Charles Sanders Peirce, Neue Elemente – 2. Anfrage

Die Semiotik, die Lehre vom Zeichen, ist eine eigene Wissenschaft geworden. Nach einem Begründer der Semiotik, Charles Sanders PEIRCE, ist aber das eine unabschließbare Wissenschaft, weil der Kernbegriff (Bild) des „Zeichens“ selbst  ein unabschließbarer Begriff ist, insofern jede Deutung eines Zeichens ein weiteres Zeichen setzt, wodurch ersteres Zeichen verstanden werden soll, und letzteres Zeichen der Erklärung verlangt nach einem weiteren Zeichen usw. Das ist ein unabschließbarer Prozess, der eben in einem notwendigen zirkulären Zeichenbegriff  enden muss.  Das Zeichen ist relational definiert, bezieht sich auf etwas, und wird durch ein Drittes interpretiert, und das Dritte durch ein Viertes usw. Jedes Zeichen lädt zur permanenten Reinterpretation ein.

M. E. ist das eine unzulässige Hypostasierung des Zeichens selbst,  die zurückgenommen werden müsste zugunsten des  Reflexionsaktes, worin das Zeichen erst gebildet und gesetzt wird. Dazu hier dieser kurze Blog:

Die Bedingungen des Ist-Sagens und Zeichensetzens sind a) im Wissen begründet und b) das wiederholende Interpretieren und semiotische und hermeneutische Deuten eines Zeichens (und nachfolgend wären noch verschieden differentielle Sichtweisen möglich) beruht auf einer analytischen Einheit der Form des Setzens, die für sich im Erkenntnisakt geschlossen sein muss, damit überhaupt ein wiederholendes und unabschließbares Deuten möglich wird.

Woher das Wissen um die analytische Einheit des Wissens?

In der Faktizität der Reflexion, die offensichtlich (faktisch) das Wissen immer vollzieht, und dies analytisch und synthetisch zugleich, indem es die sinnliche und intellektuelle Anschauung durch einen Begriff bestimmt, lässt sich auf einen Grund dieses implikativen und appositionellen Setzens (des Wissens) schließen. Der Grund oder das Fundament dieses Wissens ist ein Sich-Wissen, ein Wissen um ein Tun, das aber infolge des Tuns zu einem synthetischen Wissen bzw. zu einem Bewusstsein wird.

Fichte prägte für die Einheit im Wissen den Begriff der „Tathandlung“, worin Anschauung und Begriff vereinigt sind.1 Es ist die Anschauung der Freiheit, die implizit gesetzt ist, wenn das Sehen selbst gesehen wird.  Sollte die Anschauung der Freiheit weiter reflektiert werden, offenbart sich die notwendige Gesetzlichkeit im Wissen, die sich analytisch-synthetisch vollzieht und zu einer Vernunftsynthesis schließt –  falls sie mit Freiheit vollzogen wird. Ein noch völlig unbestimmtes, aber bestimmbares Ich wird durch Reflexion selbstbestimmend und bestimmtwerdend (vernünftig) aufgebaut. Alles ist dann im Selbstbewusstsein und im Bewusstsein idealiter und realiter gesetzt, weil es im und nach dem Grunde eines „absoluten Ichs“ gesetzt ist.

Die faktische Zweiheit in der Reflexion ist aber damit eine genetisierte Zweiheit, nicht ein absolut vorauszusetzender Zirkel von Denken und Sein bzw. Sein und Denken. Der „Zirkel“, sofern man dieses Wort noch gebrauchen kann, ist ein notwendiger Reflexionszirkel, weil er durch Freiheit zustande gekommen ist bzw. permanent sich bildet. Durch die Einsicht in seine Notwendigkeit ist er nicht unbegründet und grundlos gesetzt, sondern durch einen Grund im absoluten Ich abgeleitet und bestimmt. Die Reflexion muss notwendig synthetisch sein, wenn das empirische Ich praktisch und theoretisch sich setzen will, weil sie eben als solche begründet ist in und aus der durch Freiheit einzuholenden Setzung des „absoluten Ichs.“

Eine Wechselbestimmung von Anschauung und Begriff würde nie die Einheit des fühlenden und vorstellenden Ichs erreichen, gäbe es nicht die unabhängige Tätigkeit eines darüberliegenden „absoluten Ichs“.  Die in jedem Reflexionszirkel zu machende Erfahrung von Denken und Sein, Begriff und Anschauung, ist immer schon eine geforderte Erfahrung der Freiheit und dem Soll nach, m. a. W. eine begriffene Anschauung,  sonst könnte es zu überhaupt keinem Wissen kommen. Die Erfahrung ist deshalb nicht eine bloß gefundene, sondern eine durch Freiheit bedingt gefundene Erfahrung. 2

Der Grund des Herausgehens der Freiheit zur Reflexion – und damit auch zur Zeichensetzung in der Sprache – ist a) genetisch und apriorisch wissbar gesetzt  und b) ermöglicht die unendliche Zeichensetzung im Wissen und durch das Wissen. Das Wissen wird dabei in jedem Akt der begriffenen Anschauung geschlossen und zugleich wieder geöffnet (im Schweben der Einbildungskraft). „Ich weiß von meinem Denken nur, inwiefern ich es durch mein Tun erblicke.“ (Wlnm, GA IV/2, 210)

Aufgrund dieser intuierten und fraglosen Gewissheit, die sich in einer genetischen Herleitung des Wissens aus dem „Existentialakt des Lichtes“ 3– der Ausdruck stammt aus den Wln ab 1804  – bezeugt, kann von einer analytischen Einheit des Wissens ausgegangen werden.

Es widerspricht aber nicht der analytischen Einheit des Wissens,  dass sie sich zur synthetischen Einheit gleichzeitig öffnet: Dies hängt mit der praktischen und theoretischen Konstitution eines individuellen und sich selbst bestimmenden Ichs in einem interpersonalen Zusammenhang zusammen: Diese Konstitution ist a) praktisch bedingt durch die Erfahrung des Gefühls, das eben einerseits nur synthetisch begriffen werden kann, aber andererseits selbst wiederum nur analytisch auflösbar ist als Streben nach einer virtuell vollendeten und vollkommenen Sinnidee. Die Konstitution ist gleichzeitig b) theoretisch bedingt durch das Schweben der Einbildungskraft, worin unabhängige Tätigkeit und Anstoß synthetisiert werden, diese Synthese aber nicht stattfinden könnte, wäre nicht jede Anschauung zugleich analytisch begriffene Anschauung.

Das Schweben (griech. dialegein) der Einbildungskraft liefert zwischen dem durch den Anstoß verendlichten und dem die Unendlichkeit ausfüllenden Ich (im Streben) ein Bestimmbares, das aus der übergeordneten einen Vernunft genetisiert und bestimmt wird. Von einer höchsten formalen Einheit der Erkenntnis, dem Setzungsgrund, der „Tathandlung“, die zwischen Absolutem und dem daraus genetisierten, bestimmten Wissen liegt, verfolgt die WL die systematische Konstitution der Innen – und Außenwelt eines schließlich interpersonalen und individuellen Ichs. Das konstitutionsgenetische Prinzip der transzendentalen Apperzeption und die daraus folgenden Zeit- und Raumanschauung und kategoriale Anwendung der Verstandesbegriffe stehen somit unter keiner weiteren Einschränkungsbedingung als einzig unter der höchsten Einschränkungsbedingung des Absoluten (einem Postulat, einem Soll), das sich in einem vielfältigen Sinn der Realisierung durch Vernunft und Freiheit  inkarnieren will. Die „transzendentale Erkenntnisart“ bei FICHTE, um im Wortlaut KANTS zu bleiben und doch den Unterschied festzumachen, ist dahingehend ausgeweitet, dass das apriorische Vorwissen der Vernunft schlechthin die Basis aller Wissbarkeit (aller transzendentalen Erkenntnisart) ist. Dieses apriorische Vorwissen baut auf der Basis von Einschränkungsbedingungen eines intelligiblen totums des absoluten Ichs auf.4

Der Grund der Möglichkeit und die Begründung des synthetischen Wissens liegt also, was ich gegen obige Semiotik eines PEIRCE anführen will, nicht in äußeren Zeichen und realistischen Begründungen in der Entelechie des ganzen Universums begründet, als deckten von sich her logisch und symbolisch die Zeichen die Wirklichkeit ab, in einer Art realistischen Abbildtheorie,  sondern die Zeichen in ihrer Faktizität sind im selbst unsichtbaren, epistemologischen Reflexionsakt des Wissens gebildet und begründet. Der Reflexionsakt des Wissens (oder die Reflexivität des Wissens) konstruiert den Reflex einer Ur-Erscheinung des Absoluten nach, ist Nachkonstruktion einer vorkonstruierenden Bedingung einer genetischen Gewissheit, Intellektion einer intuierbaren  Einsicht. Die Reflexivität eines Ich-Denkens, die Ichheit, ausgegliedert dann als interpersonale Gemeinschaft und individuelles Ich, erfolgt nach einem notwendigen Gesetz einer analytisch-synthetischen Einheit der Sich-Erscheinung des göttlichen Seins.

Die Unabschließbarkeit der Deutung des Zeichens bei PEIRCE, in einem unerklärlichen Realismus festgestellt,  bezieht ihre Kraft aus dieser notwendigen und sich durchhaltenden Wesensgesetzlichkeit des Wissens, die sich analytisch-synthetisch stets zu einer neuen Deutung zusammenfassen und wieder öffnen kann. Das Wissen muss einerseits formale Einheit sein, damit es überhaupt zu einer wiederholenden Realisierung von mehreren Deutungen ansetzen kann, abgesehen jetzt von der praktischen Seite der Realisierung von Freiheit, andererseits kann es nur formale Einheit sein, weil die Einbildungskraft transzendierend diese formale Einheit (die begriffene Anschauung) überschreiten muss bei jeder Hemmung bzw. jedem Anstoß. Die Kraft der Reflexivität des Wissens kommt aber damit nicht aus der Wechselbestimmung von Denken und Sein, Deuten und Zeichen, sondern kommt aus der Forderung (dem Postulat), das Gesetztsein des Seins mit dem Sein des absoluten Ichs in Übereinstimmung zu bringen, in einem wahrhaften Bildsein zu bewähren, praktisch und theoretisch. Oder noch kürzer ausgedrückt: Das Gesetz zur Reflexion ist im wahren Sein des absoluten Ichs begründet, also analytisch schon bestimmt, worauf das reflexive Ich synthetisch re-flektiert, d. h. auf das absolute Soll zurückkommt und dessen wahrhaftes Bild des Seins bildet und nachbildet.5

Der nicht durchschaute semiotische Zirkel eines PEIRCE  kann deshalb  transzendentalkritisch aufgelöst und erkannt werden. Weil das Wissen analytisch-synthetische Einheit ist, kann es Zeichen setzen und gebrauchen, um eine mittels mediatisierter Zeichen  sinnliche und geistige Welt aufzubauen. Der semiotische (oder hermeneutische) Zirkel geht notwendig aus einer analytischen Einheit hervor, damit auch eine synthetische Einheit in Bildern und mediatisierten Zeichen möglich denkbar und dann realisierbar wird.  Aber deshalb brauche ich keine dogmatische angesetzte Realität hinter den Zeichen, eine Entelechie des ganzen Universums, anzusetzen, wodurch erst wieder nichts erklärt oder einsichtig wäre.

Von einer Unabschließbarkeit der Zeichendeutung bzw. der Hermeneutik zu sprechen, wie oben von mir begonnen, diese Rede versteht sich selber nicht und widerspricht sich, setzt sie doch implizit die Wahrheit eines Gewussten voraus und eine formal abgeschlossene Einheit des Wissens. Die hermeneutische Unabgeschlossenheit ist dogmatischer Realismus bzw. überzogener Idealismus der Selbstsetzung von Deutung.

Kant hat diese platonische Idee  der Einheit von Denken und Sein in seiner transzendentalen Erkenntnisart zu bestimmen versucht, halt nur für den sinnlich, gegenständlichen Bereich.  Der große Unterschied zu Fichte ist, dass dort nicht mehr von zwei Erkenntnisstämmen ausgegangen wird, von Anschauung und Verstand, sodass transzendentale Ästhetik unverbunden neben transzendentaler Logik zu liegen kommt, sondern  Anschauungs- und Denkformen entspringen einer analytischen Quelle der Erkenntnis: In und aus Vernunft wird die apriorische und selbstreflexive Denkform entwickelt, die sowohl die Anschauungsformen wie die Kategorien und reflexiven Ideen (die Umkehrung der Kategorien) analytisch und synthetisch zu entfalten vermag. Die selbstreflexive Denkform ist nicht faktisch und dogmatisch als Realismus oder Idealismus angesetzt,  sondern genetisch aus dem Soll  des Seins nach den Wesensgesetzen der Reflexion abgeleitet.

Das Bewusstsein ist frei, dieses innere Gesetz der Reflexion nachzuvollziehen oder nicht. Tut es das nicht, muss es zwangsweise entweder sich selbst überhöhen in einem Schein-Transzendentalismus, oder sich determinieren lassen in einem sinnlichen oder intelligiblen Realismus/Fatalismus. Dann ist aber die Aufgabe der Philosophie nicht erfüllt, die Prinzipien der Erkenntnis aufzustellen und  anzuwenden. Man bricht dann vorzeitig den Erkenntnisprozess ab und begnügt sich z. B. mit unendlich auszulegenden Zeichen.

© Franz Strasser, 20. 3. 2019

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Verwendete Literatur: Charles Sanders PEIRCE Neue Elemente. In: Zeichen über Zeichen. Texte zur Semiotik von PEIRCE bis Eco und Derrida. Hrsg. v. Dieter Mersch, München 1998, 37-56.

Klaus Hammacher, Der Begriff des Wissens bei Fichte. In: Transzendentale Theorie und Praxis. Zugänge zu Fichte. Fichte Studien, Supplementa, Amsterdam-Atlanta, 1996, 1- 27.

1 GWL, SW, I, S 234: „ Es ist sehr nöthig, den Begriff der Thätigkeit sich hier ganz rein zu denken. Es kann durch denselben nichts bezeichnet werden, was nicht in dem absoluten Setzen des Ich durch sich selbst enthalten ist; nichts, was nicht unmittelbar im Satze: Ich bin, liegt. Es ist demnach klar, dass nicht nur von allen Zeitbedingungen, sondern auch von allem Objecte der Thätigkeit völlig zu abstrahiren ist. Die Thathandlung des Ich, indem es sein eigenes Seyn setzt, geht gar nicht auf ein Object, sondern sie geht in sich selbst zurück. Erst dann, wenn das Ich sich selbst vorstellt, wird es Object.

2Vgl. Erste Einleitung in die WL, SW I, 445: „Sie ist etwas nothwendiges, das aber nur in und bei einer freien Handlung vorkommt; etwas gefundenes, dessen Finden aber durch Freiheit bedingt ist.“

3Der „Existentialakt“ bedürfte näherer Erklärung: Siehe dazu z. B. WL 1805. Die Unbegreiflichkeit der Genesis des Lichts und die Projektion Gottes in der Lichtform fällt zusammen. Es muss dies ein unbegründeter Akt bleiben, durch den Gott sich in die Lichtform projiziert. Seine Projektion in die Lichtform ist seine Existenz, ist Existentialakt.

4 SW I, § 5, ebd. S 278 „Und so ist denn das ganze Wesen endlicher vernünftiger Naturen umfasst und erschöpft. Ursprüngliche Idee unseres absoluten Seyns: Streben zur Reflexion über uns selbst nach dieser Idee: Einschränkung, nicht dieses Strebens, aber unseres durch diese Einschränkung erst gesetzten wirklichen Daseyns*(6) durch ein entgegengesetztes Princip, ein Nicht-Ich, oder überhaupt durch unsere Endlichkeit: Selbstbewusstseyn und insbesondere Bewusstseyn unseres praktischen Strebens: Bestimmung unserer Vorstellungen darnach (ohne Freiheit, und mit Freiheit): durch sie unserer Handlungen, — der Richtung unseres wirklichen sinnlichen Vermögens: stete Erweiterung unserer Schranken in das Unendliche fort.“

5 SW I § 5, S 248 „Das Ich überhaupt ist Ich; es ist schlechterdings Ein und ebendasselbe Ich, kraft seines Gesetztseyns durch sich selbst (§.1).  Insofern nun insbesondere das Ich vorstellend oder eine Intelligenz ist, ist es als solches allerdings auch Eins; ein Vorstellungsvermögen unter nothwendigen Gesetzen: aber es ist insofern gar nicht Eins und ebendasselbe mit dem absoluten, schlechthin durch sich selbst gesetzten Ich.(sc. die Intelligenz ist dann synthetische Reflexion, aber dem Handeln nach wissend darum).

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser