Zum Sinnbegriff in den TdB – 3. Teil

3. Vorlesung: Das Experiment wird am Anfang der 3. Vorlesung vorgestellt. Sie führt zum Ergebnis, dass die Ausgedehntheit „als schlechthin und ins Unendliche theilbar erscheint.“ (ebd. S 292 Z 24).

Wir gewinnen hier „zuerst“ eine apriorische Erkenntnis. „In der Ausdehnung liegt anschaulich das unendliche Vermögen zu theilen“ (ebd. S 293 Z 1)

Die Ausdehnung ist zwar nicht direkt anschaubar, aber das hindert nicht, zur Einsicht zu gelangen, wie sie geartet ist und dass jedes Stück Ausdehnung sich immer weiter teilen lässt.

Aber wie verhält sich diese Einsicht zur Vorstellung der Ausdehnung, welche die äußere Wahrnehmung offensichtlich mitprägt? Das Wissen um die unendliche Teilbarkeit kann durchaus fehlen, und Fichte geht so weit zu sagen, dass die Menschen vor Kant diese Einsicht gar nicht hatten (aber natürlich unbewusst gebrauchten) (vgl. ebd. S 293 Z 17)

Das „unendliche Vermögen zu theilen“ ist nicht etwas, was sich aus der Ausdehnung erschließen lässt, ja, die Vorstellung der Ausdehnung bzw. der Ausgedehntheit der sinnlichen Qualitäten ist im Grunde nichts anderes als die Vorstellung dieses unendlichen Vermögens (zu teilen) selbst. 

Die entscheidende Beschreibung, aber nur so hingesagt und vorallem ab der 6. Vorlesung erst richtig begründet, fällt hier bereits in der 3. Vorlesung (tlw. auch schon in der 2. Vorlesung): Die Ausdehnung ist in einem Bild, in einem Schema gefasst. „In der Ausdehnung erscheint es als Bild, Schema des unendlichen Vermögens zu theilen.“ (ebd. S 293  Z 8)

Die hier in Frage stehende Einsicht bzw. das Wissen um die unendliche Teilbarkeit ist ja merkwürdig, weil sie in keiner Erfahrung gefunden werden kann. Woher weiß man das trotzdem? „Woher weiß ich das? Habe ich die Theilung denn wirklich einmal vorgenommen und sie so gefunden? Man siehet: in der Frage liegt ein Widerspruch. Also hier zuerst gewinnen wir eine a priorische Erkenntniß. (…)“ (ebd. S 292.293 Z 26ff)

Ein unendliches Teilen ist nicht wahrnehmbar und doch liegt sie der Einsicht (in einer apriorischen Erkenntnis) zugrunde. Es muss dies eine apriorische Vorstellung sein, die über alles Gegebene und alle Erfahrung hinaus geht.

Der Unterschied von oben zwischen Qualität/Empfindung und Ausdehnung nimmt jetzt deutlichere Konturen an, dass es sich nicht nur um zwei, sondern um zwei ganz ungleichartige Bestandteile handelt, von denen der eine, nämlich die Qualität bzw. Empfindung mit einer tatsächlichen Gegebenheit zu tun hat, während der andere, die Ausdehnung, ganz im Gegenteil so beschaffen ist, dass er über alles Gegebene weit hinausgeht, ja unendlich weit hinausgeht. Die Ausdehnung ist eine unendliche Vorwegnahme bzw. ist die Vorstellung von etwas Unendlichem, oder,  wie gesagt, ein unendliches Vermögen zu teilen. 1

Fichte fragt jetzt genauer nach, ob diese Vorstellung eines unendlichen Vermögens zu teilen bloß etwas Akzidentielles ist, oder wesentlich zur Wahrnehmung gehört? Es ist ihr wesentlicher Hauptcharakter! „Man nehme ein MINIMUM von Ausdehnung und findet schon das unendliche Vermögen ganz darin.“ (ebd. S 293 Z 14).

Fichte fragt weiter: „Woher denn, da jedes MINIMUM von Ausdehnung das ganze unendliche Vermögen in sich hat, die Begrenztheit, die eine Endlichkeit in sich darstellt.?“ (ebd. S 293 Z 22)

Fichtes zentrale Erkenntnislehre auf den Punkt gebracht: Die Unendlichkeit ersichtlich gemacht in und durch die Form der Anschauung ist eine Zusammenfassung im Blicke, ein Bild oder Schema. 

Ehe aber diese Antwort ganz verstanden werden kann, sei die Sache noch genauer analysiert: Wie ist die Ausgedehntheit als solche, welche, wie oben gesagt, selbst nicht anschaubar ist, doch als unendliches Vermögen zu teilen jetzt anschaubar?  Es ist wichtig festzuhalten, dass Fichte nicht von einem Ergebnis eines unendlichen Teilens bzw. von der Vorstellung oder vom Bild dessen spricht, was sich aus einem unendlichen Teilen ergibt, sozusagen von einer aktualen Unendlichkeit des Teilens ausgeht,  die wahrnehmbar sein sollte,  sondern nur von der Vorstellung oder dem Bild des unendlichen Vermögens als Vermögen der potentiellen Unendlichkeit. Nicht die Aktualität der Unendlichkeit des Teilens kann eingesehen werden, aber in jedem Moment des aktualen Teilens wird die  Ausgedehntheit  ins Unendliche eingesehen. (Siehe die Nachschrift von Schopenhauer – siehe Anm. 45 bei Carvalho, a. a. O,  S 76.) 

Macht das unendliche Vermögen zu teilen wirklich das aus, was die Ausdehnung als solche ausmacht? Ja, es soll der Hauptcharakter der äußeren Wahrnehmung sein, wie  gesagt wurde: „Man nehme ein Minimum von Ausdehnung und findet schon das unendliche Vermögen darin.“  (Z 22) Wie wird das jetzt vorgestellt und gedacht?

a) Die Ausdehnung liegt in einem Vermögen. Das Vermögen reicht schon aus, um Ausdehnung bzw. die Vorstellung der Ausdehnung zustande zu bringen. Die Ausdehnung hat nichts mit einem trägen und starren, auf sich ruhenden Auseinandersein zu tun. Sie ist so beschaffen, dass sie auf ein Tun, auf eine Handlung, und zwar auf eine spezifische Art von Tun oder Handlung, nämlich auf das Teilen als solches, zurückzuführen ist, so dass es das Teilen ist, die die Ausdehnung ausmacht. Das ruhende Auseinandersein wäre schon das Ergebnis des fraglichen Tuns. Kurzum, es bleibt dabei: Wo ein Minimum an Ausdehnung ist, da ist auch ein Minimum an Tätigkeit teilen.

b) Ein Minimum an Ausdehnung enthält unweigerlich mehr als ein Minimum. Ja, in der Tat muss es so weit über das Minimum hinausgehen, dass die gesamte Ausdehnung darinnen liegt, „ganz darin.“ (ebd. S 293 Z 16). Die Ausdehnung wurzelt nicht nur in einem Vermögen, sondern ist selbst als Vermögen zu verstehen und zu definieren, weil das die Ausdehnung zustande bringende Tun – nicht als begrenztes Tun oder  begrenztes Teilen, sondern nur als Vermögen, d. h. als gesamtes Vermögen zu teilen, als unendliche Sphäre des Teilenkönnens – im Wissensakt vorgestellt wird. 2

Es wird hier kurz KANT mit seiner Anschauungsform des Raumes zitiert, der bekanntlich den Raum ebenfalls nicht als „compositum reale“ sondern ein „compositum ideale“ nannte. 3 (Der große Unterschied zu KANT bei FICHTE ist aber hier, dass die Teilbarkeit bzw. Form der apriorischen Raumanschauung nicht faktisch festgestellt und gedacht, sondern deduktiv aus dem Bewusstseinsakt bzw. dem Schweben der Einbildungskraft abgeleitet und angeschaut wird. 
Ferner, was hier noch nicht ausgeführt wird, aber später in den TdB kommt, und hier gesagt gehört: Die Raumanschauung wird aus den Empfindungen ausgebreitet und 
aus dem Wirkungskreis des eigenen Leibes erzeugt. Es besteht zwar auch ein apriorischer „Urraum“, aber der Zusammenhang mit allem Affizierenden muss gewahrt bleiben.  

Wenn von einem „unendlichen Vermögen zu theilen“ gesprochen wird, so kann nicht nur gemeint sein, dass eine gegebene Fläche oder ein begrenzter drei-dimensionaler Raum immer weiter teilbar ist, sondern dass dieses unendliche Teilen innerhalb des fraglichen, begrenzten „Raumstücks“ von der weiteren Teilung nicht zu trennen ist, welche die Ausdehnung über die Grenzen des fraglichen „Raumstücks“ erweitert. 4 Es wird innerhalb der Grenzen geteilt und zugleich werden neue Mannigfaltigkeiten gesetzt, und dies alles in dem Vermögen eines Setzungsaktes, sodass zugleich mit dem Minimum an Ausdehnung die ganze Teilbarkeit mitgesetzt ist.

M. a. W., bei der unendlichen Teilbarkeit oder Ausgedehntheit handelt es sich nicht um verschiedene, faktische Setzungen, woraus von selbst eine sukzessive Reihe, noch dazu gerichtet, entstehe, sondern die fragliche Vorstellung bzw. die Ausdehnung ist so geartet, dass eine Minimum an Ausdehnung die Ausdehnung (und Gerichtetheit) als Ganze schon enthält und entwirft.

Dem entspricht, wie oben begonnen wurde, dass die auf das Bewusstsein eintreffende Mannigfaltigkeiten  der Qualitäten bzw. Empfindungen in der äußeren Wahrnehmung bereits geordnet und vereinheitlicht sind. Sie sind als viele, besondere Sinneserlebnisse qualitativ und quantitativ und gegeneinander  bestimmbar, sind eine geschlossene Totalität möglicher Sinnesempfindungen im Gegenüber zu einer geschlossenen Totalität möglicher Sinnerfüllungen und Sinn-Bestimmbarkeiten.   So wurde auch oben in der äußeren Wahrnehmung begonnen: Die Qualitäten/Empfindungen mögen auf der untersten Stufe zuerst unendlich mannigfaltig erscheinen, aber sie beschränken sich in der Wahrnehmung sofort gegenseitig (schließen sich gegenseitig aus) und sind vom aufnehmenden Sinn her gesehen nicht ungeformt, sondern auf einen totalen Sinn hin vereinheitlicht und dadurch auch spezifiziert.

Jede Qualität ist eine „allgemeine Weise des Sichbewußtwerdens des Sinnes.“ (2. Vorlesung, S 290 Z 28 ) und die einzelne Sinneswahrnehmung wird durch ein “Vergleichen des Totalsinns“ (5. Vorlesung, ebd. S 297 Z 14) spezifiziert – siehe oben 1. Teil. 

M. a. W. (aus Vorlesungen von Prof. R. LAUTH): Die Hemmungen treten immer in einer Linie des Reflexionsvollzuges auf, bilden verschiedene Zeitmomente, und bilden innerhalb der apriorischen Totalität aller Wissensformen (z. B. der Reflexionsideen und Kategorien) eine aposteriorische Reihe einer Apposition. Es entsteht in der Apposition eine freie, nicht nach dem Grund-Folge-Verhältnis implikativ notwendige,  wenn auch bestimmte Entscheidungsreihe, in der und durch die im zeitlich ablaufenden Bewusstsein eine unendliche Mannigfaltigkeit der Hemmungen auftreten kann. Die Qualitäten, die für sich gesehen voneinander isoliert wären, treten  dabei nicht alleine auf, sondern in der Form der Anschauung und Reflexion, und werden geordnet in einem dynamischen Verhältnis des Raumes und der Zeit und der Begriffe und Ideen. Ja, der Begriff der Mannigfaltigkeit und des unendlichen Vermögens zu teilen, d. h. der Begriff des  Unendlichen, kommt damit primär aus den Freiheitsentscheidungen in der appositionellen – und zu ergänzen wäre auch räumlichen-sukzessiven –  Reihe selbst, und nur sekundär abgeleitet spricht man auch von einer scheinbaren,  unendlichen Mannigfaltigkeit der auftretenden Hemmungen (Qualitäten) – im ablaufenden Bewusstsein. Ein durch die unendlichen Mannigfaltigkeit der Hemmungen allein bewirktes Sinnesbewusstsein – wie es die Rezeptionisten alle annehmen – ergäbe nie eine Einheit, wäre komplementär ein  total mit den Qualitäten verrinnendes, ablaufendes Bewusstsein. Z. B. zum Zeitpunkt t1 mit dieser Empfindung a, zum Zeitpunkt t2 mit der Empfindung b, zum Zeitpunkt t3 mit der Empfindung c usw.,, das ergäbe keine Einheit der Sinnesempfindung im Bewusstsein und keine Einheit in der Raum-  und Zeitvorstellung.  Es muss analytisch bereits eine formale Einheit des Bewusstseins im Wissen und einen Einheitspunkt eines Totalsinns und das angeschaute Vermögen einer Unendlichkeit zu teilen vorausgesetzt werden,  um eine Rezeption als solche, d. h. als rezeptionelle Einsicht und Erkenntnis von Empfindungen, im Abgrenzung zu anderen und in Abgrenzung zum Totalsinn, erreichen zu können.  

Es müssen m. a. W. die einzelnen Qualitäten (Sinneseindrücke) vereinheitlicht sein a) in einem allgemeinen Sinn, was das erste wäre, um  dort b) als besondere herauszutreten, d. h. auch „ausgedehnt“ zu werden, was das zweite wäre, und schließlich können sie, was das dritte wäre, c)  nur innerhalb einer apriorischen Erkenntnis eines geschlossenen Wissens auftreten (innerhalb einer endlichen Totalität der Wissensformen).

Also durch das Zusammenfassen (sc. im unendlichen Hinausgehens) in einem Blick wird das Unendliche eine Totalität. Dies ist das große Kunststück der Anschauung.“ (3. Vorlesung ebd. S 293 Z 32 ) 5

Fichtes These, dass das Wesen der Ausdehnung „ersichtbar“ (vgl. ebd. S 293 Z 1) ist, obwohl sie ja als Ausdehnung nicht sichtbar sein kann und bis jetzt auch nur als unendliches Vermögen zu teilen beschrieben wurde, ist in einer „genetischen Erklärung“ (ebd. S 294 Z 1) in ihrer Funktion und Konstruktion so eingesehen, dass sie eine „Zusammenfassung im Blicke“ (ebd. Z 2 ) ist – und dadurch ein faktisch Gesehenes ermöglicht.  

Dies wirft jetzt die Frage auf, warum die Form eines unendlichen Teilens zugleich die Form eines Bildens bzw. Schemas annehmen soll und wie das genauer möglich ist.

Zuerst: Wie wird aus der unendlichen Möglichkeit des Teilens eine begrenzte Form des Bildes?

Das unendliche Vermögen zu teilen ist unendlich  möglich, a) in einem äußeren Sinne der räumlichen Anschauungsform, weil ins Unendliche vergrößert oder verkleinert werden kann, und b) in einem inneren Sinn räumlich-sukzessiven und zeitlich-appositionellen Setzens, sodass  eine Teilung von einer weiteren Teilung nicht zu trennen ist, welche die Ausdehnung als räumliches und zeitliches Nacheinander, oder weitergeführt als Fläche bzw. als dreidimensionalen Raum und als Mannigfaltigkeit darstellt. 

Den äußeren Grenzen nach (der quantitativen Grenzen nach, z. B. größer oder kleiner), wie der Art und Weise der inneren Grenze  nach (der fakultativen Vorstellbarkeit nach), muss von einer doppelte Unendlichkeit der Ausdehnung gesprochen werden, der komplementär eine doppelte Form der begrenzten Ausdehnung entsprechen muss: eine formal-quantitative, äußere,  wie eine appositionell mögliche und fakultative, innere Begrenzung. 

Trotzdem muss nochmals gefragt werden: Warum nimmt die durch die Ausdehnung geprägte äußere Wahrnehmung, die Form einer, so muss gesagt werden, doppelt unendlichen Mannigfaltigkeit und die Form einer begrenzten, ja einer doppelt begrenzten Ausdehnung im Bilde an, eine räumlich, äußere-quantitative und innere, appositionelle, zeitliche Begrenztheit?

Anders gefragt: Die unendliche Teilbarkeit jedes ihrer Teile, die Unermeßlichkeit des umfassenden Raumes – sind sie durch das Begrenzte eines Bildes verloren gegangen?

Wenn wir eine genetische Erklärung geben, so ist die Ausdehnung eine Zusammenfassung im Blicke. Die Unendlichkeit selbst wird in einen Blick gefaßt.“ (ebd. S 294 Z 2)

Es folgen geniale  Antworten:  Die Ausdehnung enthält eine bestimmte Art und Weise der  Sichtbarkeit der Unendlichkeit.  Die Sichtbarkeit kann als Korrelat zum unendlichen Vermögen zu teilen angeschaut werden. Es gibt zwar in der Ausdehnung dem Denken nach nichts,  was seinem Wesen nach nicht unendlich wäre, aber das durch und durch Unendliche wird in der Anschauung doch sichtbar gesetzt. Wie geht dieses Sichtbarmachen? 

(…) dieß bestimmte Zusammenfassen giebt die Endlichkeit.“ (ebd. S 293 Z 27) Eine Anschauung kann grundsätzlich nur endlich sein. Etwas Unendliches geht über jede Anschauung weit, ja unendlich weit, hinaus. Aber wenn die Ausdehnung auf dem unendlichen Vermögen zu teilen beruht, dann muss die Anschauung desselben unendlich sein; aber wenn sie eine Anschauung sein soll, so muss diese Anschauung endlich sein. Wie geht das zusammen? „Somit ist uns eine endliche Unendlichkeit“ Soll das Vermögen angeschauet werden, wie es ist, dann unendlich; soll es angeschauet (werden), dann endlich.“ (ebd. S 293 Z 28)

Diese innere Spannung, die Fichte hier herausarbeitet, dieses unendliche Vermögen anzuschauen, ist sie mit dem Ausdruck der „Zusammenfassung in einem Blicke“ gelöst?

Das fragliche Bilden oder fragliche Schema, m. a. W. das fragliche Fixieren durch Anschauung, zeichnet sich dadurch aus, dass es endlich ist und sich doch nur auf den durchgängigen Bezug zum unendlichen Teilen gründet und ohne ihn nicht möglich wäre.

Die Eigentümlichkeit „kann man vielleicht dadurch auf den Punkt bringen, dass man Folgendes sagt: Er handelt sich um eine stets über sich hinausweisende Anschauung“. 6

Die Ausdehnung ist ein Bild „unendlicher Auslassungspunkte“ 7, Bild des Unendlichen, gerade weil es Bild ist, und also endlich ist; und gerade weil es endliches Bild ist, auch Bild des Unendlichen. Der obige Ausdruck eines „unendlichen Vermögens“ als Vermögen zu teilen ist somit vollauf berechtigt. Die Ausgedehntheit ist ein (substantielles) Vermögen, nicht eine Tätigkeit, sie wird gebildet als Vermögen, wie es als Vermögen handeln könnte (virtuell).

M. a. W. es liegt in der äußere Wahrnehmung, d. h. in der Sinnesqualität, die mit Ausdehnung verbunden ist, ein innewohnendes Bild, das sowohl Verschiedenes in den Mittelpunkt stellen kann, als auch alles Verschiedene aus einem unendlichen Blickwinkel betrachten kann.

M. a. W., die Ausdehnung ist ihrem Wesen nach zugleich eine doppelte Beschränkung in dem Sinne, dass jedes verschiedene Bild der Ausdehnung eine veränderliche Beschränkung des unveränderlichen, unendlichen Teilens darstellt, und umgekehrt, jedes beschränkte Bild seinem Wesen nach ein anderes Bild voraussetzt und darauf verweist.8 Das Bild von der Ausdehnung – oben noch als nicht anschaubar beschrieben – ist gerade als Bild, als verdichtete, zusammengefasste Form, anschaubar, als Bild ein Bild des unendlichen Vermögens zu teilen. 

Die zusammenfassende Form des Bildes entspringt dem Wissensakt und der Totalität der apriorischen Wissensformen, worin alle äußeren quantitativen Begrenzungen, sowie alle inneren Selbst-Beschränkungen des Sinnes (aufgrund der rezeptiven Bindung an die qualitativen Mannigfaltigkeiten),  synthetisiert werden.9

Am Ende der 3. Vorlesung überprüft FICHTE nochmals das Verhältnis der Qualität zu der Ausdehnung. Wird nur eine Linie geteilt in der Ausdehnung, also nur das unendliche Vermögen zu teilen und  in der Quantität angeschaut, ist die Grenze willkürlich setzbar; wird hingegen auf eine Qualität in der Verschiedenheit der Qualitäten reflektiert, ist die Grenze nicht willkürlich setzbar, sondern eine Qualität schränkt den „vergleichenden Totalsinn“ (ebd. S 294 Z 32) auf ein besonderes Sein und den Sinn auf einen besonderen Sinn innerhalb des Sichselbstbewusstseins ein.

Bereits im 8. Vortrag wird ein höherer Grund angegeben, warum es zur Mannigfaltigkeit der Sinnesempfindungen kommen soll: Die Mannigfaltigkeit ist Bedingung der Möglichkeit eines sich verändernden Bewusstseins; das sich verändernde Bewusstsein ist aber wieder bedingt durch die Freiheit. (vgl. ebd. S 304.)

Die weitere Diskussion: Das Denken der Mannigfaltigkeit ist mit der Bestimmbarkeit der Sinnes-Erfahrungen und Sinn-Erfahrung, mithin mit „Zeitfüllung“ notwendig verbunden (22. und 23. Vorlesung S 338). In der Wahrnehmung hier  in der 3. Vorlesung ist das Mannigfaltige noch allgemein als Ausdehnung angeschaut, ohne Zeitbegriff formuliert, aber Zeitfüllung ist natürlich intendiert, sowie Raum- und Zeitanschauung a) untrennbar miteinander  verbunden sind,  und b) im Akt des Wissens und der Wahrnehmung  eine äußere Erfüllung durch Gegenstände wie eine innere Erfüllung durch sinnhafte Erfahrung geschieht.  ( In der 23. Vorlesung folgt zwar noch eine Differenzierung eines leeren Raums – aus dem Reproduktionsvermögen  -,  aber das wäre genauer zu analysieren in welchem Sinne diese rein apriorische Raumvorstellung notwendig ist. )

Die der ersten Anschauung folgende reproduktive Einbildungskraft (die Reproduktionsanschauung) ist gebunden in der Absicht der zu reproduzierenden Qualität, aber in Absicht des Ordnens der Mannigfaltigkeit in äußerer Erscheinungs-Zeit und äußerem  Erscheinungs-Raum ist sie schlechtweg frei (27. Vorlesung ebd. S 350).

Auf der Stufe des praktischen Bewusstseins kommt der Trieb hinzu. Er tritt immer mit der Forderung einer neuen Deutung der Mannigfaltigkeit auf – und je nachdem, wie gehandelt wird, verändert sich die äußere und innere Sinnerfüllung in der Rezeption und Apperzeption. (36. Vorlesung, S 370)

Schließlich  muss die Mannigfaltigkeit selbst begründet sein in einem System von Ichen (einem Vernunftreich), damit Freiheit als solche sich vollziehen und erkennen kann (43. Vorlesung, S 390).

(c) Franz Strasser, 22. 12. 2018
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1Vgl. Mario Jorge de Carvalho, Ausdehnung und Freiheit, ebd. S 73.

2Vgl. Mario Jorge de Carvalho, Ausdehnung und Freiheit, ebd. S 74.

3Kant, KrV, B 39/40. Der Raum wird als eine unendliche gegebene Größe vorgestellt. Nun muß man zwar einen jeden Be|griff als eine Vorstellung denken, die in einer unendlichen Menge von verschiedenen möglichen Vorstellungen (als ihr gemeinschaftliches Merkmal) enthalten ist, mithin diese unter sich enthält; aber kein Begriff als ein solcher kann so gedacht werden, als ob er eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich enthielte. Gleichwohl wird der Raum so gedacht (denn alle Theile des Raumes ins unendliche sind zugleich). Also ist die ursprüngliche Vorstellung vom Raume Anschauung a priori und nicht Begriff.

4Vgl. Carvalho, ebd., S 75.

5Anders bei Hegel: Er deutet die Gebundenheit der Reflexion an die Anschauung als subjektives Tun, als leere und blinde Reflexion (Wissenschaft der Logik, 311f), als formelle und sinnleere Tätigkeit. FICHTE spricht natürlich ebenfalls von der Reflexion, bleibt sich aber in seiner Methode des Reflektierens der rezeptiven Bindung  an die Anschauung stets bewusst. Deshalb diese immense und ganz andere Aufwertung der sukzessiven Reihe des Raumes, eine Aufwertung der appositionellen Zeitreihe, der reproduktiven Einbildungskraft, der Reflexionsideen, der Geschichte, des Willens. 

Ebenso versteht Hegel nicht den Begriff der Unendlichkeit, der als unendliches Vermögen zu teilen potentiell und methodisch gemeint ist, von Fichte gefasst im Schweben der Einbildungskraft. Hegel kennt dieses Schweben und seine potentiellen Begrenzungen nicht mehr. Die Folge bei Hegel: die quantitativen Bestimmungen von Verhältnissen werden als solche nicht angeschaut und nicht gewertet in ihrer Rückbindung der Reflexion, sondern die Negation übernimmt beliebig das Setzen von Gegensätzlichkeit und irgendwann verwandelt sich klammheimlich die Substanz in ein Subjekt ….. Das ist alles bloße Deutung und leere Begriffsdialektik.  Aus der quantitativen und klassifikatorischen Dialektik ist eine psychologisch-hermeneutische Phänomenlogik geworden. (Siehe dazu Literatur zur Dialektik von K. HAMMACHER. Siehe auch eigene Blogs zur Dialektik bzw. zu Hegels Logik Vorwort.)

6Mario Jorge de Carvalho, Ausdehnung und Freiheit,ebd. S 79,

7Ders., ebd. S 79.

8Vgl. Mario Jorge de Carvalho, Ausdehnung und Freiheit,ebd. S 80-81.

9Wichtig wäre hier noch weiter zu analysieren, aber das lasse ich hier offen: Ein Bild lässt sich dabei weder ins unendlich Größere noch ins unendlich Kleinere skalieren. Die Antwort m. E. wäre zweifach: a) Das Anschauungsgesetz verlangt gewisse Maße und Begriffe. b) Für das Anschauungsgesetz wäre jede möglich Welt bildbar und denkbar, da  aber die Welt Erscheinung ist eines sittlichen Gesetzes, kann es für den Anschauungsakt und jedes Handeln nach der Freiheit nur  eine einzig mögliche Welt geben, im besonderen durch den Zweckbegriff geordnet und auf eine Pluralität von Ichen hin. Deshalb ist nur ein bestimmtes, skaliertes Bild und nur eine gemeinsame Welt möglich.

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser