Die Postulatenlehre KANTS und ihre Defizite. Die notwendige Weiterführung FICHTES. 1. Teil

Historisch und begrifflich knüpfte FICHTE in der Schrift der OFFENBARUNGSCRITIK von 1792/93 deutlich an KANT an, die kreative und konsequente Fortführung des transzendentalen Wissens ist aber nicht zu übersehen.1

In der Kantischen Lehre von den „POSTULATEN DES EMPIRISCHEN DENKENS ÜBERHAUPT“ (KrV, B 265; Bd. III, 248), bzw. in den „Postulaten der reinen praktischen Vernunft“ der KpV (A 220; A 223ff, Bd. 7, S 220ff) kann m. E. der fehlende Begriff einer synthetischen Idee a priori, d. h. der Sinnidee, aufgezeigt werden, der eine konstitutive Verwendung der Begriffe Gott, Freiheit und Unsterblichkeit begründet und rechtfertigt.2

Schon die apriorischen Verstandesbegriffe von Quantität, Qualität und der Relation werden bei FICHTE nicht einfach auf die schon vorhandene Gegenstandswelt übertragen, sondern erhalten eine sittlich-praktische und regulative Funktion in der Gegenstands- bzw. Personenerkenntnis; ebenso wird die Kategorie der Modalität eine höhere Erkenntnisfunktion erhalten, einmal, was die wirkliche Entschiedenheit des Urteils betrifft, als auch die der Gegenstandsbestimmung. Die Kantischen „Postulate“ sind (nach FICHTE) schon anschaulich erkannte, bestimmte Forderungen aus einem (sittlich-praktischen) Modus der Entschiedenheit des Urteils in der Zeit.

Ich stütze mich hier resultathaft auf die Lektüre von R. LAUTH: 3 Die Postulate (der praktischen Vernunft) resultieren grundsätzlich aus der Beziehung des Sittengesetzes auf die empirische Realität. Weiters stehen sie in Beziehung auf den Willen (KpV, A 238) und schließlich in Beziehung auf die „in der Natur der Dinge liegenden Bedingungen der Möglichkeit des höchsten Guts“ (KpV, A 258). Es ist „die Natureigenschaft des Menschen, sich zu allen Handlungen (…) einen Zweck denken zu müssen“ ( KANT, DIE RELIGION XIII A; Bd. 8, S 655). Postulate sind auf die Notwendigkeit hin formuliert, Kausalität in der Welt der Sinnlichkeit zu erreichen.

Der Postulatsbegriff ist nach KANT nicht leer, sondern drückt ein ganz bestimmtes Verhältnis eines praktischen Gesetzes zur Realität aus. R. LAUTH arbeitet sehr deutlich verschiedene Modi der Erkenntnis heraus:4 Es ist ein Unterschied, ob nur theoretisch die Vernunft eine Beziehung zum Dasein der Dinge setzt, oder ob eine praktische Forderung vorliegt, wodurch implizit eine Synthesis zwischen praktischem Gesetz und Dasein vorausgesetzt wird. KANT spricht zwar  von Möglichkeit einer praktischen Bestimmung, doch nach Ansicht LAUTHS ist diese praktische Bestimmung des Willens in ihrem Rechtsgrund methodisch nicht durchreflektiert und begründet. Wie eine praktische Setzung in der Art der sittlichen Forderung im praktischen Gesetz möglich sein soll, das setzt nicht nur einen theoretischen Begriff von Freiheit voraus, sondern bedeutet auch, durchaus mit Kantischen Ausdrücken erklärt, „Formung“, „Übereinstimmung“, „Unterworfensein“. LAUTH nennt diese Formung oder Übereinstimmung eine Wirklichkeit, weil das praktische Gesetz wirkt und wirklich die Realität bestimmt. KANT verschleiere mit seinen Wendungen wie „nur in praktischer Hinsicht“ diese Wirklichkeit einer gesetzten Synthesis zwischen praktischem Gesetz und Realität. Aber gerade das wäre die wesentliche Aufgabe der Transzendentalphilosophie, die „eigentümliche Bedeutung der Wirklichkeitserkenntnis zu klären.“5

Das Verhältnis des reinen praktischen Gesetzes zur Wirklichkeit, worin der Begriff einer anschaulichen Bestimmtheit des Erfahrungsgegenstandes erkennbar ist (im Erkenntnisvermögen), ist eine a priori notwendige Idee, d. h. die Sinnidee oder der Sinnbegriff. Der Grund der Notwendigkeit dieses, wie KANT sagen täte, „synthetischen Urteils a priori“, liegt in der ganzen Struktur des Bewusstseins, des Vorstellens und Wollens-in-actu.  

Die apriorische Sinnidee ist – nach R. LAUTH – ein objektiv gültiges Urteil in der Erfahrung.  Ein Soll der praktischen Forderung wird mit dem Ist des Daseins synthetisch vereinigt. Zu erwarten steht natürlich, dass die kritische Philosophie die theoretische Erkennbarkeit der Freiheit in dem Wie der Erfahrung und Erscheinung leugnet, doch ein grundsätzliches Dass einer praktischen Freiheit  wird selbst von KANT zugegeben. Zumindest stellt er diese, so können wir jetzt präziser sagen, Sinnforderung.6

Das Dass und Wie des Verhältnisses eines praktischen Gesetzes zur Realität muss jetzt nach R. LAUTH auf die Bedingungen der Möglichkeit der Wissbarkeit hin reflektiert und begründet werden. Wir müssen ja wissen können, um der sittlichen Forderung entsprechen zu können, ob unser Wollen und Handeln und das, was realisiert wird, dem Sittengesetz entspricht oder nicht. Mit dem Sinnbegriff ist nach R. LAUTH diese Verhältnis des Sittengesetzes zur Realität methodisch zu begreifen.

Eine Synthesis des Sinns, was immer an begrifflicher und anschaulicher Bestimmtheit jetzt darin enthalten sein mag und expliziert werden soll, muss in einem Modus der Zeit und der inneren Erfahrung möglich sein. Dies erfolgt bei FICHTE textkritisch bereits im Bereich des sinnlichen Triebes, worin es zu einer temporal notwendigen Bestimmtheit von Trieb und Gefühl kommt (zu jeder Zeit). In einem Interpersonalverhältnis wird es nicht diese notwendige Bestimmheit geben, vielmehr eine bloße An-Determination, die zu einer  freien Selbstbestimmung führt. Im Interpersonal-Anstoß (oder Aufruf) muss auf eine freie Ursache einer Wirkung geschlossen werden. Die anschauliche Bestimmtheit dieser freien Wirkung ist nicht notwendig eine nur so bestimmte, weil bereits notwendig im Denken eine freie Wirkung angesetzt wird. Der Grund dieser notwendigen Annahme einer freien Wirkung verlangt jetzt aber wiederum eine höhere als bloß sinnliche Möglichkeit und eine höhere personale Bestimmung des inneren Sinns, deren Möglichkeit und Wirklichkeit in einem trans-immanenten Grund der Wahrheit und des Gutseins und in einer intelligiblen Ableitung der Interpersonalität eingesehen werden kann. Schließlich wird die begleitenden Sinnidee medial durch das WORT vermittelt und in der Beziehung von Entscheidungszeit und Erscheinungszeit (WL 1801/02) wird jede sittlich-doxische, geschichtliche Wertkonkretion und die Projektion des „Weltplans“ (ebd.) eine notwendige, wenn auch frei zu wählende, Erscheinung des Absoluten in einer positiven Offenbarung (urbildlich) voraussetzen.

R. LAUTH fasst das Postulat der Sinnforderung, d. h. die Sinnidee, in der Argumentationslinie KANTS so zusammen:

a) Die Wirklichkeit muss nach dem Postulat der Freiheit möglich sein;

und b) in der Realität muss die Forderung des moralisch Gebotenen mit dem nach KANT a priori damit verbundenen höchsten Gut erreichbar sein – durch das Postulat der Unsterblichkeit und dem Postulat Gottes.

Dies heißt weiter (ad a), der Wille muss einsichtig demjenigen „einstimmen können, welchem er sich unterwerfen soll“ (KpV, A 238; Bd. 7, 264)

und (ad b), die gebotene Handlung, der gebotenen Zweck muss möglich sein. Es wäre „practisch=unmöglich (…), dem Objecte eines Begriffes nachzustreben, welcher im Grunde leer und ohne Object wäre“ (KpV, A 258; Bd. 7, 277). Der moralische Mensch muss „wollen, dass eine Welt überhaupt existiere, weil das moralische Gesetz will dass das höchste (…) mögliche Gut bewirkt werde.“ (DIE RELIGION, BA IX; Bd. 8, 652)

Es ist Pflicht, das höchste Gut nach unserem größten Vermögen wirklich zu machen; daher muß es doch auch möglich sein; mithin ist es für jedes vernünftige Wesen in der Welt auch unvermeidlich, dasjenige vorauszusetzen, was zu dessen objectiver Möglichkeit nothwendig ist. Die Voraussetzung ist so nothwendig als das moralische Gesetz, in Beziehung auf welches sie auch nur gültig ist.“ (KpV A 259; Bd. 7, 278; vgl. auch KpV A 225; Bd. 7, 255).

Es kommt jetzt weiter hinzu, dass die Form der Gesetzlichkeit, die das praktische Gesetz beinhaltet, schon ausschließt, dass die in der sittlichen Maxime geforderte reale Ordnung theoretisch und praktisch widersprüchlich sei. KANT führt hier einige Beispiele von widersprüchlichen Handlungen an und endet mit der Feststellung:

Einige Handlungen sind so beschaffen, daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, daß man noch wollen könne, es sollte ein solches werden. Bei andern ist zwar jene innere Unmöglichkeit nicht anzutreffen, aber es ist doch unmöglich, zu wollen, daß ihre Maxime zur Allgemeinheit eines Naturgesetzes erhoben werde, weil ein solcher Wille sich selbst widersprechen würde.“ (Grundlegung z. M. d. S, BA 57; Bd. 7, 54)

Das höchste praktische Gesetz ist nach KANT ein unbedingtes, von keiner Bedingung eingeschränktes, kategorisches Gesetz: „Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (GRUNDLEGUNG z. M. d. S, BA 52; Bd. 7, 51) 7

Nach R. LAUTH beziehen sich diese Sinnforderungen, die das Verhältnis eines praktisches Gesetzes zur Realität und zum Aufbau einer Wirklichkeit aussagen, klar auf eine bestimmte Erkenntnis des Sittengesetzes selbst zurück. Im Umkehrschluss gedacht: Wäre das höchste Gut, das KANT postuliert, nicht erreichbar, wäre auch das Sittengesetz widersprüchlich und hinfällig.

Da nun die Beförderung des höchsten Guts, welches diese Verknüpfung (der Glückseligkeit mit der Tugend in der Welt) in seinem Begriffe enthält, ein a priori nothwendiges Object unseres Willens ist und mit dem moralischen Gesetze unzertrennlich zusammenhängt, so muß die Unmöglichkeit des ersteren (des höchsten Guts) auch die Falschheit des zweiten (des moralischen Gesetzes) beweisen. Ist also das höchste Gut nach praktischen Regeln unmöglich, so muß auch das moralische Gesetz, welches gebietet dasselbe zu befördern, phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich falsch sein.“ (KpV, A 204.205; Bd. 7, 242.243)

Der Übergang von der sittlichen Forderung zur Wirklichkeit, die in der Realität wirkt und etwas bewirkt, ist somit nicht nur faktisch, sondern auch rechtmäßig in und aus dem Sittengesetz eingesehen und perzipiert. Die Bestimmungen eines Sinn-Begriffes müssen deshalb (nach LAUTH) vorausgesetzt und implizit eingesehen werden können, sonst könnte keine praktische Wirksamkeit des Sittengesetzes auf die Realität behauptet werden.

Dabei kommt (nach LAUTH) nochmals eine Differenzierung hinein, die durch den Sinnbegriff methodisch differenziert werden kann: die sittliche Forderung („Postulat“) bezieht sich im Sinnbegriff auf das Verhältnis des praktischen Gesetzes zur Realität. Das praktische Gesetz rein für sich „enthält keine Bedingung, auf die es eingeschränkt war“ (GRUNDLEGUNG z. M. d. S, BA 52; Bd. 7, S 51) und bleibt für sich unbedingt wahr und gültig. In der methodischen Durchführung eines Prinzips von Sinn kommen deshalb nach LAUTH noch zwei Bestimmungen hinzu, die eine Übereinstimmung und Erfüllung verlangen: Die Universalität (a) und die Totalität (b) des Sittengesetzes.8
Ad a) Der Begriff der Universalität setzt bereits eine aktuale Vernunfteinsicht voraus.9
Ad b) Das Totalitätsmoment birgt bei KANT ein heikles und großes Problem: Er formuliert im Zusammenhang des höchsten Guts und der dazu gehörenden angemessenen Übereinstimmung von Tugend und Glückseligkeit eine Forderung, die ihrer Möglichkeit nach unter zeitlichen Bedingungen nicht durchführbar ist.

Die völlige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetze ist Heiligkeit, eine Vollkommenheit, deren kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt in keinem Zeitpunkte seines Daseins fähig ist. Da sie indessen gleichwohl als praktisch nothwendig gefordert wird, so kann sie nur in einem ins Unendliche gehenden Progressus zu jener völligen Angemessenheit angetroffen werden, und es ist nach Principien der reinen praktischen Vernunft nothwendig, eine solche praktische Fortschreitung als das reale Object unseres Willens anzunehmen.“ (KpV, A 220; Bd. 7, 252)

R. LAUTH fasst die Fragestellung so zusammen: „Macht man mit dem Universalitäts-  und Totalitätsmoment radikal ernst – und die Sinnforderung impliziert das – , so geht deren Auswirkung viel weiter, als Kant in seinen Kritiken aufgewiesen hat. Das Sinngesetz fordert nämlich die restlose Realisierung des Sittengesetzes.“10

Nach Ansicht LAUTHS hat KANT a) die Forderung des Sittengesetzes illegitim ausgeweitet auf den Begriff der Glückseligkeit. Die Glückseligkeit liegt aber apriorisch nicht in der Allgemeinheit der Sittengesetzes. Das Sittengesetz fordert nur die völlige Angemessenheit der Gesinnungen, nicht aber auch die reale Kongruenz des Glücks.

b) Umgekehrt hat KANT die Forderung des Sittengesetzes wieder ungerechtfertigt eingeschränkt. Die Forderung des Sittengesetzes ist total und wendet sich unaufhebbar gegen alle Unsittlichkeit. Wenn diese Forderung, wie von KANT selber öfter ausgeführt und behauptet, nicht phantastisch und leer sein solle, so müsse diese Forderung erfüllbar sein. R. LAUTH drückt es so aus: Mit dem Sittengesetz ist Erlösung postuliert. Eine Kategorie, die weder KANT noch FICHTE adäquat erfasst haben.11

Die Anwendung der Totalitätsforderung auf das Sittengesetz wird durch die Sinnidee erst richtig durchsichtig. Das Sittengesetz fordert Totalität der Sittlichkeit bzw.„Heiligkeit“ (siehe oben Zitat von KANT, KpV, A 220), oder was das Gleiche besagen soll, Erlösung von allem Bösen und allen damit verbundenen sinnwidrigen Erscheinungen. Wäre dies, wie KANT fordert, (KpV, A 220) ein „ins Unendliche gehender Progressus“, wäre nie der Grund der Einsicht in die Möglichkeit von Sinn gesichert. Alle apriorischen und sittlichen Maßstäbe würden wegfallen und in willkürlichen Modi der Entschiedenheit würde bald dieses bald jenes als „wahr“ und „gut“ bestimmt, immer aber willkürlich und ein Stück irrational, weil der Grund der Möglichkeit und Wirklichkeit des Geltungsanspruches nicht mehr in concreto eingesehen werden kann.

(c) Franz Strasser, 12. 12. 2023 

1Zur historisch-kritischen Entwicklungsgeschichte des OFFENBARUNGSCRITIK siehe Nachgelassene Schriften  GA II,  2, S 15 – 24. Im Titelblatt steht: „Versuch einer CRITIK ALLER OFFENBARUNG. Dem Philosophen (sc. KANT)  in tiefer Verehrung zugeeignet, Königsberg, im Juli, u. August 1791, geschlossen am 18. August.“ (GA II, 2) In einem Brief schrieb er selber einmal nachträglich zu seiner OFFENBARUNGSCRITIK, er fürchte „durch unrichtige Praemißen auf richtige Resultate“ gekommen zu sein“. Briefentwurf am 11. Oktober 1791 an F. A. Weißhuhn, GA, III, 1, Nr. 96.a, 269 und vgl. Vorwort zu GA I, 1,  3 -15. z. B. auch noch in den „Patriotischen Dialogen“ v. 1807 lässt er einen Unterredner zu ihm sagen, dass er selber nicht damit zufrieden war. Vgl. GA, I, 1, 8.

2R. LAUTH arbeitet im Zusammenhang mit Wert, Zweck und konstituierenden Hinordnung eines Subjekts auf ein sinnvolles Ziel hin zwölf anschauliche Bestimmungen der Sinnidee heraus. Hier nur eine summarische Zusammenfassung – nach: R. LAUTH, Die Frage nach dem Sinn des Daseins, München 1953.

Die 1. Bestimmung, ebd. 49f: Sinn ist eine metaphysische Größe, formal zu einer Ontologie gehörend, material zur Ethik, dem implizit allen theoretischen und praktischen Erkenntnisleistungen zugrunde liegen.
2. Bestimmung, ein „Hinreichen“ (ebd. 59) des Wirklichwerden und der Existenz des Zieles;
3. Bestimmung, eine bestmögliche, rationelle Erreichbarkeit. Der Begriff des Sinns übersteigt in gewissem Sinn auch eine Zweckhaftigkeit vorgeordneter Zwecke; er geht auf einen in sich ruhenden Endzweck (Selbstzweck)
4. Bestimmung: dieser Endzweck unterteilt sich nochmals in ein in sich positives wertvolles Ziel und in die Werthaftigkeit eines Seienden; Sinn greift dabei über Werthaftigkeit und Zweckhaftigkeit hinaus.
In Auseinandersetzung mit geistesgeschichtlichen Positionen wird weiter herausgearbeitet:
5. Bestimmung: die Infrangibilität des sinnvollen Zieles durch ungeeignete Mittel; 6. Bestimmung: Wertinfraktion durch andere Wertordnungen kann es nicht geben;
7. Bestimmung: umgekehrt auch keine Infraktion anderer Werte;
8. Bestimmung: die sinnvolle Ordnung hat ein Sich-für-sich, ist eine Ordnung an sich und wird es nicht erst;
9. Bestimmung: es gibt eine innerliche Widerspruchsfreiheit der Sinn-Ordnung; 10. Bestimmung: die Hinordnung auf die Sinnidee zielt auf Realisierung in einem idealen Zustand, dass alles Reale ideal werde. (ebd. 94). R. LAUTH nennt es das
Totalitätsmoment.
11. Bestimmung: Die Sinnidee muss schließlich für alle Subjekte sinnvoll sein; objektive Werte können nur realisiert werden, wenn es sie schon gibt; R. LAUTH nennt das die
Universalität der Sinnidee.
12. Bestimmung: Die Sinnidee ist auf Vollendung hingeordnet; d. h. dass die Idealrealisation und die Realidealisation universal sein müssen: d. h. dass a) alles Reale voll ideal und b) alle objektiven Werte voll verwirklicht werden müssen und dass c) diese volle Realisation bzw. Idealisation von allen einbezogenen Subjekten anerkannt werden muss.“ (ebd. 106)

3Zur ganzen Textkritik und Systematik der Postulate bei KANT siehe R. LAUTH, Die Bedeutung des Sinnbegriffes in Kants praktischer Postulatenlehre. In: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Meiner Verlag, Hamburg 1989 S 123 – 139.

Auf den Einwand eines Philosophen, ob das Postulieren nicht ein einfaches Wünschen sei, gibt KANT die Antwort: „(…) Hier aber ist es ein Vernunftbedürfniß, aus einem objectiven Bestimmungsgrunde des Willens, nämlich dem moralischen Gesetze, entspringend, welches jedes vernünftige Wesen nothwendig verbindet, also zur Voraussetzung der ihm angemessenen Bedingungen in der Natur a priori berechtigt und die letztern von dem vollständigen praktischen Gebrauche der Vernunft unzertrennlich macht. Es ist Pflicht, das höchste Gut nach unserem größten Vermögen wirklich zu machen; daher muß es doch auch möglich sein; mithin ist es für jedes vernünftige Wesen in der Welt auch unvermeidlich, dasjenige vorauszusetzen, was zu dessen objectiver Möglichkeit nothwendig ist. Die Voraussetzung ist so nothwendig als das moralische Gesetz, in Beziehung auf welches sie auch nur gültig ist.“ (KpV A 259; Bd VII, 278)

Postulate sind Forderungen bestimmter theoretischer Voraussetzungen (KpV, A 220. 216, 238). Praktische Postulate sind Voraussetzungen eines bestimmten Daseins (KpV, A 241. 242). KANT nennt die postulierten Objekte „in der Natur der Dinge liegende „Bedingungen der Möglichkeit des höchsten Gutes, aber nicht zum Behuf einer beliebigen spekulativen Absicht, sondern eines praktisch notwendigen Zweckes des reinen Vernunftwillens, (…)“ (KpV A 258, Bd. VII, 277)

Die Postulate gehen unmittelbar aus dem sittlichen Willen, mittelbar aus dem Sittengesetz hervor: „Die (Postulate) gehen alle vom Grundsatz der Moralität aus, der kein Postulat, sondern ein Gesetz ist, durch welches Vernunft mittelbar dem Willen bestimmt, welcher Wille eben dadurch, dass er so bestimmt ist , als reiner Wille, diese nothwendige Bedingungen der Befolgung seiner Vorschrift fodert“ (KpV A 238; Bd VII, 264) Nach Kantischen Voraussetzungen kann aber der Wille für sich allein nicht der Rechtsgrund der Forderungen der Postulate sein. In der Schrift DIE RELIGION spricht er von der „Natureigenschaft des Menschen, sich zu allen Handlungen außer dem Gesetz noch einen Zweck denken zu müssen“ (DIE RELIGION, XII A). Die Postulate sind etwas „dessen Begrif in keiner für uns möglichen Erfahrung, mithin für den theoretischen Vernunftgebrauch hinreichend, seiner objectiven Realität nach bewiesen werden kann, dessen Gebrauch aber zu bestmöglichen Bewirkung jenes Zwecks doch durch practische reine Vernunft geboten ist, und mithin als möglich angenommen werden muß.“ (KdU, B 457f)

Zum ganzen Problemkomplex der Postulate der praktischen Vernunft und des reinen Vernunftglaubens vgl. auch F. RICKEN, Was darf ich hoffen? a. a.O., 43 – 53.

Zu einer Neuformulierung der Kantischen Modalgrundsätze siehe B. GRÜNEWALD, Modale Gegenstandsbestimmungen und modale Reflexion bei Kant. Versuch einer Korrektur, mit Hinweisen auf modaltheoretische Überlegungen Fichtes, in: MUES ALBERT, Transzendentalphilosophie als System (Hrsg.), Felix Meiner Verlag, Hamburg 1989, 41-57.

4R. LAUTH, Die Bedeutung des Sinnbegriffes in Kants praktischer Postulatenlehre, a. a. O., 127.

5R. LAUTH, Der Sinnbegriff in Kants praktischer Postulatenlehre, ebd., 132.

6Zum grundsätzlichen Dass einer Kausalität der praktischen Freiheit vgl. folgendes Zitat: „Wie ein solches (Freiheitsvermögen) möglich sei, ist nicht eben so nothwendig beantworten zu können, da wir uns eben sowohl bei der Causalität nach Naturgesetzen damit begnügen müssen, a priori zu erkennen, daß eine solche vorausgesetzt werden müsse, ob wir gleich die Möglichkeit, wie durch ein gewisses Dasein das Dasein eines andern gesetzt werde, auf keine Weise begreifen und uns desfalls lediglich an die Erfahrung halten müssen.“ (KrV A, 449; Bd IV, 430)

7KANT hat die Allgemeinheit des kategorischen Imperatives unter allen Umständen als Bedingung eines guten Willens betont (Grundlegung z. M. S., BA 96, Bd. 7, 80 u. a.) Eine Tugendethik, eine Gefühlsethik oder theologische Ethik führt nach ihm zu keiner Autonomie des Willens. Ich möchte hier aus Sicht gerne zurückfragen, wenn dieses Selbstbewusstsein der praktischen Vernunft, wie es sich im kategorischen Imperativ äußert, sich der Kategorizität so sicher ist, ob diese Kategorizität in der transzendentalen Apperzeption gewusst wird oder auch nur als eine regulative Idee gewusst wird? Und wenn diese Kategorizität nur eine regulative Idee sein sollte, so ist das zweifellos aus der Sicht eines endlichen Verstandes formuliert. Wie kann zu Bedingungen eines endlichen Verstandes eine unbedingte Aussage getroffen werden? Fließt  hier nicht viel Eigeninteresse und psychologische Selbstsucht herein?  Zur Antwort KANTS siehe GRUNDLEGUNG z. M. d. S., BA 90 – 128, Bd. 7, 76-102.

8 FICHTE hat diesen besonderen, apriorischen Charakter des Sittengesetzes in der KpV sofort erkannt und für die OFFENBARUNGSCRITIK übernommen. Zum Charakter des Sittengesetzes siehe z. B.: „Dieses Verlangen aber ist so wenig weder müssig, d.i. ein solches, dessen Befriedigung wir zwar gerne sehen, bei dessen Nichtbefriedigung wir uns aber auch zur Ruhe weisen lassen würden, noch unberechtigt, dass vielmehr das Moralgesetz das Recht in uns zur Bedingung des Rechts ausser uns macht (das heisst nicht soviel, als ob es nur unter der Bedingung Gehorsam von uns verlange, wenn wir die demselben angemessene Glückseligkeit erwarten dürfen (denn es gebietet ohne alle Bedingung), sondern, dass es uns alle Glückseligkeit nur als Bedingung unseres Gehorsams möglich darstellt; das Gebot nemlich ist das unbedingte, die Glückseligkeit aber das dadurch bedingte): und dies thut es dadurch, indem es unsere Handlungen dem Principe der Allgemeingültigkeit unterzuordnen befiehlt; da allgemeines Gelten (nicht bloss Gültigkeit) des Moralgesetzes und dem Grade der Moralität jedes vernünftigen Wesens völlig abgemessene Glückseligkeit identische Begriffe sind.“ OFFENBARUNGSCRITIK, SW, Bd. V, 47.48.

Das apriorische Vorwissen des Sittengesetzes hat übrigens auch B. PECINA zur Schrift von 1792/93 gewürdigt, Fichtes Gott, a. a. O., 45. Die Weiterführung zum Begriff einer darin liegenden notwendigen Erlösung, wie der christliche Glaube es lehrt, vermag allerdings PECINA in der zugegeben defizitären Form bei FICHTE nicht mehr zu erkennen bzw. weist er das Defizit selber nicht als solches aus.

9R. LAUTH, Der Sinnbegriff in Kants praktischer Postulatenlehre, a. a. O., 135. R. LAUTH geht in seinem Artikel zum Sinnbegriff in der Postulatenlehre KANTS nicht näher auf die Frage der Universalität ein, doch scheinen mir seine Argumente zutreffend. Weiters möchte ich zu bedenken geben: Der Universalität des kategorischen Imperativs aus nur formallogischen Gründen einer Allgemeinheit zuzustimmen würde m. E. dann problematisch, wenn die Frage der Universalisierung und Prüfung einer Maxime auf zeitliche oder empirischen Bedingungen eingeschränkt würde. Unter zeitlichen und empirischen Bedingungen gibt es keine Unbedingtheit. Folgt hingegen der kategorische Imperativ bzw. das Sollensgesetz einer aktualen Vernunfteinsicht, mithin einem aktualen Vernunftwillen, so geht die Unbedingtheit der sittlichen Forderung bereits aus einer inhaltlichen Bestimmheit dieses Vernunftwillens hervor, unabhängig von einer späteren Universalisierbarkeit der sittlichen Forderung. Der Wille der Vernunft IST dann schon der Universalwille und wird dies nicht erst durch die formallogische Prüfung oder pragmatische Anwendung auf Allgemeinheit (Universalität). Anders als bloß formallogisch sieht deshalb B. GRÜNEWALD bereits die Begründung im kategorischen Imperativ. Nach seiner Ansicht muss im kategorischen Imperativ sehr wohl eine materiale Interpersonalität gedacht werden. Siehe z. B. den Autor in: Praktische Vernunft, Modalität und transzendentale Einheit. Erschienen in: KANT. Analysen – Probleme – Kritik, hrsg. v. H. Oberer und G. Seel (Hans Wagner gewidmet) Würzburg (Königshausen & Neumann) 1988, S. 127-167. Oder in: Form und Materie der reinen praktischen Vernunft. Über die Haltlosigkeit von Formalismus- und Solipsismus-Vorwürfen und das Verhältnis des kategorischen Imperativs zu seinen Erläuterungsformeln. In: Metaphysik und Kritik, FS für Manfred Baum, hrsg. v. S. Doyé, M. Heinz, U. Rameil, Würzburg 2004, S. 183-201

10R. LAUTH, ebd. 135.

11R. LAUTH, Der Sinnbegriff in Kants praktischer Postulatenlehre, a. a. O. 136. Ich erinnere mich an Vorlesungen von Prof. LAUTH, in denen er dieses Manko deutlich und drastisch ausführte. Die vollendete Vernünftigkeit in einem System der Philosophie, wie es die Transzendentalphilosophie sein will, worin sowohl die Apriorität des Denkens wie die Einmaligkeit des Geschichtlichen (der Aposteriorität) gewahrt bleiben will, hat leider den Gedanken der Schuld, des Bösen und der Wiedergutmachung (Sühne) nicht mehr integriert. Vgl. Auch R. LAUTH, Jacobis Vorwegnahme romantischer Intentionen. In: Transzendentale Entwicklungslinien, 311-313.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser