E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen – 3. Teil

4. Kapitel [Die ideelle Bedeutung des Zeichens. – Die Überwindung der Abbildtheorie.]

Im Begriff der „Repräsentation“ hat E. C. anscheinend ein Fundament gewonnen, (erkenntniskritisch nach KANT?), die Sprachlichkeit, ja, wie möchte ich sagen, zu „lokalisieren“. Aber wie könnte Geistiges ausgedehnt sein? In einer Art psychologischer Introspektion soll dem Phänomen der Sprache und der sprachlichen („symbolischen“) Formen auf die Schliche gekommen werden!? 

Die Kraft und Leistung dieser mittelbaren Zeichen (sc. z. B. in der Kunst, im Mythos) bliebe ein Rätsel, wenn sie nicht in einem ursprünglichen, im Wesen des Bewußtseins selbst gegründeten geistigen Verfahren ihre letzte Wurzel hätte. Daß ein sinnlich-Einzelnes, wie es z. B. der physische Sprachlaut ist, zum Träger einer rein geistigen Bedeutung werden kann — dies wird zuletzt nur dadurch verständlich, daß die Grundfunktion des Bedeutens selbst schon vor der Setzung des einzelnen Zeichens vorhanden und wirksam ist, so daß sie in dieser Setzung nicht erst geschaffen, sondern nur fixiert, nur auf einen Einzelfall angewandt wird.“ (ebd. S 39)

Der Sinn der Sprachbildung ist ein „geistiges Verfahren“, eine Art Verdoppelung der geistigen Prozesse des Denkens und Erkennens? Die Sprache ist Abbild des geistigen Handelns und des Bewusstseins? Was unterscheidet das noch von der von E. C. früher kritisierten Abbildtheorie der Materialisten, dass dort sinnliche Wahrnehmungen, hier mentale Vorgänge, abgebildet werden? Wie wird das Abbild gebildet und welcher geistige Inhalt (geistiger Sinngehalt) dient zur Grundlage dieses Abbildes? Mit welchen Anleihen beim sinnlichen Gehalt und mit welchen ideologischen Werthaltungen wird hier gehandelt?

Weil jeder Sonderinhalt des Bewußtseins in einem Netzwerk mannigfacher Beziehungen steht, kraft deren er, in seinem einfachen Sein und seiner Selbstdarstellung, zugleich den Hinweis auf andere und wieder andere Inhalte in sich schließt, kann und muss es auch bestimmte Gebilde des Bewußtseins geben, in denen diese reine Form des Hinweisens sich gleichsam sinnlich verkörpert. Daraus ergibt sich sofort die eigentümliche Doppelnatur dieser Gebilde: ihre Gebundenheit ans Sinnliche, die doch zugleich eine Freiheit vom Sinnlichen in sich schließt In jedem sprachlichen „Zeichen“, in jedem mythischen oder künstlerischen „Bild“ erscheint ein geistiger Gehalt, der an und für sich über alles Sinnliche hinausweist, in die Form des Sinnlichen, des Sicht-, Hör- oder Tastbaren umgesetzt. Es tritt eine selbständige Gestaltungsweise, eine spezifische Aktivität des Bewußtseins auf, die sich von alle Gegebenheit der unmittelbaren Empfindung oder Wahrnehmung unterscheidet, um sich dann doch eben dieser Gegebenheit selbst als Vehikel, als Mittel des Ausdrucks zu bedienen. Damit wird die „natürliche“ Symbolik, die wir im Grundcharakter des Bewußtseins selbst angelegt fanden, auf der einen Seite benutzt und festgehalten, während sie auf der anderen Seite überboten und verfeinert wird.“ (ebd. S 39.40)

Die von PLATON schon erkannte transzendental-reflexive Setzung eines „als“, mithin einer Art neuen Setzung in einer geistigen Setzung, evtl. als „Repräsentation“ benennbar – wird sie von E. C. auf die sprachlichen Gebilde objektivistisch übertragen, und werden diese nochmals aus dem subjektiven Vermögen des Bewusstseins abgeleitet und daraus erzeugt? Das „Zeichen“, das „Bild“ ist ein psychologischer Effekt?

Das repräsentative „als“ der Erkenntnis eines Seienden bei PLATON war eingebunden in eine universelle Vernunft der Ideen und zurückgebunden auf ein absolutes Eins, wodurch umgekehrt das Licht der Wahrheit in jeder Bestimmung des Seienden eingeflossen ist. Entfällt diese absolute, disjunktionslose Einheit einer lebendigen, sich selbst begründenden Idee der Wahrheit und des Guten, entfällt m. a. W. der Deduktionsszusammenhang der Rückgebundenheit jedes Seienden an einen werthaften, materialen Ideenhimmel, an eine Erscheinung des Absoluten, aber woher kommt dann der Gehalt der neuen geistigen Setzung und der Gehalt der geistigen („symbolischen“) Formen der Sprache bei E. C?

Natürlich bleibt der Ideenhorizont und das transzendente Hinausgehen über das Bildliche der Sprache bei E. C. noch implizit erhalten, dazu ist er viel zu belesen und höchst gelehrt, er möchte gerade nicht in einem Sensualismus der Sinneseindrücke enden, aber umgekehrt gefragt, warum scheut er sich den Gehalt und die, metaphorisch ausgedrückt, „Farbe“ eines werthaft-materialen und göttlichen Gehaltes im Wort und in der sprachlichen Vermittlung, mithin in einem sich bewährenden Bildsein einfließen zu lassen? Wo bleibt der interpersonal ausgerichtete Zweckbegriff der mediatisierten Form der Sprache, der wiederum Bezug nimmt auf eine Grundintention der ganzen Vernunft? Diese Suspendierung der Frage nach dem Absoluten und seiner Erscheinung, das ist nicht Bescheidenheit, das ist nur vornehmer Skeptizismus – wenn ich hier etwas böse sagen darf. Ich las in diesem ganzen 1. Band der Philosophie der symbolischen Formen kein einziges Wörtchen einer sich im Reflexionsakt mitgebildeten absoluten, göttlichen Wahrheit. PLATON, PLOTIN, ANSELM, DESCARTES, FICHTE waren hier ganz anderer Meinung! Hätte das sich bewährende Bild der göttlichen Wahrheit im Erkenntnisakt gerade nicht an dieser Stelle der Einleitung seines Buches einer expliziten und notwendigen Erwähnung bedurft?

Das Denken relationiert sich in die Präsenz hinein und die Präsenz in das Denken – und der ganze Wechsel ist unbegründet, weil von E. C. subjektivistisch und psychologisch begründet. Der Bedeutungshorizont der Sprache als Korrespondent des Denkens kann für sich alles und nichts sein, eine „Verhexung des Verstandes mit den Mitteln der Sprache“ (Wittgenstein), leere Metaphysik, wenn es keine absolute Einheit des Wissens gibt, worin Denken und Sein sowohl vereinigt wie disjunktiv hervorgehend sind. Die epistemologische Mitte der Bildung aller Sinn-Begriffe und relationalen Denk- und Sprachbildungen fehlt, die unbildbare, epistemologische Mitte aller semantischen Bildungen.

Der apriorische Sinn der Sprache erschöpft sich, von mir jetzt polemisch ausgedrückt, in einem psychologisierenden, schön-geistigen Bebildern und Iterieren und Differenzieren und sprachlichen Produzieren, in verschiedensten Bildungsprozessen und Grundfunktionen der Zeichengebung, noch dazu aufgeteilt auf verschiedene Wissensgebiete – aber ohne Garantie einer dahinterliegender, unbildbaren Genesis der intellektuellen Anschauung und ohne sinnlich-materialer Wahrnehmung dieser Sprachgebilde in einem Interpersonalitäts- und Zeitverhältnis. Wenn ich nochmals etwas bitter sagen darf, es wird eine philosophische Plauderei.

Bei E. C. hört sich das so an:
„Diese Wandlung zur Gestalt vollzieht sich in der Wissenschaft und in der Sprache, in der Kunst und im Mythos in verschiedener Weise und nach verschiedenen Bildungsprinzipien: aber sie alle stimmen darin überein, daß dasjenige, was schließlich als Produkt ihres Tuns vor uns hintritt, in keinem Zuge mehr dem bloßen Material gleicht, von dem sie anfänglich ausgegangen waren. So unterscheidet sich in der Grundfunktion der Zeichengebung überhaupt und in ihren verschiedenen Richtungen erst wahrhaft das geistige vom sinnlichen Bewußtsein. Hier erst tritt an die Stelle der passiven Hingegebenheit an irgendein äußeres Dasein eine selbständige Prägung, die wir ihm geben, und durch die es für uns in verschiedene Wirklichkeitsbereiche und Wirklichkeitsformen auseinandertritt. Der Mythos und die Kunst, die Sprache und die Wissenschaft sind in diesem Sinne Prägungen zum Sein: sie sind nicht einfache Abbilder einer vorhandenen Wirklichkeit, sondern sie stellen die großen Richtlinien der geistigen Bewegung, des ideellen Prozesses dar, in dem sich für uns das Wirkliche als Eines und Vieles konstituiert, — als eine Mannigfaltigkeit von Gestaltungen, die doch zuletzt durch eine Einheit der Bedeutung zusammengehalten werden.“(ebd. S 41)

Diese „Prägungen zum Sein“, das sind für mich subjektivistische Mutmaßungen ohne Wahrheitsrelevanz. Der oben geforderte apriorische Sinngehalt der Sprache kann gar nicht apriorisch und allgemeingeltend sein, sondern ist von der Seite irgendeiner Erfahrung und Kultur eingeschoben. Das ergibt aber nur eine hermeneutische Logik wechselseitiger Bestimmung von Denken und Sein, eine totale Relationalität und Relativität. 

Es folgt dann wieder gekonnt eine Replik auf die antike Sprachkritik (ebd. S 42 – 43), die starke platonische Theorie der „Verknüpfung“ (symbloke) des Seins mit dem bestimmten Sein in der Reflexivität des Wissens usw. (ebd. S 43). Dem kann ich literarisch gerne folgen, aber genügt das zu einer systematischen Gesamtrezeption der apriorischen Wissensformen  und der apriorischen Einheit des Wissens – und reicht das für „symbolische“ Sprachformen? Die Rechtfertigung dieser „symbolischen Sprachformen“ entfällt für mich definitiv. 

Schließlich folgt eine euphorische Huldigung des höchsten Zeichensystem, der Wissenschaft, (ebd. S 43), das Lob auf den Leibnizischen Algorithmus (ebd. S 44), wodurch eine „symbolischer Ausdruck“ (ebd.) gewonnen ist, rationalistisch die Wirklichkeit bestimmen zu können. Wenn ich jetzt naiv zurückfrage: Eine Formel soll jetzt höchster „symbolischer“ Ausdruck der Sprache sein? Eine Formel repräsentiert ein Lösungsverfahren in einer mathematischen Aufgabe, aber sie bleibt damit auf die interne Fragestellung und Berechnung innerhalb des mathematischen Zeichensystems begrenzt. Wie soll der übrige Bedeutungsgehalt der Sprache verstanden werden? Die „Symbolik“ – aus der formalen Anschauung der Mathematik hier gewonnen – suggeriert zwar einen transzendenten, realistischen Verweis auf etwas außerhalb des Zeichensystems Liegendes, auf einen messbaren Gebrauch, aber wie könnten damit alle anderen Gefühle, Wahrnehmungen, Personen, Artefakte, sinnlichen Eindrücke etc. bildhaft und repräsentativ wiedergegeben werden? Es ist hier eine kräftige realistische und auch idealistische Skepsis anzubringen – die freilich wiederum transzendental hinterfragt werden müssten – zu welchem Zweck und in wessen Namen und in welcher Zuordnung werden die Zahlen und Buchstaben und die „symbolischen“ Aussagen und Artefakte verwendet?

E. C. nähert sich schließlich immer mehr einem Gesamtprozess geistigen Bildens und Tuns – und im Grunde wird er hier sogar kohärenter in seiner Argumentation, indem er den Prozess der Sprachbildung (der symbolischen Formen) a) viel umfassender behandelt und b) Sprache gar nicht mehr in einem „symbolisch“ verengten Sinn einer formalen Anschauung versteht, sondern c) im kantischen Sinn der Schematisierung von Zeichen und Bildern. Die Schemate sind Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen auf die Zeitreihe (Quantität), den Zeitinhalt (Qualität), der Zeitordnung (der Relationalität) und auf den Zeitinbegriff überhaupt – in Ansehung aller möglichen Gegenstände. Gerade innerhalb dieser Schematisierung müsste aber jetzt ein ästhetischer und vor allem interpersonaler Platz der Erkenntnis a priori  sprachlicher Sinngestalten gefunden werden. 

Hier frei die Diktion von E. C: Das Bewusstsein schafft im inneren Sinn – durch die Anschauung der Zeit (ebd. S. 44)  – alle geistigen Gebilde der Sprache, sei es im Bereich der Mathematik oder in der Kunst oder im Mythos etc.– und durch diesen geistigen Schaffensprozess entstehen alle sprachlichen Gebilde – nach dem Modell der Wesensinduktion (ebd. S 45) – und so entstehen alle verschiedenen Gruppen und Systeme symbolischer Zeichen. (ebd. S 45).

Man greift hier förmlich, dass ihm der innerste Kern der Auflösung des Problems fehlt, wie es die fortgeschrittene und höhere Transzendentalphilosophie FICHTES aber vorgezeigt hat: Nicht ein subjektives Bewusstsein schematisiert hier etwas, oder das faktische Bewusstsein, sondern im Wissen und durch das Wissen kann der genetische Akt der Entstehung von Zeichen und Bezeichnetem, Denken und Sein, diskunktiv in Einheit abgeleitet werden.

Eines meine ich wenigstens nach den psychologisierenden Beschreibungen des Bewusstseins auf den Seiten 44 ff besser bemerken zu können: Seine subjektive Erkenntnis wird mehr und mehr auf einen apriorischen, transzendentalen (nicht psychologischen) Wissensakt zurückgebunden. So kann er, wie oben, zwar noch daran glauben, dass es eine species intelligibilis der sprachlichen Formen gibt, er spricht von „sprachlicher Wesensinduktion“, aber diese Induktion ist wenigstens schon im geistigen Handeln (und nicht in der subjektiven Seele) angesiedelt.
Weil ihm die höchste Wissenseinheit fehlt, bleibt ihm aber ein unvermittelter, objektivistischer Rest zwischen geistigem Handeln und sprachlichen Bildern und sinnlicher Vorstellungswelt übrig.

Hier verliert daher ebensowohl der sensualistische Grundsatz „Nihil est in intellectu, quod non ante fuerit in sensu“, wie seine intellektualistische Umkehrung seine Geltung. Denn es handelt sich nicht mehr um ein Voraufgehen oder Nachfolgen des „Sinnlichen“ gegenüber dem „Geistigen“, sondern um die Offenbarung und Manifestation geistiger Grundfunktionen im Material des Sinnlichen selbst. Von diesem Standpunkt aus gesehen, erscheint es als Einseitigkeit des abstrakten „Empirismus“, wie des abstrakten „Idealismus“, daß in beiden eben dieses Grundverhältnis nicht zur vollen Klarheit entwickelt ist. Auf der einen Seite wird ein Begriff vom Gegebenen und Einzelnen aufgestellt, ohne daß erkannt ist, daß jeder solche Begriff, explizit oder implizit, immer schon die Momente und Bestimmungen irgendeines Allgemeinen in sich fassen muß — auf der anderen Seite wird die Gültigkeit und Notwendigkeit dieser Bestimmungen behauptet, ohne daß das Medium bezeichnet wird, kraft dessen sie sich in der psychologischen Gegebenheit des Bewußtseins allein darzustellen vermögen. Geht man dagegen statt von irgendwelchen abstrakten Postulaten von der konkreten Grundform des geistigen Lebens selbst aus, so erscheint dieser dualistische Gegensatz als aufgehoben. Der Schein einer ursprünglichen Trennung zwischen dem Intelligiblen und dem Sinnlichen, zwischen „Idee“ und „Erscheinung“ verschwindet. Denn freilich blieben wir auch hier in einer Welt der „Bilder“ befangen — aber es handelt sich nicht um solche Bilder, die irgendeine an sich bestehende Welt der „Sachen“ wiedergeben, sondern um Bildwelten, deren Prinzip und Ursprung in einer autonomen Schöpfung des Geistes selbst zu suchen ist. Durch sie allein erblicken wir und in ihnen besitzen wir das, was wir die „Wirklichkeit“ nennen: denn die höchste objektive Wahrheit, die sich dem Geist erschließt, ist zuletzt die Form seines eigenen Tuns. (ebd.S 45)

(c) Franz Strasser, 13. Mai. 2017

 

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser