J. G. Fichte, Wissenschaftslehre 1811 – 7. u. letzter Teil, 37. – 38. Vorlesung (in Stichworten)

Von einem bloßen Faktum als Prinzip für das Sehen, und selbst, wenn es so und so bestimmtes, wirkliches Sehen wäre, auszugehen, wäre jetzt „einseitig erfaßt“. (ebd. S 220 Z 4)

37. Vorlesung
S 220

Die Einseitigkeit kann durch das Soll des Faktums durchschaut werden. Die WL ist ausgegangen von der Erscheinung Gottes und projizierte selbst nochmals diese Erscheinung. Das war ein „bisher sich nur verbergender Schematismus“ (ebd. Z 20) „das wahrhaft faktische und seyende“ macht natürlich das Sehen selbst, nicht die WL .

Das unmittelbare Sehen ist „unmittelbares Bild Gottes“.

Der Selbstvollzug der WL soll jetzt mitbedacht werden: Das reine Sehen sollte für sich gesehen werden, nicht nur im Ausdruck der Erscheinung.

S 221  Durch die Freiheit erscheint die Erscheinung, wie sie ist: sie ist reines absolutes Sehen, ohne alle Gebrochenheit, also Bild Gottes. Durch die Vollziehung der Freiheit müste drum dieses reine Sehen faktisch u. wirklich werden. Eine, gegen das bisher beschriebne Sehen, das sich bricht an sich, als gediegnem u. stoffmäßigem Princip, durchaus neue Lichtwelt. Dies wäre das eigentliche materiale der Anschauung: reines Sehen, Bild Gottes. 3.) Nun soll es hier ins besondre in der Form eines absoluten Soll erscheinen: aber dieses Sehen in der Form des soll b ist schlechthin unendlich, u. kann sich in sich selbst nicht brechen, u. zu einem endlichen, u. bestimmten soll, zu einem Was des soll werden. So gewiß das reine Sehen gesehen wird, wird es gesehen in seiner Unendlichkeit, u. tritt heraus in derselben. (ebd. S 221 Z 1ff)

Das Sehen soll als absolutes Soll erscheinen – das kann es hier nur in Vereinigung mit einem bestimmten und endlichen Soll. Es ist das Sehen eines Könnens.

Es ist damit ein Gesetz, aber nicht nur gedachtes Gesetz, sondern Gesetz im unmittelbaren Sehen und durch das unmittelbare Sehen.

Durch die Befreiung des Princips ist der ganze Zustand des Sehens anders geworden, ein anderer Lichtpunkt, u Auge eingetreten: statt des Sehens des Ich, das reine göttl[iche]. Sehen! Das wird jezt Exponent u. Faktor des ganzen Sehens, ihm das Gesez gebend,d und so wird denn, was vorher, durch die Freiheit des Ich hindurch, als Können erblikt wurde, durch das Gesez hindurch erblikt, als das, was seyn soll.“ (ebd. S 221 Z 23ff)

Es entsteht ein neues Sehen

S 222 Die Form des Sehens ist ein Beschränkung innerhalb des gegebenen Kreises des absoluten Soll. Das Soll „ist beschränkend für das Kann.“ (ebd. S 222 Z 2)

Das reine Sehen ist nur in Synthesis mit dem Kann ein Soll. Das Kann ist zu erblicken nur in der inneren Anschauung, durch das individuelle Ich hindurch.

Ich bin unendliches Prinzip des Könnens. Alles Können drückt aber nur aus das Sollen und ist bloß der Stoff seiner Sichtbarkeit.

Woher erhält das Soll seinen qualitativen Gehalt? Eben in der Synthesis mit dem Faktum der Erscheinung, d. h. der faktischen Anschauung.

Dadurch, wodurch es überhaupt zum soll wird, durch die Synthesis mit der faktischen Anschauung. An sich ist das Princip durch die Freiheit gerükt in das reine Sehen: indem es aber auch noch faktisch sieht, verwandelt u. beschrän[k]t in dieser Vereini- gung sich das Sehen zu einem Soll. [*]
Nicht es bildet, sondern in ihm bildet sich ein solches soll in diesem Zustande seines Sehens. Es ist also durch sein Seyn hinbildend das göttliche in das sinnliche, und dies ins unend- liche; sein Seyn, als ein unendliches Fortbilden, ist drum in dieser Synthesis wirklich Bild, Schema: des Bildes Gottes, u. im Sehen. Ein Bild. –  In dieser Synthesis, sage ich: denn ausser ihr ist es, als reines Sehen, selbst Bild. (ebd. S 222 Z 18ff)

S 223 Das faktische Soll ist bloß, damit das reine Soll erscheine, damit das erscheine, was erscheinen soll.

Die Welt der Individualität ist darum zuerst durch eine interpersonale, plurale Welt von Ich-Individuen bestimmt („Gemeine vernünftiger Iche S 223, Z 19)

Das faktisches Urbild Gottes ist die Sittlichkeit – und die Sinnenwelt ist nur Widerschein derselben.

S 224 Das Sehen soll als Sehen Gottes begriffen werden, als Synthesis mit dem faktischen Sehen.

Es kommt wieder zu dieser Spaltung α des Sehens und projiziertem β, das aber leeres Schema ist; es entsteht nur ein „rein formales durchaus unbestimmtes seyn, u. ein absolutes, weil das Princip, wo es in der That her kommt, das Sehen, nicht gesehen wird.“ (ebd. S 224 Z 24f)

Das α des Sehens liegt ebenfalls als Prinzip aber nur in der Reflexibilität des schematischen Vermögens? Ja, das ganze Sehen und die Spaltung desselben in Alpha und Beta (abstrahiertes, prinzipiertes Sehen) war bereits Erscheinung der Reflexibilität, nur die Synthesis γ des erkannten Solls in der faktischen Anschauung des Seins lag nicht darin, sondern ist erst durch Freiheit entstanden. Reines Sehen und abstrahiertes Sehen sind als disjungierende wandelbar, was ist aber deren wechselseitige Ermöglichung und Bestimmung?

Das faktische Soll, der Naturtrieb“ (ebd. S 225 Z 7) kann bei einem wissenschaftlichen Genie mit dem reinen Sehen verbunden gedacht werden. Aber das ist nicht die wahre Weisheit.

So kann denn durch den Naturtrieb hervorgebracht werden ẞ. [Dann ist es] Abstraktion von dem Wissen, das Sie kennen: Wissenschaft, ohne wahre Weißheit. Der Naturtrieb heißt dann Genie. Daß ich von ihr, nachdem ich sie zu einem sittl[ichen]. Vermögen gemacht habe, nicht verächtlich rede, versteht sich wohl. Es ist auch dies alles gut. nur nicht das rechte. a./ Gott, als leerer Begriff, ohne Religion: ganz wie es oben hingestellt wurde. Der dann, weil er ohne dies zu kahl ist, mit Acciden- zen ausgestattet wird.
Auf die rechte Weise wird dieses eingesehen nur in seinem Zusammenhange. Das Grundglied alles Zusammenhanges y aber geht nur durch Freiheit auf. Mit diesem Auge gesehen, gewinnt diese höhere Welt, eben so wie wir es früher von der niedern gezeigt haben, eine ganz andere Ansicht, u. diese ohne Zweifel ists, welche die W.L. zu nehmen hat.
(ebd. S 225 Z 8ff)

Eine Begründung und Rechtfertigung der Wechselseitigkeit von reinem Sehen und faktischem Sehen im Naturtrieb kann nicht nur abstrakt und theoretisch hergestellt werden, sondern nur durch eine religiöse Wahrheit, worin Form und Gehalt des reinen Sehens durch Freiheit vereint sind.

Und nun steht die Sache so: [*] Gott ist das reine Sehen, oder Licht; u. Gott ist, wo er ist, im Lichte aufgegangen nach seinem Wesen. Wir können dies auf keine Weise realisiren; würden wir davon sprechen, sind wirs nicht, sondern stehen ausser ihm. Für uns, in Beziehung auf Fakticität, [ist] absolute Sichtbarkeit Gottes. In ihm [ist] keine Freiheit, kein Werden, kein soll,“ sondern reines lauteres Seyn.  (ebd. S 225 Z 22)

Damit ist eine begründete Wechselseitigkeit von reinem Sehen und faktischem Sehen gewonnen. Das Licht soll sein als solches, „es soll sich eben sehen, und so sich brechen an sich selbst. Auf diese Weise kommt ein nicht absolutes Seyn, u. ein Vermittlung deßelben, ein soll, in dasselbe“ (ebd. S 226 Z 2f)

Es folgen hier sehr starke Stellen, die ich im Wortlaut zitieren muss, weil sie zur höchsten Form der Erscheinung führen, zum Willen, als Form, vereinbar mit dem Gehalt der Erscheinung des reinen Soll in faktischer Synthesis:

Es soll schlechthin zufolge seines Seyns in Gott: es kann drum. Das soll, als absolutes Faktum, macht sich sein kann. Das Licht ist absolut Princip seines sich sehens. – Dies ist es im absoluten Lichte: es wird also schlechthin als solches gesehen: durch das durch sein eigenes faktisches Gesez bestimmte Sehen. Das umgebende faktische [ist das] durchaus unfreie.. δ-ε u. auch gewissermaßen a, u. β
NB. Durch dieses faktische soll, im Verhältniß mit dem andern Soll, ist nun seine Form, von seinem Inhalte ganz u. gar geschieden. Es wird Disjunktion. -. [**] Es soll sich sehen: der Inhalt soll in die stehende Form wieder hineinkommen. y. Synthesis.
Es soll diesen Inhalt sehen, als das was er ist: Bild Gottes; so muß es ihn wieder abtrennen. a. β.
Sie haben gesehen, was noch folgt:-. Reflexibilität überhaupt auch über y. verbreitet, u. hineingebracht in die Freiheit, u. was damit sehr enge zusammenhängen dürfte: Wille (ebd. S 226 Z 6ff)

38. Vorlesung

S 227 Das faktische Sehen wurde als bloßes Schema herausgearbeitet, des reinen Sehen im Hintergrunde. Aus diesem gesetzmäßigen Schema wird die „materiale Welt“ „hingespiegelt“ (ebd. S 227 Z 8)

Das Ich ist ebenfalls aus dem faktischen Sehen „hingespiegelt“ (ebd. Z 14)

Das faktische Soll ist aber nicht absolut in Beziehung auf das ideale Soll, es soll ja werden „unendliches Bilden Gottes“ (ebd. Z 19)

Das reine Soll kann sich erheben zum Sein dieses Bildes – in jedem Individuum.

Das absolute Soll, falls es faktisch wird, erhält qualitativen Gehalt und Unendlichkeit aus seiner Synthesis mit dem faktischen Schematismus.

Das Prinzip kann sich erheben zur Einheit; dieses Kann ist Sphäre der Freiheit. Es kann sich hingeben an die Bestimmung durch das faktische Soll, oder an das reine Sehen.

S 228

Das faktische Soll kann nicht aufgehoben werden, weil es selbst zufolge des göttlichen Gesetzes des Sehens ist; die Freiheit, sich diesem Gesetz hinzugeben kann ebenfalls nicht aufgehoben werden, aber es kann die Wirklichkeit dieses Hingebens an die Faktizität aufgehoben werden; nicht das Vermögen.

Durch das reinen Vermögen kann es faktisch ins „unendliche fort“ (ebd. S 228 Z 19) „vernichtet“ werden. Es bleibt die Kraft und die Energie des Prinzips, als bloße Form, „gegen den faktischen Hang“ (ebd. Z 13)

Dieses Sich-Hingeben an die Einheit des absoluten Soll, „der Faktizität sich nicht hinzugeben, ist der „Wille“ (ebd. Z 18)

Der Wille erscheint als „ein sich halten, gegen faktischen Hang. Das durchs faktische Princip unterdrükte faktische Princip. [Dies ist] die Natur über der Natur“ (ebd. Z 20f)

Das faktische Soll ist nur das Prinzip des reinen Soll – durch den Willen erkennbar – und das ist es wirklich, wenn es als Prinzip sich vollzieht und seine „vom Schematismus unabhängige Realität erhält“ (ebd Z 28)

Zufolge des Willens ist das reine Soll erreichbar, aber nur zufolge des faktischen Soll kann es als solches gesehen werden, also muss der Wille sich dem faktischen Soll in Synthesis mit dem reinen Soll hingeben:

6.). Durch diese Erhebung zum Willen ist nun alles fakti- sche Sehen durchaus aufgehoben. Das Princip steht im reinen Sehen; dies aber ist, auf faktische Weise genommen, ein sehen von nichts, gar kein Sehen. Nun soll gesehen werden eben das reine Sehen, zufolge des faktischen Soll. Dies ist möglich nur, in wiefern dasselbe sich bricht an dem faktischen Können: u. darauf reflektirt wird. Das wollende soll also reflektiren: oder vielmehr, da das Soll in seinem Seyn aufgeht, es reflektirt, und so erscheint ihm denn in dieser Reflexion, nicht was es soll, sondern was eben überhaupt seyn soll, [was] wirklich gemacht werden soll. – Es giebt zufolge des soll sich hin an das faktische Sehen. (ebd. S 228 Z 29f u. S. 229 bis Z 7)

S 229 Aus dem Willen und der Synthesis von reinem Soll und faktischem Soll im Sehen wird der Begriff des Handelns durchsichtig und begreifbar:

7.). Setzet, das rein wollende Princip gäbe noch weiter sich hin: was wird erfolgen? Ich sage: Die Erscheinung eines wirklichen Handelns des Individuum nach dem, in jenem Bilde aufgestellten Zwekbegriffe, bis zur vollendeten Realisation dieses Begriffes, würde erfolgen. Ich ersuche Sie,] dem Beweise Ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken; denn mit ihm schwindet die lezte Dunkelheit, die etwa für jemanden noch auf unsrer Theorie schweben könnte. (ebd. S 229 Z 8f)

Daß es überhaupt kein Handeln giebt, weil es kein Ich giebt, sondern daß dieses alles nur das schematisirende faktische soll hinspiegelt, wissen Sie,“ u. ich denke es nicht zurük[zu]nehmen.“(ebd. Z 16f)

Ein Handeln kann nur in der Erscheinung sein, wenn im „Schematismus ein wirkliches Wollen des Individuums vor[ge]spiegelt wird, so liegt in demselben auch ein Handeln, u. umgekehrt“ (sc. d. h. im Handeln wird zurückgeschlossen auf ein Wollen in der Erscheinung.)

Handeln und wirkliches Wollen sind in der Erscheinung vereint; aber das ist nur äußere Anschauung eines reinen Solls, eines „verstandenen Vermögens seiner sittlichen Bestimmung“ (ebd. Z 31)

S 230 Ein Handeln wird notwendig als ein Handeln des Individuums durch das faktische gebildet, wenn damit das reine Soll zum Ausdruck kommen soll. (vgl. ebd. Z 3)

Das ist die Form in der Erscheinung für die Erscheinung, und Ausdruck der Form eines „qualitativen Soll“ (ebd. Z 9)

Aber ist das qualitative Soll nicht ganz offenbar und unendlich? Es kann erst in der Reflexion auf das Können durch die vorhergegangene Erscheinung seiner wirklichen Kraft im Handeln erkannt werden. Die künftige zweite Erscheinung ist bedingt durch die Erscheinung des wirklichen Handelns. (vgl. ebd. Z 18) Also muss, ordinal gezählt, ein durch ein absolutes Soll schon ermöglichtes bedingtes faktisches Prinzip diese Erscheinung des Handelns ermöglicht haben?

Es ist eine verzwickte Argumentation:

Also die künftige zweite Erscheinung ist bedingt durch die Erscheinung des wirk-l[ichen]. Handelns; drum muß dies durch das vorige Eine Soll bedingte faktische Princip diese Erscheinung des Handelns hervorbringen u. bringt sie nothwendig hervor. [*] [* am Rande ohne Vermerk:] Also: Das realiter bilden[d]e Individuum soll sich hingeben der Erscheinung, weil dieses die Ordnung ist des Heraustritts des ganzen Soll.
So demnach sind die Momente (merken Sie dies im Vorbeigehen[!]) in der wahren, u. ewigen Zeit bedingt u. gereiht. Der Erscheinung des reinen Sehens in jedem Momente muß erst ihr Recht widerfahren, in jeder Rüksicht: sie muß eintreten in die materiale Welt: dies ist die Bedingung einer neuen Erscheinung, u.s.f., indem nur an der neu entwikelten [* am Rande ohne Vermerk:] Also: Das realiter bilden[d]e Individuum soll sich hingeben der Erscheinung, weil dieses die Ordnung ist des Heraustritts des ganzen Soll. Kraft die neue Aufgabe sich bewähren kann. Dagegen in der sinnlichen Welt ist gar keine wahre Zeit (wie sie ja überhaupt nicht wahr ist), sondern sie steht stille u. hält nur rein dieses[:] Du sollst dir einen Willen anschaffen, den Erscheinungen vor>. (ebd. S 230 Z 18 ff u. S 231 bis 5)

S 231 Vom reinen Denken her muss die Erscheinung des Willens zurückgenommen werden auf das reine Soll der göttlichen Erscheinung, also es kann sich nur diesem erscheinenden Prinzip des Solls in Form von Anschauung hingeben, „an das Gesicht“ (ebd. Z 10)

Was thut nun dabei das wollende Princip? Durchaus nichts weiter, als es giebt hin sein Sehen an das dasselbe ganz gewiß nach dem sittl[ichen]. Gesetze machende faktische Princip. Es sieht nichts hin, sondern es schaut nur an das Gesicht, das ihm wird. Handelt es, oder glaubt es zu handeln? Es weiß ja, daß es garnicht ist. Es giebt sich nur hin der Erscheinung, die sich ohne alles sein Zuthun ganz richtig machen wird.(ebd. Z 6ff)

Mit Sekundärliteratur kommentiert, würde ich das als Weisheitslehre asiatischer Prägung ansehen (Laotse). Sich durch freies Nichts-Tun dem Erscheinen Gottes hingeben, das ist transzendental gewollte Synthesis von reinem Soll und faktischem Soll im Können.

Es ist nichts, u. will nichts, u. weiß es: in ihm läuft ab das Bild Gottes, das sich selbst macht, durchaus u. ganz, erscheint als ein solches Postulat an die Welt; erscheint als realisirend dieses Postulat in der Welt, erscheinen wird, wenn seine Zeit kommt, in einem neuen Postulate u. so fort in die Ewigkeit.. Es selbst, das Princip, kann sonach dabei nichts thun, als sich erhalten als solchen reinen u. ungetrübten Spiegel u. dies geschieht eben durch nichts anderes Thun. Wollte es etwas andres thun, so müste es sich eben wieder hingeben dem faktischen Soll; nicht wie jezt als untergeordnetem, sondern als höchstem Princip; u. dadurch wäre denn alles aufgehoben. (ebd. S 231 Z 14ff)

S 232 Der Weise gibt sich in seinem notwendigen Schematisieren und faktischem Sehen dem reinen Sehen hin; die zu erreichenden finalen Endpunkte des Schematisierens und Projizierens Delta und Epsilon sind Erscheinungen eines absoluten Solls.

Sind auch die Anfangspunkte des Sehens Alpha und Beta als Erscheinungen des absoluten Solls und Gottes erkennbar? Solang der Wille als die Synthesis von reinem und faktischem Soll in Gamma nicht reiner Wille ist, ist es nicht der „vollständige Wille“, er ist selber noch Erscheinung. „Es ist noch nicht da das soll, Daß es das Sehen, als Bild Gottes, sehe, und erst wenn dieses soll vollzogen ist, ist alles Soll vollzogen.“ (ebd. Z 11f)

Es sind ebenfalls wieder sehr dichte Worte, die ich zitieren muss, weil sie zugleich den höchsten Sinn einer mit rein abstrakten Mitteln der Philosophie erreichbare Weisheit ausdrücken, d. h. die WL in ihrer Begründung und Rechtfertigung zum Anfangspunkt zurückführen, begriffenes Sehen des Sehens zu sein:

Ich sage ferner: Erst auf diesem Standpunkte tritt dieses Soll in seiner wahren dringenden Kraft ein. Erst hier ist das Sehen, das reine, das wirklich u. in der That Bild Gottes ist, u. als solches angesehen werden kann. Auch tritt hier erst eine Unbegreiflichkeit ein, die gelöst werden muß: /. Das Sehen der Dinge, [ist] nur das von den Dingen, die mich befriedigen. – aber hier [sind] Ideen, übersinnlich, von nichts, denen ich doch mein Leben, meine Natur hinopfern soll? Warum nun,“ was liegt zum Grunde? Diese Frage muß hier gelöst werden. Der Wille kann nicht ruhig, fest u. unerschüttert auf sich stehen, ohne sich selbst, u. sein Objekt zu begreifen, Das Objekt des Sehens.“ (ebd. S 14ff)

Die Antwort kann nicht anders ausfallen als als synthetische Aufgabe: Das reine Sehen des Sehens und das faktische Sehen müssen in der Idee der Möglichkeit und der Wirklichkeit nach zusammenfallen. Dies geschieht nun einmal im Willen, worin Einsicht und Vollzug zusammenfallen, absolutes Soll und dessen Erscheinung als Sehen des Sehens selbst, als Willen bejahenden Willen, als Liebe bejahende Liebe (vgl. S 223 Z 5). Dies ist dann mehr als Wissenschaft –Das reine Sehen ist im Bilde unsrer W[issen]sch[a]ft ganz eingetreten in das faktische. – ist „Weißheit“ (ebd. Z 13), und der Gedanke Gottes wird „Religion“

S 233 Religion ist d.i. das ganze, dessen ewiger Abbildung wir uns hingeben, u. an ihr uns vernichten, u. aufgehen. Das reine Sehen ist im Bilde unsrer W[issen]sch[a]ft ganz eingetreten in das faktische. Das Sehen ist Eins: synthetisch zwar, aber diese Synthesis ist vollendet in Einem Blike; unendlich zwar ablaufend, aber diese Unendlichkeit ist vor- weggenommen, und in Eins gefaßt, im Willen. Dieser Wille ist formaliter Eins, die Individualität aufgehoben, denn alle sind dasselbe reine Sehen: die Unendlichkeit [realisiert], denn der Wille steht unwandelbar, u. unveränderlich über dem ewigen Wandel . (ebd. S 233 Z 15ff)

So die höchstmögliche Beschreibung der Religion aus dem Blickwinkel einer abstrakten Philosophie und so die höchstmögliche Beschreibung eines Imperativs der Wissenschaft: nun gehe hin u. werde das Urbild. Wissenschaft hättest du; nun werde Weißheit.. So endet sie, sich sich als Schema u. Mittel aufge- bend, im Postulat eines Faktum.“ (ebd. Z 26)

Die Aufgabe war: im Denken die Einheit von Denken und Anschauung als Postulat aus der Erscheinung des Absoluten einzuholen und abzuleiten.

Die WL überschritt nicht die Grenzen der transzendental zu erkennenden Wirklichkeit, und beschränkte sich selbst auf die Erscheinung des Absoluten in einem außer ihm stehenden Sein im Faktum des möglichen und wirklichen Sehens. Die Weisheit ist die erreichbare postulierte Genese des Faktums. Die WL „war das Bild der Synthesis aller Disjunktionen: vom Standpunkte des Willens aus. Also – sie ist die Einheit der gesamten Reflexibilität; drum es vollzogen habend, sieht sie die ganze Gesezmässigkeit des Wissens.“ (ebd. S 233 Z 30 f)

G. Rametta drückt es so aus: die WL wird zur „Einheit von Wissen und Wollen, d. h. zu einem Wissen, das sich als freies Handlungsprinzip in der Wirklichkeit realisieren kann.“ 1

© Franz Strasser, April 2023

 

 


 

 

 

 

 

1G. Rametta, Die Gedankenentwicklung, ebd., S 267.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser