Fichtes Sittenlehre – 6. Teil – § 5

Die „Deduktion eines Gegenstandes unserer Tätigkeit überhaupt“, wie in § 4 angekündigt, ist noch nicht vollendet, denn es kommt noch eine „innere Bedingung (§ 5, ebd. S 81) hinzu.

Zweiter Lehrsatz. Ebensowenig kann das Vernunftwesen sich ein Vermögen der Freiheit zuschreiben, ohne eine wirkliche Ausübung dieses Vermögens, oder ein wirkliches freies Wollen, in sich zu finden.“ (ebd. S 81)

Denken und Wollen stehen in einem wechselseitigen Verhältnis. Aber in der Wirklichkeit könnte das Wollen nicht wahrgenommen werden (nur ein Gefühl). Wie ist es dann möglich?

Fichte rekurriert wieder auf die Einheit eines absoluten Ichs, worin Denken und Wollen eins sein müssen – und kommt zu einem spezifischen Charakter des Wollens, einem wirklichen Zweckdenken und einer wirklichen Kausalität (als Resultat in § 6)

Wollen und Zweckdenken sind im selben Moment gesetzt, intentionales, propositionales Wollen und der Begriff, d. h. der Zweckbegriff. Es ist eine „unmittelbare Anschauung seiner eigenen Tätigkeit“ (ebd. S 85)

Das Subjektive ist ursprünglich nicht ohne ein Objektives, zufolge des Begriffs vom Ich: nur unter dieser Bedingung ist ja das Subjektive ein Subjektives. Das Bewusst- sein hebt notwendig von dieser Verbindung beider an. Aber in der bloßen Vorstellung eines Wollens kommt nur ein Subjektives vor; das Objektive desselben, oder bestimmter, die bloße Form des Objektiven wird selbst erst dadurch produziert. Dies ist allerdings möglich, wenn die Intelligenz einen ihrer bestimmten Zustände reproduziert, also, wenn der wirkliche Zustand schon vorgesetzt wird, in der philosophischen Abstraktion; aber ursprünglich ist es nicht möglich. Es muss schon produziert gewesen sein, wenn eine Reproduktion möglich sein soll. Also, die ursprüngliche Vorstellung unseres Vermögens der Freiheit ist notwendig von einem wirklichen Wollen begleitet.“ (ebd. S 85)

Der oben in § 4 gefundene Begriff der Wahlfreiheit kann so in spezifischer Weise der Freiheitsauslegung weiter bestimmt werden:

M. Quante: „Auf der abstrakten Ebene von Fichtes Erörterungen bedeutet dies, dass der Begriff der Wahlfreiheit zweierlei impliziert: Zum einen wird das Wollen gedacht als Gegenstand eines spezifischen Denkens (des Handlungswissens) und zum anderen wird der Zweckbegriff selbst als Form aller möglichen konkreten Zwecke aufgefasst als „Produkt des Vorstellens“ (I, 5, 90). Nur im Handlungswissen wird der konkrete Zweck einer Handlung für das Denken des Handelnden selbst eine vorstellbare, d. h. kognitiv erfassbare Größe. Dabei gehört es, wie Fichte ausführt, zur Bedeutung des Zweckbegriffs, auf ein „,künftiges Wollen“ (ebd.) gerichtet zu sein, denn wir stehen ja immer noch bei der Analyse der Selbstzuschreibung des Freiheitsvermögens im Sinne der Wahl zwischen möglichen Handlungsalter- nativen.“1

Der Begriff des freien Wollens ist eine Verschränkung (Synthese) von Denken und Wollen. Ich kann mein Wollen aber nur wissen, wenn es ein freies Wollen, von mir selbst ausgehendes und einsehendes Wollen ist.

Es bedarf deshalb einer aktualen Äußerung meines Freiheitsvermögens, damit das Ich den Begriff eines Freiheitsvermögens entwickeln kann.

M. Quante: „Im Gegensatz zur Konzipierung des Begriffs eines Freiheitsvermögens nimmt das Ich sich beim faktisch freien Handeln,,als ein gegebenes“ (I, 5, 91) wahr. Wenn wir auf den Begriff des Vermögens oder des Zwecks reflektieren, dann sind wir uns unserer denkenden Aktivität bewusst. Finden wir uns dagegen als wollend vor, so sind wir darin zwar de facto als Denkende involviert. Der konstitutive Beitrag unserer subjektiven Freitätigkeit (des Denkens) wird uns darin jedoch nicht thematisch. Daher erleben wir uns im konkreten Wollen durch den Inhalt des Zweckes gebunden, auch wenn der Zweckbegriff selbst nichts anderes ist als die Objektivierung der Selbstthätigkeit“ (1, 5, 89), die dem Ich sowohl qua Denkendes wie qua Wollendes zukommt.“ 2

Da also ein Denken über unsere subjektive Freitätigkeit nicht notwendig reflexiv bewusst werden muss im Wollen, ich aber mein Wollen wissen soll und wissen kann, kann es reflexiv thematisch werden im Begriff eines Zweckes. Der Zweckbegriff ist die objektivierte Form der Selbsttätigkeit des Ich. Dieses Bewusstwerden verlangt nach einer Äußerung seiner selbst, die für das Ich notwendiger Gegenstand seiner ursprünglichen Äußerung ist.

Die oben in § 4 abgeleitete handlungstheoretische Bestimmung der Wahlfreiheit (aus der Selbsttätigkeit der Vernunft) geht zu einer kausalen Wirksamkeit in der Wahrnehmung über. „(…) da ich außer dem Wollen nur noch das Denken habe, und alles Objektive gar wohl aus einem Denken abgeleitet werden kann; (…)“ (ebd. S 86).

 

© Franz Strasser, Feb. 2021

 

1M. Quante, Analytischer Kommentar, siehe Teil 5, a. a. O., S 66.

2M. Quante, ebd., S. 67.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser