Transzendentalkritische Lektüre – Ignatius von Antiochen, oder die Priesterweihe von Frauen; 3. Teil

Ich sehe hinter den Begriffen „Bischof“, „Priester“, „Diakon“ zwar nicht reine Vernunftbegriffe, sie sind historisch gewachsen und entstanden, deshalb auch historisch relativierbar, aber sie tragen eine besondere transzendentale Auszeichnung an sich, weil sie Zeugnis abzulegen können für a) eine Erinnerungs- und Gedächtniskultur der positiven Offenbarung und b) mit dem kategorischen und teleologischen bzw. eschatologischen Zweck, eine sakramentale Heils- und Sinnordnung zu errichten.

Anders gesagt: „Geweihte Ämter“ (per Mann oder Frau ausgeübt) haben den Zweck und die „regulative“, transzendentale Idee, das Gedächtnis zu pflegen und eine genetische Heils- und Sinnordnung bis in unendlich ferne Zeiten zu bezeugen.

Das mit den Vernunftbegriffen muss genauer dargelegt werden: Ich verweise hier zuerst auf Kant: Kant hat in der KdU (1790) den Zweckbegriff in einem regulativen Sinne verstanden. Wir wissen ihn nicht genau herzuleiten, er ist eine subjektive Maxime, weder Naturbegriff noch Freiheitsbegriff, „weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beilegt (…)“

Kritisch jetzt zurückgefragt: Was nützt uns dieser „regulative“ Begriff, wenn er nicht anschauungsbezogen ist und konstitutiv gültig ist und wirkt?

Dieser transscendentale Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur ist nun weder ein Naturbegriff, noch ein Freiheitsbegriff, weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beilegt, sondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen, vorstellt, folglich ein subjectives Princip (Maxime) der Urtheilskraft; daher wir auch, gleich als ob es ein glücklicher unsre Absicht begünstigender Zufall wäre, erfreuet (eigentlich eines Bedürfnisses entledigt) werden, wenn wir eine solche systematische Einheit unter bloß empirischen Gesetzen antreffen: ob wir gleich nothwendig annehmen mußten, es sei eine solche Einheit, ohne daß wir sie doch einzusehen und zu beweisen vermochten.“ KdU, Einleitung, Bd V, 184.

Anders dann FICHTE: Er verwendet den Zweckbegriff konstitutiv: Z. B. in der Wlnm (1796-1799) wird von einer Synthesis des Lebens ausgegangen, das im aufsteigenden Sinne  analysiert wird: Es wird mit einem Zwangs- und Kraftgefühl auf der realen Seite  und einem Streben und einem Trieb der Selbstbestimmung auf der idealen Seiten begonnen, bis die durch den Zweckbegriff distributiv zu denkende Einheit des Lebens erreicht ist. Ohne Zweckbegriff könnte ein Begriff des Lebens, der Bewegung, der Artikulation, der Organisation, nicht erkannt oder bestimmt werden.

Das kann jetzt auf das geistige und auf das kirchliche Leben übertragen werden: Nur durch eine distributive Einheit eines zweckgerichteten Lebens gibt es eine universale Heils- und Sinnordnung, eine universale Personengemeinschaft und in specie ein kirchliches und sakramentales Leben.

KANT verwunderte sich noch über die Notwendigkeit, eine Maxime der Zweckgerichtetheit in die lebendige Natur (siehe Zitat oben aus der Einleitung der KdU) hineinlegen zu müssen, deren Rechtsgrund er aber nicht angegeben konnte.

Von Fichte her muss umgekehrt gesagt werden, dass ohne konstitutiven Zweckbegriff weder eine Einheit des Begriffes Leben, noch eine Einheit einer intelligiblen, interpersonalen Welt möglich wäre.

Wiederum übertragen auf eine Heils- und Sinnordnung, die durch genetische Erkenntnis einer apriorischen und positiven Gottesoffenbarung erreicht werden kann: Die positive Offenbarung, die ihren Rechtsgrund in sich hat, insofern sie eine Helligkeit des Guten und des Wahren, der Rettung und Erlösung darstellt, ist ein Prinzip der Einheit, das disjunktiv sowohl das ideale wie reale Leben des einzelnen christlich Glaubenden bestimmen kann. Die positive Offenbarung ist als kategorische und teleologische Idee angesetzt, als Bestimmtheit eines Reiches vernünftiger Wesen und erlösten Menschseins, als Bestimmtheit der Liebe und der Vergebung.

Im existentiellen Vollzug meiner selbst werde ich mir dieser Identität einer sowohl apriorischen Bestimmtheit durch ein Reich vernünftiger Wesen wie einer apriorischen Erlöstheit und Vergebung durch die positive Offenbarung bewusst, und setze deshalb notwendig-zweckhaft andere vernünftiger Wesen und setze hinsichtlich der positiven Offenbarung einen pertinenten Bestimmungsgrund meiner Zeit und Geschichte voraus, um so meinem und unserem aller Leben einen sinnvollen Anfang, Mitte und Ende zu geben.

Der Zweckbegriff ist in allen Bereichen des realen wie idealen Lebens konstitutiv und notwendig vorausgesetzt  – und hier eben bezogen auf die rechtliche Ebene anderer Personen und bezogen auf die individuell ideal-moralische wie universell religiös-gnadenhafte Gemeinschaft.

Es kann eine elementare Begriffsstruktur von Zeit (=Z), Begriff (=B), und Topos (=T)  in einem allgemeinen Ordinationsgefüge (=O) der Wirklichkeit aufgestellt werden, um eine Heils- und Sinnordnung in allen ihren Begriffsfolgen rational begründen und realisieren zu können. 

Dies sei noch näher ausskizziert: Es muss eine a) zeitlich-geschichtliche Begründung und Rückführung dieser Heils- und Sinnordnung auf die reale Person JESU CHRISTI von allen für alle zu jeder Zeit gegeben sein, sprich eine Gedächtnis- und Erinnerungskultur, die in vielen Praktiken und Riten und Geschichten und Gebeten und Gesängen etc.  besteht. Alle Sakramente müssen in einem kreativ, weiten Sinn auf diese positive Offenbarung beziehbar sein, natürlich auch das kirchliche Amt. Eine bloß historische oder sonst wie archaische, religionswissenschaftliche, psychologische Begründung eines kirchlichen Amtes kann nicht gerechtfertigt werden;

b) die Erinnerung an JESU heilsvermittelnden Tod und seiner Auferstehung sowie der Ausblick auf seine Wiederkunft führt zu einem bestimmten Begriff von Erlösung und Vergebung, der als ideales Sein stets schöpferisch weiterinterpretiert werden muss;

c) der Topos dieses Begriffes von Erlösung und Vergebung gilt in der ganzen „katholischen“ Praxis der Liturgie, der Verkündigung, der Caritas und Gemeinschaft;

d) das Ordinationsgefüge dieser neuen Gemeinschaft muss durch entsprechende Leitlinien und Begriffe für jedermann/jederfrau nachvollziehbar und einsichtig sein.

Noch eine Nebenfrage: Wieweit der Begriff der „Repräsentation“ für die Beschreibung und Definition eines kirchlichen Amtes taugt, werde ich anhand der säkularen Ämter in einem Staat noch prüfen, weil dort ebenfalls von „repräsentativer“ Demokratie und „Repräsentanten“ des Volkes, des Gesetzes etc. die Rede ist. Im katholischen Kirchenrecht wird zwecks Legitimation kirchlicher Ämter und kirchlicher Machtstrukturen gut und gerne auf den Begriff der „Repräsentation“ zurückgegriffen. Priester „repräsentieren“ im Vollzug der Hl. Messe die Person Jesu Christi, die Bischöfe „repräsentieren“ symbolisch die Nachfolger der Apostel, der Papst „repräsentiert“ den Apostel Petrus usw…

Die Historie kann willkürlichen Deutungen ausgeliefert sein, wenn man nicht einen übergeordneten, respektvollen Begriff der Genealogie und der Geschichtsreihe und des Gedächtnisses kennt. Der Begriff der „Repräsentation“ bedarf deshalb genauer begrifflicher Begründung – siehe dann weitere Blogs von mir. 

Ein Beispiel: Die „Kirchengründung“ anhand der Berufung der Zwölf Aposteln in den Evangelien, in Nachfolge des Bildes der 12 Stämme Israel,  ist selbst schon gestaltetes Schema, um irgendwie das Neue der Sammlung des Volkes in verfassungsmäßige Formen zu bringen. Die 12 Apostel sind hermeneutische Deutung eines vorliegenden Schemas, Schema eines Schemas, ansonsten die Botschaft nicht verstanden worden wäre. Daraus abzuleiten, Jesus habe aber in seinem JüngerInnenkreis nicht Frauen explizit zu diesen 12 Aposteln gezählt, ist schlicht und einfach eine Verwechslung der distinctio realis und der distinctio rationalis. Man begründet irgendwie rational einen männlichen Zwölferkreis und überträgt das auf die Objekte des Denkens. Dabei war es ja eher umgekehrt, dass oft und gerne von Frauen in der Gefolgschaft Jesu die Rede  gewesen ist und in entscheidenden Situationen die Männer gefehlt haben.  Warum steht das so drinnen? Das muss ich ebenfalls  respektvoll lesen. Ich unterscheide rational, eigentlich nicht real, worauf es der Vorstellung nach den Evangelisten angekommen ist: Jesus die Treue zu halten  – und als Beispiel die Frauen – ideell das Volk neu zu sammeln – und als Beispiel die 12 Apostel. Ich „denke“ nicht die Frauen oder die Männer und übertrage sie auf  reale Ämter, ich beziehe Vorstellungen von Frauen und Männer auf eine Idee. 

Vorzugeben zu wissen, wie Jesus in seinem Willen gedacht hat, dass nur mittels männlicher Apostel das Volk Gottes neu gesammelt werden könne, ist eine psychologische Unterstellung und Tiefeneinsicht, die wir nicht haben – und widerspricht  wörtlich der viel weiter zu fassenden Sammlungsbewegung. 

Den Textlaut zu einer Stelle der Berufung der Zwölf Aposteln möchte ich damit gerade nicht geringschätzen, im Gegenteil, denn ich sehe einen genetischen Sinn einer hohen Idee dahinter: das Volk Gottes wird durch konkrete Personen mit unterschiedlichen Charakteren und durch konkrete Namen aufgebaut, aber geeint durch eine Idee (inklusiv Abspaltung davon in der Person des Judas). Die 12 Apostel sind eine allegorische Idee, den Sinn von Kirche zu beschreiben. Diese Idee ist nicht männlich. Diese allegorische Kunst der Schriftauslegung – das bewundern wir ja bei den Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte bzw. auch bei jüngeren Autoren. 1

© Franz Strasser, 29. 9. 2019

————-

1Es gibt die allegorische Schriftauslegung durch die ganze Geschichte. Ich möchte nur irgendein Beispiel bringen, das ich gerade gelesen habe: Matthias Eberhard, + 1876, „Josefs Leiden“. Aus einer intelligierenden Mitte der Erkenntnis der göttlichen Offenbarung wird die Geschichte interpretiert.  „Die Trauerszenen im Leben Josefs haben größere Bedeutung als die Schmerzen und Leiden eines gewöhnlichen Menschenlebens. Sie finden ihre ganze und volle Aufhellung und Lösung erst in Christi Leiden. Das Leben und Leiden unseres Erlösers Jesus Christus wirft sein Bild, seinen Schatten in diese Geschichte hinein. Es ist, als ob das schmerzerfüllte Antlitz Jesu Christi entschleiert, als ob der Tod des unschuldigen Lammes dargestellt würde. Lauschet auf die Mordpläne, welche im Kreise der Brüder Josefs verabredet werden. Ist es euch nicht, als ob ihr die Schriftgelehrten und Pharisäer hörtet, wie sie unheimlich zu Rate sitzen und die Einleitung und die Voranstalten zum Leiden Christi treffen?
Wie Josef ihnen im strahlenden Kleide entgegenkam, so ging auch Jesus denen entgegen, welche gesandt waren, ihn zu greifen, und bot sich selber ihnen an.
Habt ihr nicht in Ruben schon ein Gemälde des Pilatus? Beide haben Scheu, den Tod auszusprechen. Ruben wollte Josef retten, wie Pilatus Jesum; aber beide sind feige, und offen aufzutreten wagte keiner von beiden. Beide wollten etwas nachgeben. Der eine läßt den Unschuldigen in die Grube werfen, der andere gibt ihn anderer Mißhandlung preis: beide wollen vermitteln. Beide sind an dem Frevel beteiligt, den sie verhüten wollten. Selbst bis auf die Ausdrücke und die Redensarten gleichen sie sich. Ruben sprach: „Vergießt kein Blut! Bewahret eure Hände rein!“ (1) Pilatus wäscht sogar seine Hände, die Reinheit anzuzeigen, und spricht: „Ich bin unschuldig am Blut dieses Gerechten.“ (2) Schauet den Verkauf Josefs, den Verkauf Christi. Die zwanzig Silberlinge klingen in des Juda Händen und wecken die Anklänge an die dreißig Silberlinge, womit Christus verkauft wurde. Josef wurde den Heiden überliefert. Geschah es nicht auch so mit Christus? Josef wurde seiner Kleider beraubt, Christus nicht minder. Und wenn ihr seht, wie Josef in die Grube gesenkt, wie er ausgetilgt wird aus dem Lande der Lebenden, wie sollte der Tod Christi sprechender dargestellt werden? Sehet, wie in den Leiden Josefs das Leiden und der Tod Christi sich spiegeln.“

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser