Transzendentale Logik – 1. Teil

Was ist der Begriff des Begriffes? Wie hängen Anschauung und Begriff zusammen?

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Transzendentale Logik I (1812), Reihe: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen IV. Neu herausgegeben von Hans Georg von Manz und Ives Radrizzani unter Mitarbeit von Erich Fuchs, frommann-holzboog Studientexte (abk.) fhS) 4,1 Stuttgart, 2019.

Worum geht es in diesen Vorlesungen? 1

Prolegomena meinerseits: In den ersten elf Vorlesungsstunden geht es in erster Linie a) um das Verhältnis Logik und Philosophie und b) wie es zum Begriff der Empirie und der Logik überhaupt kommen kann. Logik ist wie Empirie.

In den Stunden 1. – 3. werden die Grenzen abgesteckt: Was ist das Wesen des Begriffes und was ergibt sich deshalb als Aufgabe für die Philosophie? Ab der 4.- 7. Stunde dreht sich alles um das Selbstverständnis des Begriffes im Allgemeinen, ab der 8. Stunde bis zur 11. Stunde um den Begriff im Besonderen.

Um beim letzten Punkt anzuknüpfen: Das Wesen des empirischen Begriffes zu erkennen – das verweist für mich stark zurück auf das Universalienproblem: Es gibt hier nach Fichte a) schlechthin die Empirie bezeichnende Begriffe wie Körperlichkeit (Materialität) (oder „Natur“ genannt, siehe ab 12. Stunde ff),und es gibt „höhere“ b) empirische Begriffe, die sich einem Unter-Gesetz des empirischen Bewusstseins verdanken wie „Pflanze, Tier, Mensch“. Beide Arten sind aber weder realistisch abgeschaute Abbilder, als könnte das Sein der Dinge an sich erkannt werden, noch bloß konventionell, idealistisch gebildete Begriffe, bloße nomina, als könnte diese willkürlich als bloße Wörter für jedes Sein und Ding vergeben werden, sondern die Begriffe sind Bilder des Seins in einem Verhältnis zum konzeptionellen Bilden des Bildes vom Sein. Sie sind im Geiste gebildet, setzen aber wahres, reales Sein voraus. Gerade diese Konzeptualisierung und das Bilden des Bildes vom Sein zu erfassen und zuj vertehen – das ist Aufgabe der Philosophie und der Wissenschaftslehre. Anders gesagt,  den Begriff des Bildes und das ganze Wesen der Bildlichkeit  zu erfassen, das ist höchste geistige Reflexion, kann aber auch den Begriff einer „Logik“ oder logischer Denkformen verständlich machen.  

1) Der Universalienstreit des Mittelalters offenbart ganz gut die versteckten Fragen: Nach dem Realismus ist Allgemeinheit  eine Eigenschaft von Sachen (res). Nach dem Nominalismus ist Allgemeinheit nur eine Eigenschaft von Namen (nominal). So werden Namen wie ‚Mensch‘ vergeben und treffen dann auf mehrere „Sachen“ (Menschen) zu, aber Allgemeines an sich existiert nicht. (Siehe z. B. Artikel zum Universalienproblem bei wikipedia.)

Das Problem liegt natürlich darin, dass bis zur expliziten Transzendentalphilosophie Kants, der ein gewisses Schema von Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung aufgebaut hat, und Fichtes totalem Fragen nach den Bedingungen der Wissbarkeit inklusiv unreflektiert gelassener Bewusstseinhandlungen, das Verhältnis von Begriff und Sein nie restlos aufgeklärt und dargestellt werden konnte. Man kannte natürlich die Bedingungen des Wissens, und auf diese und jene Weise haben die Philosophen ein zusammenhängendes System aufgestellt, weil das transzendentale Fragen von selbst nach den letzten Ursachen und Gründen trieb.
Es kommt darauf an, so jetzt Fichte in der „Transzendentalen Logik“ (abk.= TL 1), den „letzten Sehpunkt“ der Bildlichkeit (fhS, 4, 1, ebd. S 160) zu finden, aus dem sowohl Bild wie Begriff (z. B. einer logischen Konsequenz) hervorgehen.

Meines Erachtens: Sobald man im Bereich der Anschauung auf die  nicht reflektierte Ebene der Logik und der sprachlichen Gebilde überwechselt und dort zu denken beginnt, ist leider bereits eine unüberbrückbarer Kluft zwischen Begriff und Sein aufgetan, die nie mehr zu schließen ist. Nach meiner bescheidenen Lektüre verheddert sich z. B. die Analytischen Philosophie von Anfang an in eine Menge von Relationsprobleme zwischen Denken und Sein, Wörtern und ihrer Bedeutung….. Sie supponiert ständig eine Einheit zwischen Sprechen und Sein, aber in welcher Weise!?
Sie kommt  zu keiner Einheit, weil prinzipiell die Möglichkeit und Wirklichkeit des Seins den Bedingungen der Wissbarkeit nach und in Begriffen der Reflexivität nicht adäquat gefasst, gebildet und verstanden werden. Man weicht mangels transzendentaler Einheit  in der transzendentalen Bildlichkeit des Wissens  auf metasprachliche Argumente aus und  redet über den Sprachgebrauch, redet von einer selbst sich erfüllenden Performativität des Sprechaktes, über Lebensformen, die in der Sprache zum Ausdruck kommen, über die unhintergehbare Logik der Grammatik usw. und vermag bestenfalls faktisch zu erklären, dass gewisse Konzepte, Zeichen, Sprechakte, oh Wunder!, funktionieren, aber nicht, warum diese Konzepte/Zeichen das wahre Sein des Bezeichneten tatsächlich abbilden und enthalten sollen. Das Regelwerk ihrer aufgestellten Funktionen und Analysen bleibt im Dunkeln.  Die Vorlesungen der TL I hingegen, allein  1- 11 , sind  m. E. so markant und deutlich in ihren Aussagen zur Logik und zur Empirie, dass ich mich frage, wann gibt die Analytische Philosophie endlich  sich selber auf!  

2) Die formale Logik, indem sie Regeln des Denkens erstellt und sie abstrahiert zu reinen Formen des Denkens, vergisst das sie selbst erstellende, ihr eigenes Denken dieses Denkens der Formen erstellende Denken. Es verobjektiviert und versinnlicht die Regeln (des Denkens) wie eine empirische Anschauung. Diese Analyse, aufgelöst und abstrahiert als formale Regeln des „Denkens“ – obwohl das kein Denken mehr ist, weil kein „Ich“ das denkt und versteht – müsste selbst ihr Sein wissen und denken können.2

So ist es die Frage Kants, wie können die apriorischen Erkenntnisbedingungen selbst zum Gegenstand des Denkens werden und mit wahrem Geltungsanspruch auftreten, ohne selbst wieder objektivistisch/subjektivistisch genommen zu werden, von Fichte nochmals aufgegriffen.

Keine Logik und keine Naturwissenschaft (oder Gesellschaftswissenschaft), so der Tenor in der „Transzendentalen Logik“ 1812 (abk. = TL I) , kann auf die apriorischen Erkenntnisbedingungen verzichten – die Frage ist nur, wie können sich diese Erkenntnisbedingungen selbst erkennen und reflexiv wissen?

In der Logik wie im Naturerkennen (Empirie) geschieht immer ein Akt des Subsumierens und Sehens mittels apriorischem Unterscheiden und apriorischem Beziehen und mittels kategorialer Begriffe und apriorischer Anschauungsbedingungen (Zeit und Raum). „Ziel der WL ist, die genetischen Grundformen aller je möglichen Denkverfahren des Bewusstseins vollständig zu erfassen und objektivierend zu beschreiben.“3
 

3) Ich möchte hier im 1. Teil, bevor ich konkret zur TL I (1812) komme, auf die generelle Lösung dieser Frage  verweisen: 

Es ist ein Soll – nicht als Unterbereich einer Sittenlehre gleich zu vereinnahmen – das sowohl ein conditionales wie ein causales Verhältnis ermöglicht und verbindet, d.h. a) das antezedens einer vorausgesetzten Vermittlung und consequens eines begrifflich Gedachten,  als auch b) die causa sui und den effectus einer wirklichen Kausalität  – hier als Gegenstand „Logik“ dann sichtbar gemacht.4

(Es ist dabei nochmals zu differenzieren zwischen einem absoluten Soll der Seinsvoraussetzung der Existenz (des kontingenten Ichs) überhaupt nach,  als auch einem reflexiv-begrifflichen Soll eines Prinzips der Konsequenz, aus dem die Logik und die Empirie folgt. Das wäre aber eine weitere Frage.) 

„Der reine Begriff des Soll setzt in seiner Form den Anfang von Logik als die bloße Möglichkeit zur Konkretisierung logischer Zusammenhänge.“5

Die so erscheinenden „Universalien“, um sie nochmals aufzugreifen wie a)  Körperlichkeit, b) Pflanze, Tier, Mensch,  sind so gesehen bereits notwendige logische Formen einer Empirie, die  durch einen Reflex des Sehens, der mitbedingt ist durch die Reflexibilität des Sich-Wissens (der Ichheit) und durch ein praktisches, freies Interesse und Wollen, erzeugt. Sie existieren nicht realistisch vor der Möglichkeit ihres Begreifens, sie sind aber auch nicht bloße Wörter, „nomina“, weil in der Konkretisierung ihrer Möglichkeit  (im Begriff des „Reflexes“ nach der TL I) eine genetisch-faktische Realisierung miteingeschlossen ist. Das Sehen von „Körperlichkeit“, „Pflanze“, „Tier“, „Mensch“ entspringt einem notwendigen Sehen, d. h. einem realen, gesetzhaften Sehen in und aus der Erscheinung.  So wie in der Philosophiegeschichte der Gottesbeweis stets geführt wurde, im Denken des absoluten Seins ist seine Existenz gesetzt, so ist im wirklichen Sehen eines Gesehenen ein notwendiges Gesetz der Erscheinung gesetzt.  

Anders gesagt: Es sind diese genannten Begriffe zwar abstraktiv gewonnene Universalien, Allgemeinheiten, die aber  substantiell existieren, also nicht bloß nomina sind, weil sich in ihrem Sein ein notwendiger, gesetzhafter Seh-Akt zum Ausdruck bringt und realisiert. (Siehe dann TL – I, 11. Stunde u. a.).

Das Universalienproblem oder die Frage nach den Allgemeinheiten, ob sie an sich oder nur als Wörter Universalien sind, liegt somit disjunktiv begründet in der genetischen Einheit und Dynamis eines Solls, das sowohl die Bedingung der Möglichkeit des Denkens bereitstellt wie z. B. die Form der Zweiheit der Reflexion,  die Bildlichkeit des Sich-Wissens, als auch  die realen Anschauungs- und Begriffsbedingungen einer prinzipiellen Konsequenz, „Logik“ genannt. 

Anders gesagt:  Die logischen oder empirischen Begriffe in ihrer epistemischen und reellen Bedeutung sind aus der selbst unbildbaren, epistemologischen, real-idealen Mitte eines Werdens  – als Grundform des Bildseins  – gewonnen, dank Erscheinung überhaupt, und können als  untergeordnete (subsumierte) Bilder des Bildseins dargestellt und konstruiert werden. Das Bildsein dieses in Ich-Form erscheinenden Urbildes selber nicht konstruiert werden, sonst fiele die Wissbarkeit und Sichtbarkeit des Konstruktion selber weg. (Siehe genauere Begründung bei M. J. Siemek – Blog „Bild und Bildlichkeit“

Anders gesagt: Ein landläufiger Begriff  als sinnlicher Qualitäts-Begriff  oder ein abstrahierter, logischer Begriff, sie allesamt sind  empirisch – und epistemologisch gebildet in der Bildlichkeit des Ichs und seiner reellen Gesetze.  Transzendentale Logik begründet die formale Logik – und somit jede Form von wissenschaftlicher Begrifflichkeit und Rationalität. 

„Nun ist es uns Ernst nicht mit der Logik: diese [dient uns] nur als Mittel: aber mit der ϕ. – [Dieser Vortrag ist auch eine] Einleitung drum, von der ich mir eine grosse Klarheit, u. zum verstehen zwingende Kraft verspreche. – . Der philosophische Sinn wird dadurch genetisch, als Erhebung u. Losreißung vom logischen.“ (Transzendentale Logik I, frommann-holzboog Studientexte (fhS) 4, 1, S 5 Z8)

 

(c) Franz Strasser, 17. 10. 2020

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1Hans Georg von Manz, Fichtes Theorie des Begriffs und der Empirie in der „Transzendentalen Logik I“: Zur Methodik, zu ihrem Status als Propädeutik für die Wissenschaftslehre und eine kurze Darstellung ihrer Ausgangsthesen, Fichte-Studien Bd. 45, 2018, 44 – 60, S 55.

2Vgl. dazu Manfred Zahn, Die Idee der formalen und transzendentalen Logik bei Kant, Fichte und Hegel. In: Schelling-Studien. Festschrift f. M. Schröter. Hrsg. v. A. M. Koktanek, München/Wien 1965, S 153-191. Sammelband verschiedener Aufsätze von ihm, Hrsg. v. M. Scherer unter „Selbstvergewisserung“, Würzburg 1998.

3J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens nach Joh. Gottl. Fichtes Wissenschaftslehre 1804/2, Hamburg 1977, S 100.

4Vgl. J. Widmann, ebd. S 101ff.

5J. Widmann, ebd. S 103.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser