Zum Sinnbegriff in den TdB – 2. Teil

    1. Vorlesung: „(…) der Sinn ist die allgemeine Weise sich bewußt zu werden insbesondere in der Wahrnehmung, und die Qualität eine Bestimmung dieser allgemeinen Weise der Sichbewußtwerdens des Sinnes. (ebd. S 290 Z 21f)

    Eine Sinnesempfindung ist von vornherein eine spezifische Weise des Sichbewusstseins im Unterschied zu einer allgemeinen Weise. Der Sinn ist das Vermögen eines Sichselbstbewusstwerdens mit einem allgemeinen Charakter, während die sinnliche Qualität bzw. Empfindung durch ihren besonderen Charakter bestimmt  ist. Eine einzelne Sinneserfahrung enthält in sich selbst noch nichts Allgemeines und keinen Bezug zum Allgemeinen, sondern einzig und allein etwas Besonderes, nämlich die fragliche Qualität bzw. Empfindung.

    Dieses Verhältnis eines Vermögens „Sinn“ zu seiner besonderen Qualität hat aber nicht nur dieses abstrakte Verhältnis allgemein/besonders zur Grundlage, sondern betrifft die innere Verfassung der konkreten Wahrnehmung selbst und die Art und Weise, wie jede sinnliche Qualität oder Empfindung in Erscheinung tritt. „Fichte weist darauf hin, dass keine wahrgenommene sinnliche Qualität als etwas Losgelöstes, Isoliertes er scheint. Ihm zufolge verhält es sich vielmehr so, dass jede sinnliche Qualität sozusagen im Zeichen der Mehrzahl erscheint.“ 1

    Fichte geht so vor: Jede Qualität erscheint anstatt anderer Qualitäten, ja, anstatt aller anderen. Der ausschließende oder verneinende Charakter gehört zum Wesen der sinnlichen Qualität. Die Qualität oder Empfindung ist nicht ein bloßes, losgelöstes oder loszulösendes Quale, sondern Beschränkung eines Totalsinns.

    Die Qualitäten am Objecte sind einerseits gegenseitig sich ausschließende Bestimmungen des Sinnes.(ebd. S 290 Z 27 ).

    Fichte zufolge verhält es sich vielmehr so, dass der Sinn (der stets über die konkrete Wahrnehmung bzw. über die tatsächlich erscheinende Qualität hinausgehende Sinn) einen inneren Bestandteil der konkreten Wahrnehmung selbst darstellt. Der „ganze Sinn“ und der ihm inne wohnende Bezug zu der entsprechenden Gesamtheit verschiedener Qualitäten (etwa der gesamte Sehsinn und die ihm entsprechende „Gefärbtheit“) – ist sozusagen in der konkreten Wahrnehmung mit dabei.“2

    Wie in Teil 1 schon angekündigt, kommt jetzt der zweite Bestandteil zur Qualität/Empfindung der äußeren Wahrnehmung hinzu: die Ausdehnung

    Es ist zunächst einmal anzumerken, dass die Ausdehnung oder Ausgedehntheit nur die Qualität bzw. Empfindung betreffen kann, nicht die Objekte selbst.

    Kant hat über die Ausdehnung viele Bogen angefüllt. Wir gestehen, daß Kant das Wahre gesehen, wie denn auch diese Lehre der Haupt- und Mittelpunkt seiner Philosophie ist. Nur hat Kant es nicht klar angegeben. Sodann haben die Kantianer viele Bücher zusammengeschrieben über diese Materie ohne nur irgendwie den wahren Punkt zu treffen“.(ebd. S 291 Z 11f)

    Das muss aber jetzt genauer auf die Bedingungen der Wissbarkeit hin analysiert werden. Die erste Bestimmung der Ausdehnung lautet zuerst noch: „Die Ausdehnung ist durchaus keine Empfindung“ (2. Vorlesung, ebd. S 292 Z3) Trotzdem darf jetzt nicht die Ausdehnung sozusagen idealistisch überflogen und einfach hinzugesetzt  werden. Mangels Empfindung und Wahrnehmung idealistisch etwas erdenken, ist falsch. Es muss die Ausdehnung innerlich  angeschaut und abgeleitet werden.

    Nun ist die Ausdehnung aber so geartet, dass sie sich nicht einfach anschauen lässt. Es erscheinen zwar die sinnlichen Qualitäten stets als etwas Ausgedehntes, aber das sie Ausdehnende, das was zu den sinnlichen Qualitäten hinzukommt, das steht jetzt zur Frage. Wie ist das möglich? Woher die Ausdehnung? Der Vorstellungsinhalt der Ausdehnung  – wie ist er möglich bestimmbar?  

    Die Schwierigkeit kann Fichte schlicht und einfach lösen, indem er ein Experiment anstellt und per Appell jeden/jede zu dieser Einsicht führen kann: 

    Also wir müssen ein Experiment anstellen. Es ist nicht mehr das unmittelbare Wahrnehmen, sondern Wahrnehmen durch ein Experiment, d. h. durch einen neuen Act der Besonnenheit und Freiheit.“ (2. Vorlesung, ebd. S 292 Z 14)

    Die fragliche Anschauung hängt also von dem freien Akt ab, der sie ermöglicht und Wahrnehmung und Ausdehnung synthetisch zusammenführt.

    Das bedeutet aber jetzt nicht, dass Inhalt und Gültigkeit der Wahrnehmung und Anschauung vom freien Akt alleine abhängt, sozusagen idealistisch  erzeugt werden. Diese durch Freiheit und Besonnenheit zu gewinnende Anschauung zaubert nicht ein Objekt hin, sondern bestimmt sie nur gemäß den Regeln diese Anschauung und gemäß den Regeln eines Begriffes,  intellektuell, durch Denken.  

    (Am Ende des 3. Hauptkapitels wird FICHTE das eingehender erläutern: Die intellektuelle Anschauung ist nicht Anschauung eines willkürlich, idealistisch erzeugten Objektes, das wäre eine Art vorgestellte, „göttliche“  Anschauung möglich, sondern ist ein Gesetz für ein Objekt. Sie begründet nicht das Objekt.)

    (c) Franz Strasser, 22. 12. 2018

    1M. J. d. Carvalho, Ausdehnung und Freiheit, Fichte-Studien Bd. 45, 2018, S 66.

    2M. J. d. Carvalho, ebd S 67.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser