Grund und Folge 2. Teil

Der Zusammenhang von conditionalem und causalem Denken liegt ganz im Begriff der Genesis. Im conditionalem Denken von Bedingungen der Möglichkeit von Selbstbewusstsein liegt eine geschlossene Form der Möglichkeit, notwendig, sonst könnte nicht reflektiert und frei gehandelt werden; im causalen Denken von Ursache und Wirkung (causa-effectus) liegt allerdings eine offene Form der Möglichkeit des Denkens, denn dieser Formbegriff schließt den durch konkreten Zeitverlauf erfahrbaren konkreten effectus der causa mit ein.1

Wenn in der Genesis die geschlossene Form des bedingenden Denkens und die offene Form das causalen Denkens geeint sind und je nach dem Selbstbestimmungsgrund der Freiheit genetisch hervorgehen, so ergibt sich im Übergang von der Möglichkeit zur Vieleinheit der Wirklichkeit der reine Begriff der „Konkretion“. 2

Fichte fand das ja genial im Begriff des „Setzens“. Wenn in der Faktizität eines Angeschauten oder eines etwas eine wahres Bild des Bildes vom Sein transzendental notwendig vorausgesetzt werden muss, so ist jede objektivierende Form, sei es jetzt conditional oder causal, eine affirmativ verbundene Form der Konkretion.
„(….) das „Setzen“ Fichtes – bildet durch ihr Resultat Relation, ist aber gleichwohl auch dasjenige, was die Relation qualitativ bestimmt und erfüllt. Konkretion ist der Begriff für die Form, unter der Mögliches faktisch verwirklicht wird. Das heißt jene besondere Relationsweise, die einsinnig in der Richtung vom Möglichen zum faktischen Wirklichen führt.“
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Bedingendes Denken einer gesetzten Akteurskausalität durch Freiheit, wie es Fichte im obigen Zitat nach „Darlegung der Thatsachen des Bewussteins“ anstrebt, (siehe 1. Teil) ist qualitativ immer schon bestimmte Konkretion von conditionellem und causalen Denkweisen und zeigt sich auf der Reproduktionsebene in intellektueller Anschauung.

Aber Reproduktion und Erscheinung sind nicht die Seins-Ebene einer begrifflichen Ursache von Freiheit. Rein dem transzendentalen Denken nach sind Antecedens und causa zwar in Einheit des Urgrundes vereint, es kann aber nicht direkt, sozusagen causal von Gott seine Äußerung und Selbstoffenbarung in der Identität seines Wesens abgeleitet werden, sondern nur mittelbar wird von Seiten der Selbstbestimmung der Freiheit, in einem Begriff des „Setzens“, d. h. in einem jeweils konkreten, bestimmten Sinn, auf das Was und den Sinngehalt der Äußerung und Selbstoffenbarung Gottes geschlossen. Zeitloses consequens und zeitlicher effectus werden diesen Sinngehalt offenbarung, d. h. die Zeit und Zukunft wird offenbaren, was der Geltungsgrund der Äußerung und Selbstoffenbarung ist.

Es bleibt aber damit eine dauernde, hiathafte Disjunktionseinheit von conditionellem antecedens und causalem effectus. Die Zeit und die Zukunft entspringen ja gerade dieser hiathaften, genetischen Disjunktionseinheit. 4

Deshalb auch das Pochen auf eine Stufenlehre der RĂĽckkehr zur Einheit im absoluten Sein durch den Begriff der „Liebe“ in den AzsL (1806), weil der Hiatus stets neuer Zeitsetzung und stufenhafter Verwirklichung von Liebe notwendig aus der Genesis freien Handelns – also conditio und als causa sui des kontingenden Solls – hervorgeht.
Im reproduzierenden Handeln wird Freiheit direkt angeschaut, wie oben schon gesagt. D. h. auf der Applikationsebene der religiösen Wirklichkeit: Freiheit wird ausgeführt als Liebe, die dem Wesen der Äußerung und Selbstoffenbarung Gottes entspricht.
(Wie die Applikation des Solls der Freiheit in anderen Bereichen der Wirklichkeit aussieht – siehe diverse andere materialen Disziplinen der WL wie Rechtslehre, Naturlehre, Sittenlehre.)

Die Zeit und Geschichte bekommt damit eine enorme Bedeutung, was die Äußerung und Selbstoffenbarung Gottes betrifft in den interpersonalen Verwirklichungen von Propheten oder gar durch den „Sohn Gottes“, wie die christliche Lehre den reinsten Begriffe von Liebe, Sühne und Vergebung in Jesus Christus sieht. Die geschichtliche Offenbarung und Wirksamkeit wirkt so wesentlich zurück auf das conditionale Denken der Gotteslehre bzw. der Transzendentalphilosophie überhaupt – im Bedenken der conditionalen und causalen Verschränkung des Verstandes- und Vernunftdenkens.

Die Verwechslung und Grund und Ursache, die zwar im Urgrund vereint sein müssen – siehe oben 1 Teil -, macht bis heute große Probleme!

Diese Verwechslung und Selbsttäuschung der Vernunft war ja der Hauptkritikpunkt JACOBIS an Spinoza. Spinoza sah ein Realverhältnis zwischen der „göttlichen“ Substand des esse (letztlich nur Materie, Natur) und dem Modus seiner Äußerung und Selbstoffenbarung. So musste auf der ontologischen Basis notgedrungen die zeitlosen Ewigkeit des Grundes der zeitlich-sukzessive Folge des Denkens, also der Logik von Ursache und Wirkung, untergeordnet werden „Deus sive natura“ – und die selbst zeitlichen Folgen wurden dann als modi der Erscheinung aufgelöst und abgewertet. (Hegel gefiel diese Art und Weise des Denkens von Substanz und ihren modi. Er erklärte ebenfalls die Zeit und Geschichte zu bloßen Momenten der Entwicklung eines abstrakten Begriffes). 5

Bis heute scheint mir nur Fichte diese bestimmte und zugleich notwendige, in sich  zusammenhängende, aber nicht voneinander abhängige Differenz zwischen conditionalem und causalem Denken gelöst zu haben.

Das ist einerseits ontologisches Denken oder epistemologisches Denken der transzendentalen Möglichkeit der Begriffe Grund/Folge und Ursache/Wirkung, und doch realistisches, notwendiges ontisches Denken von Bewegung und Zeit und Werden, weil sich notwendig und und immer nur hiathaft das zeitliche Denken mit dem genetischen Denken vereinen muss, soll wahrhaft Freiheit und Selbstbestimmung erscheinen, und soll wahrhaft durch Liebe die Identitätssetzung mit der Äußerung und Selbstoffenbarung Gottes möglich sein.

Der Fehler bei Spinoza liegt im Denken von Realverhältnissen.
Die Antwort auf diese Frage bei KANT finde ich aber ebenfalls mangelhaft, weil er die Gottesidee in den Postulatshimmel verbannt, ferner die praktische Handelsmaxime nach dem Sittengesetz dieses Postulat rechtfertigen soll. Er vergisst die Geschichtlichkeit der Denkgesetze und die Sinnidee a priori, die eine positiven Offenbarung fordert. Die sittliche Konkretion eines Begriffes bei Kant verlangt beides: implikationslogische BegrĂĽndung – bei Kant aus der Unbedingtheit des Sittengesetzes – und appositionelle Zeitreihe der Darstellung und Applikation der moralischen Idee.

© Franz Strasser, 17. 11. 2025

1 Vgl. J. Widmann, ebd. S. 144. „Diese Differenz der conditional geschlossenen, causal aber offen gebliebenen Form verweist uns an eine neuerliche Betrachtung der Genesis. Was ist in ihr ursprünglich vereint? Antecedens und causa in der Einheit ihres Urgrundes. Anders jedoch steht es mit dem Verhältnis von consequens und effectus: wohl bietet sich der Begriff der Folge in der geschlossenen Funktion des consequens zum Begriff des Grundes als antecedens, aber die causale Zeitsetzung schafft Differenz zwischen zeitlosem consequens und zeitbedingtem effectus. Das consequens ist zugleich mit dem antecedens; der effectus ist nicht zugleich mit seiner causa, sondern von ihr durch den Hiatus einer neuen Zeitsetzung getrennt: er ist die neue Zeitsetzung.
So ist auch der Ureffekt der Genesis erzeugte Zeit.(…)“

2 Vgl. J. Widmann, ebd. S. 218. Was „Abstraktion“ heißt folgt auf dem Fuß. Siehe ebd.

3 J. Widmann, ebd. S. 218.

4 J. Widmann, ebd. S. 144. „ In ihr dauert die Genesis fort, und darum finden sich in diesem Ureffekt wiederum antecedens und causa in fortdauernder Disjunktionseinheit reproduziert.“

5 Siehe dazu sehr kurz und prägnant bei Birgit Sandkaulen (Hrsg.) System und Systemkritik. Beiträge zu einem Grundproblem der klassischen deutschen Philosophie, 2006, S. 302-307.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser