Weil mich die Sache berĂĽhrte, wollte ich nach den transzendentalkritischen Bedingungen fragen, die einen bestimmten Begriff konstituieren. Ich ging dabei davon aus, dass kirchliche Weihämter wie „Bischof“, „Priester“, „Diakon“ nicht bloĂź leere Begriffe oder Relikte einer verworrenen Naturreligion seien, historisch undurchschaubar, oder umgekehrt, dass sie bloĂź gesatztes, kirchliches Recht seien, beliebig eingefĂĽhrt, beliebig veränderbar, sondern einen tieferen Sinn haben, oder hätten, falls sie  glaubwĂĽrdig gelebt werden. Â
Eine transzendental-kritische Frage nach der Sinn-Bedeutung der Begriffe zielt auf die epistemologische und genetische Bildung derselben.Â
Eine falsche Alternative der Ergründung von Begriffen wäre, dass a) entweder der Sinngehalt metaphysisch unveränderlich vorausgesetzt würde, inklusiv des Geschlechtes, und hier darf nichts verändert werden, oder b) der Sinn diese Begriffe und Ämter ist nur historisch und deshalb beliebig veränderbar. Dann weiß man aber nicht, warum überhaupt und warum gerade diese Ämter gewählt wurden, und ob man noch bei diesen Ämtern bleiben soll, geschweige bei dieser Fokussierung auf das männliche Geschlecht.
Meine Sicht: Nicht aus WillkĂĽr, Patriarchalismus oder Machtinteresse drängte der Hl. IGNATIUS/der Autor zu einer kirchlichen Ă„mterstruktur, sondern aus der Notwendigkeit der Realisierung der göttlichen Sinnidee mussten Ă„mter geschaffen werden. Warum es nur diese drei grundlegenden Ă„mter wurden, warum in dieser hierarchischen Stufenordnung in bestimmte Dreier-Form, warum nur Männer, das ist wohl historisch zu verstehen und liegt nicht notwendig im Gehalt der Sinnidee selbst, sondern nur an den veränderlichen Begleitumständen.Â
Es liegt m. E. unbezweifelbar in den IGNATIANEN eine innere, transzendentale Dynamik der Begriffsbildung, die uns Einsicht gewährt, warum im Laufe der Geschichte des 2. Jdh. neue, sakramentale Religionsformen geschaffen wurden.Â
Nur historisch-kritisch lässt sich die Frage nach einem Geltungsgrund einer sakramentalen, neuen Ordnung nicht lösen. Man liest z. B. dass infolge aufgelassener Tempel die frei gewordenen Priester weiter beschäftigt werden mussten etc… ?Â
Ich suchte einen analytischen Begriff: Die Begriffsform der göttlichen Heils- und Sinnidee ist Nachkonstruktion der bloßen Gesetzesgenesis der apriorischen und positiven Offenbarung, ist eine transzendentale, regulative Sinnidee. Dies verlangt in genetischer Erkenntnis eine sakramentale Repräsentation, u.a. auch in der rechtlichen Form der Weiheämter – aus diversen Gründen, wie in den Teilen 1-5 beschrieben.
  Es trat durch die, wie die Theologen sich gerne ausdrĂĽcken, „Selbstmitteilung“ Gottes in seiner apriorischen und positiven Offenbarung, eine eindeutige Gerichtetheit und Verzeitung in die vom Vernunftwesen erkennbare Differenz von Einheit und Nichteinheit der Erscheinung Gottes auf, eine interpersonale und zeitliche Schematisierung.
1) Es ist nun die Schönheit der Transzendentalphilosophie, dass sie das Sichbegreifen des Begriffes zum Objekt macht und nicht im metaphysischen oder hermeneutischen Zirkel hängen bleibt. Da gibt es einerseits das vorausgesetzte Material, das Begriffene (die apriorische und positive Offenbarung), andererseits das freie Begreifen und den freien Umgang mit dieser Erfahrung. Dieser Zirkel kann von da nach dort und umgekehrt aufgelöst werden, wenn die Einsicht sich selbst einzusehen vermag als das, was sie ist. 1
Spielen wir das begrifflich durch: WĂĽrde ein mögliches Substrat fĂĽr eine kĂĽnftige Einsicht z. B. in eine kirchliche Ă„mterstruktur, theoretisch angenommen, dass es sakramentale Ämter historisch gegeben hat und weiterhin geben muss, die aber nur Männern vorbehalten sind, wie der „dogmatische“ Weg behauptet, oder es kann Bischöfe, Priester, Diakone beiderlei Geschlechts geben, wie der „emanzipatorische“ Weg sagt – so ist beide Male ein Substrat gesetzt, das eigentlich noch nicht in der Einsicht begrĂĽndet ist. Es ist nur existent vorgestellt und gedacht. Â
Eine Existenz, da sie noch nicht in der Einsicht ist, kann im strengen Sinne nicht eingesehen werden. Es existiert schlechthin kein Wissen von der Existenz dieses behaupteten Wissens, da es nur eingebildet ist. M. a. W., die Einsicht vermag nie unmittelbar das reine Substrat für eine bloß mögliche, aber noch nicht vollzogene Einsicht einsehen. Es vermag zwar etwas als möglich in der Einsicht behauptet werden, aber es kann nicht behauptet werden, es liegt außerhalb und vor der Einsicht.
Sobald die Potenz der Einsicht angesetzt wird, ist klar, dass sie sich nur als Bezug erkennen kann, sei es, dass das Substrat ihres aktualen Erkenntnisvollzuges wirklich existiert, oder sei es, dass es im aktualen Erkenntnisvollzug nur als möglich eingesehen wird. „Der theoretische Ansatz der Möglichkeit von Selbst-Erkenntnis hat eine besondere Konsequenz. Setzt man Erkenntnis nur als Erkenntnis von Objekten an, die ihr gegenüber als selbstständig und unabhängig gefasst sind, so lässt sich theoretisch die Aktivität im Erkenntnisvorgang diesen Objekten zuschreiben. Wird aber angesetzt, dass Erkennen könne auch sich selbst erkennen, muss notgedrungen seine eigene Aktivität des Erkennens mit gesetzt werden.“ 2
Dass dieses Selbsterkennen, der Akt des Begreifens, sich selbst zum Objekt des Denkens und Einsehen machen könne, ist schlechthin Tradition seit Platon. Das Denken der Prämissen bedeutet auch deren Vollzug, das Denken der Freiheit bedeutet auch deren Sein (ihre Existenz), die Idee des Guten ist realiter Vollzug des Guten, das Begreifen ist ein Selbst-Begreifen, der Begriff ist selbstständiger Grund seines Sichbegreifens – und die Objektwelt steuert nur das materiale Substrat für den actus des Begreifens bei.
Aber, so jetzt in der Terminologie PLATONS oder in der Terminologie der WL FICHTES gesprochen, diese genetische Lebendigkeit des Begreifens ist immer nur ein Bild, ein Bild einer materialen Qualität, letztlich ein Abbild des Vollzuges der Freiheit selbst mit notwendigen Begriffsfolgen.
Das Bild ist nicht selbst das, was es darstellt, es ist die Darstellung jenes anderen, das auch ohne Bild fĂĽr sich besteht, des Abgebildeten.
Darstellung des absoluten Grundes im Begriff, aber auch differenzierte Nicht-Darstellbarkeit des absoluten Grundes der absoluten Einheit im Bilde.
Indem der Begriff sich selbst in seiner Mächtigkeit des Sich-Begreifens erkennt, aber hoffentlich auch in Selbsterkenntnis und Bescheidenheit seine Ohnmächtigkeit einsieht, von sich her den absoluten Grund seines Sich-Begreifens darzustellen, kann er, wie in meiner besagten Fragestellung, seinen Anteil in der Geschichte der Darstellung einer sakramentalen, kirchlichen Ordnung erkennen und sich dessen bewusst sein: er hat die Funktion einer Folge, Folge des absoluten Grundes zu sein, Folge einer apriorischen wie positiven Offenbarung. Der Begriff durchschaut die genetischen Zusammenhänge seines Begreifens als ein Begreifen des einen durch ein anderes.
Der Heilige/der Autor oder die dahinterliegende Gemeinde begriff sowohl die objektive, apriorische und positive Offenbarung in seinem/ihrem Akt des Erkennens, und zugleich seinen/ihren subjektiven Anteil daran, der als Form nicht fehlen darf, aber doch unterschieden ist vom Gehalt. Nach des Heiligen/des Autors Prägung und Erkenntnisvermögen war für die Etablierung der göttlichen Heils- und Sinnidee eine männliche Hierarchie am besten geeignet, aber der Geltungsgrund der Evidenz der Heils- und Sinnidee lag gerade nicht in dieser subjektiven Erkenntnis, sondern lag im Bezogensein des Erkenntnisaktes auf die zeitlose, göttliche Sinnidee und Erlösung.
Theoretisch ist der subjektive Anteil und die Überzeugung und Glaubwürdigkeit vom Geltungsgrund zu unterscheiden. In der praktischen Voraussetzung kommt dieser subjektive Anteil mit dem Geltungsgrund im Akt des Handelns allerdings zusammen: Der Akt des Grundes seiner Erkenntnis, der absolute, unzugängliche Grund, das Licht der absoluten Einheit in seinem Begreifen, diese ganze Kraft zur märtyrerhaften Verkündigung, zum charismatischen Leben, zu einem solidarisch-christlichen Leben, realisiert und schematisiert sich beim Heiligen/beim Autor/in der Gemeinde, u. a. in geweihten Ämtern, generell, in einem differenzierten Bild des Erkennens. Dieses Bild erscheint so, dass es zugleich in Abhängigkeit von diesem absoluten Geltungsgrund nur gebildet werden kann, d. h. dass es kein bloß erdichtetes, fabuliertes Bild sein darf, sondern wirklich den göttlichen Erkenntnisgrund in eigener Weise real nach-bildet und repräsentiert, und zugleich in idealer Gemeinsamkeit mit der sonstigen Vernunftwelt und Umwelt steht, d. h. vernünftig vermittelt werden soll. Ohne vernünftige, von allen für alle zu gegebener Zeit realisierbare und plausibel zu erklärende sakramentale Ordnung (u. a. mit Weiheämtern) bliebe der dauernde, pertinente Bezug der Freiheit zum absoluten Geltungsgrund (der apriorischen wie positiven Offenbarung) ohne praktisch-logische Konsequenz, d. h. wäre nur gnostische Lehre einer geschenkten Erlösung und generell nicht mündlich und schriftlich generalisierbar und pluralisierbar.
Vernunfteinsicht/Vernunftlehre – ein anderes Kriterium kann es wohl nicht geben – und Freiheit des RĂĽckbezuges auf die Hl. Schrift und die positive Offenbarung, sie gehen eine Wechselwirkung ein und ergänzen sich in ihren apriorisch-zeitlosen wie ihren endlichen und präsentischen, vergangenen und eschatologisch-zukĂĽnftigen Formen des Glaubens.
Anders gesagt: Die historischen Begriffe „Bischof, Priester, Diakon“ sind neu gedeutete, abgeleitete Vermittlungen einer religiösen, sakramentalen Sinn-Idee, schematisierte, praktische Anwendungen einer regulativen Idee.Â
Das Pochen des Heiligen/des Autors auf die reine Lehre, auf Eintracht, auf Gehorsam, auf die gĂĽltige Feier der Sakramente, zeigen eine erste, rudimentäre, systematische Anwendung der Sinn-Idee auf eine rechtliche und gesetzliche Verfassung. Es ist aber keine autoritäre, patriarchale Verfassung angestrebt.  Die differentielle Unterscheidung zwischen der eigentlichen, unrepräsentierbaren Transzendenz Gottes und der doch möglichen, aktiven Teilhabe daran, das macht nur eine schwebende Anschauung einer sakramentalen Heils- und Sinnordnung, inklusiv Weihe-Hierarchie, möglich.Â
Nicht ein metaphysisches System „Kirche“ schafft die „Ämter“, sondern die „Kirche“ ist transzendental-logisch gesehen zuerst selbst ein ganz allgemeines Schema, „schwebend“ zwischen Universalität und Individualität einer Sinnidee.3
Warum es notwendig zu einer rechtlichen und gesellschaftlichen Institution kommen muss, das muss eine philosophische Reflexion zeigen können. Eine rein historisch-kritische Exegese der Hl. Schrift kann uns hier zwar wertvolle Impulse bieten – wie z. B. den Begriff „Volk Gottes“ – aber letztlich kann sie eine sakramentale Ordnung nicht begründen und entscheiden. Sie spricht mehr oder minder umstrittene Tatsachen aus, redet z. B. vom „Monarchismus“ des Bischofsamtes, der in den IGNATIANEN festzustellen ist, aber das gibt uns kein Kriterium der Vernunft an die Hand, wie eine sakramentale Ordnung heute aussehen soll.
2) Ich zitiere jetzt die Lektüre einer Deduktion eines rechtlichen „Vereinigungsvertrages“ nach FICHTE, um die Notwendigkeit einer staatlichen Institutionalisierung einsichtig zu machen. (Zu ROUSSEAU oder HOBBES siehe später).
„Mit der Intention, dass jeder einzelne den einzelnen schĂĽtze, ergibt sich – da der konkret Betroffene zunächst unbestimmt ist – das Ganze zu schĂĽtzen; dieses wiederum schĂĽtzt den konkret Betroffenen; diese besondere Art von Vertrag, in dem der einzelne sich nicht mehr mit konkret anderen einzelnen, sondern mit unbestimmt einzelnen, die in ihrer Unbestimmtheit ein Ganzes bilden, verbindet, nennt Fichte den ’Vereinigungsvertrag’. (Fichte, Grundlagen des Naturrechts, 1796, SW, ebd. S 198. 204). Dieser erst versichert und schĂĽtzt die beiden ersten Verträge (sc. „Urrecht“, „Zwangsrecht“). Jeder trägt zu dem Ganzen, das den Schutz ausĂĽbt, einen Teil bei. Er steuert nicht seinen ganzen Besitz bei, denn sonst bliebe nichts mehr, was ihm vom Staat zu schĂĽtzen sei. Auf der anderen Seite schĂĽtzt der Staat alles, was jeder besitzt. Inwiefern der einzelne seinen Teil beisteuert zum Ganzen, ist er Teil des Souveräns. In diesem Punkt, dem Beitrag des einzelnen zum Ganzen, sind die drei Aufgaben: AusĂĽbung der Souveränität, des Vertragens und der Machtkonstitution in einem Ansatz (schematisiert durch den Begriff des Sozialvertrags) gelöst.“ 4
Wie FICHTE durch das von ihm angewandte transzendentale Verfahren die Einheit des Gemeinwillens als formale und materiale Einheit  anzeigen kann, quantitativ als Gleichheit an Rechten, in Sozialverträglichkeit aller Rechte, als immanente Idee der Gerechtigkeit ansatzweise ausgeführt (nicht vollständig politisch durchdacht), so möchte der Heilige/der Autor die Schematisierung der Sinn-Idee über formale und materiale Repräsentationsformen weiterführen, sprich in Sakramenten, in der Nächstenliebe, in neuer Sozialverträglichkeit und in einem religiösem Leben – und in „geweihten“ Amtsträgern.
In diesem Vollzugscharakter einer repräsentierenden Darstellung der zugrundeliegenden, geltenden Offenbarung Gottes liegt der Kern der Gemeinschaft „Kirche“, jener Vorstellung, die von allen für alle zu allen Zeiten eine göttliche Gnade vermitteln will. Das „Schweben der produktiven Einbildungskraft“ im „Vereinigungsvertrag“ eines Gemeinwesens führt dabei, analog zur staatlichen, rechtlichen Organisation, die gedankliche und im Keim juridische Vorwegnahme ein, dass jeder Christ/jede Christin a) eine Art „Rechtsanspruch“ kraft göttlicher Vergebung hat aber doch b) von der Frohen Botschaft und der Sinnidee ausgeschlossen sein könnte, sofern das nicht klar geregelt ist und sozusagen jeder/jede nach seiner Fasson sich seine Vergebung organisieren muss.
Das „Schweben“, worin durchaus eine Assoziation zum Hl. GEIST mitschwingen kann, ist deshalb treffend, weil in der Vorstellung einer sakramentalen Ordnung verschiedene mögliche Situationen durchlaufen werden können und die Einbildungskraft sich von einer vorgestellten zukünftigen Situation zu einer anderen zu wenden vermag. 5 Warum könnte sich die Vorstellungskraft heute nicht auch geweihten Frauen zuwenden? Am Rechtsbegriff kann es wohl nicht liegen. Die partizipative Teilnahme an der Sinn-Realisierung – verlangt das nicht ein ständiges Einbezogensein aller TeilnehmerInnen, eine ständige praktische Umsetzung? In welcher medialer und kommunikativer und rechtlicher und politischer Weise?
3) Der Hl. IGNATIUS /der anonyme Autor/die christliche Gemeinde, so mein Schlussresümee, war so gepackt und ergriffen von der neuen religiöse Sinnordnung und Sinnidee, dass es noch außerhalb seines/ihres hermeneutischen Denkhorizontes lag, für die kirchlichen Repräsentationsformen auch Frauen einzubeziehen. Seine Worte stellen für mich aber keinen positiven Ausschluss der Frauen dar, sondern nur eine nicht vollständig zu Ende gedachte Sicht der Realisierung einer sakramentalen Sinnidee.
© Franz Strasser, 30. 9. 2019.
1Vgl. J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens nach Joh. Gottl. Fichtes Wissenschaftslehre 1804/2, Hamburg 1977, S 60.
2J. Widmann, ebd., S 60.
3Ich empfinde manche Rechtsbestimmungen des „jus mere ecclesiasticum“ im kirchlichen Gesetzbuch des CIC nur im Zirkel begründet. Das Recht bestätigt ein kirchliches Amt, aber das kirchliche Amt legt selbst seine Rechte fest. Was begründet hier was und wie?
Siehe z. B. CIC (1983), can 145 § 2
„§ 2; Pflichten und Rechte, die den einzelnen Kirchenämtern eigen sind, werden bestimmt entweder durch das Recht selbst, durch das ein Amt eingerichtet wird, oder durch Dekret der zuständigen Autorität, durch das es eingerichtet und zugleich ĂĽbertragen wird.“
Die verschiedenen Geltungsbereiche und Geltungsformen sind mir oft höchst suspekt. Sie verstecken sich in lateinischen FachausdrĂĽcken, die aber kaum zu verstehen sind, weil sie im hermeneutischen Zirkel kreisen. Das hängt m. E. wieder mit vielen, nicht reflektierten Verobjektivierungen zusammen: Sobald die Vermittlungsinstanz der Kirche selbst zur ĂĽberindividuellen Person aufgewertet ist, kommt dem Recht, das vom einzelnen wie von allen gemeinsam ausgeht, nicht mehr die volle Argumentationskraft zu, sondern wird selbstmächtig von der Tradition und deren Auslegungspraxis festgesetzt. Es heiĂźt dann einfach: diese oder jene Verordnung ist nach „MaĂźgabe des Rechts“ (ad normam juris) auszufĂĽhren. Man bedenke z. B. die Dispenspraxis bei den EheschlieĂźungen. Der Bischof darf dieses oder jenes austeilen, ein kleiner Pfarrer ist nicht ermächtigt zu dieser „Dispenserteilung“, weil ihm die differentielle Einsicht fehlt? Muss ein Standesbeamter bei einer Gemeinde ebenfalls beim Ministerium anfragen? Â
Aber nicht nur das kirchliche Recht scheint mir oft willkĂĽrlich festgesetzt zu sein, ebenso der Begriff des „göttlichen Rechts“. Es wĂĽrde mich hier zu weit fĂĽhren, solche Passagen zu zitieren, aber wenn allein auf historische Aussagen der Hl. Schrift rekurriert wird, um etwas als „göttliches Recht“ zu rechtfertigen, dann sind wir schnell bei den Fundamentalisten verschiedener Religionen, die nur eine wortwörtliche Auslegung kennen. Die Legitimation von Hoheitsgewalt und RechtsbegrĂĽndung und Rechtsauslegung kommt allerdings auch im staatlichen Bereich schnell an ihre Grenzen, wenn z. B. von Ländern allgemeine Menschenrechte nicht anerkannt werden. Â
4Hans Georg von Manz, Fichtes transzendentale Gerechtigkeitskonzeption, S 23. 24.
5Vgl. dazu ebenfalls auf der rechtlichen Ebene, v. Manz, ebd. S 25.