Priesterweihe von Frauen – genetische Erkenntnis, 6. Teil

Weil mich die Sache berührt, will ich nach den transzendentalkritischen Bedingungen fragen, die einen Begriff konstituieren. Ich setzte von vornherein voraus, dass solche kirchlichen Ämter wie „Bischof“, „Priester“, „Diakon“ nicht bloß leere Begriffe sind, Relikte einer verworrenen Naturreligion, historisch undurchschaubar, oder umgekehrt, bloß gesatztes kirchliches Recht und beliebig eingeführte Begriffe von frühkirchlichen Kanonisten, sondern einen qualitativen, sakramentalen Gehalt der Erkenntnis in sich tragen können.

Aber trotzdem wird sofort klar, dass diese Begriffe der kirchlichen Ämter doch zeitlich entstanden sind. Die transzendental-kritische Frage zielt auf die epistemologische und genetische  Begründung und Bildung. Die falschen Alternativen wären, dass a) der Sinngehalt metaphysisch unveränderlich vorausgesetzt wird – was auch das Geschlecht miteinbezieht, d. h. dass nur Männer Bischöfe, Priester, Diakone werden können; aber bei metaphysischen Begriffen weiß man nicht, warum der Sinngehalt so ausfällt, wie er ausfällt, oder, was ebenfalls eine falsche Alternative wäre, dass b) der Sinn überhaupt nur historisch und hermeneutisch wandelbar ist, dann weiß man aber nicht, warum überhaupt und warum gerade diese Ämter gewählt wurden, und ob man noch bei diesen Ämtern bleiben soll, geschweige bei dieser Fokussierung auf das männliche Geschlecht usw. 

Die viel später entstandene positive Rechtslehre des Kirchenrechts kann uns hier  nicht weiterhelfen, denn das wäre ja erst die differentielle Frage, mit welchem Recht die „Kirche“ den intelligiblen Gehalt der „Bischöfe“, „Priester“, „Diakone“ vergibt. Meine Sicht: Nicht aus Willkür, Patriarchalismus oder Machtinteresse drängte der Hl. IGNATIUS/der Autor zu einer kirchlichen Ämterstruktur, sondern aus der Notwendigkeit der Realisierung der göttlichen Sinnidee  mussten Ämter geschaffen werden, die diese Repräsentanz konkretisierten. Warum es nur diese drei grundlegenden Ämter wurden, warum in dieser hierarchischen Stufenordnung diese bestimmte Dreier-Form, warum nur Männer,  das ist wohl historisch zu verstehen und liegt nicht notwendig im Gehalt der Sinnidee selbst.  

Es liegt m. E. unbezweifelbar in den IGNATIANEN eine innere, transzendentale Dynamik der Begriffsbildung, die uns Einsicht gewährt, wie im Laufe der Geschichte des 2. Jdh. neue, gelebte Religionsformen entstanden sind. Dort verschmelzen historische Genese (der Begriffe) und Deutung (der Begriffe mittels Hl. Schrift) durch Projektion einer Sinnidee. Es kann wohl gesagt werden, in verantwortungsvoller Weise wurden neue Formen sakramentaler Darstellung der göttlichen Heils- und Sinnidee geschaffen.
Nur historisch-kritisch lässt sich die Frage nach einem Geltungsgrund dieser sakramentalen, neuen Ordnung nicht lösen, ebenfalls nicht a-historisch durch Schlagworte wie „Gleichberechtigung“, „Egalität“. Läge z. B. im Begriff der geforderten Egalität der Geschlechter automatisch schon die bessere Sinnidee der Repräsentation der göttlichen Gnade? Sicher nicht, weder für das männliche noch für das weibliche Geschlecht, denn der Begriff des Möglichen für eine göttliche Heils- und Sinnidee ist durch den Begriff der Egalität nur neu bestimmt, und das Gesetz der apriorischen und positiven Offenbarung kann dadurch weiter differenziert werden, aber besagt das schon etwas vom Gehalt? Allgemein gesagt: Die Begriffsform der göttlichen Heils- und Sinnidee ist immer nur Nachkonstruktion der bloßen Gesetzesgenesis der apriorischen und positiven Offenbarung. Kann es eine männliche Hiearchie besser als eine weibliche, oder eine weibliche besser als eine männliche? Das wäre bereits altes, dualistisches Denken und widerspricht der neuen göttlichen Sinn- und Heilsordnung, wie von Jesus gelebt, von Paulus gepredigt, aus den Briefen des Heiligen herauszuhören. Die Gefahr und die Notwendigkeit der Schaffung einer männlichen Hierarchie  kam von außen, kam nicht von Jesus, oder Paulus, oder Ignatius.
Wie die theoretische  Idealform der Weitergabe der Sinnidee  des Glaubens gestaltet werden soll, das ist ein regulatives und relatives, politisches  Fragen und Tun. Ich würde auf viele Gepflogenheiten und Gefühle Rücksicht nehmen.   Die Evidenz einer Erlösungs- und Heilsidee kommt beim „dogmatischen“ gleich wie beim „emanzipatorischen“ Weg gerade ja nicht von der Form der Geschlechter bzw. nicht von der Form eines disjunktiven Oders der Geschlechter. Das göttliche Licht und die Frohe Botschaft kommt sowohl von Männern, dann wieder von Frauen, von Kindern oder Jugendlichen, oder alten Menschen – und was es heute sonst noch an „trans“-Personen geben mag. 

1) Es trat durch die Genesis Gottes in seiner apriorischen und positiven Offenbarung eine eindeutige Gerichtetheit und Verzeitung in die vom Vernunftwesen erkennbare Differenz von Einheit und Nichteinheit einer Erkenntnis Gottes ein, eine interpersonale und zeitliche Schematisierung. Es ist gerade die Schönheit der Transzendentalphilosophie, dass sie das Sichbegreifen des Begriffes zum Objekt macht und nicht im metaphysischen oder hermeneutischen Zirkel hängen bleibt. Da gibt es einerseits das vorausgesetzte Material, das Begriffene (die apriorische und positive Offenbarung), andererseits das freie Begreifen und den freien Umgang mit dem Erfahrungsschatz. Dieser Zirkel kann von da nach dort und umgekehrt aufgelöst werden, wenn die Einsicht sich selbst einzusehen vermag als das, was sie ist. 1

Spielen wir das begrifflich durch: Würde ein mögliches Substrat für eine künftige Einsicht theoretisch angenommen, z. B. es muss sakrale Ämter geben, die aber nur Männern vorbehalten sind, wie der „dogmatische“ Weg behaupten will, oder es kann Bischöfe, Priester, Diakone beiderlei Geschlechts geben,  wie der „emanzipatorische“ Weg sagt, so ist beide Male ein Substrat gesetzt, das eigentlich noch nicht in der Einsicht begründet ist. Es ist nur existent vorgestellt und gedacht.  
Eine Existenz, da sie noch nicht in der Einsicht ist, kann im strengen Sinne nicht eingesehen werden. Es existiert schlechthin kein Wissen von der Existenz dieses behaupteten Wissens, da es nur eingebildet ist. M. a. W., die Einsicht vermag nie unmittelbar das reine Substrat für eine bloß mögliche, aber noch nicht vollzogene Einsicht einsehen. Es vermag zwar etwas als möglich
in der Einsicht behauptet werden, aber es kann nicht behauptet werden, es liegt außerhalb und vor der Einsicht.

Sobald die Potenz der Einsicht angesetzt wird, ist klar, dass sie sich nur als Bezug erkennen kann, sei es, dass das Substrat ihres aktualen Erkenntnisvollzuges wirklich existiert, oder sei es, dass es im aktualen Erkenntnisvollzug nur als möglich eingesehen wird. Der theoretische Ansatz der Möglichkeit von Selbst-Erkenntnis hat eine besondere Konsequenz. Setzt man Erkenntnis nur als Erkenntnis von Objekten an, die ihr gegenüber als selbstständig und unabhängig gefasst sind, so lässt sich theoretisch die Aktivität im Erkenntnisvorgang diesen Objekten zuschreiben. Wird aber angesetzt, dass Erkennen könne auch sich selbst erkennen, muss notgedrungen seine eigene Aktivität des Erkennens mit gesetzt werden.“ 2

Dass dieses Selbsterkennen, der Akt des Begreifens, sich selbst zum Objekt des Denkens und Einsehen machen könne, ist schlechthin Tradition seit Platon. Das Denken der Prämissen bedeutet auch deren Vollzug, das Denken der Freiheit bedeutet auch deren Sein (ihre Existenz), die Idee des Guten ist realiter Vollzug des Guten, das Begreifen ist ein Selbst-Begreifen, der Begriff ist selbstständiger Grund seines Sichbegreifens – und die Objektwelt steuert nur das materiale Substrat für den actus des Begreifens bei.

Aber, so jetzt in der Terminologie PLATONS oder in der Terminologie der WL FICHTES gesprochen, diese genetische Lebendigkeit des Begreifens ist immer nur ein Bild, ein Bild einer materialen Qualität, letztlich ein Abbild des Vollzuges der Freiheit selbst mit notwendigen Begriffsfolgen.

Das Bild ist nicht selbst das, was es darstellt, es ist die Darstellung jenes anderen, das auch ohne Bild für sich besteht, des Abgebildeten.
Darstellung des absoluten Grundes im Begriff, aber auch differenzierte Nicht-Darstellbarkeit des absoluten Grundes der absoluten Einheit im Bilde.

Indem der Begriff sich selbst in seiner Mächtigkeit des Sich-Begreifens erkennt, aber hoffentlich auch in Selbsterkenntnis und Bescheidenheit seine Ohnmächtigkeit einsieht, von sich her den absoluten Grund seines Sich-Begreifens darzustellen, kann er, wie in meiner besagten Fragestellung, seinen Anteil in der Geschichte der Darstellung einer sakralen kirchlichen Ordnung erkennen und sich dessen bewusst sein: er hat die Funktion einer Folge, Folge des absoluten Grundes zu sein, Folge einer apriorischen wie positiven Offenbarung. Der Begriff durchschaut die genetischen Zusammenhänge seines Begreifens als ein Begreifen des einen durch ein anderes.

Der Heilige/der Autor oder die dahinterliegende Gemeinde begriff sowohl die objektive, apriorische und  positive Offenbarung in seinem/ihrem  Akt des Erkennens, und zugleich seinen/ihren  subjektiven  Anteil daran, der als Form nicht fehlen darf, aber doch unterschieden ist vom Gehalt. Nach des Heiligen Prägung und  Erkenntnisvermögen war für die Etablierung der göttlichen Heils- und Sinnidee eine männliche Hierarchie am besten geeignet, aber der Geltungsgrund der Evidenz der Heils- und Sinnidee lag gerade nicht in dieser, zweifellos wichtigen, aber eingeschränkten subjektiven Erkenntnis, sondern lag im Bezogensein des Erkenntnisaktes auf die göttliche Sinnidee und Erlösung.

Theoretisch ist der  subjektive Anteil und die  Überzeugung und Glaubwürdigkeit vom Geltungsgrund zu  unterscheiden. In der praktischen Voraussetzung kommt dieser subjektive Anteil mit dem Geltungsgrund im Akt des Handelns allerdings zusammen: Der Akt des Grundes seiner Erkenntnis, der absolute, unzugängliche Grund, das Licht der absoluten Einheit in seinem Begreifen, diese  ganze Kraft zur märtyrerhaften Verkündigung,  realisiert und schematisiert sich beim Heiligen/beim Autor/in der christlichen Gemeinde,  in einem differenzierten Bild des Erkennens. Dieses Bild erscheint so, dass  es zugleich in Abhängigkeit von diesem absoluten Geltungsgrund nur gebildet werden kann, d. h. dass es kein bloß erdichtetes, fabuliertes Bild sein darf, sondern wirklich den göttlichen Erkenntnisgrund in eigener Weise nach-bildet und repräsentiert, das aber zugleich in idealer Gemeinsamkeit mit der sonstigen Vernunftwelt und Umwelt sichtbar ist und sichtbar sein soll – eben als erfahrbare und potentiell egalitär und universell erreichbare Sinn- und Heilsordnung.

Das Bild einer sakramentalen Sinn- und Heilsordnung soll so glaubwürdig und repräsentativ und anschaulich wie möglich erscheinen, weil es Begriffsfolge, Abhängigkeitsfolge einer genetischen Erkenntnis sein soll. Es soll eine so glaubwürdige Repräsentation wie möglich der bildlichen Erkenntnis  der apriorischen und positiven Offenbarung geschaffen werden, sodass jeder Zeitgenosse, unabhängig von Stand, Volk, Sprache, Geschlecht, Alter, das Heil- und  Sinnangebot verstehen und annehmen könnte. Was vermittelt werden sollte, durfte nicht eine pseudo-religiöse Legitimation eines neuen politischen Systems sein, sich zwar „Kirche“ nennend, aber im Grunde auf sehr patriarchale Muster und Bereicherung ausgerichtete Herrschaftsausübung.

2) Die historischen Begriffe „Bischof, Priester, Diakon“ sind neu definierte, abgeleitete Vermittlungen einer religiösen, sakramentalen Sinn-Idee, schematisierte, praktische Anwendungen einer Idee, die notwendig geworden ist.

Das Pochen des Heiligen/des Autors auf die reine Lehre, auf Eintracht, auf Gehorsam, auf die gültige Feier der Sakramente, zeigen ein erste erste, rudimentäre, systematische Anwendung der Sinn-Idee, wie sie ihm sehr wichtig und  bestmöglich verwirklichbar schien. Die differentielle Unterscheidung zwischen der eigentlichen, unrepräsentierbaren Transzendenz Gottes und der doch möglichen, aktiven Teilhabe daran, das macht diese schwebende Anschauung einer sakramentalen Heils- und Sinnordnung, inklusiv Hierarchie, eigentlich  aus.
Nicht ein metaphysisches System „Kirche“ schafft die „Ämter“, sondern die „Kirche“ ist transzendental-logisch gesehen zuerst selbst ein ganz allgemeines Schema, „schwebend“ zwischen Universalität und Individualität der Sinnidee, und im weiteren in konkrete Institutionalität und rechtliche Formen darstellbar.3

Warum es aber notwendig zu einer rechtlichen Institution ebenso kommen muss, notwendig, das muss in vernünftigen Begriffen erklärt werden können – und kann uns ein historisch-kritische Exegese nicht abnehmen.

Ich zitiere hier die Lektüre einer Deduktion eines rechtlichen „Vereinigungsvertrages“ nach FICHTE. (Zu ROUSSEAU oder HOBBES siehe später).

Mit der Intention, dass jeder einzelne den einzelnen schütze, ergibt sich – da der konkret Betroffene zunächst unbestimmt ist – das Ganze zu schützen; dieses wiederum schützt den konkret Betroffenen; diese besondere Art von Vertrag, in dem der einzelne sich nicht mehr mit konkret anderen einzelnen, sondern mit unbestimmt einzelnen, die in ihrer Unbestimmtheit ein Ganzes bilden, verbindet, nennt Fichte den ’Vereinigungsvertrag’. (Fichte, Grundlagen des Naturrechts, 1796, SW, ebd. S 198. 204). Dieser erst versichert und schützt die beiden ersten Verträge (sc. „Urrecht“, „Zwangsrecht“). Jeder trägt zu dem Ganzen, das den Schutz ausübt, einen Teil bei. Er steuert nicht seinen ganzen Besitz bei, denn sonst bliebe nichts mehr, was ihm vom Staat zu schützen sei. Auf der anderen Seite schützt der Staat alles, was jeder besitzt. Inwiefern der einzelne seinen Teil beisteuert zum Ganzen, ist er Teil des Souveräns. In diesem Punkt, dem Beitrag des einzelnen zum Ganzen, sind die drei Aufgaben: Ausübung der Souveränität, des Vertragens und der Machtkonstitution in einem Ansatz (schematisiert durch den Begriff des Sozialvertrags) gelöst.“ 4

Wie FICHTE durch das von ihm angewandte transzendentale  Verfahren die Einheit des Gemeinwillens als formale und materiale Einheit  anzeigen kann, quantitativ als Gleichheit an Rechten,  in Sozialverträglichkeit aller Rechte, als immanente Idee der Gerechtigkeit ansatzweise ausgeführt (nicht vollständig politisch durchdacht), so möchte der Heilige/der Autor die Schematisierung der Sinn-Idee über formale und materiale Repräsentationsformen weiterführen, sprich in Sakramenten, in der Nächstenliebe, in neuer Sozialverträglichkeit und religiösem Leben – „geweihten“ Amtsträgern.

In diesem Vollzugscharakter der repräsentierenden Darstellung der zugrundeliegenden, geltenden Offenbarung Gottes liegt der Kern der Gemeinschaft „Kirche“, jener Vorstellung, die alle zu einem Ganzen vereint. Das „Schweben der produktiven Einbildungskraft“ im „Vereinigungsvertrag“ eines Gemeinwesens ist analog die gedankliche Vorwegnahme, dass jeder Christ, jede Christin a) in seinem Recht bedroht und seelisch allein gelassen und b) von der Frohen Botschaft und der Sinnidee ausgeschlossen sein könnte, deshalb braucht es gewisse stabile, rechtliche und sakramentale Vermittlungen und Institutionen. 

Das „Schweben“, worin durchaus eine Assoziation zum Hl. GEIST mitschwingen kann, ist deshalb treffend, weil in der Vorstellung einer sakramentalen Ordnung verschiedene mögliche Situationen durchlaufen werden können und die Einbildungskraft sich von einer vorgestellten zukünftigen Situation zu einer anderen zu wenden vermag. 5 Warum könnte sich die Vorstellungskraft heute nicht auch geweihten Frauen zuwenden? Die partizipative Teilnahme an der Sinn-Realisierung – ist das nicht eine ständige praktische und politische Herausforderung und eine ständige Anpassung?

3) Der Hl. IGNATIUS /der anonyme Autor/die christliche Gemeinde dahinter, so mein Schlussresümee, war so gepackt und ergriffen von der neuen religiöse Sinnordnung und Sinnidee, dass es noch außerhalb seines hermeneutischen Denkhorizontes lag, für die kirchlichen Geltungsformen auch Frauen einzubeziehen. Seine Worte stellen für mich aber keinen positiven Ausschluss der Frauen dar, sondern nur eine nicht vollständig zu Ende gedachte  Sicht der Realisierung einer Idee mit einer nicht ausdrücklichen, aber nicht ausgeschlossenen Einbeziehung von Frauen in sakramentale Repräsentationsformen.

© Franz Strasser, 30. 9. 2019.

1Vgl. J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens nach Joh. Gottl. Fichtes Wissenschaftslehre 1804/2, Hamburg 1977, S 60.

2J. Widmann, ebd., S 60.

3Ich empfinde manche Rechtsbestimmungen des „jus mere ecclesiasticum“ im kirchlichen Gesetzbuch des CIC geradezu als anmaßend und überheblich. Das Recht z. B. bestätigt das kirchliche Amt und das kirchliche Amt erzeugt das Recht. Was begründet hier was und wie? (CIC (1983)  can 145 § 2 „§ 2;  Pflichten und Rechte, die den einzelnen Kirchenämtern eigen sind, werden bestimmt entweder durch das Recht selbst, durch das ein Amt eingerichtet wird, oder durch Dekret der zuständigen Autorität, durch das es eingerichtet und zugleich übertragen wird.“ ) Die verschiedenen Geltungsbereiche, Geltungsformen, undeutliche und unwissenschaftliche Begriffe (hinter lateinischen Ausdrücken versteckt) hängen m. E. mit den nicht reflektierten Verobjektivierungen zusammen:  Sobald die Vermittlungsinstanz der Kirche selbst zur überindividuellen Person aufgewertet ist, kommt der eigentlichen, einzelnen Person nicht mehr die volle Freiheit und Position eines „Urrechtes“ im geistlichen Bereich zu – außer vielleicht im Denken der Taufgnade!, das möchte ich besonders positiv hervorheben. Aber sonst? Relativ unkontrolliert oder selbstmächtig kann das kirchliche Recht nach „Maßgabe des Rechts“ (ad normam juris) im gesatzten Sinne etwas festlegen. Man bedenke z. B. die Dispenspraxis bei den Eheschließungen. Der Bischof darf dieses oder jenes locker, ein kleiner Pfarrer nicht. Liegt das an der differentiellen Einsicht? An der Machtposition? Dann zum Begriff des „göttlichen Rechts“ selbst: Wer kann es zweifelsfrei feststellen? Eine historische Berufung auf Texte der Hl. Schrift reicht als Autorisierung wohl nicht, wenn man weiß, wie mehrdeutig und  historisch die biblischen Texte sind.  

4Hans Georg von Manz, Fichtes transzendentale Gerechtigkeitskonzeption, S 23. 24.

5Vgl. dazu ebenfalls auf der rechtlichen Ebene, v. Manz, ebd. S 25.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser