Evolutionstheorie – 7. Anfrage; Natur und Gesellschaft;

1) Das zeitliche Werden, das die Evolutionisten in der sinnlichen Natur und in der menschlichen Geschichte  metaphysisch erkennen zu können glauben, endet in einer Rede von Klassifikationen,  Taxomierung, historischen Ereignissen, einer Hinterstellung von  kausal-mechanischen Abläufen und Naturgesetzen, die aber nicht wirklich zu erkennen sind. 

Man steigert sich in hinein in  eine Wechselwirkung von  energetischen Systemen und emergenten Entwicklungen, die zusammengefasst werden unter dem Abstraktum „Evolution“. Sobald auf diese interpretative Lese- und Redensart eingeschwenkt wird, ist aber m. E. der Boden der natur-kausalen und nachvollziehbaren Erklärungen verlassen und der Reflexionsakt vernebelt. 1

Die transzendentalen Begründungen des zeitlichen Werdens aus den Wissensbedingungen (einer übergreifenden Einheit des Bewusstseins) sind völlig im Dunkeln gelassen, die Reflexion über Zeit und Raum ist objektivistisch hingestellt als handelt es sich beide Male um zwei Behälter oder zwei seiende Anschauungsformen – eigentlich ein Wunder, dass es Zeit und Raum gibt und noch gibt!? Es müsste nach diesem Standpunkt des evolutionären Gewordensein eigentlich alles schon abgestorben oder zuende sein, weil ja keine Erzeugungsquelle, keine ursprünglich produzierende Einbildungskraft und kein substantieller Denk- und Selbstbestimmungsakt für das Denken von Zeit und Raum namhaft gemacht werden können.


Allaugenblicklich
neu und spontan, nicht evolutionär gewirkt und angelernt, reagieren wir in unserem gehemmten Streben – und erzeugen theoretisch und sittlich-praktisch die Zeit und das Zeitverstehen aus Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft – und erzeugen den Raum. Eine evolutionär-reale oder evolutionär-ideale Erklärung, die per se eine Zeit und einen Raum außerhalb des Bewusstseins für eine Erklärung verantwortlich macht, ist selbst keine Erklärung mehr, weil sie nicht erkannt werden kann.  

Mit der WLnm von FICHTE in der fünffachen Reflexionseinheit des erkennenden und tätig-wollenden Ichs gesprochen:  Reale und ideale Reihe der Selbstbestimmung, d. h. zeitliche und erinnernde Selbstbestimmung bedingen sich gegenseitig im Schweben der Einbildungskraft –  und sind synthetisch vereinigt durch eine apriorische Einheit des Wissens in einer Sinnidee und einer sein sollenden Realisierung von Vernunft. Wird diese reflexive Vermittlung der Zeit in der reellen wie idealen Reihe vergessen, kommt es schnell zu gefährlichen naturalen Fehlschlüssen bzw. gesellschaftlichen Entgleisungen.

Ein einfaches Beispiel einer Reflexionsvergessenheit einer bloß naturalen Weltbeherrschung darf ich bringen: Die angebliche Beherrschung der Atomkraft – welche Einschränkungen an freier Selbstbestimmung sind für nachfolgende Generationen damit geschaffen? Diese scheinbare technische Machbarkeit ist absolut geschichtslos, denn der reale Energiegewinn ist ideell gesehen eine schwere Hypothek! Mit welchem Recht entscheidet sich eine Generation für diese Technik mit Folgewirkungen auf Tausenden von Jahren für nachkommende Generationen?  Wie soll das gerechtfertigt werden? Und was könnte eine Evolutionstheorie zu dieser praktisch-sittlichen Beurteilung von Atomkraft beitragen, wenn sie einen sittlichen Zweckbegriff und ein sittliches Streben gar nicht kennt, höchstens den Zweckbegriff des physischen Überlebens? Sie vermag vielleicht noch an das Gefühl zu appellieren, das Leben zu schützen oder das Überleben zu sichern, doch welchen nachhaltigen Wert hat dieser Appell im Rahmen des evolutionären Selbsterhaltungstriebes?  Überzeugt der Selbsterhaltungstrieb ein freies gemeinsames Wollen?


Das Verstehen zeitlicher Bedingungen hängt sowohl a) spontan vom naturgebenen Streben (bei jedem Lebewesen), als auch b) bewusst frei von einem Zweckbegriff ab, den die ursprünglich produzierenden Einbildungskraft notwendig zu einer realen und idealen Reihe einer zeitlichen Entwicklung aufbaut. An sich wird nichts in der Natur und entwickelt sich nichts. Nur im zeitlichen Werden des Bewusstseins selbst wird festgesetzt, was Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft heißt – und dieses zeitliche Werden wird übertragen auf die anorganische und organische Natur und  auf die gesellschaftliche und geistige Wirklichkeit. Weil ich mich durch den Leib notwendig dem biologischen Sein der Natur zugehörig fühle, erkläre ich mir die Natur um mich ebenso geworden wie mich und noch in viel größeren und astronomischen Ausmaß.

Aber dass und wie diese wunderbare Symbiose mit der Natur durch meinen Leib geschieht, das deduziere ich aus Gesetzen und Idealformen, die nur in der Vernunft liegen und auf die Natur übertragen werden.

„Der Empiriker will durch die Beobachtung einer Menge Bäume lernen, was ein Baum sey. Ich aber möchte wissen, wie er beim allerersten Baume hätte wissen können, dass dies ein Baum sey, u. nicht – etwa seine Nase.“ (Thatsachen des Bewußtseins, 1813, SW S 433.)

Weil ich zusammen mit anderen und in Ansehung einer sinnlichen Natur und einer subjektiven und objektiven Bestimmtheit mich vorfinde, akzeptiere ich gerne eine ökologische und biologische Sichtweise, akzeptiere ein evolutives Gewordensein der anorganischen Natur, glaube Homologien in Fossilien und jetzt lebenden Tieren zu erkennen, aber deshalb, weil ich ipso facto einen intentionalen Wert damit verbinde. Dieses Gebirge, dieses Fossil, dieses Weltall, das hat bei aller Unerklärlichkeit und meiner Unwissenheit einen Sinn. Der Sinn und der Wert kommen aber nicht durch die subjektive oder objektive Bestimmtheit, oder gar durch evolutionären Prozesse. Das astronomische und ökologische und biologische Sein eines Minerals, einer Pflanze, eines Tieres, oder des Menschen,  ist Teil eines größeren Ganzen eines Vernunftzwecks. Ich Individuum, mit meiner kleinen Wahrnehmung und kleinem Wissen, baue eine zeitliche und geschichtliche Reihe des Erkennens auf, ich, ein kaum wahrnehmbarer Teil der Schöpfung, bin zur Vernunft fähig. Das vermag eine Evolution nicht.

In einer „Evolution“ bin ich weder Teil, noch nehme ich eine originäre Schöpfungsstelle ein, denn es gibt weder ein vernünftiges Ganzes noch ein vernünftiges Teil. Die „Evolution“ kennt keine Größe und Schönheit, keine Teilrealisation, kein Bedauern über das Vergehen, keine Freude über das Werden.

2) Zeit und Geschichte, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, so wurde oben ausgeführt, beginnt mit einem elementaren Empfinden, das im Streben bzw. im naturgebundenen Trieb, gefühlt wird. Die ursprünglich produzierende Einbildungskraft tut ihr weiteres.2

K. HAMMACHER schreibt zu diesem Gefühl des Strebens, dass damit kein Irrationalismus in die Philosophie einzieht, sondern die rationale Durchdringung der Wirklichkeit bewährt sich zuerst im Gefühl und als Gefühl. Wir erkennen aber dabei nur die Wirkung des Strebens, nicht die Ursache.
Erst der Wille stellt die Vorstellung jenes Strebens als Empfindung  dar – und ist selbst reflektierte Erscheinung. (FICHTE, GA II, 3, 1, 184) Wir erkennen die Wirkung aus dem Zweck, den wir uns gesetzt haben. 3 „Damit spielt aber im Zweckbegriff jene innere Tätigkeit, die das Gefühl anzeigt, mit. Die Wirkung, Kausalität, ist beim Zweck in der Empfindung gegeben, aber nicht als eine tatsächliche Kausalität des Ich auf das Nicht-Ich, sondern als Erhöhung des Strebens. (GA II, 3, 189)

Mit dem Zweckbegriff nehmen wir die Zukunft in das zeitliche Werden auf, sofern wir im Zweck die Wirkung als Ursache vorwegnehmen, und zwar als Wirkung einer bestimmten Ursache.

Deshalb meine siebte Anfrage: Welche „Erhöhung“ und  Gesamtstrategie steckt hinter der „evolutionären“ Erklärung? Ist es tatsächlich die theoretische Neugier, konsistente, über natur-kausale Erklärungen hinausgehende Kräfte  des Universums zu finden, Kräfte und Prozesse des genetischen und biologischen Lebens, Kräfte gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen, für die man sonst keine kausalen Erklärungen hätte? Oder steckt hinter der theoretischen Neugier, die prinzipiell nicht zu verwerfen ist, noch ein anderes Interesse oder eine bloß psychologisch zu verstehende Verdrängung?  Geht es wirklich um naturale Verstehensprozesse,  um paläontologische Deutungen der Hominisation, oder ist der Zweck ein latent anderer? Ich möchte damit nichts ad personam sagen, aber soll durch die alles dominierende Evolutionstheorie  die Selbsttätigkeit der Vernunft und die ganze Freiheit des Menschen unbewusst-bewusst auf ein nur naturbezogenes Maß individueller oder manipulierter Geltungsansprüche heruntergedrückt werden? Wird damit nicht eine gesellschaftliche Non-Utopie verfolgt?  4

Die Mitte der Einheit des Wissen für den sinnlichen Bereich des Verstehens von Natur wie für den gesellschaftlichen  Bereich der Selbstbestimmung innerhalb einer Personengemeinschaft muss höher gefasst werden als eine realistische oder idealistische These je bieten können. In allem implikativen und apponierenden, d. h. zeitlichen Kausieren, im spontanen wie im freien Reagieren und Agieren, offenbart sich eine Sinn- und Realisierungsforderung, die in der unwandelbaren Geltung einer kategorischen Vernunftforderung und in einer zeitlich-geschichtlichen Sinn- und Wertrealisierung  endet. Eine transzendentale Zeit- und Geschichtstheorie, die dann sehr wohl einen Begriff von Zeit und Geschichte, von Entstehen und Vergehen und einen Begriff von Entwicklung im originären Sinne zu entwickeln vermag, steht konträr entgegengesetzt zu einer Evolutionstheorie. Eine von selbst ablaufende „Evolution“ naturaler oder gesellschaftlicher Prozesse ist dogmatisch,  bedeutet einen vorzeitiger Abbruch eines philosophischen Fragens nach einer sich selbst begründenden Wahrheit und Rechtfertigung,  und endet in einem primitiven Machtentscheid.  

© Franz Strasser, 7. 5. 2017

1Die Frage, ob z. B. bloß von einem Wandel von Eigenschaften von Individuen über Generationen hinweg innerhalb einer biologischen Art gesprochen werden soll, von sog. „Kooptionen“, oder doch von neuartigen Entstehung von Organen, Strukturen, Bauplantypen, qualitativ neuen Genen etc.,  da sind sich Naturwissenschafter uneins. Siehe z. B. download . 05.12.12  Wieviel Evolution ist durch Kooption möglich?

2Vgl. R. LAUTH, Naturlehre 1984, 17 – 23; oder siehe dazu FICHTE,  PRACTISCHE PHILOSOPHIE GA II, 3, 183

3Vgl. K. Hammacher, Kategorien der Existenz, a. a. O., S 103.

4Ich denke nur an die eugenischen und rassistischen Theorien des 19. Jhd.; oder derzeit versucht man aus neuronalen Erkenntnissen die freie Selbstbestimmung zu falsifizieren und den Menschen zu „beglücken“.  Siehe z. B. Thomashoff, Hans-Otto: Ich suchte das Glück und fand die Zufriedenheit. Eine spannende Reise in die Welt von Gehirn und Psyche. Ariston Verlag 2014.

Print Friendly, PDF & Email

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser