Transzendentalkritische Lektüre – Ignatius von Antiochien, oder die Priesterweihe von Frauen; 3. Teil

Transzendentalkritische Lektüre – Ignatius von Antiochien, oder die Priesterweihe von Frauen; 3. Teil

Ich sehe hinter den Begriffen „Bischof“, „Priester“, „Diakon“ zwar nicht reine Vernunftbegriffe, sie sind historisch gewachsen und entstanden, deshalb auch historisch relativierbar, aber sie tragen eine besondere transzendentale Auszeichnung an sich, weil sie Zeugnis ablegen können für a) eine Erinnerungs- und Gedächtniskultur der positiven Offenbarung und b) mit dem kategorischen und teleologischen bzw. eschatologischen Zweck, eine sakramentale Heils- und Sinnordnung zu repräsentieren. 

Anders gesagt: „Geweihte Ämter“ (als Mann oder Frau ausgeübt) haben den konstitutiven Sinn und den regulativ-praktischen Zweck, eine Erinnerung lebendig zu halten und eine apriorische Sinnidee und eine positive Offenbarung zu verzeitlichen und zu vergeschichtlichen. Es soll eine genetische Heils- und Sinnordnung bis in unendlich ferne Zeiten bezeugt werden, eine Heilsordnung der Rettung.

Darin sehe ich auch den Wert und der Sinn einer Generationenreihe von Heiligenverehrung – oder auch den Sinn der besonderen  Hochschätzung solcher Dokumente wie der IGNATIANEN. Sie legen zurecht einen Maßstab fest,  wie z. B.   LUMEN GENTIUM Kap. 10  das für diese Briefe tut. Sie erheben Anspruch auf Autorität, die nicht gering geachtet werden darf.  Der „Traditionsbeweis“  ist geschichtlich  für mich  von höchster, erkenntniskritischer Bedeutung, aber nicht deshalb, weil er historisch ist, sondern weil er einen genetischen, überzeitlichen Gehalt und Zweck  in ablaufender Zeit repräsentiert. 

Das mit den Zweckbegriff muss genauer dargelegt werden: Ich verweise hier zuerst auf Kant: Kant hat in der KdU (1790) den Zweckbegriff in einem regulativen Sinne verstanden. Er meint, wir wissen ihn nicht genau herzuleiten, er ist eine subjektive Maxime, weder Naturbegriff noch Freiheitsbegriff, „weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beilegt (…)“ 

„Dieser transscendentale Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur ist nun weder ein Naturbegriff, noch ein Freiheitsbegriff, weil er gar nichts dem Objecte (der Natur) beilegt, sondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen, vorstellt, folglich ein subjectives Princip (Maxime) der Urtheilskraft; daher wir auch, gleich als ob es ein glücklicher unsre Absicht begünstigender Zufall wäre, erfreuet (eigentlich eines Bedürfnisses entledigt) werden, wenn wir eine solche systematische Einheit unter bloß empirischen Gesetzen antreffen: ob wir gleich nothwendig annehmen mußten, es sei eine solche Einheit, ohne daß wir sie doch einzusehen und zu beweisen vermochten.“ KdU, Einleitung, Bd V, 184.

Anders dann FICHTE: Er verwendet den Zweckbegriff konstitutiv: Z. B. in der Wlnm (1796-1799) wird von einer Synthesis des Lebens ausgegangen, das im aufsteigenden Sinne  analysiert wird: Es wird mit einem Zwangs- und Kraftgefühl auf der realen Seite  und einem Streben und einem Trieb der Selbstbestimmung auf der idealen Seiten begonnen, bis die durch den Zweckbegriff distributiv zu denkende Einheit des Lebens erreicht ist. Ohne Zweckbegriff könnte ein Begriff des Lebens, der Bewegung, der Artikulation, der Organisation, nicht erkannt oder bestimmt werden.

Das kann jetzt auf das geistige und auf das kirchliche Leben als „Organismus“ übertragen werden:  Nur durch eine distributive Einheit eines zweckgerichteten Lebens (Glaubens) gibt es eine universale Heils- und Sinnordnung, eine universale Personengemeinschaft und in specie ein kirchliches und sakramentales Leben.

KANT verwunderte sich noch über die Notwendigkeit, eine Maxime der Zweckgerichtetheit in die lebendige Natur (siehe Zitat oben aus der Einleitung der KdU) hineinlegen zu müssen, deren Rechtsgrund er aber nicht angegeben konnte. Von Fichte her muss umgekehrt gesagt werden, dass ohne konstitutiven Zweckbegriff weder eine Einheit des Begriffes Leben, noch eine Einheit einer intelligiblen, interpersonalen Welt möglich wäre.

Das möchte ich jetzt  übertragen auf eine Heils- und Sinnordnung, die durch genetische Erkenntnis einer apriorischen und positiven Gottesoffenbarung begründet ist:  Die  doppelte Offenbarung, die ihren Rechtsgrund in sich hat, insofern sie eine Helligkeit des Guten und des Wahren, der Rettung und Erlösung (Satisfaktion und Restitution) ist, ist ein Prinzip der Einheit, das disjunktiv sowohl das ideale wie reale Leben des einzelnen Gläubigen gegenwärtig,  als auch zukunftsorientiert und hoffnungsstark erfüllen kann.  Mit PAULUS gesagt und konform zur begrifflichen Idee einer distributiven Zweckeinheit,  die Heils- und Sinnordnung ist wie ein „Leib“, der „Leib Christi“, der durch viele Teile erst ein Ganzes ist und durch die Teile zusammengehalten wird. 

Das sei noch näher skizziert:
Es kann eine elementare Begriffsstruktur von
Zeit (=Z), Begriff (=B),  Topos (=T)  und allgemeines  Ordinationsgefüge (=O) der Wirklichkeit aufgestellt werden, um eine  Heils- und Sinnordnung in allen ihren Begriffsfolgen rational zu begründen und  sichtbar zu machen. 

Ad Zeit: Es muss (jetzt speziell für diese Frage kirchlicher, sakramentaler Ämter) eine zeitlich-geschichtliche Begründung und Rückführung der Heils- und Sinnordnung (der kirchlichen Gemeinschaft) auf die apriorische wie positive Offenbarung in der Person JESU CHRISTI von allen für alle zu jeder Zeit möglich und wirklich sein, sprich eine Gedächtnis- und Erinnerungskultur, die sich in  vielen Praktiken und Riten und Geschichten und Gebeten und Gesängen etc.  zeigt. Wie dieser geschichtliche Rückbezug verläuft, ist eine  darzulegende Frage – und kann ich hier nur andeuten: Sehr vielfältig, kreativ, verstandlich, vernünftig, juridisch, moralisch, projektiv-religios.   

Ad Begriff: Unter „geschichtlichen“ Rückbezug verstehe ich  mehr als eine bloß historisierende oder sonst wie religionshistorische, psychologische oder  kulturwissenschaftliche  Begründung und Herleitung. Die Erinnerung und das Gedächtnis an JESU heilsvermittelnden Tod und seiner Auferstehung, sowie der Ausblick auf seine Wiederkunft ist eine geschichtlich pertinente Sinnidee,  die als ideelles Sein schöpferisch allen weiteren geistigen Akten zugrundegelegt werden kann.  

Ad Topos: Die pertinente Sinnidee des Begriffes von Erlösung und Vergebung gilt  für alle von allen zu jeder Zeit innerhalb eines Topos von Liturgie, Verkündigung, Caritas  in der figuralen  Repräsentationsform „Kirche“. 

Ad Ordinationsgefüge: Die  Sichtbarmachung der geschenkten Erlösung und Vergebung, sprich die ganze ekklesiologische Umsetzung, vollzieht sich im Rahmen des „Grundsakramentes“ einer universalen interpersonalen Gemeinschaft.  Die Begriffe dafür wären „Volk Gottes“ oder „Communio“ u. a.

Gerade deshalb ist aber die Umsetzung und Applikation des Sinns einer apriorischen wie positiven Offenbarung ebenso eine Frage der Pragmatik und Klugheit, wie sie  individuell und interpersonal und gesellschaftlich und zeitlich bewahrt und erneuert und lebendig gehalten werden kann.  Nur konservativ (im schlechten Sinne) auf alte Formen  zu vertrauen, kann dem zeitlosen Geltungssinn der Offenbarung widersprechen, wie umgekehrt bloße andere, „neue“ Formen und Ideen noch nicht den Inhalt der doppelten Offenbarung repräsentieren müssen.  

© Franz Strasser, 29. 9. 2019

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser