J. S. Mill, 5. Kapitel, Über den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Nützlichkeit – 5. Teil

J. S. Mill, 5. Kapitel, Über den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Nützlichkeit – 5. Teil 1

1) Was ist Recht und Unrecht? Sind sie aus der Idee der Gerechtigkeit ableitbar? Hängt die Konzeption einer Moralbegründung von der Konzeption der Gerechtigkeit ab?

Das fünfte Kapitel ist irgendwie das spannendste Kapitel, allerdings schwierig zu interpretieren, weil die Begriffsbegründungen ineinanderlaufen: Von der Rechtsbegründung zur Interpersonalität und zur Moral, dazwischen der Glücksbegriff und das Prinzip der Nützlichkeit.

Der ganze Duktus des fünften Kapitels offenbart m. E. wiederum, wie J. S. MILL die Grundintention der Philosophie versteht: Die Grundprinzipien der sozialen Wirklichkeit zu finden, die „archai“ nach dem Vernunftbegriff. Er muss in quasi intellektueller Anschauung einen Vernunftbegriff von Gerechtigkeit voraussetzen, auch wenn er – leider würde ich sagen – nicht von seiner empiristischen Vergangenheit der anglo-amerikanischen Tradition loslassen kann und die Gefühle auf eine sinnliche und naturale Quelle restringiert.

Anders gesagt: Es blitzt immer wieder eine große Idee einer praktischen Vernunft des rechten und moralischen Handelns auf, weiters ein politisch-gesellschaftliches Bild eines friedlichen Zusammenlebens endlicher Freiheit – und bedauert man die verfeindeten ideologischen oder religiösen Lager der Rechts- und Moralbegründungen, so kann in MILLS „Utilitarismus“ eine sehr universelle, naturale Basis von Gerechtigkeit, auf säkularer Ebene, gefunden werden.

Alle Bereiche der ausübenden und ausführenden Gewalt hängen mit der idealen Gerechtigkeitskonzeption zusammen, die Legislative, die Judikative, die Exekutive, und blickt man etwas in die Legion ohne Ende der Gerechtigkeitsbegründungen und des sozialen Verhaltens, warum ist diese Vision einer „Moral des Glücks“ mit einer entsprechenden Messbarkeit und Evaluierungsintention durch Nützlichkeit nicht verbreiteter? 2

2) Der Rechtsanspruch aus der Idee der Gerechtigkeit

J. S. MILL will durch Begriffsanalyse den Zusammenhang zwischen (ideeller)  Gerechtigkeit und  realen Eigenschaften des Gefühls aufzeigen.

Eine besondere „Offenbarung“ wird es nicht brauchen, denn Gerechtigkeit ist selbst eine Eigenschaft eines substantiellen Strebens nach Glück/Glückseligkeit, ein „Zweig allgemeiner Nützlichkeit“ (Kapitel 5, ebd. S 127)

„Aber obgleich es eine Sache ist, die Existenz eines natürlichen Gerechtigkeitsgefühls anzunehmen, und eine andere, es als ein letztes Kriterium richtigen Handelns anzuerkennen, so sind diese beiden Auffassungen in der Realität doch sehr eng miteinander verknüpft. Die Menschen neigen zu dem Glauben, dass ein subjektives Gefühl, das sie sich anders nicht erklären können, die Offenbarung einer objektiven Realität ist. Unsere Aufgabe besteht deshalb zunächst darin, festzustellen, ob der Sachverhalt, dem das Gerechtigkeitsgefühl entspricht, einer solchen spezifischen Offenbarung bedarf, ob die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit einer Handlung etwas letzthin Spezifisches und von allen anderen Eigenschaften Verschiedenes ist oder ob sie nur in einer Kombination einiger jener Eigenschaften, unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet,“ (Hervorhebung von mir, Kapitel 5, ebd. S 127)

MILL beschreitet wieder den Weg der ausschließenden Negation, um die Idee der Gerechtigkeit näher bestimmen zu können, d. h. er grenzt alles Gegenteil davon ab. Es ist klassisches dialektisches Denken: FICHTE hat aus dieser Regel des Mit-Setzens (nach Maimon) im Gegensetzen (Entgegensetzen) „analytisch-synthetische Methode“ genannt. Die Gegensetzung, wenn sie auch logisch Negation ist, setzt dennoch Realität und Negation als gemeinschaftliche Korrelate mit. Nach S. Maimon: „Die Setzung des einen ist nicht bloß die Hebung des anderen, sondern eine von derselben verschiedene Setzung“ (MAIMON, Versuch, S 115). Die Methode und auch Kunst der Dialektik (oder der analytisch-synthetischen Methode)  wird es deshalb sein, die Gegensätze einer Aussage aufzusuchen und sie im Geiste,  d. h. in der Einsicht eines Begriffes durch das Vermögen der Einbildungskraft wieder zu vereinigen – was im praktischen Handeln und im Gefühl sowieso geschieht, jetzt eben begrifflich durchdrungen und erkannt. 

Die begriffliche Durchdringung leidet bei J. S. MILL an der Zweiseitigkeit einer apriorischen und einer naturalen Begründung der Gerechtigkeit. Sie gewinnt allerdings an Kraft, wenn auf die Anwendungsbedingungen der Idee im reellen Gefühl des Glücks geschaut wird, mithin auch auf deren quantitative Messbarkeit durch Nützlichkeit.

Zuerst wird anhand der Abweichung und der Veränderungen die Idee der Gerechtigkeit bestimmt; sie selbst kann als Ursache nicht reell beobachtet werden. Das empiristische Vorurteil schlägt durch, dass die Idee zu einer „Gruppe von Eigenschaften“ gehört, die einem sinnlichen Begehren.

Hätte J. S. MILL den transzendentalen Standpunkt einer Einheit von Anschauung und Begriff gehabt, hätte er in der Begierde und im sinnlichen Gefühl eine Teilrealisation einer vernünftigen Selbstauslegung von Freiheit erkennen können, eine ratio cognoscendi. Stattdessen bleibt er bei der Erscheinung stehen, der ratio essendi der Erkenntnis.

„[…] denn wie viele andere Moralbegriffe lässt sich Gerechtigkeit am besten durch ihr Gegenteil definieren) und das sie von Verhaltensweisen unterscheidet, die missbilligt werden, ohne dass sie mit genau diesem Attribut der Missbilligung belegt werden. Sollte sich in allem, was gewöhnlich als gerecht oder als ungerecht bezeichnet wird, eine gemeinsame Eigenschaft oder Gruppe von Eigenschaften finden, so liegt es an uns festzustellen, ob diese besondere Eigenschaft oder Gruppe von Eigenschaften den allgemeinen Gesetzen unseres Gefühlslebens nach in der Lage ist, ein Gefühl dieser Eigenart und Intensität hervorzurufen, oder ob dieses Gefühl unerklärlich ist und als eine besondere Vorkehrung der Natur betrachtet werden muss.“ (ebd. S 129)

MILL kommt zu einer viele Beispiele umfassenden Beschreibung der „Eigenschaften“ von Ungerechtigkeit, d. h. in dem Sinne von erkennbaren Eigenschaften in den „Verhaltensweisen“.

Stillschweigend und wie selbstverständlich wird die interpersonale Voraussetzung subjektiver/selbstbewusster Anwendung von Freiheit, Gefühl, Kommunikation vorausgesetzt, was vom transzendentalen Standpunkt her gesehen erst begründet werden müsste. Aus dem rechtlichen Anerkennungsverhältnis folgen die sozialen Beziehungen und damit die sozialen Gefühle. MILL setzt andere Personen dogmatisch voraus.
Bei MILL verläuft die Begründung andersherum: Die Gefühlspalette von Zorn und Widerstand usw. (siehe unten) schaffen den Rechtsbegriff und ein rechtlich geregeltes Miteinander.

Das ist m. E. ein Zirkel der Begründung: durch ein soziales Gefühl wird das Recht geschaffen; das Recht erzeugt das soziale Gefühl.

MILL geht dabei von der Erscheinung aus, um eine Begriffsanalyse von „gerecht“ und „ungerecht“ zu finden: „[…] in der diese einen eindeutig bestimmten Sinn haben, nämlich den, dass es gerecht ist, die gesetzlich verbürgten Rechte einer Person zu achten, und ungerecht, sie zu missachten.“ (ebd. S 131)
Ein Verstoß gegen ein Ur-Recht („ der verbürgten Rechte“) wird gefühlt, ergo muss es einen Rechtsbegriff dafür geben, bzw. die Folgerung, dass das Recht geachtet werden müsse.

Wird Unrecht zugefügt wird, das spürt man (durch die Idee der Gerechtigkeit), erkennt man in diesem Gefühl eine erscheinungsmäßige Veränderung des postulierten Rechtes und aus diesem Gegensatz ein „moralisches Recht“ (ebd. S 133)

MILL zählt dann fünf Beispiele auf, vgl. ebd. S 131 – 137, bis zur „Unparteilichkeit“, die gewahrt bleiben müsse beim Rechtsbegriff, ebenso gehört die „Gleichheit“ (ebd. S 137 – 139) dazu.

3) Gerechtigkeit aus einer moralischen und gesamtgesellschaftlichen Konzeption heraus

MILL will höher hinauf zur Ableitung der Idee der Gerechtigkeit. Er beginnt mit einer Begriffs-Etymologie. Was kann rein sprachlich aus dem Wort „Gerechtigkeit“ abgelesen werden? (ebd. S 139ff). Wie wurde in der Historie und bei verschiedenen Völkern die Gerechtigkeit begründet?

Es ist offensichtlich die Gerechtigkeit mit Gesetz und Recht verbunden.

Das französische „idee mère“ ist das „Grundelement bei der Entstehung des Gerechtigkeitsbegriffes, die Übereinstimmung mit dem Gesetz (…). Bei den Juden machte diese bis zur Geburtsstunde des Christentums den gesamten Gehalt der Gerechtigkeitsvorstellung wie es bei einem Volk zu erwarten war, dessen Gesetze alle Bereiche zu durchdringen suchten, in denen irgendwelche Vorschriften nötig waren, und das in jenen Gesetzen einen unmittelbaren Ausfluss des höchsten Wesens erblickte. Andere Völker dagegen – insbesondere die Griechen und Römer, die wussten, dass ihre Gesetze ursprünglich von Menschen gemacht worden waren und immer noch gemacht wurden (…)“ (Hervorhebungen von mir; ebd. S 141 u. 143)

Ein Gesetz oder eine Norm findet sich bei allen Völkern und Kulturen. Sind sie rein beliebig und willkürlich?

Sie können im einzelnen verschieden sein, mehr oder minder befolgt oder nicht befolgt werden, entscheidend ist, dass ein übergeordnetes Sollen von Gerechtigkeit sich überall findet:

„Daher heftete sich das Gefühl der Ungerechtigkeit nicht an alle Verstöße gegen das Gesetz, sondern nur an Verstöße gegen solche Gesetze, die gelten sollten (Hervorhebung durch MILL) (darin eingeschlossen die, die gelten sollten, es tatsächlich aber nicht tun), sowie auch an die Gesetze selbst, die dem, was Gesetz sein sollte, zuwider waren. Insofern spielt der Gedanke des Gesetzes und gesetzlicher Vorschriften weiterhin eine beherrschende Rolle im Begriff der Gerechtigkeit, auch wenn die de facto geltenden Gesetze nicht mehr als Norm der Gerechtigkeit akzeptiert werden. Freilich lassen die Menschen den Begriff der Gerechtigkeit und die aus ihm abgeleiteten Pflichten darüber hinaus für viele Dinge gelten, für die es keine gesetzliche Regelung gibt (….)“ (Hervorhebung von mir; ebd. S 143)

Wenn Gerechtigkeit sein soll, so steht alle Rechtssprechung und Rechtsausführung unter einem gerechten Gesetz und führt logisch-praktisch zu einer gewissen „Vorstellung eines gesetzlichen Zwangs“ (ebd. S 145).


Die Gerechtigkeit erfährt Wandlungen, „[…] ehe sich der Begriff zur der Gestalt, die er in einem fortgeschrittenen Gesellschaftszustand annimmt, vervollständigt hat.“ (ebd. S 145)

Der Rechtsbegriff enthält in seiner praktischen Folgen und Anwendung  eine gewisse „Pflicht zur Gerechtigkeit“ (ebd.).

MILL möchte aber in seiner Analyse über die rechtlichen Konsequenzen der Idee von Gerechtigkeit hinausgehen und zu einer moralischen Begründung kommen. Offensichtlich sind ihm die äußerlich bemerkbaren Erscheinungen und Reaktionen zu wandelbar und zu wenig reflexiv.
Es soll ein moralisch Allgemeines einer (moralischen) Pflicht im Unterschied zum Rechtsbegriff differenziert werden.

a) Zuerst noch zum Rechtsbegriff: „Es ist allen Formen der Pflicht eigentümlich, dass eine Person zu ihrer Erfüllung rechtmäßig gezwungen werden kann. Pflicht ist etwas, das von jemandem erzwungen werden kann, so, wie man die Bezahlung einer Schuld erzwingt.“ (ebd. S 145.147)

Es gibt Verpflichtungen, die geahndet werden, andere, die nur straflos bleiben;

„Vorerst jedenfalls dürfte es unzweifelhaft sein, dass diese Unterscheidung (sc. Vorstellungen von Strafwürdigkeit und Straflosigkeit) für die Begriffe von Recht und Unrecht grundlegend ist und wir in dem Maße von Unrecht sprechen oder irgendeinen anderen missbilligenden Ausdruck gebrauchen, in dem wir glauben, dass der Handelnde dafür bestraft werden sollte oder nicht, und dass, ob wir sagen, eine Handlungsweise sei richtig, oder nur, sie sei wünschenswert oder lobenswert, davon abhängt, ob wir den Handelnden gezwungen oder aber nur oder ermuntert sehen möchten, in dieser Weise zu handeln.“ (ebd. S 147)

b) Wird jetzt unterschieden zwischen sanktionierten Verhaltensweisen mit strafwürdigen Folgebegriffen – und nicht strafwürdigen, straflos bleibenden Verhaltensweisen, so ergibt sich über den Rechtsbegriff hinausgehend eine spezifiziert begründete Gerechtigkeit, die zur nochmals unterschiedenen Moralbegründung hinführt,: „[…] von den übrigen Bereichen der Nützlichkeit und der Würdigkeit, so bleibt nun noch das Merkmal anzugeben, das die Gerechtigkeit von den anderen Bereichen der Moral unterscheidet.“ (ebd. S 147)

MILL kommt zu sprechen auf unbedingte und bedingte Pflichten. Durch unbedingte Pflichten erlangen wir ein Recht; durch bedingte Pflichten wird ein „persönliches Recht“ (ebd. S 149) empfunden, ein „Anspruch seitens eines oder mehrere Individuen, (…)“ (ebd.)

Ist diese Anspruch jetzt auf einen anderen gerichtet und interpersonal konkretisiert, so wird die moralische Pflicht gegenüber dem Recht dieser bestimmten Person offenbar als spezifische Differenz empfunden, als spezifische Gerechtigkeit.

Es kommt zu einer durch Differenziation gewonnenen näheren Bestimmung von Gerechtigkeit – wie bei einem ausschließenden Negationsverfahren: „Gerechtigkeit bedeutet nicht nur, zu tun, was recht wäre, und nicht zu tun, was unrecht wäre, sondern zu tun, was jemand uns gegenüber als sein moralisches Recht geltend machen kann. […]“ (Hervorhebung von mir, ebd. S 149.151)

Dem anderen etwas schulden wie z. B. Großmut und Wohltätigkeit, können Formen der Gegenleistung sein, aber im engeren Sinn ist diese Gerechtigkeit von den Formen der rechtlichen Gegenleistung unterschieden.

„[…] Wo ein Rechtsanspruch besteht, haben wir es mit einem Fall von Gerechtigkeit, nicht von Wohltätigkeit zu tun, und wer die Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und Moral insgesamt nicht da zieht, wo wir sie soeben gezogen haben, wird feststellen, dass er gar keinen Unterschied zwischen ihnen macht, sondern die Moral ganz in der Gerechtigkeit aufgehen lässt.„ (Hervorhebung von mir, ebd.)

MILL differenziert also nochmals zwischen einer rechtlichen Gerechtigkeit, die universell für alle gelten muss, von allen, für alle, zu aller Zeit, während Moral eine gegenüber einer einzelnen, bestimmten Person naheliegende, aufgetragene Pflicht im eingeschränkten Sinne ist.

Kann diese differenzierte und spezifizierte Gerechtigkeit noch näher bestimmt und gemessen werden?
Hier kommt m. E. wieder die Stärke der Reflexion der Anwendungsbedingungen J. S. MILLS jetzt zur Sprache: das Nützlichkeitsprinzip.

Der Blick wird gedanklich auf die Frage der naturalen Quelle des Glücks- und Luststrebens gelenkt.3

„Nach diesem Versuch, die Wesensmerkmale des Gerechtigkeitsbegriffs zu bestimmen, wollen wir uns nun der Frage zuwenden, ob das Gefühl, das diesen Begriff begleitet, die Verknüpfung mit ihm durch eine besondere Vorkehrung der Natur erhalten hat oder ob es sich – soweit wir das sagen können – selbsttätig aus dieser Vorstellung heraus entwickelt haben kann und insbesondere, ob es seinen Ursprung in Überlegungen der allgemeinen Nützlichkeit haben kann.“ (Hervorhebung von mir, ebd. S 151. 153.)

Die Idee der Gerechtigkeit, so kommt immer deutlicher heraus, sie bewährt sich im konkreten Bezug  zu anderen Personen, sei es

a) dass ich ein Anspruchsrecht des anderen erkenne, sofern es zur Verletzung dieses Rechts gekommen ist; das äußert sich dann  als „Wunsch nach Bestrafung“ der Verursachung des Übels. Generell zeigt sich die Gerechtigkeit

b)  im Gefühl der Sympathie mit allen Menschen und sogar allen fühlenden Wesen“.

ad a) „Wie wir gesehen haben, hat das Gerechtigkeitsgefühl zwei wesentliche Bestandteile: den Wunsch nach Bestrafung desjenigen, der ein Unrecht getan hat, und das Wissen oder den Glauben, dass es ein bestimmtes Individuum oder bestimmte Individuen gibt, denen das Unrecht angetan worden ist.“ (ebd. S 153)

Durch die interpersonale Verflochtenheit des Glücksstrebens zeigt sich in ausschließender Negation die Idee der Gerechtigkeit beim Eintreten von Unrecht – als „[…] Empörung, Zorn und der Wunsch nach Vergeltung. Der Ursprung dieses Gefühls braucht hier nicht näher erörtert zu werden. Ob es ein Instinkt ist oder auf Einsicht beruht – wir wissen jedenfalls, dass es eine Eigenschaft der gesamten tierischen Natur ist. Jedes Tier versucht, dem, der es oder seine Jungen verwundet hat oder zu verwunden droht, ebenfalls eine Wunde beizubringen.“ (ebd. S 153)

ad b) „Die Menschen unterscheiden sich von den Tieren in dieser Hinsicht nur in zweierlei: einmal darin, dass sie zur Sympathie nicht nur mit ihren Nachkommen, oder, wie einige der edleren Tiere, mit einem höheren und ihnen gut gesinnten Lebewesen fähig sind, sondern mit allen Menschen und sogar allen fühlenden Wesen; und weiterhin darin, dass ihr Verstand höher ausgebildet ist und allen ihren Gefühlen (den egoistischen wie den altruistischen) einen breiteren Wirkungskreis eröffnet.“ (Hervorhebung von mir, ebd. S 153.155)

Aus einem rechtlichen Anspruch des anderen, gefühlt als „Empörung, Zorn….“, sowie aus einem moralischen, universellen Gefühl der „Sympathie“, zeigt sich ein Sicherheitsbedürfnis allgemeiner Art, denn bei Bedrohung der eigenen Sicherheit ist genauso die des anderen gefährdet. (vgl. ebd. S 155)

Es ist das „Gerechtigkeitsgefühlmit anderen Worten ein „Wunsch nach Bestrafung, dasselbe, wie das natürliche Bedürfnis nach Vergeltung und Rache“ (ebd. S 155)

Der Übergang von einer rechtlichen Konzeption der Gerechtigkeit zu einer moralischen Begründung verläuft, so fällt mir auf – bei MILL allerdings nicht explizit begründet – über die Interpersonalität und mit Reflexion auf den Glücksbegriff.

Der Glücksbegriff ist natürlich diffizil zu verstehen – siehe oben 2. Teil nach Kant und K. Hammacher: Das „Glück/die Glückseligkeit“ bleibt entzogen und doch nur in Beziehung zu anderen verstehbar, also stets konkretisiert in Interpersonalität. MILL nennt es Sympathie oder „Gemeinschaftsgefühle“.4

„Für sich genommen hat dieses Bedürfnis (sc. das Zorn- und Rachegefühl) keinen moralischen Gehalt. Das einzig Moralische an ihm ist, dass es ausschließlich den Gemeinschaftsgefühlen untergeordnet ist und nur durch diese geweckt wird. Das bloß natürliche Gefühl würde uns unterschiedslos gegen jegliches Verhalten zornig werden lassen, das uns unangenehm ist; aber geläutert durch das Gemeinschaftsgefühl wird es nur in der Richtung wirksam, in der es dem allgemeinen Wohl dient.  Wenn der Gerechte in Zorn gerät, dann gegen den Schaden, der der Gesellschaft zugefügt wird, nicht gegen den (und sei er noch so schmerzlich), der ihn selber trifft, es sei denn, er und die Gesellschaft hätten ein gemeinsames Interesse daran, ihn zu verhindern.„ (Hervorhebung von mir, ebd. S 155)

Mit diesem Gemeinschaftsgefühl ist verbunden, dass eine Regel der (rechtlichen) Gleichheit damit einher geht. Die Vielen haben zwar verschiedene Glückserwartungen, aber die Idee des Guten ist eine deduktive Wahrheit, an der in zuteilender Gerechtigkeit jedes Vernunftwesen zu gleichen Rechten Anteil haben muss können.

MILL interpretiert hier wieder den „Kategorischen Imperativ“ KANTS, den er im 1. Kapitel schon kurz erwähnte und als leere, logische Regel gesehen hat (ebd. S 15). Der Kategorische Imperativ kann nur den Sinn haben, den anderen wenigstens in den Blick zu nehmen, die „Gesamtinteressen der Menschheit oder zumindest die Interessen jedes einzelnen Menschen…..“

„Wenn Kant (wie schon bemerkt) das Prinzip »Handle so, dass die Regel deines Handelns von allen vernünftigen Wesen als Gesetz angenommen werden kann« zum Grundprinzip der Moral erklärt, gesteht er damit unausdrücklich zu, dass derjenige, der gewissenhaft entscheiden will, ob sein Handeln moralisch richtig ist, die Gesamtinteressen der Menschheit oder zumindest die Interessen jedes einzelnen Menschen im gleichen Maße berücksichtigen muss. Anderenfalls wären die Worte, die er gebraucht, ohne Sinn.“ (Hervorhebung von mir, ebd. S 157)

4) Gerechtigkeit und Nützlichkeitsdenken

J. S. MILL fasst die Gerechtigkeit hier nochmals so zusammen in dem obigen Sinn eines rechtlichen Anspruchs und einem Gefühl des gerechten Ausgleichs (Sanktion, Bestrafung): „Der Begriff der Gerechtigkeit setzt zweierlei voraus: eine Verhaltensregel und ein Gefühl als Sanktion der Regel. (…)“ (Hervorhebung von mir; ebd. S 159), und in einer gesellschaftlichen-politischen Dimension. „Ein Recht zu haben bedeutet demnach, etwas zu haben, das mir die Gesellschaft schützen sollte, während ich es besitze.“ (ebd. S 161)

Es sollen die Anwendungsbedingungen dieser Gerechtigkeitsvorstellung nochmals analysiert werden: Ein einzelnes Streben nach Glück oder ein gemeinsames Wollen kann logisch-quantitiert durch Nutzen und Nützlichkeit gemessen und erkannt werden. Die rechtlich gewonnene Idee der Gerechtigkeit zeigt sich in ihrer quantitierten Erscheinung als Nützlichkeit für alle und jeden/jede einzelnen/einzelne.

„Wenn nun jemand fragt, warum sie das tun sollte (sc. dass die Gesellschaft das Recht schützen müsse, dass alle und der einzelne geschützt sein müsse), kann ich ihm keinen anderen Grund nennen als die allgemeine Nützlichkeit. (Hervorhebung von mir, ebd.)

Das Gerechtigkeitsgefühl ist ein sehr starkes Gefühl, nicht nur als Idee von Rechtsanspruch und Gleichheit beschreibbar, als Selbstverteidigung und als Sympathie erlebbar, sondern es liegt ein „triebhaftes Element“ (ebd.) in diesem Gefühl, sich äußernd als „Vergeltungstrieb“. (ebd.)

Es kommt zu einer weiteren Charakteristik in der (durch interpersonale Anwendung und Nützlichkeit) konkretisierten Gerechtigkeit: Es ist der Begriff der „Sicherheit“.

Es ist ein komprimierter Text: „Moralisches Recht“ und „Nützlichkeit“ werden verbunden im Interesse der „Sicherheit“:

„Dieser Trieb (sc. der Vergeltungstrieb im Gerechtigkeitsgefühl) erhält seine Intensität – wie auch sein moralisches Recht aus der außerordentlich bedeutsamen und eindrucksvollen Art von Nützlichkeit, die auf dem Spiel steht. Das Interesse, um das es geht, ist das Interesse an Sicherheit, in jedermanns Augen das wesentlichste unter allen Interessen. Von nahezu allen anderen irdischen Gütern lässt sich sagen, dass der eine sie braucht, der andere nicht. (…) Aber auf Sicherheit kann ein Mensch unmöglich verzichten.“ (Hervorhebung von mir, ebd. S 161. 163)

Lese ich das in transzendentale Erkenntnisart, so wird der Gegenstand Gerechtigkeit durch das konkretisierte Denken weiter spezifiziert, d. h. mit Inklusion von Interpersonalität und Nützlichkeit,, so soll der konkret Andere (oder die Menschheit) um seiner selbst willen geschützt und geachtet werden. Ist das nicht sehr ähnlich zum Selbstzweckdenkens KANTS? „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“(GMS, BA 66.)

Es liegt ein Denken von Unbedingtheit in dieser zu konkretisierenden Idee von Gerechtigkeit, anders gesagt, ein moralisches Sollen.
MILL spricht diese Idee an als „Unterschied der Art“.
„Der Anspruch an unsere Mitmenschen, an der Sicherung dieser absoluten Grundlage unserer Existenz mitzuwirken, spricht Gefühle an, die so viel stärker sind als die, die sich an die gewöhnlichen Fälle von Nützlichkeit heften, dass der Unterschied des Grades (wie so oft in der Psychologie) zu einem Unterschied der Art wird. Der Anspruch nimmt jene Unbedingtheit, jene scheinbare Unendlichkeit und Unvergleichbarkeit mit allen anderen Erwägungen an, auf die der Unterschied zwischen dem Gefühl von Recht und Unrecht und dem Gefühl bloßer Zuträglichkeit und Unzuträglichkeit zurückgeht.“ (Hervorhebung von mir; ebd. S 163.)

Der Nutzen ist wiederum nicht Selbstzweck, sondern die andere Person bzw. die Menschheit in seinem/ihrem Sicherheitsbedürfnis und Glücksstreben ist Endzweck, spezifisch durch die Methode des Nutzens und der Nützlichkeit bestimmt.

5) Moral des Glücks und soziale Nützlichkeit

MILL geht in seinen Schlusspassagen nochmals auf die Verteidigung des Nützlichkeitsprinzips ein und wehrt sich sehr eloquent gegen ungerechte Vorwürfe. (vgl. ebd. S 163 – 167) bzw. versteht er es, andere Entwürfe entsprechend zu hinterfragen und kritisch zu prüfen.

Er bespricht Rechtstheorien, die Recht und Gesetz auf einen Gesellschaftsvertrag zurückführen (vgl. ebd. S 169) – aber das ist nur „Fiktion“ (ebd. S 169) gegenüber der viel stärkeren naturalen Theorie des Strebens nach Glück/Glückseligkeit und deren Durchsetzung als Recht und Gesetz.

Er bespricht die Schwächen einer angemessen Rechtssprechung, wenn sie nur auf positivistisch gesetztes Recht verweisen täte (vgl. ebd. S 171), es ist ohne der „sozialen Nützlichkeit“ (ebd. S 173) keine rechte und richtige Entscheidung zu treffen.

Das Prinzip der Nützlichkeit kann nicht abgewertet werden gegenüber anderen Erklärung des Moralischen; als sei „die Gerechtigkeit etwas Erhabeneres als die Klugheit“ (ebd. S 177).

Seine Ansicht des Utilitarismus fasst er so zusammen:

„[…] Während ich jeder Theorie entgegentrete, die ein Prinzip der Gerechtigkeit aufstellt, das nicht auf Nützlichkeit gegründet ist, bin ich andererseits der Meinung, dass die Gerechtigkeit, die auf Nützlichkeit gegründet ist, den Hauptteil und den unvergleichlich bedeutsamsten und verbindlichsten Teil aller Moral ausmacht. Gerechtigkeit ist der Name für eine Reihe moralischer Regeln, die für das menschliches Wohlergehen unmittelbar bestimmend und deshalb unbedingter verpflichtend sind als alle anderen Regeln des praktischen Handelns: In dem Begriff, in dem wir das Wesen der Gerechtigkeitsvorstellung gefunden haben, dem eines Rechtsanspruchs eines Individuums gegenüber anderen, ist diese höhere Verbindlichkeit ausgesprochen.“ (Hervorhebungen von mir, ebd. S 177)

Es klingt begründungsmäßig etwas problematisch, es sind verschiedenen Ebenen: „[…] Gerechtigkeit, die auf Nützlichkeit gegründet ist, (macht) den Hauptteil und den unvergleichlich bedeutsamsten und verbindlichsten Teil aller Moral aus […]“
Ein Vernunftbegriff von Sittlichkeit (Moral) ist ideell entworfen: Durch Prinzipien des Rechts (und darin inkludierter Interpersonalität) und durch Nützlichkeit.

Eine bloße Gesinnungsmoral, die sich auf Maximen beruft, bedeutet weniger als eine Moral, die die Folgen ihres Handelns mitbedenkt und keinen Schaden zufügen will. (ebd. S 177. 179)

MILL beschreibt nochmals seine Ethik: Keinen Schaden zuzufügen, die Wohltätigkeit zu pflegen (ebd. S 179. 181), den Trieb zur Selbstverteidigung erkennen und das Vergeltungsprinzip (vgl. ebd. S 181); das Gute mit Gutem vergelten (vgl. ebd.), Das Prinzip, jedem das zu geben, was er verdient, […]“ (ebd. S 183). Vieles ist aus der Geschichte schon bekannt.

Auch die Rechtssprechung der Gerichte, die sich oft nicht veranlasst fühlt, über ihre Grundsätze nachzudenken (vgl. ebd. S 183), dient im Falle der schöpferischen Rechtssprechung der Verhinderung, Übles mit Üblem zu vergelten. Sie sind ebenso einem altruistischen Prinzip oder Nützlichkeitsprinzip verpflichtet.
Zur Rechtssprechung gehört natürlich auch als „oberste richterliche Tugend“ (ebd. S 185) die „Unparteilichkeit“ (ebd.) und die Gleichheit aller Personen vor dem Gesetz, d. h. „dass die Gesellschaft jeden gleich gut behandeln sollte, der sich um sie verdient gemacht hat, […]“ (ebd. S 185). „Dies ist das oberste allgemeine Prinzip der sozialen und austeilenden Gerechtigkeit, auf das hin alle gesellschaftlichen Institutionen und die Bemühungen aller aufrechten Bürger im höchstmöglichen Maße ausgerichtet werden sollten.“ (Hervorhebung von mir, ebd. S 185)

Diese Gleichbehandlung oder Handlungsregel ist begründet in dem einen Prinzip der Nützlichkeit – oder anders gesagt: „Aber diese große moralische Pflicht hat eine noch tiefere Grundlage; sie ist kein bloßer Folgesatz aus sekundären oder abgeleiteten Prinzipien, sondern ergibt sich unmittelbar aus dem obersten Prinzip der Moral: Sie ist ein Teil der Bedeutung des Nützlichkeitsprinzips oder des Prinzips des größten Glücks.(Hervorhebung von mir, ebd. S 185)

MILL spricht von der Moral des Glücks:Dass in den Augen des Ethikers wie des Gesetzgebers jeder den gleichen Anspruch auf Glück hat, bedeutet, dass er den gleichen Anspruch auf die Mittel zum Glück hat, […] (vgl. ebd. S 187.189).

Er diskutiert andere Literatur und beschreibt die Ungerechtigkeiten dieser Welt.
Der moralische Anspruch ergibt sich aus der Idee der Gerechtigkeit – und gemessen werden kann die Gerechtigkeit an der „Skala der sozialen Nützlichkeit“.

„Aus dem Gesagten ergibt sich, dass Gerechtigkeit der Name für bestimmte moralische Forderungen ist, die, als Ganze betrachtet, auf der Skala der sozialen Nützlichkeit einen höheren Platz einnehmen und deshalb in höherem Maße verpflichtend sind als alle anderen, […]“ (Hervorhebung von mir; ebd. S 190.191)

MILL unterscheidet zwischen dem „Gefühl“ für Gerechtigkeit und Nützlichkeit. Den Ursprung des Gefühls leitet er nochmals von einer naturalen Quelle ab, es braucht dafür keinen „besonderen Ursprung“, da sie aber auf die Menschheit als Ganze wie auf den einzelnen gerichtet ist (in solidarischer Verbundenheit im Zorn wie in der der Sympathie), ist das „moralisch“ zu nennen. Es folgt eine kurze, prägnante Bezeichnung seiner Ethik: „Soziale Nützlichkeit“

„Es ist im Grunde immer schon evident gewesen, dass alle Fälle von Gerechtigkeit auch Fälle von Nützlichkeit sind. Der Unterschied liegt lediglich in dem eigentümlichen Gefühl, das sich an die Gerechtigkeit, nicht aber an die Nützlichkeit knüpft. Wenn dieses charakteristische Gefühl hinreichend erklärt worden ist; wenn es sich erübrigt, einen besonderen Ursprung dieses Gefühls anzunehmen (sc. einen von der naturalen Basis unabhängigen Ursprung) ; wenn es nichts anderes ist als das natürliche Gefühl von Zorn und Empörung, das, indem es auf die Erfordernisse des Gemeinwohls lenkt wird, mit einem moralischen Gehalt versehen wird; und wenn sich dieses Gefühl in den Fällen, auf die der Begriff der Gerechtigkeit anwendbar ist, nicht nur tatsächlich findet, sondern auch finden sollte: dann ist dieser Begriff für die utilitaristische Ethik kein Stein des Anstoßes mehr. Gerechtigkeit bleibt weiterhin die geeignete Bezeichnung für einen Bereich sozialer Nützlichkeit, [….]“ (Hervorhebung von mir, ebd. S 191.193).

Gerechtigkeit, ein starkes Gefühl, stärker als jeder sinnliche Hedonismus der Lust und des Angenehmen, das „(…) nicht nur dem Grad, sondern auch der Art nach“ verschieden ist. (Hervorhebung von mir, ebd.)

© Franz Strasser, 8. 10. 2023

1 „Man kann also wohl sagen, dass der Utilitarismus in Kontinentaleuropa nicht die Aufmerksamkeit gefunden hat, die er verdient, in seiner Heimat aber die Kritik gefunden hat, die er verdient.“ In: Kurt Seelmann/Daniela Demko, Rechtsphilosophie, München 2014.
Zum Weiterlesen aus dem Heft des Philosophie-Magazins, Nr. 4/2019. John Rawls, „Eine Theorie der Gerechtigkeit“, übers. v. Hermann Vetter (Suhrkamp, 1979).

Rima Hawi, „John Rawls. Itinéraire d’un libéral américain vers l’égalité sociale“ (Garnier, 2016).

Robert Nozick, „Anarchie, Staat, Utopia“, übers. v. Hermann Vetter (Olzog, 1988).

Gerald Allan Cohen, „Gleichheit ohne Gleichgültigkeit. Politische Philosophie und individuelles Verhalten“, übers. v. Michael Haupt (Rotbuch, 2001).

Amartya Sen, „Die Idee der Gerechtigkeit“, übers. v. Christa Krüger (C. H. Beck, 2010).

Michael Sandel, „Liberalism and the Limits of Justice“ (Cambridge University Press, 1982).

Michael Sandel, „Gerechtigkeit. Wie wir das Richtige tun“, übers. v. Helmut Reuter (Ullstein, 2013).

2Als ein Nachfolger von J. S. MILL würde ich J. RAWL mit in seinem prozeduralen Begriff von Gerechtigkeit ansehen. RAWL würde sich zwar vom Utlitarismus distanzieren, doch die Findung von Erkenntnisprinzipien, die eine „reflektierte Überlegung“ (u. a. Termini, die RAWL verwendet) anstellen, finde ich ganz ähnlich zu MILL.

Zur Kritik an Rawls siehe allerdings Hans Georg von Manz, Fairneß und Vernunftrecht. Rawls‘ Versuch der prozeduralen Begründung einer gerechten Gesellschaftsordnung im Gegensatz zu ihrer Vernunftbestimmung bei Fichte. Hildesheim: Olms-Verlag, 1992. Diese Kritik v. Manz träfe im weiterer Sinne dann auch auf J. S. MILL zu.

3Leider ist das wieder die empiristische Schlagseite. Als Teilrealisation der Vernunft könnte das sinnliche Streben und das Glücksstreben gewertet werden, als „besondere Vorkehrung der Natur“, wie er selber sagt, d. h. als apriorische Vernunftidee.

4Siehe oben 2. Teil: Kant bestimmt Glück/Glückseligkeit als einen Zustand, in dem „alles nach Wunsch und Willen geht“ (KpV, AA Bd. V, S 224), d. h. aber es ist a) nur Wunsch und b) nur als gemeinsames Wollen zu begreifen.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser