J. G. Fichte, Die Prinzipien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre, 1805. 1. Teil

J. G. Fichte, Die Prinzipien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre. Vorgetragen im Februar und März 1805 in Berlin, Kommandantenstr. No. 9.

EINLEITUNG

Diese Vorlesungen schlieĂźen inhaltlich an die drei Vorträge der Wissenschaftslehre 1804 an. Ein 4. Vortrag der WL 1804 folgte im Sommer 1805 noch in Erlangen. Es ging FICHTE in diesen Vorlesungen „1804“  um eine„philosophia prima“, d. h. einer BegrĂĽndung und Rechtfertigung des Wissens in und aus dem Absoluten bzw. seiner Erscheinung. Hier in diesen 1804 schon angekĂĽndigten Vorlesungen der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre (abk.=GSRL), gehalten von Februar bis März 1805, geht es um die weiterfĂĽhrende Ableitung der ersten Wissensprinzipien in und aus der absoluten Einheit, sozusagen um eine „philosophia secunda“, anschlieĂźend an die drei Wln von 1804.

„Fichte setzt insbesondere das Ergebnis des Dritten Vortrags der Wissenschaftslehre (von Herbst 1804) voraus“, wie R. LAUTH in der Einleitung der GESAMTAUSGABE zu den GSRL (GA, II, 7, 1989, S 377) schreibt. „Es wird vom obersten Prinzip des absoluten Wissens aus, ’ohne Klärungsmittel von unten’, ’rein deducirend’ vorgegangen.

Zwecks leichterer Zugänglichkeit halte ich mich an die Ausgabe Meiner, 1986, erstmals veröffentlicht von R. LAUTH. In der GA II, 7 S 378ff  sind die Seitenangaben dieser Ausgabe von 1986 angegeben.

Im 1. Teil, von der zweiten bis zur siebten Stunde, geht es um den Begriff der Freiheit. Freiheit zeigt sich als eine Realisierung von Geltung, nämlich der Geltung einer Sich-Bezüglichkeit von Wissen, einer gewissen Form, deren Inhalt sich der Intellektion in ein Soll eines göttlichen Grundes verdankt. Die Geltungsform des Ichs oder Wissens, die transzendental nicht über- oder unterschritten werden kann, ist spezifiziert durch den Inhalt der Geltung in eine Vier- bzw. Fünffachheit der Form dieses Inhalts. Ich zitiere M. Gelten in einem Schlussresümee zum Begriff „Sein oder Geltung?“

„Es sei noch einmal betont, dass dieser Geltungsbezug das ganze Wissen, das bei Fichte mit der Totalität geistigen Lebens identisch gesetzt wird, betrifft. Als Erscheinung des Absoluten, als Dasein absoluter Geltung, ist das Wissen selbst nach Fichte wesentlich und notwendig Geltungsbezug. Das durch diesen Geltungsbezug und seine Strukturgesetzlichkeit mitkonstituierte Subjekt ist zum einen an diese Gesetzlichkeit gebunden, zum anderen aber auch zugleich ihr gegenĂĽber frei. Das kennzeichnet die Realisierung von Geltung (keineswegs die Geltungsgesetzlichkeit selbst) als Freiheitsgeschehen, zunächst nur unter Gesetzen, aber mit sukzessiver Erkenntnis derselben auch immer mehr im Angesicht von Gesetzen, in Erkenntnis der Gesetze selbst!“1

Zu seiner begrifflichen Durchdringung der Freiheit im 1. Teil (2.- 7. Stunde) wird hypothetisch die Objektivierung des Wissens schon vorausgesetzt. Die Erklärung und Genesis des Wissens folgt im 2. Teil (8. – 12. Stunde)

Im 3. Teil (13. – 17. Vorlesung) kommt die praktische Konstitution des Wissens zur Darlegung. Ich zitiere hier R. LAUTH, Ausgabe Meiner, 1986, EL, S XVIII:

„Dass das Ich intelligieren soll, realisiert sich in der faktischen Konstitution einer Grundtendenz, durch die allein das ZerflieĂźen ins Nichts verhindert wird und die im TriebgefĂĽhl zuerst bewusst wird, das, aufgenommen ins Ich als SelbstgefĂĽhl, reflektiert als Selbstbewusstsein auftritt, eines Ichs, das frei reflektierend Zwecke fassen und Absichten verfolgen kann und als solches das kategorisch sittlich Gesollte fasst. Das absolute Soll konstituiert als „reiner Gedanke“ das Dasein des sittlichen Ichs. Richtig intelligiert, offenbart er, dass das Ich in Wahrheit nur das in ihm lebendige Absolute nachkonstruiert, insofern das sittliche Soll es bestimmt. Die Eine Welt gegenĂĽber Gott erklärt sich so, dass sie faktisch sein soll, damit – teleologisch – das kategorische sittliche Soll wirklich wird. Das Recht fungiert in diesem Zusammenhang als Artikulation zwischen der (unvollendeten) Natur und dem sittlichen Sein.“

„Im darauffolgenden 4. Teil (sc. 18. – 23. Stunde) wird die Faktizität insgesamt, sowohl mit ihrer faktischen als mit ihrer praktischen Seite in Einheit des Prinzips, abgeleitet. Fichte geht darin von dem höchsten Gedanken aus, dass das Absolute sich als reiner Gedanke in uns, sofern wir ĂĽberhaupt sind, ins Dasein setzt. Dabei muss das Umfassen desselben als solches gesetzt werden. In einer komplexen „Synthetik“ wird diese Entfaltung vollzogen, dabei aber zugleich herausgestellt, dass auch dieses Umfassen Ă„uĂźerung des Absoluten ist. Der Leser erhält also in den „Principien…“ eine höchst wertvolle FortfĂĽhrung der Wissenschaftslehre ĂĽber das in der philosophia prima Dargelegte hinaus, eine Fortsetzung, die bislang fĂĽr den mittleren Zeitraum des Fichteschen Philosophierens noch fehlte. Zugleich klärt aber auch die vorliegende Deduktion manches LehrstĂĽck der philosophia prima selbst, das in den vorherigen AusfĂĽhrungen nicht genĂĽgend klar und deutlich geworden ist. Vor allem die praktische Seite des Daseins des Absoluten tritt mit groĂźer Prägnanz heraus. Die Ableitung geht ĂĽbrigens tatsächlich nicht nur bis zur Grenze der Rechtslehre, sondern sogar bis zum Prinzip der Naturlehre. Insgesamt sind die „Principien ..,“ ein eindrucksvolles Zeugnis der unvergleichlichen Denkleistung, die Fichte in den Jahren 1802–1805 vollzogen hat.“

Ich will in einem Kommentar, eher zur Schulung des eigenen transzendentalen Denkens als zur Darlegung neuer Gedanken, die GSRL nacherzählend  verstehen. (FICHTE lädt ja immer wieder ein, nicht historisch, sondern selbstständig, frei, dem Geiste nach,  die WL zu denken.)

Ich beginne mit Anfang der 8. Stunde zur Kommentierung meiner Einleitung, weil dort FICHTE ein Resümee gibt der Vorlesungen 2 – 7 und zugleich eine schöne Bestimmung der Freiheit als „substantielles Accidens“ (ebd. S 35, Z 5 u. S 36 Z 6). Ich interpretiere das so, a) dass das Wissen unhintergehbare, faktisch-absolute Gesetze des Bildens kennt (Reflexionsgesetze), b) das Wissen notwendig in einen Geltungsbezug zum Absoluten gesetzt ist als Grund ihrer absoluten Reflexions- und Geltungsform, und c) die Realisierung dieses Geltungsbezuges immer nach inneren Gesetzen verläuft. Die Freiheit der Reflexion, gebildet im Soll einer freien, interpersonalen Ich-Einheit und als individuelle  Ich-Einheit, ist selbst nicht Grund dieser Gesetzlichkeit des Freiheitsvollzuges, deshalb aber natürlich auch nicht determiniert. Es kann und soll nur frei diese Gesetzlichkeit einsehen und vollziehen.

Anfang der 8. Stunde heißt es:(1).] absolute Aeusserung der Freiheit des ExistentialAktes = Freiheit im Lichte; noch keinesweges objektive erscheinend, welches Ich, u. seine Freiheit gäbe, sondern inneres, und substantielles Accidens: Vermögen aus dem nichts in der Erscheinung folgt. Sollte dies nun in besonderer Existenz geäussert werden. so erschiene es als blosses zufälliges Faktum, inerhalb des vorausgesezten absoluten Faktum. Eine faktische nicht wesentliche, Bestimmung des substantiellen Lichts selber ist zufällig. durchaus u. schlechthin ohne allen Wirklichkeitsgrund. (Möglichkeitsgrund wohl.) (ebd. S. 34 Z 1ff) (…)

Nemlich: durch die bloß faktische Aeusserung der substantiellen Freiheit allein sollte das Wissen als absolutes Wissen erst Objekt für sich selbst = Bewußtseyn seiner selber werden: wie wir gezeigt, u. bewiesen. Für uns aber ist vom Ursprunge unsrer Untersuchung an das Wissen in seiner absoluten Qualität Objekt gewesen, indem wir gleich in der ersten Stunde diese qualitative Beschreibung vorausgesezt. Wir sind daher von dem in uns schon vollzognen Fakto ausgegangen; mithin besteht entweder nicht in der absoluten Indifferenz das absolut substantielle Wissen, welches dem aufgestellten Satze widerspricht, (sc. die Freiheit soll ja das Wissen erst begründen, darf es nicht schon voraussetzen) oder wir sind über das absolute Wissen hinaus, welches, falls es auch an sich möglich seyn könnte, unsrer wissenschaftlichen Aufgabe widerspricht. (sc. es wäre dann keine transzendentale Einsicht vollzogen worden, sondern dogmatisch würde das Wissen vorausgesetzt; es ist ein innerer Widerspruch: Es wird gesagt und gedacht, dass es absolutes Wissen gäbe, das die Freiheit trägt und erhält, aber zugleich stellt sich damit das Tun dieses Sagens und Reflektierens außerhalb des Gesagten und Gedachten. Der Reflexionsakt des Sagens ist ein Tun, das über das Gesagte und Gedachte schon hinausgeht. Das Tun enthält mehr als das Gesagte und Gedachte, hat es, sein unreflektiertes Wissen, in seinem Tun schon vergessen und verloren, und umgekehrt ist das Sagen und Denken nicht das ganze Tun.2 (ebd. S 34 Z 20ff)

1. Stunde

Was ist das Wissen? – Qualitative Einheit, Dasein des Absoluten, Dasein Gottes. (vgl. ebd. S 5, Z 26). Dieses Wissen kann aus verschiedenen Standpunkten betrachtet werden, ist aber in sich geschlossenes Ganzes, eine Totalität von Formen, eine im Denken und Sehen des Lichtes selbst hervorgehende Spaltung und zugleich bleibende Einheit.

In der 1. Stunde stellt FICHTE sein ganzes Programm vor. Ich halte es deshalb für besser, diese 1. Stunde vom Ende aller Vorlesungsstunden der GSRL zu lesen und zu verstehen – und überhebe mich deshalb einer langen Zergliederung.

Nach einem inneren Gesetz des Wissens ergeben sich vier Grundbereiche des Denkens und Erkennens mit einem einheitlichen Grundprinzip: Der Bereich der Religion, der Moral, des Rechts und der Natur, zusammengefasst aus dem wissenschaftlichen Standpunkt der Ich-Reflexion. Die Standpunkte erhalten ihre gegenseitige Abhängigkeit und zusammenstimmende Gemeinsamkeit gerade durch das einheitliche Ich-Prinzip (oder Ich-Form), das aber wiederum ihren Geltungsgrund in der Bezogenheit auf die ERSCHEINUNG aus dem Absoluten hat. Die Grundstruktur des transzendentalen Wissen vom einheitlichen Mittelpunkt des „Ich“ bis zu den Hauptmomenten des Wissens (Religion, Moral, Recht, Natur) führen zu einer geschlossenen Ableitung wesentlicher Wissensformen in der Mannigfaltigkeit des zeitlich ablaufenden Bewusstseins. Diese wissenschaftliche Fundierung der ganzen Praxis des Erkennens, Wollens und Handelns bietet eine Wirklichkeitserkenntnis im Ganzen („der Welt“) – und in philosophisch-abstrakter Weise werden diese Prinzipien des Erkennens, Wollens, Handelns intersubjektiv abgeleitet und intellektuell anschaulich demonstriert. Keine Wissenschaft kann sich dieser apriorischen Erkenntnisprinzipien entziehen und ist auf sie angewiesen, will sie korrekt und kohärent und intersubjektiv ihre Erkenntnis vortragen.

Die nun folgende 2. Stunde fĂĽhrt gleich in medias res der ganzen WL und ihres Gehaltes. Sie ist sehr dicht:

1. TEIL

2. Stunde

Der „Satz der intellektuellen Intuition“ (ebd. S 9 Z 8) soll in intellektueller Anschauung erreicht werden: „1.) Wissen ist absolute Genesis, immanente Kraft, aus sich von sich durch sich – u. zwar nachconstruierend, Bild, sich darum beziehend auf ein inneres Seyn derselben, an sich von sich durch sich, was wieder dasselbe sagt.“ (ebd., Z 9f)

Wissen ist das AuĂźen des Absoluten, das bloĂźe AuĂźen qualitativ angesehen.

Das Außen äußert sich, schlechthin, unmittelbar, zufolge des Daseins des Absoluten, es ist unmittelbare Identität,

„Projection eines in sich geschlossen und selbstständig seyenden, das unmittelbar dasselbe ist mit dem projizirenden:=Ich, in diesem einen absoluten Strahle des BewuĂźtseyns u. ganz dasselbe mit ihm: gedacht denselben im Mittelpunkte und darin absetzend diese Duplizität: -, äussert sich , als aussen (eben des absoluten) beschreibt sich daher u. construirt sich wieder in seiner inneren Thätigkeit als solches so wie das absolute: – und dies eben so unmittelbar, u. schlechthin: ein dreifaches Ich: .(…)“ (ebd. S 10 Z 30ff)

Das ist die „Urdisjunktion des Daseyns des absoluten“, seines inneren Seins, „in dieser nun alle übrigen (sc. Disjunktionen)“. (ebd. S 11, Z 13)

„Wir haben es bewiesen u. eingesehen. Auffoderung, lediglich zu reflektiren“ (ebd. S 11, Z 15)

„Also ein Wissen=ein Auessern, das der Form nach sich selbst macht. Das aus dem Vorausgesetzten sich macht; (….) (ebd. S 11, Z 17)

Dieses Erheben zum Wissen, zu einem „Außen“, erscheint als eine „freie Energie des Denkens.“ „Wie u. woher diese Erscheinung: Sichtbar ist sie auch die Erscheinung eines schlechthin sich selbst, durch u. aus sich selbst, machens des Bewußtseyns, (…)“ (ebd. S 12 Z 1f)

Wissen ist AuĂźen eines intelligierten Inhalts.

Das von FICHTE eröffnete Denken von Freiheit (2. – 7. der Vorlesungen) fasst, so könnte es m. E. auch formuliert werden, einen Indifferenz- und Disjunktionspunkt, der durch die Genesis des Wissens aus der Erscheinung des Absoluten als Einheit und Duplizität entsteht, zusammen: Die Freiheit vollzieht sich nach einer inneren Gesetzlichkeit entweder a) in Richtung Nichtsein, Ende, oder auch Tod zu nennen, oder sie ist b) in bewusster, freier RĂĽckbesinnung auf die Quelle ihrer Gesetzlichkeit, ihres Ursprungs, Vollzug eines göttlichen Inhalts, einer absoluten Geltung, eines absoluten Lebens.

Ich verweise hier zum besseren Verständnis auf die Explikation von J. Widmann:

„Der Begriff des „höchsten Wissens“ enthält in sich einen Gegensatz von Sein und Nichtsein. Kann das Nichtsein begriffen werden? Wir hätten dann einen Grenz- und BerĂĽhrungspunkt von beiderseitiger Faktizität (Nichtsein und Sein) und Aktualität, mithin einen Indifferenzpunkt einer Vorstellung: Ist das als Beginn der Freiheit zu denken? „Das Ende des Begreifens (sc. das Nichtsein) ist Moment des Begreifens und darum nicht nichts. Im Wissen-vom-Nichts kann dies Ende aber rein als solches in Erscheinung treten, da es durch kein anderes Etwas in seiner Endfunktion bestimmt und getrĂĽbt ist. Sein Enden im Wissen-vom-Nichts bleibt dem Begreifen ein schlechthinniges Faktum, unbegreiflich so weit, als ihm die Genesis des Wissens-vom Nichts unbegreifbar ist. Begreifbar jedoch wird ihm, daĂź die sonst nie restlos verwirklichte Negation hier ihr tatsächliches Ziel findet. In allen Negationsfällen hatten wir festgestellt, daĂź Negation nur konkret sein kann, wenn sie – sich an konkret Negierbares heften kann. Jetzt im Wissen-vom-Nichts stellt sich der Punkt vor, an dem die Negation zusammen mit ihrem Negat erlischt. Gleichwohl endet die Negation des Seins nicht völlig, sonst wĂĽrde sie aus dem BewuĂźtsein verschwinden und nicht etwa reflektiert werden. DaĂź ihr punktuelles Ende im Wissen-vom-Nichts reflektiert werden kann, weist den Endpunkt als doppelten Disjunktionspunkt aus: Er ist absolute Grenze, jenseits derer schlechthin Nichts ist. Doch neben dieser Scheidung des Seins vom Nichtexistenten disjungiert er im Existenten eine genetische Richtung, die endet und als Ende verbleibt, von einer andern Richtung, die als lebendige Reflexion aus diesem Endpunkt zurĂĽckkehrt, in dieser Umkehr das Wissen vom Ende erzeugend.“ 3

3. Stunde.

Die Intuition und Intellektion in die Freiheit soll tiefer durchschaut werden, in ihrem Wie der Möglichkeit. FICHTE visiert hier wiederum keine existentialistisch verstandene Freiheit an, wie sie das 20 Jhd. versuchte zu denken, sondern der Geltungsbezug des Wissens liegt immer bei der ERSCHEINUNG des Absoluten, ergo kann die Realisierung von Geltung zwar als Freiheitsgeschehen zuerst beschrieben werden, „zunächst nur unter Gesetzen stehend, aber mit sukzessiver Erkenntnis derselben auch immer mehr im Angesicht von Gesetzen, in Erkenntnis der Gesetze selbst“ ( siehe Zitat oben, Anm. 1 von M. Gerten).

Der erwähnte Widerspruch zwischen Sagen (und Denken) und Tun ist genauer betrachtet kein Widerspruch, denn das Sagen (und Denken) ist selber schon „Resultat, u. folge des höheren, des sich selbst zu sich selbst machenden Bewußtseyns.“ (ebd. S 13, Z 20) Das Sagen muss als Tun eingeholt werden können, d. h. die absolute Äußerung und Erscheinung des Wissens soll in ihrem Wie der Genesis eingesehen werden. Aus dem Absoluten direkt ein Werden abzuleiten, wäre aber völlig verfehlt und bloße Begriffsdialektik.  Das zeitliche Werden kann nur in der Reflexionsform des Sich-Bildens liegen, in einer unwandelbaren Einheit des wandelbaren Bewusstseins, mithin in der Einheit des Schwebens der ursprünglich produzierenden Einbildungskraft.

Wir müssen besonnen vom „Existentialakt“ der Äußerung des Absoluten selbst ausgehen. (ebd. S 14, Z 11) Das Wissen in seinem immanenten Dasein ist „nothwendig Produkt des absoluten Existential-Aktes (…) keinesweges ein todtes, sondern ein lebendiges in sich geschloßnes Daseyn. Wie jenes ist, ist dies (unmittelbar), in sich geschlossen. Es wirft sein Produkt realiter ab, u. stößt es aus, zu eigner Selbständigkeit, (….) Lichtstral: das Produkt seines inneren Lebens zunächst=Ich.“ (ebd. S 14, Z 22ff). 4

Trotzdem ist dieses Dasein des Wissens, dieser Lichtstrahl des Bewusstseins, bleibend ein Produkt. „ (…) zufolge dieser Nichtselbstständigkeit in und fĂĽr sich selbstständig. Die Wahrheit an sich – u. die Erscheinung: leztere eben zufolge der Wahrheit, ist (erst zu bemerken). (ebd. S 15, Z 1f)

Dieses immanente Sein des Wissens, diesen Lichtstrahl, nennen wir mit Recht die „Erscheinung, hier die ursprĂĽngliche = Ich – . (als) Resultat: zwar nicht das Ich, sondern der Lichtstral ist das immanente Seyn des Wissens; aber das Ich ist das von diesem unabtrennliche Projektum, das immanente Seyn des Lichts kann daher aus der Erscheinung des Ich, eben als absoluterscheinenden, und als Ich (in seiner Duplicität) nie herausgehen. “ (ebd. S 15, Z 8f)

Das in der 2. Stunde oben beschriebene „absolute Wissen“ als AuĂźen des Absoluten ist dahingehend analysiert und intelligiert, dass es Lichtstrahl ist, unmittelbares Dasein des Existentialaktes, Erscheinung, Ich, – aber, wie es dem Bild von Freiheit ja komplementär entsprechen muss, unableitbar, als „nicht weiter abzuleitendes Faktum“ (ebd. Z 35) bekannt zu machen. „Dabei muss es bleiben; denn die Einsicht ist Einsicht der Genesis des Wissens selber: (…)“ (ebd. S 16. Z 1)

FICHTE ringt hier offensichtlich damit, den Hörern und Lesern die Genesis des Wissens in und aus dem Absoluten einleuchtend zu machen, „ist Einsicht“, zugleich muss er den Geltungsbezug zur Erscheinung des Absoluten terminologisch so klar und eindeutig darstellen, dass die Einsicht nicht durch das reflexive Wissen selber verdunkelt oder gar usurpiert wird. Die Einsicht und Evidenz (Intellektion) kommt von der Erscheinung des Absoluten her, vom „Existentialakt“ der Äußerung desselben – und das Ich und das Wissen selbst ist qualitatives Produkt. Freiheit ist Realisierung einer Geltung, aber nicht die Geltungsgesetzlichkeit selbst.
(Die Intellektion wird dann als
genetische Evidenz noch abgegrenzt werden von einer bloĂź faktischen oder apodiktischen Evidenz unhintergehbarer Denknotwendigkeiten.)

„ (….) Also gerade, wie nebenbei, bringt das Licht sein Resultat mit sich. Nur ist der wichtige tief zuerfassende Unterschied der: Dort ist im Produkt des Lichts, dasselbe als seyend schon voraussetzend, ein Akt des Lichtes; hier nicht dasselbe voraussetzend, sondern mit ihm aufgehend, u. durch ihn durchdrungen, ein Akt im Lichte.
d.). Das[s] ich nun sogleich hier wenigstens historisch die Untersuchung schliesse: und das wichtige (noch weiter zu erklärende)] Resultat hinstelle: der ExistentialAkt ist zugleich, einfach, u. ist zugleich als solcher; u. in dieser doppelten Beziehung äussert er sich, unmittelbar als Wissen (nicht im Vorausgesezten Wissen) also durchdrungen: ursprüngl[iche]. Freiheit: (ebd. S 16, Z 6ff)

4. Stunde

Dieser zuletzt angesprochene Akt des Lichtes soll besser erkannt und begründet werden. Es muss materialiter im Existentialakt des Daseins des Absoluten einen besonderen Grund haben, damit diese ursprüngliche Freiheit ermöglicht werde.

Der Existentialakt ist absoluter Akt, „in sich lebendig, u. kräftig, u. vollendet, (…) aber er ist Aussenakt, also ist in ihm das Aussen, und der Akt unmittelbar durchdrungen, u. schlechthin Eins. Aussen aber ist Bild. (…) absolut substantialiter Bild; “ (ebd. S 17. 18. Z 27ff)

Ist eine begriffliche Durchdringung des Aktes und des Außens im Bild besser möglich? Das Bild als Außen, als stehendes Bild des Existentialaktes des Daseins des Absoluten, „was es eigentlich sey (…)“ (ebd. S 18, Z 30), das ist die Frage.

„Ist Licht, oder Bild: das Licht ist daher unmittelbar durch sein bloßes inneres Daseyn u. in diesem inneren Daseyn sich reflectirend: sich zum Licht als Licht machend ohne daß noch etwas hinzutrete. (….) Die erwiesene Reflexion ist daher eine absolut reale, unmittelbar schlechthin unsichtbare – bloß u. rein praktisch, u. immanente, ohne alle Objectivität, oder Subjektivität in Einem anderen Lichtstrale.“ (ebd. S 19. Z 6 ff)

Das Reflektieren in seiner Faktizität ist schon Ausdruck eines inneren Lichtes, d. h. Ausdruck eines inneren Gesetzes des Lichtes (Akt im Licht), ist zuerst „absolute Reflexion“, damit es als faktische Reflexion sich wissen kann.

Das Innen eines Gesetzes im Bilden und Sich-Bilden zu begreifen ist aber wiederum nur im Gegensatz möglich. Dieser ist der „ExistentialAkt selbst als solcher“ (ebd. Z 29) Durch und in diesem Existentialakt ist das Bild als Bild real möglich, tätig, lebendig. Das obige Wissen vom Existentialakt ist notwendig, d. h. jetzt begründet aus dem Bedingungsverhältnis des Bildes, das ein Sich-Bilden dieses Aktes sein muss, Akt im Licht. M. a. W., das faktische Wissen ist ein genetisches Wissen (eine genetische Evidenz) vom Existentialakt des Daseins des Absoluten durch dieses reale Sich-Bilden.
Dieser innere Mittelpunkt des Sich-Bildens, des genetischen Wissens, soll weiter begrĂĽndet und gerechtfertigt werden. Denn das Problem ist virulent: Das genetische Wissen verdankt seine Geltung ja nicht sich selbst, sondern ist selbst nur wahr und gĂĽltig in Bezug auf den Existentialakt des Daseins des Absoluten, d. h. nur wahr und gĂĽltig auf diese absolute Geltung hin. 5

5. Stunde

Wenn es das genetische Wissen geben kann, so muss dahinter zuerst ein Sich-Äußern des Absoluten im Dasein selbst vorausgesetzt werden. Es kann aber als solches nicht aus sich herausgehen, denn dann wäre es nicht das Absolute, sondern ein bloß Vorgestelltes, Relatives. (FICHTE brandmarkt oft in dieser Schrift und besonders in der 4. Vorlesung der WL 1804  die Scheinbegriffe bei SCHELLING und HEGEL.)

Wenn der Existentialakt als solcher auch äußerlich sein soll, muss der Beweis desselben selber das Prinzip des Herausgehens sein. M. a. W., es muss das Sein des Existentialaktes (der Geltungsgrund, der göttliche Inhalt) in die Äußerung einer äußeren Existentialform, eines äußeren Seins und Beweises, aufgenommen werden können. Das unmittelbare Äußern muss zugleich eine mittelbare Äußerung und Folge sein, ein duplizitäres Verhältnis von Innen und Außen, von innerem, tätigen realen Sich-Bilden und äußerem Bilden.

M. a. W, ein Verhältnis soll auf ein höheres Verhältnis zurückgeführt werden, Alpha/durch Beta durch ein höheres Gamma in einer Gleichung aufgelöst, aber natürlich nicht in einem bloßen Syllogismus major, minor, conclusio, denn alle Logik beruht erst auf diesem gleichsetzenden Verfahren des übergehenden Lichtes und Projizierens selbst.

Licht und Faktum des Projizierens sind in einem Schlage gesetzt. Der Akt im Lichte soll weiter analysiert und verstanden werden, mithin der damit verbundene hiatus, der im Gegensatz zu einer bloßen logischen Disjunktion von Grund und Folge, etwas anderes bedeutet. M. a. W., das Faktische selbst soll genetisch intelligiert werden, „absolute Disjunktion in Einer Ansicht, dennoch absolute Einheit in der andern.“ (ebd. S 23, Z 24 )

Das Dasein des Existentialaktes soll eine Freiheit und einen Inhalt ergeben, wie das Ich in seiner transzendentalen Einheit und Duplizität ja stets angesetzt war, – selbstständig, aus sich von sich durch sich… In absoluter Fakticität; also Freiheit, dem Inhalte nach, selber absolute folgend, drum die Freiheit als solche, u. der Lichtstral in seinem Daseyn unmittelbar vereint;“ (ebd. S 23, Z 30ff)

Freiheit als „Modifikation des Lichts; und zwar absolute hervorgehend u. erfolgend aus dem Daseyn als Daseyn des Existentialaktes.“ (ebd. S 24, Z 4f)

Das Verhältnis Alpha durch Beta muss in Gamma zu einem Delta höherer substantieller Modifikation des Lichtes führen können. Damit, so steht zu hoffen, kann die Freiheit in ihrem Prinzipsein erhellt und begrifflich gefasst werden.  

6. Stunde

Nochmals die Aufgabe formuliert: Der hiatus zwischen einem  inneren Sein des Existentialaktes und einem äuĂźeren Sein desselben soll durch ein substantielles Denken des Lichts  –   die Freiheit hat sich ja  bereits als Akidenz der Modifikation des Lichts herausgestellt –  aufgehoben werden. Wie ist das möglich? „Das gegenwärtige Wissen in der zweiten Reihe (sc. aus der Form der Freiheit betrachtet) ist Aesserung des ganzen Grundes des Wissens=BewuĂźtseyn. Urgrund ist das besondre Seyn des Existentialaktes in seiner reinen Form.“ (ebd. S 25 Z 6)

Der Existentialakt des Daseins des Absoluten wird als eine besondere Ă„uĂźerung gesehen, als substantielles Licht, absolut, nicht bloĂź logisch folgend; „also als frei“: 2) Das Licht unmittelbar in seiner eignen innern Existenz projizirt diese Freiheit: – also ganz u. durchaus – Gamma-Delta.“ (ebd. Z 19)

Der Existentialakt ist schlechthin aussen, wenn Wissen bewiesen sein soll, wenn gilt Gamma (führt) zu Delta, das ist auch „Selbstbewußtseyn, u. als freien“ (ebd. Z 32)

Die vormalige Problematizität und Hypothese der Freiheit im Wissen muss zugunsten eines Gesetzes des Sich-Bildens aus der Idee des Existentialaktes sogar als unmittelbar notwendig angesehen werden. Sie ist notwendig, wenn das genetische Wissen als Faktum späterhin objektiviert existieren (in der Anschauung) und als wahr gerechtfertigt sein soll. Freiheit ist das „erste nothwendige“ des Wissens (im Wissen, als Wesen des Wissens, als reine Möglichkeit desselben) (ebd. S 26. Z 11)
M. a. W. aus der Sicht des obigen Anfangs- und Indifferenzpunktes heraus: die Freiheit ist aus der Idee der Modifikation des Lichtes eine Gesetzlichkeit es Soll-Seins, eine angelegte Negationsmöglichkeit allen Nichtseins, eine mögliche Form eines geltenden Inhalts, dargestellt dann in einer idealen und realen Reihe sukzessiver Zeiterscheinung.

„(…) die ursprüngliche Freiheit des Bewußtseyns ist eine reale, wahre, u. absolute, denn sie ist eben die Freiheit des Urstrals des Lichtseyns selber, auf den kein anderer geht und ihn wiederum entäussert.“ (ebd. Z 15f)

M. a. W., die Bildung und Suche nach einer Ableitung der Freiheit verläuft ĂĽber die Bildung einer „Idee“, der Idee eines besonderen Lichtstrahls des (realen) Existentialaktes des Daseins des Absoluten. Sie ist Produkt von Idealformen des Denkens, Deduktionsprodukt innerer  Gesetze –  und zugleich Realisierung einer unendlichen Mannigfaltigkeit im empirischen und geschichtlichen Bewusstsein. 

Nochmals m. a. W., die Idee des Begriffes „Freiheit“ ist Weiterbestimmung des substantiellen Lichtes und beweist sich a) als Affirmation und Nachkonstruktion des Bildes vom Existentialakt des Daseins des Absoluten und dessen Äußerung, oder zeigt sich b) in der Negation der potentiellen Möglichkeitsformen der Realisierungen des Wissens bis hin zum möglichen Nichtsein und Tod.

„Freiheit“ versteht sich hermeneutisch richtig, wenn sie sich als Nachkonstruktion der Gesetzesgenesis der Erscheinung des Absoluten transzendental reflektiert und hermeneutisch deutet, versteht sich aber transzendental falsch, also bloĂź metaphysisch, wenn sie ihr inneres Gesetz des Sich-Bildens zwar ständig voraussetzt, aber es a) unbewusst bloĂź voraussetzt oder b) auch ständig gegen sich anwendet und behauptet, die Freiheit der Existenz ist grundlos und „existentialistisch“ zu verstehen. Sie kämpft im Falle eines ständigen „Existentialismus“ gegen ihr eigenes Wesen an, lebt im dauernden Widerspruch, denn die Negation ihrer sich bildenden Seinsform setzt die Seinsform ihres Sich-Bildens ständig voraus.

Aus dem Standpunkt der besonderen Lichtform, als Akzidens des Lichts, als Erscheinungsform der Freiheit,  kommt FICHTE zu kurzen, treffenden Beschreibungen von Freiheit: „(3) Diese reale Freiheit ist die der Erscheinung der Freiheit oder nicht. Die Freiheit ist in der Erscheinung, u. ist selbst Freiheit der Erscheinung, nemlich ihrer selbst. (…)“ (ebd. S 27, Z 4f)

„Hier daher die eigentliche Punkt der inneren, projicirten Selbstständigkeit. – der wahren Loslassung.-.Realiter frei darin verlohren: Idealiter: dieselbe reale Freiheit objektiv gesezt.“ (ebd. Z 9f)

Es ist ein Wechsel zwischen realer und idealer Reihe des Denkens – oder mit den frĂĽheren WL ausgedrĂĽckt: das „Schweben“ der ursprĂĽnglich produzierenden Einbildungskraft. „W(elches) A(rgument) D(as) E(rste) W(äre). Das qualitative Aussen des Seyns des ExistentialAkts in seiner Form“ (ebd. Z 15)

Die BegrĂĽndung der begonnen Hypothesis der Freiheit und des Wissens wird dann noch weiter ausgefĂĽhrt und dargelegt – vgl. ebd. S 27 Z 16 – 35. Ferner die Aufgabe der begrifflichen Erfassung der Erscheinung des Absoluten als Erscheinung und gemäß der „Wahrheit“ (ebd. Z 31).

Im letzten Absatz der 6. Stunde kommt (nochmals) die Vernichtung der Gültigkeit eines bloß reflektierenden, begrifflichen Denkens zur Sprache, zugunsten einer intelligierenden Intuition des Wissens aus sich von sich durch sich in der ERSCHEINUNG des Absoluten. Bei Negation dieses gesetzmäßigen Sich-Bildens des Wissens bliebe bloßer Schein (Nihilismus, Existentialismus).

7. Stunde

Der Existentialakt des Daseins des Absoluten soll im Wissen und vom Wissen eingeholt werden als eine Sich-Bilden nach einem Gesetz der Genesis der Erscheinung des Absoluten. Es bleibt aber eine Bedingtheit des reflexiven Wissens (der Gültigkeit nach) übrig, ein vielleicht trüglicher Schein? Es ist  eine Freiheit in einem intelligierenden, qualitativen Sinne gefragt: Sie kann aber nur so beginnen, dass die Äußerung des Seins (der Erscheinung des Absoluten) selbst a) die „Genesis der Sache“ schon vorgegeben hat und b) die Freiheit als deren „Accidens“ gesehen werden muss. (ebd. S 30 Z 28). Die Freiheit ist mögliche Form des Sich-Bildens nach einem inneren Gesetz der Erscheinung des Absoluten und besondere Modifikationsform des Lichtes, aber momentan nur als „ausser der Sache, als ihre Qualität; (ebd. Z 28) sichtbar (scheinbar). 

Rückgebunden an den Existentialakt des Daseins des Absoluten ist die Freiheit notwendig und innerlich, in Synthese mit dem Licht gesetzt- „substantielles Accidens“ (ebd. S 31 Z 8), aber „Hieraus folgt nichts. Diese Freiheit hat nicht einmal Existenz, sondern sie ist, laut des Beweises nur eine innere Bestimmung der Existenz des substantiellen Lichtes.“ (ebd. S 31, Z 11)

Soll es zu einer besonderen Existenz (Äußerung) der Freiheit kommen, so kann dies nur innerhalb der Grundbestimmung des substantiellen Lichtes geschehen. Sie wäre dann „ein Faktum innerhalb des schon voraus gesezten Urfaktum (sc. weil der Existentialakt immanent schon als Akt im Licht ebenfalls faktisch gesetzt ist), weitere Bestimmung.“ (ebd. S 31. Z 22)

Über die Erscheinung des Existential-Aktes als reines Faktum kann nie hinausgegangen werden, denn gerade das zeigt sich ja als Faktum, „was in seiner Genesis erblikt wird u. vice versa (…) “ (ebd. S 32 Z 2)

Das kann auch als „blosses stehendes u. ruhendes Vermögen“ (ebd. S 32, Z 9) bezeichnet werden: Existential-Akt=substantielles Licht=Ausdruck der Freiheit als Vermögen, „nicht als Ich, als Bestimmung, sondern weiterhin, außer durch diese Freiheit, unbestimmte Licht, ist frei.“ (ebd. Z 12)

Das Vermögen ist reales Vermögen, „so kann im Vorausgesezten Fakto des Lichtes nichts vorkommen als dieses“ (ebd. Z 16) – aber genauso bedeutet dieses Vermögen, dass sie „absolute ideal das Aussen der Freiheit des ExistentialAktes ist.“ (ebd. Z 15)

M. a. W., die seit Beginn der WL im Schweben der Einbildungskraft beschriebene Mitte einer realen und idealen Reihe des Wissens ist hier in anderer Weise des Existentialaktes zusammengefasst. Es kann in der realen Reihe nichts anderes vorkommen als das Faktum des Lichts, unbegreiflich im (idealen) Wesen des Faktums – und in der idealen Reihe nichts anderes als das durch die Freiheit gebildete (reale) Faktum.

Deshalb jetzt die  typisch folgende konkrete Bewährung des Wissens, die per abstractionem als allgemeiner Existentialakt und allgemeines Schweben schon deduziert worden ist – sie wird in concreto weitergefĂĽhrt als praktische Anwendung in der Wirklichkeit bzw. auf die Wirklichkeit ĂĽbertragen. 

Ich zitiere G. Cogliandro, der diese transzendentale Einheit des Erkennens in einem absoluten Wissen, oder später im Ich-Begriff, als die Lösung des kantischen Ding-an-sich-Problems ansieht: „Das ist auch die Kritik an den dogmatischen und den empirischen Philosophien und an der kantischen Kritik, die, von ihrem berühmten incipit aus: „Daß alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel”, die Erfahrung als Passivität beschreibt, und diese als ursprüngliche Wahrnehmung einer Realität, mit der eine Beziehung beginnen kann. Diese Beziehung kann aber nie eine vollständige Offenbarung sein, weil die Unbegreifbarkeit des noumenon der Schlüssel der Kritik ist. Die Wissenschaftslehre stürzt diese monistische Einstellung und setzt die Beziehung als ursprüngliches Prinzip, das der Wissenschaftlehrer nachkonstruiert, ohne sie aber zu erschöpfen, denn ihre möglichen Darstellungen sind unzählige. Die Wissenschaftslehre sucht nicht nach einer vollständigen Offenbarung der Wirklichkeit, wie es sich dagegen das idealistische System zum Ziel nimmt: sie sucht nach der vollständigen Offenbarung der Tätigkeit des Ichs, nicht nach ihren mannigfaltigen und zahllosen Formen.“ (G. Cogliandro, Die Dynamik der Fünffachheit in der WLnm, Quelle Internet, S 26)

Cogliandro sinngemäß (ebd.): Es ist transzendentalphilosophische nicht intendiert, eine vollständige Erkenntnis des Faktums und aller in ihr auftretenden Materien zu leisten, wie es Realismus oder Idealismus anstreben, noch die Erscheinung als bloße, idealistische Idee der Freiheit zu entwerfen und somit zu entwerten (ohne reale Bestimmung), sondern die Grundformen des Wissens sollen in der realen und idealen Reihe in einer systematischen Totalität erreicht werden, in einer endlichen Totalität von transzendentalen Wissensprinzipien.

Findet sich das Wissen als frei und ideal, so ist es schon zugleich real. „und es findet sich überhaupt nicht, ausser durch die Aeusserung seiner Freiheit, u. als frei.“ (ebd. S 32, Z 30) Es ist eine Kategorie der Wechselwirkung von realer Bestimmung und idealer Selbstbestimmung, eine absolute Relation, weil in der immanenten ERSCHEINUNG des Daseins des Absoluten (als „Ur-Erscheinung“) alles schon so vorgegeben ist. Das faktische Wissen zeigt sich deshalb so, weil es in seiner Genesis erblickt wird und umgekehrt ist das genetische Wissen, was faktisch erscheint, weil es substantielles Licht ist. „(…) absolut immanente Erscheinung: in sich selber gediegen, geschlossen, u. concret.“ (ebd. S 33 Z 4)

SchlieĂźlich bereitet FICHTE jetzt eine nächste, nochmals tiefer gehende Analyse vor: Ob man ĂĽber diese Faktizität in der Erscheinung nicht hinausgehen könne? Das Objektivieren des Wissens, das nach einem Sich-Bilden und einem inneren, allgemeinen Gesetz des substantiellen Lichtes die akzidentielle Freiheit erkennen lässt – wobei in Freiheit auch das Nichtsein Richtung Ende und Tod eingeschlagen gewählt werden kann –  dieses Objektivieren soll genetisch noch mehr durchdrungen werden, begrifflich verstanden,  wiederum durch Freiheit, als

„das wirklich in sich concrete Wissen, also noch tiefer. (Aus demselben Grunde erscheint auch in der W.L das Wissen von vornherein als frei.) Dieser Punkt umfaßt jenen (sc. das prinzipielle Wissen in seiner allgemeinen Objektivierung) aber er ist in sich selbst nicht der höchste, umfaßt nicht ganz sich selber. Also einen Mittelpunkt beider (sc.des Prinzipiellen und des Konkreten); tauglicher, als die Freiheit, die eigentlich nichts ist, nicht (zu) begreifen (ist).“ (ebd. S 33 Z 26ff)

Ich bin mir hier nicht ganz sicher, was FICHTE meint. Ich könnte es verstehen, dass ein bloß allgemeines Wissen noch nicht das „wirklich in sich concrete Wissen“ z. B. einer anderen Person erreichen kann. Ein Allgemeinbegriff eines Ich ist nur objektivierbar unter Voraussetzung, dass wirklich ein anderes Ich, ein Du gegenüber einem individuellen Ich, erscheint. Das Sich-Bilden des Ich – das dann noch kommen wird – muss irgendwann als reales Sich-Bilden hervortreten, sprich als Hervortreten eines Anderen.

Sehr schön wird dann das konkrete Gefühl charakterisiert. Das Vermögen der Freiheit und der idealen Selbstbestimmung wird dadurch nicht widerlegt, sondern im Gegenteil, sichtbar und real, in zeitlicher Erstreckung, begrifflich erfasst.

5. 1. 2022 (c) Franz Strasser

1Michael Gerten, Sein oder Geltung? Eine Deutungsperspektive zu Fichtes Lehre vom Absoluten und seiner Erscheinung. Fichte-Studien, Bd. 47, 2019, 204-228.

2Der Widerspruch zwischen Sagen und Tun, oder, was das Gleiche bedeutet, zwischen Denken und transzendentales Sein und Tun dieses Denkens, wird von FICHTE oft betont, um gerade den differenzierenden Geltungsbezug des Wissens ausdrücklich hervorzuheben. G. Gerten drückt es so aus: „Die reine Geltung kann nur als in sich immanent und als dem Wissen transzendent begriffen werden, welches Begreifen natürlich immanent im Wissen (als Verstand betrachtet) verbleibt, also selbst Ergebnis eines Hingeltens ist und so dem reinen Gelten zu widersprechen scheint! Dieser Widerspruch stellt sich in Fichtes Terminologie dar als der zwischen dem tatsächlichen Vollzug des Begreifens des Absoluten (Seins) durch das Denken und dem Gehalt dieses Begreifens des Absoluten als nicht durch das Denken, sondern ,durch sich selbst“. Vgl. M. Gerten, ebd., S 215.

3 J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens nach Joh. Gottl. Fichtes Wissenschaftslehre 1804/2, Hamburg 1977, S 303.304

4 In anderer Weise wird FICHTE im 4. Vortrag der Wissenschaftslehre im Sommer 1805 in Erlangen diese notwendigen Zusammenhänge von Erscheinung des Absoluten und Begriff der Existenz wiederholen, siehe dort GA, II, 9, ab der 3. Stunde, S 189ff.

5 M. Gelten: „ Auch das absolute Licht ist fĂĽr Fichte nicht das Absolute, die Geltung selbst, sondern der in sich helle Vermittlungspunkt, an dem und durch den es zum Dasein, zur Präsenz der Geltung im Wissen fĂĽr uns kommt, und zwar primär in der Evidenz und der mit ihr verbundenen Gewissheit, dass die Trennung zwischen der Wahrheit an sich und der erscheinenden Wahrheit fĂĽr uns‘ letztlich keine GĂĽltigkeit hat, dass die hingeltende‘ Geltung qualitativ keine andere ist als die reine Geltung. Sofern nun Einleuchten, Einsehen, Intuieren, Anschauen, Evidenz immer auch Bewusstseinszustände sind, zeigt sich deutlich, dass mit der Selbstvernichtung des Begriffs nicht das Bewusstsein als solches, auch nicht dessen heterologische Verstandesform, sondern nur die An-sich-GĂĽltigkeit‘ derselben negiert werden soll bezĂĽglich der Einen, absoluten, differenzlosen Einheit, des (absoluten) Seins.“ (ebd., Sein oder Geltung, S 223)
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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser