Kann der Islam eine Offenbarung Gottes sein? 1. Teil

1) Bekanntlich hat Fichte seine steile Karriere als Philosoph mit dem Thema eines Begriffes der Erkennbarkeit Gottes in der Form einer möglichen Offenbarung begonnen – ich meine die Schrift „Versuch einer Critik aller Offenbarung“ von 1792/1793. Es ist diese Schrift ganz im Sinne der Erkenntniskritik Kants verfasst, a) wie ist Erkenntnis (hier von Gott und einer möglichen Offenbarung von ihm) möglich, und b) was sind die Grenzen dieser Erkenntnis, deshalb „Critik aller Offenbarung“.

Diese Schrift ist äußert begriffsscharf, vorallem was den Hauptbegriff „Bekanntmachung“ (ist Offenbarung) betrifft – aber verfehlt gerade an dieser Stelle das eigentliche Wesen von Offenbarung, nämlich Vergebung, Versöhnung, Wiedergutmachung  zu sein.

Der Begriff „Offenbarung“ wird als reiner Vernunftbegriff a priori bestimmt, siehe besonders § 7 der „Offenbarungscritik“, er ist zwar nicht gegeben, ist aber auch nicht erkünstelt, sondern denkbar, „ratiocinant“ gebildet – wie Kant sagte.1

Im Kapitel § 5, wo es um die formale Begriffsbestimmung von „Offenbarung“ geht, in „Vorbereitung einer materialen“, muss geradezu die kommende „materiale“ Offenbarung verfehlt werden. 
2Es ist  m. E. eine intellektualistische Sicht von Gott und Offenbarung, eine bloß begriffliche Möglichkeit (transzendentale Deduktion), aber es fehlt der uns alle prägende  Zusammenhang von Zeit und Geschichte, das interpersonale Verflochtensein in Schuld und Sünde, das aktual und existentiell uns auffordernde göttliche WORT (logos) – wie das Christentum in ihren Schriften und in ihrer mündlichen und sakramentalen Tradition verkündet. Die Wirklichkeit des Vernunftwesens „Mensch“ in seiner ganzen Existenz und geschichtlichen Verfasstheit (die metaphysische Deduktion) wird verengt gesehen auf eine apriorische Vernunftidee hin, die eine bloß gesetzförmige Erscheinung eines moralischen Begriffes von Gott zulässt, aber keine über Moralität hinausgehende apriorische Sinnidee, die Geschichtlichkeit und Interpersonalität, Sühne des Bösen, Sinn und Wiedergutmachung, fordert und einschließt.  

Entfällt die apriorische Sinnidee einer Wiedergutmachung und Vergebung, ist das Denken einer Idee Gottes dialektisch und leer.  Eine apriorische Vernunftidee von Gott, von der griechischen Philosophie auf die Spitze getrieben, rückt ohne apriorische Sinnidee zu einer bloß theoretischen, begrifflichen Denk-Möglichkeit ohne Anschauung herab.
Der Begriff „Bekanntmachung“ vermag die angekündigte „materiale“ Offenbarung letztlich nicht mehr einzuholen, d. h. eine Perzeption eines heiligen Willens und in einer
das Böse sühnenden, guten Tat.3

Meine Anfrage jetzt : Verkündet nicht der Islam, im speziellen der QUR’AN, ebenfalls bloß eine „Bekanntmachung“?

2) Bei meiner geringen Kenntnis des schwer lesbaren QUR’ANS stoße ich immer wieder auf eine bloße lehrhafte, gesetzliche, intellektualistische Begriffswelt, die zwar von „Offenbarungen“ spricht, die aber allesamt  nur „Bekanntmachungen“ sind.

a) Natürlich muss von vornherein ein reiner apriorischer Begriff von Gottes heiligem Willen feststehen und gedacht werden können. Bereits das scheint mir aber im Islam sehr fraglich, weil dieser Wille ja nicht direkt perzipiert werden kann!? 

b) Wenn ferner der Geltungsanspruch erhoben wird, von „Offenbarungen“ zu handeln, so muss ebenso eine Notwendigkeit von Gott selbst her gedacht werden können, warum er sich offenbaren sollte. Bloß punktuell diese oder jene anlassbezogene „Offenbarung“ zu behaupten, wie das im QUR’AN zu lesen ist,  ist noch keine notwendige oder hinreichende Bedingung, in Gott selbst einen Offenbarung  hineinzulegen.  Die angeblichen „Offenbarungen“ könnten ja einem bloß anlassbezogenen, psychologischen Bedürfnis des Propheten entsprungen sein.  

Sagen will ich damit, dass eine behauptete Offenbarung als „Bekanntmachung“ nie die genetische und materiale Evidenz und Valenz einer göttlichen Offenbarung erreichen kann, nämlich eine pertinente Sinnidee, die Antwort gibt auf das Böse, insofern notwendig, und als positiver Geltungsgrund der Liebe und Vergebung in Gott selbst gesehen werden kann.  

Nur beides zusammen, die apriorische Vernunftidee des Denkens von Gott – und die apriorische Sinnidee,  die notwendig Sühne und Wiedergutmachung des Bösen einschließt, konstituieren und ermöglichen sowohl a) das Denken eines heiligen Willens und b)  das weiterhin bestehende Denken der Freiheit des Vernunftwesens Mensch, das trotz Sündenfall und bestimmter Ferne von Gott sich als „Bild Gottes“ weiterhin verstehen kann.  

3) Soweit ich den QUR’AN gelesen und verstanden habe, so ist „Offenbarung“ dort Bekanntmachung?! Ich lese von einer von außen an Muhammad ergangenen Lehre und  „Offenbarung“. Ich lese von Liebe und Hass, von diesem und jenem Gehörtem, von vielen Stimmen: Von der Stimme Gottes, der Stimme Muhammads, der Stimmen der Gegner, von Noah, von Abraham, von Mose, von Jesus, von Engeln, von Dämonen, von Frevlern, von Zweiflern, von Geretteten, von Verdammten. Jedes mal wird eine neue Kommunikation aufgemacht mit unterschiedlichsten Bezügen, Inhalten, Adressaten. Welchen Status der Einsicht beanspruchen jetzt die verschiedenen Sprecher-Rollen und Stimmen?

Es kommt (fast) immer von außen an die Hörer  – vielleicht bis auf ein paar wenige Stellen, in denen Gott direkt und persönlich zum Vernunftwesen spricht und es auffordert zum Glaubensgehorsam. 

Wo  wird im QUR’AN zum direkten Gespräch und Dialog mit Gott eingeladen, zur persönlichen Anrufung oder  Klage, Bitte, Danke, Lobpreis, wie wir das von der Hl. Schrift gewohnt sind?   Vielleicht in den vielen Ausrufen „Allah ist barmherzig…….“ oder „sei ein gläubiger Muslim/in“. 
Es wird aus einer apophatischen Rede (Verneinung) sogar ein positives Bekenntnis abgeleitet und eine kataphatische Rede produziert, die aber nicht die Rede Gottes ist  – siehe z B. „Es gibt keinen Gott außer Gott“ Sure 37:35 und in Sure 47:19. Das ist nur
pure Theologie, intellektualistische Sprache, negative Theologie, Polemik, aber nicht direkte Gottesrede. 4

Es gibt vereinzelt persönliche Stellen der Anrede Gottes an das Vernunftwesen „sei ein Muslim“, das halte ich für durchaus annehmbar und wird von Millionen Muslims/Muslimas ernst genommen und gelebt – aber warum kann ich daraus ableiten, dieser Geltungsanspruch verlangt die Unterdrückung, vielleicht sogar Ausrottung,  zumindest eine Kopfsteuer,  aller Nicht-Muslime? 

Wie kann ich die  Hass- und Vernichtungssuren wie z. B. Sure 59, Sure 5 u. a. aus dem Wort „Sei ein Muslim/in!“ ableiten?   Oder woher die Ableitung des vorgeschriebenen Kopftuches aus der „Offenbarung“ Gottes wie im Islam? Woher das Verbot der Bildung der Frauen wie in Afghanistan? Warum die  Verfolgung der Juden und Christen und Andersdenkender bereits zu Muhammads Zeiten?  (Wenn die Christen Andersdenkende verfolgt haben, oder radikale jüdische Siedler die Palästinenser vertreiben – so können sie sich nicht auf ihre Gründung berufen! Das sind keine „Offenbarungen“!)

4) Besteht im Islam diese Freiheit und Möglichkeit einer Lektüre des QUR’ANS nach einer apriorischen und moralischen Vernunftidee und nach einer apriorischen Sinnidee? Der Begriff einer „Offenbarung“ im Sinne von „Bekanntmachung“ ist m. e. viel zu künstlich und  intellektualistisch. Diese  „Offenbarungen“  mit starkem Geltungsanspruch – sie stehen den guten und frommen Sätzen im QUR’AN im Wege.5

5) Ich kann die in literaler Schriftform niedergelegten „Offenbarungen“ im QUR’AN nicht anders einstufen als andere literale Formen eines niedergeschriebenes Wortes: Es sind Mitteilungen zwecks interpersonaler Gemeinsamkeit und personaler Selbstfindung. Im literalen Wort liegt nicht von selbst eine Evidenz, wenn das Wort nicht im eigenen Herzen nachvollzogen werden kann und zur größeren Interpersonalität und Freiheit führt. Das Judentum und das Christentum hängen beide nicht am Buchstaben, sondern außerhalb der ganzen Bibel haben sie ihren Interpretationsstandpunkt und lesen sie die Hl. Schrift. Sie sind keine Buchreligionen.

Eine Art Metaphysizierung der Schrift, wie sie beim Islam zu finden ist, dass der QUR’AN die Kopie einer Urschrift im Himmel sei, würde die Hl. Schrift zu einer unlesbaren Gesetzessammlung und Geschichtensammlung und speziell im Christentum, die Person JESU, unzugänglich machen.
Wie kann aber
epistemologisch die Bedeutung eines Wortes im QUR’AN erklärt und erkannt werden, wenn die Bedeutung gar nicht auf Erden, sprich, in der epistemologischen Quelle der Vernunft, entstanden ist, sondern in einer himmlischen Sphäre?

Die Wahrheit und der Sinn eines Wortes oder Satzes  oder eine beliebigen Transkription eines Wortes in einen Graphen oder Ikon, sie sind an die anschauliche Evidenz und an das transzendentale Vermögen der Einbildungskraft zurückgebunden und müssen dort auf ihre Bedeutung hin evaluiert werden. Die Wortes Gottes an Muhammad, oder „Offenbarungen“, möchten natürlich gehört und verstanden und umgesetzt werden, aber können „Offenbarungen“ im Sinne von „Bekanntmachungen“ die Kraft einer materialen Sinn-Evidenz entfalten? Wenn der reine, heilige Wille Gottes nicht perzipiert – und in einer alles andere übertreffenden Sinnidee und Evidenz des Guten eingesehen werden kann, wie könnte ich eine „Offenbarung“ Gottes von einem subjektiven Bedürfnis oder einer subjektiven Wunschvorstellung unterscheiden?

© Franz Strasser, 7. 10. 2017

1SW V, S 82 „(…) Der zu deducirende Begriff wurde bloss als eine Idee angekündigt; sie hat mithin keine objective Gültigkeit desselben zu erweisen, mit welchem Erweise sie auch nicht sonderlich fortkommen dürfte. Alles, was von ihr gefordert wird, ist, zu zeigen, dass der zu deducirende Begriff weder sich selbst, noch einem der vorauszusetzenden Principien widerspreche. Er kündigte sich ferner nicht als gegeben, sondern als gemacht an (conceptus non datus, sed ratiocinatus); sie hat mithin kein Datum der reinen Vernunft aufzuzeigen, wodurch er uns gegeben würde, welches sie zu leisten auch nicht vorgegeben hat.“

2SW V, S 65 §. 5. Formale Erörterung des Offenbarungsbegriffes, als Vorbereitung einer materialen Erörterung desselben. V65 Wir kamen im vorigen §. von dem Begriffe der Religion aus auf den Begriff einer möglichen Offenbarung, welche Religionsgrundsätze zu ihrem Stoffe haben könnte. Das wäre, wenn jene jetzt bloss vorausgesetzte Möglichkeit des Begriffes sich bestätigen sollte, der materielle Ort dieses Begriffes in unserem Verstande. Jetzt werden wir, nicht um systematischer Nothwendigkeit willen, sondern zur Beförderung der Deutlichkeit, ihn auch seiner Form nach aufsuchen. Offenbarung ist der Form nach eine Art von Bekanntmachung, und alles, was von dieser ihrer Gattung gilt, gilt auch von ihr. Der inneren Bedingungen aller Bekanntmachung sind zwei: | (….)“

3Der „materiale“ Offenbarungsbegriff geht dann ganz in Richtung einer praktischen Vernunft, der von sich her zusätzlich und verstärkend Moralität bewirken kann. „Offenbarung“ wird zur „Causalität“ Gottes in moralischer Hinsicht.

SW V, S 75f „(…) §. 6. Materiale Erörterung des Offenbarungsbegriffs. V75 Alle religiösen Begriffe lassen sich nur a priori von den Postulaten der praktischen Vernunft ableiten, wie oben §.3 durch die wirkliche Deduction derselben gezeigt worden. Da nun der Offenbarungsbegriff eine gewisse Form solcher Begriffe zum Gegenstande haben soll, und nicht von Seiten seiner Form (nemlich als Begriff), mithin, wenn seine reale Möglichkeit sich soll sichern lassen, nur von Seiten seines Inhalts deducirt werden kann, so haben wir seinen Ursprung im Felde der reinen praktischen Vernunft aufzusuchen. (….) „Der deducirte Begriff ist wirklich der Begriff der Offenbarung, d.i. der Begriff von einer durch die Causalität Gottes in der Sinnenwelt bewirkten Erscheinung, wodurch er sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt. Er ist aus lauter Begriffen a priori der reinen praktischen Vernunft deducirt; aus der schlechthin und ohne alle Bedingung geforderten Causalität des Moralgesetzes in allen vernünftigen Wesen, aus dem einzig reinen Motiv dieser Causalität, der inneren Heiligkeit des Rechts, aus dem für die Möglichkeit der geforderten Causalität als real anzunehmenden Begriffe Gottes, und seiner Bestimmungen. Aus dieser Deduction ergiebt sich unmittelbar die Befugniss, jede angebliche Offenbarung, d.i. jede Erscheinung in der Sinnenwelt, welche diesem Begriffe als correspondirend gedacht werden soll, einer Kritik der Vernunft zu unterwerfen.(…)“ (Hervorhebungen von mir)

4Ahmad Milad Karimi, Warum es Gott nicht gibt und er doch ist, 2018.

5Der Prophet des Islams, Muhammad, lebte von 570/573 bis 632 n. Chr., hatte eine schlechte Kenntnis der jüdischen und der christlichen Lehre, wahrscheinlich nur eine mündliche Kenntnis, vermutete einen Drei-Götterglauben im Christentum (Vater-Jesus-Maria!), und war vom Monophysitismus, Nestorianismus, Arianismus schlecht beraten. Die kostbare Lehre des christlich- trinitarischen Glaubens oder die Zwei-Naturlehre Christi  war ihm wohl unbekannt. Es entstand ein eigenartig neues Konstrukt eines Ein-Gott-Glaubens aus vielen Quellen!

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser