheint mir ein ähnlicher Positivismus vorzuliegen: Je nach Gebrauch bedeutet ein Zeichen etwas, aber dieser Gebrauch ist ein Zirkel der Begründung, nicht von sich her evident. Die Entität „Sprache“ und sprachliches Zeichen ist die Autorität, die eine Bedeutung festlegt – und woher dieses Wissen? Kann sich der Sprechende und sein Denkakt beliebig aus seinem Beobachterstatus herausklicken und je nach Bedarf wieder einklicken? Die „Sprachspiele“ im Rahmen eines bestimmten Regelsystems stellen keinen erkenntniskonstitutiven Akt dar. Sie empfangen erst durch das geistige Handeln und Verstehen des Sprechenden und Hörenden einen Sinn.
Das Gedachte der Logik, wie es Bardili verstanden hat, ist nach Fichte eine beliebige Abstraktion, die gemacht werden kann, aber die Rechtfertigung dieser logischen Gebilde liegt weder realistisch oder idealistisch parat, sondern in und aus einer epistemologischen Quelle aller Bilder erhalten die epistemischen Bilder vom Sein ihre Begründung und Bedeutung. Die epistemische Wahrheit z. B. eines logischen Schlusses oder eines logischen Gesetzes kommt nicht durch die Projektion und Objektivierung zustande, sondern äußert sich nur in projizierten Bildern der Reflexivität des Bewusstsein zwecks praktischer und pragmatischer Ermöglichung von Selbstbestimmung und Interpersonalität.
Zufällig fiel mir ein Buch von MANFRED ZAHN in die Hände, das FICHTES transzendental-kritische Anfragen und Bedenken zu einer so objektivistisch-realistisch gehaltenen Sicht von Logik gut referiert. (Im Jahre 1812 wird FICHTE nochmals die formale Logik zweimal zum Thema in der „Transzendentale Logik“ I und II machen). Mithilfe von M. ZAHN las ich nochmals die „Logik Bardilis“ nach – SW II bzw. GA II, 5. 1
1. Frage: Was heißt Denken?
2) Insbesondere: sollte denn Bardili nicht innegeworden seyn, dass sein Denken nie würde gedacht worden seyn, wenn er nicht durch eine freie Reflexion sich selbst zum Denken desselben bestimmt, dass erst durch diese freie Reflexion es ihm zum Objecte geworden; dass sonach das Den|ken allerdings wiederum gedacht werden könne, nicht aber müsse?] Hier das intellectuelle oder reine Seyn. (SW II, 493.494)
SW II, 496 spricht Fichte davon, dass Bardili das ganze Buch hindurch nicht inne wird, dass es ja auch nur sein Denken ist, wodurch er sein System zu Stande bringt.
Aus blosser Empirie hat er das reine Denken und seine Gesetze, wie er sich denn auch, ganz nach Reinholds Weise, dabei auf die Thatsache des Bewusstseyns beruft. Transscendent, ausser allem Bewusstseyn liegend, und nach den Gesetzen, die nur innerhalb des Bewusstseyns selbst gültig sind, erschlossen, sind die beiden Endpuncte seines Systemes: das Etwas, das den Impuls macht, und das Seyn des reinen Denkens. Transscendent ist sein ganzes Denken, indem er das ganze Buch hindurch nicht innewird, dass es ja auch nur sein Denken ist, wodurch er sein System zu Stande bringt.
Wenige Seiten später (S. 502) kommt diesen Einwand noch einmal und mit ähnlichen Worten formuliert.
Bei habituell | gewordenem transscendentalen Sinne müsste ihnen aufgefallen seyn, dass Bardili sein ganzes Buch hindurch nicht einmal sich besinnt, dass er ja selbst denke, indem er sein System zu Stande bringt, welche Besinnung ihn sogleich von aller seiner Transscendenz geheilt haben würde. (SW II, 502)
„Auch in den Handschriften kehrt dieser Vorwurf selbstvergessenen Denkens und Abstrahierens mehrfach wieder. In der Hs. II, 4, 9r bezeichnet Fichte es als die Hauptsache der Kritik an Bardili, dass das Denken, die Identität und die Denkgesetze „nicht unbedingt seien“, sondern „erst, inwiefern Du auf Dich selbst reflectirst“. (M. Zahn, ebd. S 140. Anm. 87) Gerade indem Bardili sein eigenes Denken nicht reflektiert, kann er das Denken nicht als Akt, sondern nur als Begebenheit, als reines Gedachtsein auffassen (Hs. II, 5, 6v; vgl. auch SW. II, S. 501). ( M. Zahn, ebd., S 140, Anm. 87)
(….) so würden wir sie erinnern, dass, wenn sie ja auch nur die ersten Blätter der Wissenschaftslehre mit transscendentalem Sinne gefasst hätten, ihnen sogleich bei Bardili’s A=A der ganz andere Gebrauch eingefallen seyn würde, der in jenen ersten Blättern von dieser Formel gemacht wird; sie würden schon gewusst haben, dass in derselben nicht ein blosses Wiederholen des A (als Denkacts) — welches nimmermehr Einen zusammenhängenden Faden des Bewusstseyns, sondern für jeden Moment ein neues für sich selbst bestehendes Bewusstseyn gäbe — sondern, dass in der Copula eine Reflexion auf das Gesetztseyn des ersten A im Bewusstseyn, also ein zurückgehendes Bewusstseyn in sich selbst, also Selbstbewusstseyn, also ganz eigentlich der Act, durch den das Ich zu Stande kommt, liege. Sie würden gewusst haben, dass man mit dem reinsten Denken doch nicht auf den Grund alles Bewusstseyns kommt, dass das reine Denken gar nicht über dem Ich steht, dass das letztere — dass ich mich so ausdrücke — das Intelligiren kat exochen bedeutet, von welchem Denken, Anschauen, Wollen u.s.w. nur Unterarten sind, die nicht schlechthin gesetzt, sondern aus jenem abgeleitet werden müssen. Sie würden gemerkt haben, dass es Bardili nicht einmal gelingt, das reine Denken als Act aufzufassen, sondern lediglich als Begebenheit, als reines Gedachtseyn. (SW II, 501)
Da die Herausgabe der Manuskripte Fichtes in den SW seines Sohnes Immanuel Hermann FICHTE – bei aller Achtung, was wir ihm sonst verdanken! – sehr dürftig ausgefallen ist, blätterte ich in der „Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften“ (=GA) nach:
„(…) Diese Bemerkungen sind gut. Es ist im Denken überall nur ein Aneinanderhalten, u. dies ist stets positiv. (Eine Bemerkung die ich in meinen Vorlesungen über die Logik stets gemacht habe. — auf Veranlassung Platners.
S. 11,5. heißt A. auch die Copula. So ist’s: u. ich habe oben ganz richtig verstanden. – Dies macht noch klärer, was ich in der W.L. gesagt habe.
S. 13.21 Die Copula ist das Denken selbst. — Richtig. S. d. W.L.
S. 14..22 wie verhält es sich mit dem Unterschiede zwischen Endlichen, u. Unendlichen Urtheilen. 1.). A = A. Der Rok ist – nicht roth – Der Triangel ist – nicht roth -. Es ist in Absicht der Copula ganz einerlei. Die Unendlichen aber sind gleichsam ein Aufhören, u. Negiren des Denkens überhaupt: des Co[n]vertirens der Bestimmbarkeit durch einander. Der Rok ist durch die rothe Farbe negativ bestimmbar: Der Triangel gar nicht.“ (ebd. GA II, 246.247)
Die realistische Auffassung des Denkens bei Bardili ist der Hauptfehler nach Fichte.
Er deutet kurz seine eigene Sicht an.
1.). Denken als Denken überhaupt: zusammenhalten, vereinigen, allerdings durch A. (ausserdem könnten sie in einem Bewußtseyn nicht vorkommen()] Dieses Denken ist in allem Urtheilen, dasselbe “, beziehend, kategorisch. Es ist die Copula. u. wird nie ausgesprochen. A. ist B. A ist nicht C. – – Ist A so ist B. – oder so ist B nicht. . A ist entweder x oder y. nun ist es nicht x. folglich y. Hier ist allenthalben die Zusammenhaltbarkeit, u. diese liegt in der Denkbarkeit überhaupt. (in der Auffassbarkeit vom Denken: die selbst wieder in etwas an derem, in der Anschauung gegründet ist = E [.] „ (GA II, 5, 247)
2). Dieses blosse Zusammenhalten ist nun noch gar kein Denken: es gehört zu allem auch ein Unterscheiden; in Absicht des Unterscheidens nun [()= I.) exerciert sich das Urtheil überhaupt. (Also durch blosses A. kann gar nicht gedacht werden.[)]
Das ist nun entweder gleich, oder nicht gleich – im categorischen Urtheil. — Folgen directe, im hypothetischen. gegenseitig ausschliessende im disjunctiven. —.
Die Form des disjunctiven Urtheils ist stets Folge. Das categorische Urtheil ist eines des unmittelbaren Anschauens. Das hypothetische — des nothwendigen Denkflusses. (der wiederum ganz wo anders, als in der Logik erläutert werden muß.[)]“ (GA II, 5, 247)
Eine Deutung von Kant durch Bardili weist Fichte anschließend so zurück:
„17. „K“ lasse den Menschen erst urtheilen, u. erkennen, dann erst denken“. Ich antworte: Da hätte er freilich denn Unrecht, eben so wie B(ardili). Keines zuerst: beides unzertrennlich vereinigt.“ (GA II, 5, 248)
Schließlich schätzt Fichte das „Denken“ Bardilis so ein:
„Er sezt blosse Vorstellung, u. Denken entgegen: – Das Denken ist ihm also zulezt doch wohl nur ein Abstrahiren.“ (GA II, 5, 257)
Fichte kommt nochmals zur eigenen Sichtweise, was „Denken“ heißt:
„Eigne Untersuchung. Was ist Denken eigentlich? Was will B.? Was mag sein unendlichemahl Wiederholbares A. seyn?
Denken möchte wohl seyn eine Unterart von vorstellig machen überhaupt? Vorstellen heißt Objectives vor sich hinstellen. Dies geschieht unmittelbar: Anschauung: wiederholend, u. in Verbindung mit anderm setzend: Denken: Das Denken ist stets das begreifen, zusammengreifen des Mannigfaltigen, aus dem umgeben den Mannigfaltigen. / Jenes A. (als objectives überhaupt) wäre sonach nicht eigentlich das Denken im Denken, sondern das Anschauen darin. (ebd, S 257)
2) Was heißt Materie (Stoff)?
Im Zusammenhang von Denken und einer supponierten, entgegengesetzten Instanz der „Materie“ oder des „Stoffes“ bringt Fichte eine weitere Hinterfragung und Kritik an:
(sc. In der Sicht Bardilis) 1.). Das Denken als Denken, muss die Materie als Materie im Denken zernichten; sonst kommt es mit der Materie nicht zu einem Etwas, als Etwas Gedachtem.
(1.) ist dies Denken als Denken die obige Wiederholbarkeit. 2) was ist Materie; und woher weißt Du, dass welche ist (…)“ (GA II, 5, 252)
M. Zahn formuliert es so: „Fichte stellt Bardili des weiteren die heikle Frage, wie denn auf der Grundlage seiner absoluten Entgegensetzung überhaupt ein Wissen vom Dass und Was der Materie möglich sein soll. Zudem ergibt sich hier die unbequeme Frage des Übergehens der Materie in Geist, des Seins in Denken“. Wenn Bardili schließlich sagt, dass das Erkennen nur unter Vorgabe eines Stoffes, worauf das Denken angewandt werden kann, möglich sei, so muss man ihn fragen, woher er denn dies nun wieder weiß“. (M. Zahn, ebd., S 141)
C. G. Bardili geht diesen seltsamen Weg der „Zernichtung“ der Materie, weil er nicht weiß, wie er Denken und Materie/Stoff verbinden soll, wenn sie doch radikal einander entgegengesetzt sind.
Die anscheinend totale Entgegensetzung von Denken und Sein projiziert aber das Wissen nur als vorausgesetzte Dualität von Denken und Sein. Woher weiß Bardili – und die heutigen Realisten und empirischen Erkenntnistheoretiker und Idealisten/Rationalisten diese Dualität?
M. Zahn: „Als Realist betont Bardili nach Fichte die Transzendenz des Stoffes zum Denken, während er als Logiker und Rationalist zugleich die Denkimmanenz eben dieses Stoffes behauptet, insofern dieser nämlich überhaupt als durch das Denken „zernichtbar“ und in es aufzugehen da ist. Die Materie wird einerseits zu einem An-sich verabsolutiert und soll andererseits doch erfahren werden. Bardili stützt sich einerseits auf Tatsache und Gegebenheit. also auf die Empirie, und behauptet andererseits doch die Bewusstseinstranszendenz dieses Gegebenen. Beide Pole des Systems“ sind nach Gesetzen erschlossen, die innerhalb des Bewusstseins gelten, und doch wird die Transzendenz des einen Pols – genauer gesehen sogar beider – behauptet. Die Annahme eines außerhalb des Bewussseins befindlichen Stoffes auf der einen und der für sich seienden Identität des reinen Denkens auf der anderen Seite bedeutet damit auch einen unversöhnlichen Dualismus von Empirismus und Logik.“ (M. Zahn, ebd., S 141)
Fichte hat mit seiner WL die denkmöglich höchste Standpunktreflexion gefunden, sodass ihm – sozusagen mit Leichtigkeit – die disjunktiven Standpunkte der Dogmatismen der damaligen Zeit sofort aufgefallen sind. (Man lese z. B. in der „Sittenlehre“ 1812 die Bezugnahme auf die Logik Hegels.2)
Ich repliziere auf die Anfänge der WL in den EIGNEN MEDITATIONEN: In einer nur logischen Vermittlung der größtmöglichen Gegensätze von Ich und Nicht-Ich, von Realität und Negation, wobei die Negation selbst eine partialisierte Realität sein muss, da sie ja eine Handlung des Entgegensetzens ist, mithin eine neue Setzung darstellt, kann von vornherein die Einheit des Ichs in seiner Selbstbeziehung nur mehr abstrakt dargestellt werden. Realität und Negation sind eine Teilbestimmung des Ichs (der Ichheit), das Ich befindet sich aber damit schon in einer disjunktiven Position gegenüber dem Nicht-Ich. Das Ich müsste höherwertig gefasst werden, disjunktionslos, nur im Ich und dank des Ichs können Ich-Bewusstsein und „Nicht-Ich- Bewusstsein“, d. h. ein Bewusstsein von einem Nicht-Ich, einander entgegengesetzt und synthetisiert werden. Das Ich muss einerseits ganz selbstbezüglich bleiben, andererseits zugleich partialisierend in sich eine Dyade der Ichheit erkennen lassen, die aber höherwertig vom „absoluten Ich“ in seinem Gehalt her gesetzt ist. Gerade wegen dieses, mit KANT gesprochen, „noumenalen“ Charakters des Nicht-Ichs bzw. dieser Zweiheit der Form, kann alle praktische Wirklichkeit des Ichs als adäquater Strebensgegenstand und Strebensqualität erkannt werden (in seinen Prinzipien).
Durch die, in den Anfängen der WL noch etwas ungenau formulierte Intuitionserkenntnis eines ersten, absoluten Prinzips – in den EIGNEN MEDITATIONEN von 1793 schon klar ausgesprochen als „absolutes Ich“ – können alle Wesenseigentümlichkeiten des theoretischen Philosophierens in Reflexionsideen und kategorialen Formen des Begriffs (Substantialität, Kausalität, Wechselwirkung, Zeit- und Raumanschauung), wie alle existenz-entdeckenden Prinzipien wie Gefühl, Streben, Trieb, abgeleitet werden. Durch ein höchstes Prinzip sind die Bedingungen der Möglichkeit der Wissbarkeit der theoretischen wie praktischen Erkenntnisprinzipien gesetzt – welche Erkenntnisprinzipien „die der Gegenstände selbst sind“ (Kant). Ergo müssen die logischen Regeln in einem seins-logischen Zusammenhang verstanden werden – in und aus der Einheit von Denken und Sein heraus, nicht einseitig realistisch oder idealistisch.
Da ein Bardili oder Reinhold bei weitem nicht diese Einheit von Intelligenz und Materie/Stoff erreicht haben, kommt es dann zu so eigenartigen Ausdrücken der Vermittlung wie „Zernichtung“ der Materie.
Wenn Wissen auf Wahrheit und auf Geltung der im Wissen gesetzten Erkenntnisbedingungen ausgeht, und alle Behauptungen schlechthin unter dem Geltungsbezug des Wahrheit stehen, ist die philosophische Analyse und Aufgabe der Tradition seit den Griechen die Entdeckung der Erkenntnis-Prinzipien, die die Wahrheit der Seinsprinzipien sind.
Philosophie ist als eingeschränkter Akt des Geistes selbst ein eingeschränktes Wissen, aber uneingeschränkt geht sie auf das Ganze des Wissens der Erkenntnisprinzipien – und will sie darstellen.
Formale Logik und logischer Monismus des „Denkens“
Muss einerseits Bardili von einem nackten, empirischen Materialismus (Empirismus) ausgehen, weil er den Sinn der Materie/des Stoffes nicht kennt und sie nur faktisch ansetzen kann, so verfällt er andererseits in einen überheblichen Rationalismus, der die bereits existierende formale Logik als quasi defiziente Urteilslogik, ohne Quantität und Qualität, abtut, weil er meint, eine höhere, rationalistische Logik gefunden zu haben.
Für Fichte hat die traditionelle, formale Logik ein bestimmte, wahre Qualität, a priori, wenn sie rückbezogen bleibt auf den transzendentalen Akt ihrer Genesis aus dem Akt der Vorstellung . Es haben ebenso „categorische“ Urteile – die Bardili verschmäht – durchaus Inhalt und Qualität. Sie sind als „Hineinbildung in die Welt“ zu sehen.
Die » Hauptresultate des B.w Systems u. seines Tadels der Logiker sind: – die categorischen u.sw. Urtheile, haben keine Qualität, Quantität, u.s.f. als Urtheile überhaupt. – – Daran haben die armen Logiker vor ihm nicht gedacht. (…) Sie sagen nur: sie haben dieselben als categorische Urtheile, u. s.f. u. Dies ist freilich etwas anders: eben als eine besondere Hineinbildung in die Welt. (Darauf aber sagt B: dies eben ist nicht rein, u. logisch: – Was darauf zu antworten ist, müssen wir sehen – Qualität haben sie allerdings: u. Ich denke a priori.[)] (Anmerkung, GA II, 5, 251)
Die Sicht der Logik Fichtes würde ich kurz so beschreiben – müsste aber mehr aufgeschlüsselt werden: Die Kategorizität eines Urteils kann tatsächlich nicht von der formalen Logik allein herkommen – hier hätte Bardili recht – aber das Denken der logischen Regeln in Verantwortung gegenüber dem transzendentalen Gehalt im Bilden des Bildes vom Sein macht sie eingeschränkt sinnvoll und wahr. Das Denken der formalen Logik ist eine synthetische Einheit von Anschauung und Begriff – und vom intelligierenden Licht des Geltungsgrundes und der Dialektik der Vorstellung begleitet sind sie wahr und gültig – nicht durch angeblich rationalistische, empirische Logik.
Die Qualität wird von Bardili durch Wahrnehmung festgestellt? Darin fehlt völlig eine transzendentale Ableitung des Begriffes „Qualität“ – und in weiterer Folge die Herausarbeitung eines transzendentalen Denkens, wodurch die Wahrnehmung in eine Synthesis von Anschauung und Begriff transformiert wird.
[»]Die Qualität selbst kann nur durch Gewahrnehmungen bestimmt werden“ = C. – . Was soll das heissen? Es soll heissen: ob ja, od.‘ nein A. mit dem Objecte verknüpft wird, das wird durch die Gewahrnehmung vermittelt. Nun bitte ich, woher denn das Prädicat das da beigelegt wird. Ist dies nicht auch nur durch Gewahrnehmungen bestimmt.? (…) [*] (GA II, 251)
Dazu M. Zahn: „ Aber auch mit dem ihm nebengeordneten logischen Monismus kommt Bardili, wie Fichte nachzuweisen versucht, nicht nur nicht über die klassische Logik hinaus, sondern bleibt im Gegenteil hinter ihr noch zurück. Zur klassischen formalen Logik als der Lehre von den Begriffen, Urteilen und Schlüssen ist mehr erforderlich als nur das Postulat der Unveränderlichkeit und unendlichen Wiederholbarkeit des reinen Denkens. Vielmehr ist dieses Postulat selbst schon ein Gedanke, eine Abstraktion, deren Legitimität Fichte zwar nicht bestreitet, die aber nach ihm unfruchtbar und im übrigen auch nicht neu ist.“ (M. Zahn, ebd., S 142)
Mangels der Einheit des Sich-Wissens und mangels fehlender Deduktion der Vorstellung kann Bardili a) weder den Sinn der traditionellen formalen Logik erkennen, noch b) die Begründung einer Logik oder einer bloß formalen Anschauung der Mathematik durch den transzendentalen Setzungsakt der Vorstellung leisten.
„Bardili fällt hinter die klassische Logik zurück, weil er die reine Identität in seiner Abstraktion ihrerseits und von ihm unbemerkt wie ein Gegebenes, Vorhandenes behandelt und dabei ihren Geschehenscharakter in seinem eigenen Denken unterschlägt. So gesehen bekommt die Identität als Gegebenheit ebenfalls einen empirischen Charakter. (…)“ . (M. Zahn, ebd., S 142)
© Franz Strasser, 23. 1. 2020
1Manfred Zahn, Selbstvergewisserungen. Studien zur klassischen Epoche der Transzendentalphilosophie. Hrsg. v. Martin Scherer, Würzburg 1998, S 113 – 161.
2J. G. Fichte, Vorlesungen über die Bestimmungen des Gelehrten 1811; Rechtslehre 1812; Sittenlehre 1812, fhs-Studienausgabe, Bd. 3, S 273f.