Kann der Islam eine Offenbarung Gottes sein?

Kann der Islam eine Offenbarung Gottes sein?1

Es geht nicht um die Frage, wie fassen wir die vermeintlichen Aussagen Gottes an Mohammed auf, sondern wie hat Mohammed sie selber gesehen? Wie konnte er selber den Bedingungen der Wissbarkeit nach sie erkennen?

1) Eine Wahrnehmung ist kein zureichendes Beweismittel für das, was wesentlich geglaubt und gewusst werden soll. Der Glaube, hier nicht irgendwie abschätzig gemeint, eher als höchstes Wissen verstanden, stützt sich auf Einsichten, die jedes Vernunftwesen theoretisch und praktisch selber im eigenen Herzen einsehen muss können.

Die an Mohammed (570/573 bis 632 n. Chr.), dann „Prophet“ genannt, übermittelten Botschaften, anfangs sogar sehr gewaltsam ihm aufgetragen, müssen unabhängig von der Erfahrung, unmittelbar und zeitlos, apriorisch in der Vernunft als wahr und richtig eingesehen werden.

Zur besseren Einordnung dieser Frage nach der Form der Offenbarung im Islam möchte ich eingangs die mir natürlich näher stehende Auffassung des Christentums skizzieren: Dort spielen nicht die Worte oder die Lehre von der Offenbarung Gottes (die Form) die erste Rolle, sondern die Person JESU CHRISTI selbst: „ego eimi“, „Ich bin es“ – heißt es im Johannes-Evangelium.

Jesus gründet seine Botschaft von Gott auf die Evidenz seiner eigenen Wahrheit und sein eigenes Sein.

Das ist ein eklatanter Unterschied, wie Mohammed das allgemein zu umschreibende Phänomen „Offenbarung“ gesehen hat und seine eigenen Rolle – und wie JESUS CHRISTUS sich gesehen hat.

Das Christentum ist m. E. keine Buchreligion im Sinne des Qur’an, sondern lebendige Vermittlung des Glaubens (als höchstes Wissen) durch eine Person. Die Hl. Schrift ist dann hinzukommendes, notwendiges Mittel der Botschaft, aber das Mittel steht nicht über dem Zweck und garantiert nicht selbst die pertinente Sinnidee, die von der ausgezeichneten Person JESU CHRISTI ausgeht.

2) Die Verständnismöglichkeit der Hl. Schrift und deren Inspiriertheit – Gottes Wort im Menschenwort – hängt mit einer bestimmten Philosophie und Anschauung des Vernunftwesens „Mensch“ zusammen, dass primär nicht eine Botschaft Gottes von außen an den Menschen gelangen kann, sondern innerlich, im eigenen Wollen und Herzen ist der Mensch befähigt, „Bild Gottes“ zu sein und zu werden – und durch Lektüre der Hl. Schrift, durch Interpersonalität, durch kirchliche Vermittlung, vorallem durch einen lebendigen Rückbezug auf die positive Offenbarung selbst, soll er das werden, was er ist, „Bild Gottes“.

„Bild Gottes“ zu sein und zu werden ist die adäquate Antwort auf einen substantiellen Anruf Gottes. Die in der katholischen Theologie oft vorfindbare Rede von der „Selbstmitteilung“ Gottes ist m. E. immer eine medial, von außen kommende Redeweise und Erfahrungsweise, die den intentionalen, apriorischen Bestrebungen der Vernunft und ihres Verhältnisses zu Gott nicht entspricht.

„Bild Gottes“ zu sein und zu werden ist Teilhabe direkt am trinitarischen Gottesbild von VATER-SOHN-HEILIGER GEIST, ist direktes Wohnen Gottes im endlichen Vernunftwesen. Kraft des dreifaltigen Gottes und kraft des Heiligen Geistes versteht der Mensch sein Bildsein und versteht er die Inspiriertheit der Hl. Schrift, versteht er eine übergeordnete Zusammengehörigkeit der Vernunftwesen in einer intelligibel vorgestellten Gemeinschaft („Kirche“) – und alle wortwörtlich dann in der Hl. Schrift niedergelegten Botschaften oder an Propheten ergangene Worte Gottes. Sie dürfen, ja müssen zu Bedingungen der Freiheit nach einer im Inneren jedes Gläubigen selbst liegenden Maßstab einer apriorischen Vernunftoffenbarung beurteilt werden. Die Botschaft mag der Form nach von außen kommend erscheinen – niedergelegt im Wort der Hl. Schrift, verkündet durch die Tradition der Kirche – doch die Wissbarkeit der Erkennbarkeit Gottes leitet sich keineswegs von einer von außen an das Vernunftwesen herangetragenen Botschaft ab.

Die „Form“ der Offenbarung im christlichen Glauben unterscheidet sich prinzipiell von der Form der Offenbarung, wie sie Mohammed verstanden hat – und sich selber gesehen hat. (Somit unterscheidet sich natürlich auch fundamental die Auslegung der Hl. Schrift und die Auslegung des Qur’ans.)

3) Der Islam besteht ja explizit darauf, dass die ergangene Offenbarung Gottes von außen an Mohammed und die Vernunftwesen herangetragen wurde (wird). Er besteht auf das Rezitieren und Nachsprechen des Bekenntnisses mit der Beifügung, dass Mohammed der Prophet sei – nicht der Offenbarungsträger und Heilsvermittler selbst.

Natürlich besteht der Islam ebenso darauf, das die von außen herangetragenen und aufgetragenen Worte zu verinnerlichen und zu realisieren seinen, aber dieser Nachvollzug und Mitvollzug stützt sich in seiner implikativen Begründung auf die Form einer von außen an den Menschen herangetragenen Bekanntmachung.

Eine pertinente Sinnidee im Sinne des Christentums, dass das Wesen Gottes sich selbst verzeitigen und vergeschichtlichen und inkarnieren kann in der Form interpersonaler Gemeinschaft und individuellen, innerlichen Lebens, im lebendigen Rückbezug dieser Sinnidee auf den absoluten Geltungsgrund einer positiven Offenbarung in JESUS CHRISTUS (implikativ) und lebendigen Auslegung in Zeit und Geschichte hinein (appositionell), diesen doppelten (implikativen und appositionellen) Geltungsbezug kann es durch den engen Form-Begriff des Islams nicht geben bzw. ist das dort nicht vorgesehen – soweit ich das verstanden haben. (Ich lasse mich des Besseren gerne belehren.)2

Es kommt auf das gläubige Nachsprechen und Befolgen der Weisungen des Qur’ans und der Hadithe (der Lebensbeschreibungen des Propheten) an, nicht auf eine kraft Inspiration des Heiligen Geistes eröffnete, vielfältige (wörtliche, allegorische, moralische, mystische) eigenständige und selbständige (nicht willkürliche) Lektüre und Interpretation der Hl. Schrift und um die tätige Neu-Auslegung und Realisierung.

Der Islam stützt sich auf ein über das fremdpersonale, andere Wort eines anderen Vernunftwesens hinausgehende WORT Gottes, auf eine übernatürliche Erscheinung. Das WORT Gottes im Qur’an ist Autorität schlechthin und darf nicht beliebig zerlegt werden in mögliche moralische Aussagen Gottes, was seine Heiligkeit betrifft, und in mögliche Aussagen, die nur Bedürfnis und Eigeninteresse des Propheten gewesen sein könnten oder das Bedürfnis anderer Stimmen. Aber seltsamerweise finden sich gerade viele verschiedene Stimmen im Qur’an. Gibt es hier nicht eine hermeneutisch geläuterte, einheitliche Form von Grundaussagen und die davon abzugrenzenden, nur zufällig vorkommenden, historischen Aussagen? 3

Anders gesagt: Die Hl. Schrift und der Qur’an haben verschiedene Bedeutungen in der Reihe der dogmatische Beurteilung des Wortes Gottes. Einmal als Werkzeug und Mittel zwecks eigener genetischen Erkenntnis des Wesens Gottes, das andere Mal (im Islam) als wörtliche Bekanntmachung eines selbst mehr oder minder unergründlichen Wesens Gottes. Dieses Wesen wird zwar ebenso wie im Christentum (wie Judentum) als heilige und barmherzig immer vorgestellt, aber die folgenden Anwendungsbedingungen dieses reinen und heiligen Willens fallen dann doch sehr verschieden aus. Sie reichen von heiligen Aussagen bis zur Verdammung und Verfolgung Andersgläubiger.

Eine historisch-kritische Aufarbeitung des Korans gibt es zwar bereits, aber für den Status der Offenbarung der geschriebenen Worte hat das selber nicht viel Bedeutung, es sei denn, man erlaubt sich eine kritische Prüfung der Aussagen nach dem apriorischen Maßstab, was ist Moralität und reiner Begriff Gottes und was sinnliches und subjektives Bedürfnis. Das wird aber unvermeidlich zu großen Streitereien und Diskrepanzen innerhalb des Islams führen, denn es fehlt die Pertinenz eines möglichen Rückbezuges auf eine positive Offenbarung, wie sie das Christentum kennt. Man streitet dann um den Status der Aussagen, wie sie wörtlich oder nicht – im Qur’an zu realisieren sind.

4) Die Möglichkeit der Offenbarung Gottes an Mohammed sei unbenommen, sowie sie jedem Vernunftwesen zugesprochen werden kann, sofern es sich als „Bild Gottes“ versteht. Einen unmittelbaren, personalen Offenbarungsträger, wie das Christentum JESUS CHRISTUS sieht, lehnen aber Mohammed und der Islam ab, obwohl Mohammed sicherlich diese Lehre gekannt haben wird, wenn auch falsch verstanden.

Er nennt sich ausdrücklich nur Prophet, weil er eine Offenbarung Gottes im Sinne einer Bekanntmachung in Form des Buches Qur’an promulgieren und verkünden wollte. Es werden irgendwelche historische Erscheinungen oder Hörerlebnisse dieser Niederschrift des Qur’ans vorangegangen sein, wie immer diese historisch-kritisch jetzt gesehen wird, aber die Historie sagt selber nichts über den Gehalt der Offenbarungen – und ist wohl nicht mehr genau eruierbar und spielt keine große Rolle.

Ist aber nicht sehr auffallend neben den neuartig gegenüber der Hl. Schrift der Juden und Christen erscheinenden Aussagen des Qur’ans, dass viele Geschichten des Ersten und Zweiten Testamentes übernommen sind, die dann frei interpretiert werden? Woher hatte der Prophet sein besonderes Wissen und die Freiheit, die Schriften des Judentums und Christentums eigenwillig auszulegen?

Erklärte er sich seine Offenbarungen nicht aus vorher gemachten Bekanntmachungen des Ersten und Zweiten Testamentes, auch nicht aus philosophischen Sätzen des Nachdenkens über Gott (wie die griechische Philosophie), so muss es eine für ihn bestimmte „Inspiration“ gegeben hat, die ihm diese Freiheit der Verbesserung und Korrektur der Hl. Schrift erlaubte. Wie erklärte er sich selbst diese neuartigen Offenbarungs-Phänomene? 4

5) Der Prophet des Islams in den vielen Zitierungen biblischer Aussagen muss zur Überzeugung gelangt sein, dass diese dort vorkommenden „Offenbarungen“ unzureichend sind. Er hat jetzt, andere, bessere Offenbarungen, die dann im Qur’an nachzulesen und im Leben und im Volk zu realisieren sind. Es liegt schon eine gewisse Offenbarung Gottes an ISR und an die Christen vor, aber wiederholungs- und verbesserungsbedürftig. 5

6) Die schwierige Frage ist, kann einer höchsten moralischen Idee von Gott eine Perzeption entsprechen? Kant leugnet diese Erfahrung aus Bedingungen der Wissbarkeit heraus; die christliche Tradition sagt natürlich etwas anderes, dass die höchste Idee (der Begriff Gottes) im Wesen JESU erkennbar ist. Wie sieht der Islam die Erkennbarkeit Gottes? Es liegt an der Form der Offenbarung selbst, der jetzt das ganze Gewicht der Perzipierbarkeit Gottes zufällt.

Die Form der Offenbarung zu denken – das hängt aber wiederum mit dem Vernunftbild und Menschenbild im Judentum, Christentum und Islam zusammen.

Prinzipiell muss die Aufforderungsfähigkeit und Annehmbarkeit des Wortes bzw. eines heiligen, reinen Willens, gegeben sein. Diese Voraussetzung teilen alle drei großen Religionen.

Aus der prinzipiellen Offenheit und Aufnahmemöglichkeit Gottes im Herzen (im Geiste), können aber jetzt zulässige oder unzulässige Ableitungen getroffen werden. Der Islam kennt hier m. E. eine autoritäre Gehorsamsstruktur aus Gründen der Form der Offenbarung: Das WORT Gottes, niedergeschrieben im Qur’an dürfe nicht zu Bedingungen der Freiheit und des eigenen Wollens ausgelegt werden. Im Gegenteil, gerade aus dem Aufforderungsverhältnis Gottes gegenüber dem Vernunftwesen „Mensch“, z. B. gut zusammengefasst in dem Wort, „sei ein gläubiger Muslim/Muslima“ (nach Gen 15, Aufforderung an Abraham), kann nur ein kategorisches Hören und Gehorchen folgen.

7) Im freien Nachdenken und Nachvollziehen der Vernunft ist jetzt die Frage, kommt man auf einen Begriff vom Wesen Gottes, seinem reinen und heiligen Willen, apriorisch, von sich her, oder nur vermittelt durch einen Text oder ein interpersonal vermitteltes Wort, wie es Mohammed verlauten ließ? Auf Rede und Schrift kann das Judentum und Christentum ebenfalls nicht verzichten, doch der Maßstab der wörtlichen und schriftlichen Hörbereitschaft und Erkenntnis bleibt stets zurückgebunden auf eine innere Stimme, auf das Gewissen – und zusätzlich, so im Christentum, auf die positive Offenbarung JESU CHRISTI. Die mediale Form der Sprache und Schrift ist als Form interpersonalen Verfasstheit des Vernunftwesens notwendig, doch der reine und heilige Wille Gottes liegt als absoluter Geltungsgrund jenseits dieser Form.

8) In Konfrontation mit der Frage nach der Erkennbarkeit des absoluten Geltungsgrundes (des heiligen, reinen Willens) taucht ebenfalls die Frage auf, warum überhaupt das Vernunftwesen Mensch nach diesem Willen fragen soll. Die Antwort ergibt sich ebenfalls aus dem Nachdenken über das Wesen des Vernunftwesens: Der Mensch ist teleologisch auf die Realisierung der absoluten Vernunft hingerichtet – und durch das Medium der Sprache, der Schrift, der Sittlichkeit, der Liebe, der Geschichte, generiert er den Erklärungsgrund der absoluten Geltung.

Die geschichtlichen Anwendungsbedingungen zur Erklärung aus einem absoluten Geltungsgrund sind im Christentum konform zur apriorischen Konstitution der Vernunft, wenn auch deren faktischen Erscheinungen nicht umgekehrt auf die Konstitution aus dem absoluten Geltungsgrund schließen lassen. Wir schließen zwar aus dem Faktum einer geschichtlichen Erscheinung, z. B. Geburt des Herrn, Tod des Herrn, Auferstehung, Himmelfahrt, auf das innerste Wesen Gottes, aber nur dank des apriorischen Lichtes von der prinzipiellen Offenbarung Gottes überhaupt, die sich in dieser Faktizität und in dieser Inkarnationsform ausdrückt. Die apriorisch erkannte Moralität Gottes bestimmt und durchwirkt die historischen Fakten und die Form der übernatürlichen, d. h. dann auch natürlich erscheinenden, Geschehnisse, nicht umgekehrt.

Dies bedingt wieder eine Reihe von Fragen, die unmittelbar mit dem Inhalt der Offenbarung selbst zusammenhängen. Ich möchte nur herausgreifen: Die Geschichte der Freiheitsentscheidungen liegt in einem unumkehrbaren Zusammenhang stets jedem Erkennen als teilweise determinierend und teilweise frei veränderbar voraus. Erlaubt der Offenbarungsbegriff eines reinen und heiligen Willens, der sich in absoluter Geltung positiv realisieren will, eine Satisfaktion und Restitution des Widermoralischen und Widersinnigen in der Geschichte? Im Offenbarungsbegriff des Christentum ist das absolute wesentlich! Erlaubt der Offenbarungsbegriff, wie ihn Mohammed verkündet hat, außer diesen spärlich gesäten Aussagen zur eschatologischen Vollendung im Paradiese, ebenfalls das Denken von Satisfaktion und Restitution des Guten gegenüber dem erlittenen Bösen?

In der Form der Offenbarung als Bekanntmachung liegt noch kein Inhalt außer selbst wieder Bekanntmachung und Aufforderung.

Das Vernunftwesen „Mensch“ braucht zur Erfüllung einer moralischen Forderung ein Urbild der Erlösung und Satisfaktion (der Vergebung) und Restitution. Es ist eine wesentliche Frage, wie können Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft „befreit“ werden zur Perzipierbarkeit und Erkennbarkeit der beschworenen Liebe Gottes und des reinen und heiligen Willens?

9) Die Form der Offenbarung im Islam – ich frage hier mittels „Offenbarungscritik“ Fichtes – ist der Begriff ein natürliches Datum, oder ein gemachtes Datum oder überhaupt ein erkünstelter Begriff?

Ein erkünstelter Begriff wäre z. B., dass das Wesen Gottes sowohl gut wie böse sei. Das kann aber nicht ohne Widerspruch gedacht werden, deshalb ist der Begriff nur erkünstelt. Das fällt hier weg.

Natürlich gegeben ist aber der Offenbarungsbegriff im Islam ebenfalls nicht, denn es wird ja historisch darauf beharrt, dass ein neuer, anderer, im Unterschied zu Judentum und Christentum verbesserter Offenbarungsbegriff in die Geschichte eingeführt worden ist.

Er ist ein gemachter Begriff, der auf einen Inhalt hinweist, dessen Form aber in expliziter Weise nur in seinem Verhältnis und in seinem Bezug zu einem a) absoluten Geltungsgrund und b) in seinem Verhältnis zu einem schriftgelehrten Text des Qur’ans und seines Propheten besteht.

Wenn der Begriff im Islam sich selber zum Objekt seines Begreifens machen würde – im Sinne eines Bezuges zum absoluten Geltungsgrund (a), wäre der hermeneutische Zirkel auflösbar, hier der Inhalt der Offenbarung, dort die Form der Offenbarung, da aber wesentlich der wörtliche Text und der historische Bezug zur historischen Person des Propheten (inklusiv der Hadithe) stets vorgeschoben werden, kann es keine Auflösung des Zirkels geben: Was die Form der Offenbarung inhaltlich sagt, ist Bekanntmachung, teilweise bekannt aus der Hl. Schrift der Juden und Christen, teilweise originär neu und aus anderen Quellen gespeist, und was den Inhalt der Offenbarung betrifft, so wird zwar auf Gott verwiesen, aber das zeigt sich wiederum nur als Form des gläubigen Hörens und Befolgens dieser Form.

Deshalb wieder die eingangs gestellte Frage: Wie hat hier der Prophet sich selbst gesehen? Als Mittel und Werkzeug einer an ihn ergangenen Botschaft, aber wie konnte er sich dieser Wahrnehmung sicher sein?

Wie konnte er in seinem Wissen und Gewissen von sich her bezeugen und sicher sein, dass sowohl ein heiliges Wort wie z. B. „sei ein gläubiger Muslim/eine gläubige Muslima“, als auch ein Wort der Vernichtung Andersgläubiger, ein und derselben Quelle entstammen?

Wenn er selbstkritisch gewesen wäre, wie er es hätte sein müssen, hätte er unterschieden zwischen möglicher Offenbarung des wahren, reinen und heiligen Willens und subjektivem, deshalb nicht zu befolgendem Bedürfnis.

Der Zirkel mögliche Offenbarung in einem gemachten Begriff und Einsicht in den Willen Gottes – er kann sich nicht auflösen, wenn der Begriff nicht selbst sich einzusehen vermag als das, was er ist: Verkörperung, Darstellung, Inkarnation des reinen, heiligen Willens – und nicht bloß gebrochenes, fehleranfälliges, sinnliches und historisches Wort.

Anders gesagt und in der Tradition Platons gesprochen: Das  Sichbegreifen des Begriffes vom reinen und heiligen Willen Gottes muss sich selbst zum Objekt des Denkens machen können, damit der Begriff beglaubigt und wahr sein kann. Das Denken der Prämissen bedeutet auch deren Vollzug, das Denken des reinen, heiligen Willens bedeutet auch dessen Vollzug. Das Denken der Freiheit bedeutet auch deren Sein (ihre Existenz), die Idee des Guten ist realiter der Vollzug des Guten, das Begreifen ist ein Selbst-Begreifen, der Begriff ist selbstständiger Grund seines Sichbegreifens – und die Objektwelt (hier das gehörte Wort, die schriftliche Fixierung) steuert nur das materiale Substrat für den actus des Begreifens bei.

10) Es geht um den (sinnvoll) gemachten Begriff der Offenbarung und um die Form der Offenbarung, deren Begriff sich selbst zum Inhalt und Objekt eines Sich-Begreifens machen kann.

Anders gesagt, es geht um eine Form der Offenbarung, die eine sich selbst begreifende, vernünftig gewonnene, falsifizierbare Idee einer besonderen, positiven Offenbarung sein kann.

Die positive Offenbarung ist der Form nach möglich denkbar, denn warum sollte der Begriff Gottes nicht von sich her erlauben, sich zu äußern, sich zu verzeitlichen und sich zu inkarnieren? Eine Offenbarung von vornherein zu leugnen, das hieße eine apriorisches Vorwissen von Gott zu haben, dass Gott sich nicht offenbaren könne – und ist nur angemaßtes Wissen.

Dass Gott sich offenbart oder geoffenbart hat, kann von der Vernunft her also weder bewiesen noch geleugnet werden.

Aus historischen Fakten lassen sich aber keine allgemeinen Schlüsse ziehen, wie Gott in seinem reinen, heiligen Willen ist. Das hieße, mit einem Wort Fichtes gesprochen, ein historisches Ereignis zu „metaphysizieren“ (Fichte, AsL).

Die Fragen nach dem DASS einer möglichen Offenbarung verschiebt sich immer wieder zur Frage nach dem WIE dieser Offenbarung, also zum Wie der Erkenntnisbedingungen – ganz in kantischer Tradition gefragt.

Der Islam in seiner dogmatischen Lehre – wobei ich mir hier nicht sicher bin – hat sich den absoluten Geltungsbezug durch einen verengten Vernunftbegriff der Bekanntmachung und der Vermittlungsform eines „Propheten“ ziemlich verbaut.

Das besagt aber weiterhin nichts über die Rechtmäßigkeit des Glaubens an eine positive Offenbarungsform Gottes.

So halte ich einen gläubigen Bezug zum absoluten Geltungsgrund für einen gläubigen Muslim/oder Muslima durchaus weiterhin für möglich.

11) In welcher Form der Offenbarung ist die adäquate Vermittlung von Gottesbegriff und Vernunftdenken zu fassen? Wie soll die moralische und religiöse Verwandlung der Wirklichkeit gedacht werden?

Nach dem (eingeschränkten) Vernunftbegriff heißt bei Fichte die Formulierung zum Sachverhalt einer möglichen Offenbarung: „Der deducirte Begriff ist wirklich der Begriff der Offenbarung, d.i. der Begriff von einer durch die Causalität Gottes in der Sinnenwelt bewirkten Erscheinung, wodurch er sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt.“ („Offenbarungscritik“, SW V, S 81)

Anders gesagt: Eine mehr als natürliche oder bloß fremdpersonale Erscheinung (Manifestation) kann möglich angenommen werden, aber wie soll in unserer natürlichen Welt, unter Bedingungen der Sinnlichkeit, diese Manifestation Gottes gedacht und erkannt werden? Es widerspricht nicht dem Denken von Gottes reinem, heiligem Willen, wenn er sich aus moralischen Gründen dem endlichen Vernunftwesen mitteilen will, ja entspricht sogar in eminentem Sinne dem reinen, heiligen Willen, dass er sich im „Bild Gottes“ des Vernunftwesens „Mensch“ a priori offenbaren will. Wie soll aber jetzt a posteriori in den Erscheinungen der Sinnenwelt die Offenbarung Gottes erkannt werden?

In der „Offenbarungscritik“ geht Fichte davon aus, dass eine Erkenntnis in der Form der Sinnlichkeit und Empirie nicht möglich ist – nur umgekehrt geht der Weg der Beweisführung, vom Apriorischen zum Aposteriorischen. (In den späteren WLn wird er diese Meinung dahingehend ändern, dass auch in concreto und in individuo die Sich-Erscheinung des Absoluten folgerichtig gedacht werden muss.)

Denn wenn es schlechterdings nicht möglich ist, den Begriff derselben a posteriori durch die gegebene Erscheinung zu bekommen, sondern er selbst, als Begriff, a priori da ist, und nur eine ihm entsprechende Erscheinung erwartet, so ist es offenbar Sache der Vernunft, zu entscheiden, ob diese gegebene Erscheinung mit ihrem Begriffe von derselben übereinkomme, oder nicht; und sie erwartet demnach von ihr so wenig das Gesetz, dass sie vielmehr es ihr selbst vorschreibt.“ (SW V; S 81)

12) Dass es eine Offenbarung Gottes gibt, ist möglich. Die Offenbarung würde der Sinnlichkeit „das Gesetz vorschreiben“. Sie durchbräche aber dann alle naturalen Gesetzlichkeiten dieser Welt. So die Stufe der „Offenbarungscritik“ von 1792/93.

Bedenken wir im Sinn der späteren WLn aber tiefergehend das transzendentale Sich-Wissen, kommen wir unweigerlich zu den Reflexionsideen, die das Wirken von Moralität in der Sinnlichkeit sogar notwendig deduzieren. Steigt man nochmals eine Stufe höher, kommt man zu den geschichtlichen und religiösen Evidenzen.

Anders gesagt: a) Wie kann Moralisches (Religiöses) in der sinnlichen Welt wirklich werden? b) Wie kann Widermoralisches mit der Forderung nach Verwirklichung einer moralischen Sinnidee (des reinen, heiligen Willens) zusammengehen?6

Das Christentum geht bekanntlich so vor: In der Sphäre des reinen, heiligen Willens gibt es schon das Denken einer Beziehung und Vermittlung, bezeichenbar als VATER-SOHN im HEILIGEN GEIST, und in diskursiven und sukzessiven Schritten bringt das endliche Vernunftwesen die Sinnidee der Offenbarung in die Zeit und Geschichte ein – mit dauerndem Sinnbezug zur positiven Offenbarung und in geschichtlichen Formen. Das endliche Vernunftwesen hat direkt Anteil an der trinitarischen Offenbarungsstruktur, ist in sich trinitarisch – und die Vermittlungsform der Sprache, der Schrift, des Lebens der Liebe, ist inspirativ zurückgebunden an diesen trinitarischen, absoluten Geltungsgrund, sofern es selbstbewusst und zu Bedingungen der Freiheit die moralische Forderung in der sinnlichen Wirklichkeit verwirklichen will.

Frage jetzt an den Islam: Gibt es diesen absoluten, pertinenten Bestimmungsgrund des „Barmherzigen und Allerbarmers“, vielfältig ausgelegt in implikativer Begründung und appositionellen Synthesen des Lebens, replikativ der Möglichkeit nach in apriorischen Vernunftsynthesen, reflexiv in der  Dekonstruktion der Begriffe des Qur’an, inspirativ grundgelegt in den Herzen der einzelnen wie in einer Gemeinschaft („ummah“)?  

Ich halte das in den Herzen der gläubigen Muslime/Muslimas für möglich. Es muss die Evidenzmöglichkeit einer absolut sich selbst begründenden Wahrheit zu Bedingungen der Freiheit  für den hörbereiten, gläubigen Hörer/Leser  gegeben sein, eine akthafte, prozessuale Entscheidbarkeit und Vergeschichtlichung des Gehörten in eigenen Worten und Taten. Die weiteren Ableitungen aus dieser Hör-Bereitschaft halte ich allerdings für höchst fragwürdig, wie sie im Laufe der Islam-Eroberung und der islamischen autoritären Regimen faktisch entstanden sind. Welche grausamen Formen das inzwischen angenommen hat – im Namen der Religion – entbehrt jeder Begründung und Rechtfertigung. Das Kriterium der Moralität, des reinen, heiligen Willens, muss in den sinnlichen Realisierungen der Möglichkeit nach zu erkennen sein, sonst ist die Offenbarung sicher nicht von Gott. (Fichte gibt in seiner „Offenbarungscritik“ in § 13 nach der kantischen Urteilstafel solche Kriterien an.)

(c) Franz Strasser, Okt. 2017 

1 Bekanntlich hat Fichte seine steile Karriere als Philosoph mit diesem Thema eines Begriffes der Erkennbarkeit Gottes („Versuch einer Critik aller Offenbarung“ 1792/17932 ) begonnen. Diese Schrift ist bei weitem nicht die endgültige Reflexion Fichtes zu diesem Thema geblieben, er hat es später noch besser formuliert, aber sie ist derartig begriffsscharf und tief, dass sie m. E. gut geeignet sein, die Botschaft des Islam auf dessen Erkennbarkeit zu prüfen.

Mit einem Seitenblick auf Vorlesungen von R. Lauth und im Blick auf die „Offenbarungscritik“ von 1792/93 möchte ich diese Fragestellungen bei meiner zugegeben spärlichen Qur’an-Lektüre stellen.

2 Der Prophet des Islams (Mohammed lebte von 570/573 bis 632 n. Chr.) hatte eine schlechte Kenntnis der biblischen und der christlichen Lehre, wahrscheinlich nur eine mündliche Kenntnis, vermutete einen Drei-Götterglauben im Christentum (Vater-Jesus-Maria!), war vom Monophysitismus, Nestorianismus, Arianismus schlecht beraten. (Wie es mit dem jüdischen Glauben aussah, müsste von dortiger Seite analysiert werden.) Auf jeden Fall wurde die kostbare Lehre des christlich- trinitarischen Glaubens oder die Zwei-Naturlehre Christi  von ihm völlig falsch verstanden, oder sie blieb ihm überhaupt unbekannt. Es entstand ein eigenartig neues Konstrukt eines Ein-Gott-Glaubens, dass sich aus  vielen Quellen speiste. 

3 Es finden sich: die Stimme Gottes, die Stimme Mohammeds, die Stimmen der Gegner, von Noah, von Abraham, von Mose, von Jesus, von Engeln, von Dämonen, von Frevlern, Zweiflern, Geretteten, Verdammten. Jedes mal wird eine neue Kommunikation aufgemacht mit unterschiedlichsten Bezügen, Inhalten, Adressaten. Welchen Status der Einsicht beanspruchen die verschiedenen Rollen?

4 Ähnlich bezog sich JESUS immer wieder auf die Bildungstradition des Volkes Israel und auf die ganze vorherlaufende Geschichte der Freiheitsentscheidungen, aber nicht im Sinne einer Korrektur oder Verbesserung, sondern im Sinne einer Vertiefung und Erneuerung eines ursprünglichen Sinns. Er redete in den Bildern und Geschichten des Ersten Testamentes, aber mit dem Maßstab des apriorischen Vorwissens in den Herzen der Zuhörer selbst, die durch ihn selbst die Wahrheit und Offenbarung einer Aussage erkennen sollten. Die Botschaft JESU war doppelt vermittelt: durch die Geschichte des Volkes ISR und der vorliegenden Texte – wie hätte er sich auch sonst verständlich machen können – und durch die genetische Erkenntnis der ZuhörerInnen. So verstand er schließlich sein eigenes Wesen aus dem absoluten Geltungsgrund – mittels geschichtlicher Evidenz und genetischer Evidenz. Der äußeren Form seiner Predigt nach wurde er auch als „Prophet“ tituliert, aber es geht nicht um diese Form und würde ihn absolut nicht begreifen.

5 Die ausdrückliche Einmaligkeit und Nicht-Wiederholbarkeit der christlichen Offenbarung stützt sich natürlich auf den persönlichen Charakter und das Wesen JESU CHRISTI, mithin auf den unwandelbaren Begriff von Gottes Wesen, das sich logischer Weise nur einmal und einzigartig offenbaren kann, sonst wäre ja Gottes Wesen selbst wandelbar oder unzureichend oder schwach, wenn hier etwas wiederholt werden müsste.

6Das waren immer wieder Fragen in den Vorlesungen von Reinhard Lauth. Es waren sagenhafte Überblicke!

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser