Zum Begriff des Transzendentalen – 2. Teil

Die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung im Sinne Kants, bzw. nach den Bedingungen der Möglichkeit von Wissen überhaupt, kann nur zu einer sich selbst begründenden und rechtfertigenden Wahrheit (causa sui) führen, andernfalls ein unendlicher Regress eröffnet wäre.

Die überdisjunktive, disjunktionslose Wahrheit wird gesucht – mit der Relation zu einer alles konstituierenden Disjunktionseinheit von Grund und Folge in einer Geltungsform (Form der Anschauung) des Sich-Wissens.  

Fichte reflektierte oft die Disjunktionseinheit Denken und Sein und die  notwendige Zweiheit des Selbstbewusstseins, die sich notwendig einstellt, sofern im Linienziehen der Einbildungskraft Zeit und Raum und Raumfüllung geschaffen werden. Nur ein Beispiel – aus seinen allerletzten Vorlesungen „Einleitung in die Wissenschaftslehre“ von 1813:

Stehen Sie still, u. bemerken Sie dieses doppelte Durch. So gewiß gesehen wird ein Sehen, so gewiß ein aus sich selbst quellendes schlechthin <anfangendes>, u. schöpferisches Durch jenes Raumfüllenden. Ein solches aber kann nicht gesehen werden, in dem subjektiven Sehen, ohne daß dieses ausdrüklich sich selbst verläugne, u. abläugne, als setzendes, u. sich verstehe als bloßes leidendes Nachbild, u. Reflex. Sich ver- stehe; d. i. daß das Bild jenes Sehens, dergl. es für uns seyn mag, es nicht bloß sey für uns, sondern für sich selbst, u. das Seyn deßelben begleitet sey von dem Denkbilde u. Charakterbilde, dem Begriffe“, daß es dies sey. Dieses, sich selbst als Bild u. Reflex erklärende Bild ist nun das zweite relative Durch, die Beziehung auf das erste sehende Sehen.” (GA II, 17, S 309.)

Das sekundär den Wissensakt nachvollziehende, abstrahierende Denken der Philosophie versucht in und aus dieser intellegierenden Quelle des Lichts, immer im selben Genus, die Teilbestimmungen des Seins wie des Denkens, als teilverabsolutierte Bestimmungen eines realistischen wie idealistischen Denkens, in Struktur und System, d. h. in Prinzipien der Erkenntnis (der Anschauung und des Begriffes), zu verstehen und zu explizieren. Es handelt aber damit nur sekundär, nachkonstruierend und vorkonstruierend – und kann natürlich über den primären, ursprünglichen Wissensakt nicht hinaus.

Anders gesagt: Die voraussetzunglose Einheit einer relationslosen Identität und disjunktionslosen Wahrheit,  die im Wissen in ihrer Erscheinungsform aufscheint, ist als Wissensform natürlich nur mehr  Reflex  und Reflexion der sich selbst begründenden, rechtfertigenden Wahrheit.  Im reflexiven Wissensvollzug spaltet sich notwendig – unter Bedingungen der Freiheit –  die disjunktionslose Einheit der Wahrheit in ein verobjektiviertes Mannigfaltige des Denkens und des Seins, aber doch eins bleibend in der Form eines „genetischen Erkennens“, d. h. erkennend, wie etwas im Denken ein bestimmtes Sein wird mit finalem, virtuellen Ende.  

Mit PLATON gesprochen – schon öfter zitiert:  

S508e Dieses also, was dem Erkennbaren Wahrheit mitteilt und dem Erkennenden das Vermögen hergibt, sage, sei die Idee des Guten; (Siehe bei Perseus entsprechenden Worterklärungen – Link anklicken: τοῦτο τοίνυν τὸ τὴν ἀλήθειαν παρέχον τοῖς γιγνωσκομένοις καὶ τῷ γιγνώσκοντι τὴν δύναμιν ἀποδιδὸν τὴν τοῦ ἀγαθοῦ ἰδέαν φάθι εἶναι: (…)

Die Idee des Guten steht im Wissensakt jenseits einer realistisch/idealistischen Disjunktion und ist doch Grund der Disjunktion.

Es sei hier deutlich einbekannt, dass dies die Hauptschwierigkeit sein wird, dass einerseits das Transzendentale und transzendentale Wissen auf eine relationslose Einheit hinauslaufen muss, andererseits aber gerade deshalb das Wissen nur im Gegensatz und  in einer freien Abhängigkeit davon  als Folge eines Grundes sichtbar werden kann. 

 

© 29. 10. 2015 Franz Strasser

 

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser