Welche tieferen Hintergründe stecken noch in diesem analytisch-synthetischen Vorgehen?
Das synthetische Verfahren, ineins mit dem analytischen Verfahren gesehen, kann, wie folgt, weiter expliziert werden
a) auf der theoretischen Ebene des Vorstellens und
b) auf der praktischen Ebene des Handelns und Wollens.
1) Ad a) Mit dem Vorstellen alleine ergibt sich eine geistige Realität und Anschauung, wie sie in der Geometrie und Mathematik anerkannt ist. EUKLID hat dieses synthetische Verfahren zusammengefasst und in langer Tradition wurde das in Lehrbüchern immer wieder tradiert.
R. LAUTH, dem ich meinen Zugang zu FICHTE verdanke, hat es in einem Beispiel einmal so erklärt: (Nach einer Vorlesungsmitschrift): Wir setzen z. B. zwei Linien an, sie treffen in einem Punkt zusammen und bilden einen Winkel, und ausgehend von den zwei Linien und einem bestimmten Winkel konstruiere ich mittels einer dritten Seite – den Begriff des Dreiecks. Habe ich das Dreieck synthetisch-begrifflich entworfen, kann ich es in weiterer Folge arithmetisch nach den Punkten analysieren. Die einzelnen zwei Linien und der Punkt setzen dabei synthetisch die Anschauung des Raumes voraus. Jedes begriffliche Moment (ein Punkt, eine Linie) hat in einem allgemeinen Bereich von Begrifflichkeit schon seinen bestimmten Ort und seine begriffliche Ortsstelle, und, wenn das der Fall ist, ist der Begriff durch Allgemeinheiten so verbunden, dass ich konstruierend einen anderen Begriff erschließen kann. Der Begriff eines Punktes, zweier Linien und eines Winkels ergibt also den Begriff eines Dreiecks, wenn ich ihn konstruiere. Durch den gesetzlichen Ort der gedachten Linie und des Punktes ergeben sich in einem verstandeslogischen Sinn der neue Begriff und die Anschauung „Dreieck“. Abgesehen von den Stücken, die ich als Konstruktionsstücke oder Hilfsstücke vielleicht noch angesetzt habe, geschieht immer etwas Grundsätzliches: Ich antizipiere bereits die Gestalt, die herauskommen soll, entwerfe hierbei auch die analytischen Lösungsbedingungen, entwerfe Zeit und Raum, und lasse dann die Synthesis als Probe und als Bewährung der Vorstellung folgen. Die Probe und Bewährung führt in der Geometrie und Mathematik anschaulich den Beweis mit sich.
Was für diese kleinen Bereich der geometrischen und mathematischen Synthesen gilt – wobei man ja fragen kann, worin werden die euklidischen Definitionen, Postulate und Axiome, mithin die Selbständigkeit der Vorstellungen, begründet, wenn nicht transzendental im Wissen – , gilt prinzipiell für das alltägliche Erkennen und für das praktische Wollen und Handeln. Ich muss mein Wollen widerspruchsfrei wissen und wollen (einschauen) können, ehe ich zum Handeln fortschreite – und dies ist immer schon ein synthetischer Akt des Erkennens und Wollens.
Das synthetische Verfahren muss dabei, in Anlehnung DESCARTES gesagt, klar, durchsichtig, vollständig, und in einem System geschlossen sein (siehe z. B. „Regeln des Verstandes“ u. a. Schriften). Mit M. GERTEN gesprochen,„Die Deduktion ist dann die folgerichtig geordnete Entwicklung einer Kette von Urteilen, die zusammen ein Argument, einen Beweis (im weiteste Sinne) bilden.“1
2) Ad b) Die Synthesis auf der praktischen Ebene des Wollens und Handelns: Das reflexive Ich-Bewusstsein, worin vorstellendes Ich und vorgestelltes Nicht-Ich in einer höheren Einheit gesetzt sind, kann nicht nur ein vorstellendes, theoretisches Wissen sein – wie in der Mathematik oder in jeder Feststellung des Faktischen -, sondern ineins damit praktisches Wollen und Handeln.
Die Vorstellungen im Bewusstsein sind in irgendeiner Weise immer praktisch-existentieller Natur. Sie sind gesetzt in einer Existenzbehauptung des „Ich bin“, worin ein praktisches „Ich will“ verborgen liegt.
Anders gesagt: Kraft der theoretischen Reflexivität des Wissens könnte das Ich, nach den bisherigen Ausführungen und Beispielen nach EUKLID, nur eine formelle Wissenseinheit erzeugen, aber die Sich-Bezüglichkeit des Wissens hat wesentlich praktisch-existentielle Bedeutung. Eine bloß vorgestellte Einheit des Wissens ist keine. Das ursprüngliche Wissen ist formale wie materiale Sich-Bezüglichkeit.
3) Der Begriff der Synthesis verlangt deshalb nach einer näheren Bestimmung: Ich möchte nochmals unterscheiden, d. h. das geht zurück auf eine Vorlesung von R Lauth, zwischen einer a) Synthesis für die höchste Ich-Einheit und einer b) Synthesis im angewandten Fall einer Realisierung im Vorstellen, Wollen und Handeln. Ich nenne die erstere „höhere“, die andere „niedere“ Synthesis – wobei sie im realen Vollzug natürlich nicht getrennt sind.
Zuerst zur „niederen Synthesis“. Nochmals das Zitat vom 2. Teil seiner Vorarbeiten zur WL aus der „PRACTISCHEN PHILOSOPHIE“ 1794 (Fichte):
„Aber 2.) ich bin auf diese ganze Theorie bloß durch ein Ohngefähr, u. gegen meine vorherige Absicht verschlagen worden. Um sicher zu seyn, dass nicht vergebens gearbeitet worden, so muss ich mir selbst erst beweisen, dass der Weg richtig ist. – Geht mein oben vorgeschlagnes Herabsteigen nicht; u. warum nicht?“ (PRACTISCHE PHILOSOPHIE, ebd. GA II, 3, S 186)
Warum geht eine einfache Analysis nicht?
Die via demonstrationis, die Synthesis der Probe der vorhergehenden Analysis, bedeutet eine praktische Aufgabe: Denn alle Hemmungen und Aufrufe bzw. die darin enthaltenen geistigen Intentionen, sind nur möglich kraft einer Synthesis von reinem Wollen und empirischem Wollen.
Dabei muss ausgegangen werden – weil das Nicht-Ich ja formal teilkonstitutiv bleibt für das Bewusstsein, theoretisch gesehen, und material teilkonstitutiv für das praktische Handeln und Wollen – dass a) die Qualität einer einzelnen Empfindung (Hemmung), dann durch den Trieb als „Gefühl“ benennbar und bestimmbar, nicht abgeleitet werden kann, sondern vorgegeben ist, b) eine Vielheit von Gefühlen gegeben sein muss zwecks gegenseitiger Abgrenzung und Bestimmung (siehe z. B. SL 1798, SW, S 304) – und dass c) eine vorgegebene, teleologische Ordnung der Natur als Motorik, Sensorik und Organizität notwendig durch Reflexionsideen erzeugt werden – um überhaupt zu einer Erfahrung und zu einem Selbstbewusstsein zu kommen.
Das reine Streben setzt einen absoluten, vollkommenen Inhalt voraus, da es sich aber bezieht auf die wirkliche Existenz, kann es transzendentallogisch nach dem Widerspruchsprinzip und appositionell nach der Zeit- und Raumanschauung diesen Inhalt nicht auf einmal realisieren, sondern nur diskursiv und in synthetischen Schritten. Die Lösungsbedingungen des mit dem Wollen gesetzten Streben sind aber damit analytisch-apriorisch nicht wissbar, sondern müssen synthetisch erst gefunden und nach-konstruiert werden: Was entspricht dem intentionalen Streben des Ichs, und was entspricht dem Streben des Ichs nicht bzw. komparativ gesehen, was entspricht besser der Intention, was weniger gut?
Anders gesagt: Das intentionale Streben des Ichs kann den materialen Gehalt einer Hemmung oder eines interpersonalen Aufrufs nicht praktisch vorherwissen oder erkennen – wie ein göttlicher Verstand – weil selbst im Streben die Abhängigkeit des theoretischen Ich vom Nicht-Ich nicht aufgehoben werden kann (GA II, 186) durch das praktische Ich. Das Streben ist ein Handeln, das keine Kausalität hat (GA II, 3, 183) ergo weiß es nicht im vorhinein, welcher materialer Gehalt für es am besten und vollkommensten entspricht. Es kann nicht begrifflich-logisch herabsteigen und festsetzen, welcher Sinn- und Bedeutungsgehalt in welcher Hemmung/in welchem Aufruf liegen soll, ehe es nicht selbst die Erfahrung gemacht hat, in welche Richtung es die Freiheit und das Wollen richten soll, um zu vollkommenen Übereinstimmung zu kommen. Bei Hunger ist die vollkommene Übereinstimmung leicht zu erschließen, ein Essen; beim affektiven Streben ist es schon schwieriger, welcher Affekt erfüllt und affirmiert das Streben am vollkommensten?
Die im vorhinein nicht erkennbare Ableitbarkeit eines Sinn- und Wertgehaltes für das Streben hat natürlich den tieferen Sinn, damit die Freiheit und das Wollen und die reine Selbsttätigkeit des Zwecksetzens erhalten bleiben.
Das „Herabsteigen“, wie FICHTE oben ursprünglich meinte, das führte a) zu nichtssagendem Denken und zu keinem wirklichen Selbstbewusstsein, weil b) die konkrete sinnliche wie intellektuelle Anschauung fehlt und c) jeder weitere Selbsttätigkeit und Freiheit zur Selbstbestimmung verhindert wäre.
In der GWL 1794/95 hat Fichte es genial formalisiert: Das unableitbar angesetzte Nicht-Ich im theoretischen Teil der Vorstellung (§ 2 der GWL) hat formal einen praktischen Grund der Teilbarkeit und Einsehbarkeit von Freiheit (§ 3 GWL), d. h. eine Entgegensetzung (§2) wäre als solche ohne § 3 der Begründungsform nicht denkbar. Das universale wie individuelle Ich setzt sich formal im absoluten Ich ein Nicht-Ich entgegen kraft Schweben der Einbildungskraft und macht sich so teilbar als bestimmt und sich-bestimmend. Ohne diesem Schweben oder Bilden wäre eine konkrete Sinnlichkeit oder eine kommunikativer Aufruf oder eine Vorstellung nicht denkbar, weil keine Begründung folgen könnte. Das formale Nicht-Ich rangiert zu einem teilabsoluten Nicht-Ich, aber nur dank eines, durch Freiheit mitbedingten Begründens in einem teilabsoluten Grunde.
§ 3 ist der alte „Satz vom Grunde“, d. h. dass es für alles einen Grund geben müsse. Er ist hier klar nicht als materialistischer, kausaler Grund, sondern als Grund der Freiheit eingeführt. Ich bringe ein Zitat von 1811/1812 „Thatsachen des Bewußtseyns“: „Ich sage, das Wissen schlechtweg in seiner inneren Form und Wesen ist das Seyn der Freiheit. … wer dieses Wissen in seinem Wesen begreifen wolle, müsse es sich als Seyn der Freiheit denken“ TdB, SW, II, 550. Siehe auch dort das Weiterbestimmen innerhalb der Grundbestimmung, ebd. S 551. Unzählige Zitate könnten dazu gebracht werden! Die Begriffe „Sehen“, „Bilden“, Evidenz, Licht treten in den Vordergrund, ohne jemals das Schweben der Einbildungskraft mit dem teilabsoluten Nicht-Ich der §§ 2 und 3 der GWL zu verlassen.
Dazu noch einige Bemerkungen: Rein vom didaktischen Vorgehen her will FICHTE den Hörern seiner WLn (u. a. Disziplinen der WL) die Geistes- und Gedankenschritte einer „ersten Philosophie“ selber nachvollziehen lassen. Der Mitvollzug, die „intellektuelle Anschauung“ des vom Philosophen vorgeschlagenen Denkaktes, ist ausdrücklich gefordert und konstitutive Bedingung, die Einheit von Wissen und Sein zu erreichen.
Der analytisch-synthetische Prozess führt (im Idealfall und in Konsequenz) letztlich zu einer Letztbegründung in einem Prinzip der Einheit und der vollkommenen Übereinstimmung im Ich/in der Ichheit. Ohne freies Mitdenken und freien Nachvollzugs z. B. eines Aufrufes oder eines methodologischen Begründens einer Hemmung könnte aber keine Geltung dieses letzten Prinzips erreicht werden. Es könnten weder bereits implizite synthetischen Lösungsbedingungen noch explizite Analysebedingungen des sich wissenden Wissens gefunden werden, würde nicht kreativ-transzendierend und innovativ, negierend oder affirmierend, etwas geistig nachvollzogen und geistig gesetzt werden.
FICHTE wählt als einfachstes methodisches Prinzip der Analysis die „notion“ (mit Descartes gesprochen) des Widerspruchsprinzips. Ist ein Widerspruch gesetzt, so muss es implizit eine Denkbarkeit der Auflösung des Widerspruchs geben, sonst könnte er als solcher nicht gedacht oder formuliert werden. In der begrifflichen und formulierten Wesensgesetzlichkeit des Widerspruchs liegt ebenfalls die synthetische Lösungsbedingung der Aufgabe.
Die analytisch-synthetische Methode, sei es im Bereich der rein geistigen Anschauung wie der Mathematik oder Geometrie, oder im Bereich der sinnlichen Anschauung und der sinnlichen Erfahrung, oder im Bereich der Kommunikation und der geistigen Wert-Setzungen, sie bezeugt von sich her bereits, dass wir nicht auf einen Schlag die Totalität der Realität erfassen und wissen können, sondern nur diskursiv und sukzessive und frei gewollt. Wir sind zwar als reflexive Vernunft schon von der formalen Einheit des Wissens her konstituiert, doch im interpersonalen und sinnlichen Vernunftakt sind wir augenblicklich immer eingeschränkter Vernunftakt, verobjektiviertes, mannigfaltiges Wissen. Wir sind einheitlicher Sehakt und zugleich ein mannigfaltiger Sehakt. (Fichte wird das in den WL immer wieder darstelle: Es kann die Einheit des Sehens in einem dreifältigen lebendige actus des Sehens gesehen werden (Grund, Folge, Nexus), oder mit ihrem bestimmten Anfang und Endpunkt in einem fünffachen Sinn.)
FICHTE ist sich sehr wohl der analytischen Tradition bewusst und großteils wirkt alles wie eine analysierendes Vorgehen, aber das zeitliche Apponieren von mehreren Lösungs-Setzungen und deren dynamische Vermittlung in einer zeitlich und räumlich gedachten Erkenntnisordnung ist immer ein versinnlichender, kreativer, bildender, synthetischer Akt. Es muss immer zugleich analytisch-synthetisch verfahren werden, weil zu eigenen Bedingungen der Freiheit die Intellektion der Wahrheit und die Lichtheit des Wissens abgebildet und nach-gebildet werden soll.
5) Jetzt noch zur höheren Synthesis: Die Crux in den ersten Schriften FICHTES ist ja, dass methodisch ein Gegensatz von Ich und Nicht-Ich angesetzt ist, wo doch schlussendlich dieser Gegensatz in einer transzendentalen Sichbezüglichkeit des Wissens aufgelöst werden wird. Fragt sich nur, wie diese Auflösung gemeint ist?!
In den EIGNE MEDITATIONEN und in der PRACTISCHEN PHILOSOPHIE – wohlgemerkt als Vorform der späteren Wln – geht das dogmatisch-realistische Element und das transzendentale Element einer reinen Selbstbeziehungslehre noch durcheinander. Es finden sich Stellen wunderbarer transzendentaler Einheit in der Selbstbezüglichkeit des Ichs, dem folgt aber wieder ein realistisch/idealistisch angesetztes Nicht-Ich. Das Schöne ist, dass uns FICHTE einen introspektiven Einblick in sein lebendiges Denken gewährt – und zu gegebener Zeit offen einen Fehler korrigiert. Man kann ihm beim Denken direkt zuschauen.
Die reine Selbstbezüglichkeit des Wissens kann offensichtlich nicht eine rein analytische Einheit sein, sie muss zugleich partialisierend in sich eine Einheit erkennen lassen, die höherwertig, vom „absoluten Ich“ her, in einem selbst erscheinenden, selbstbegründendem Gehalt erkennbar ist. Der Ausdruck vom „absoluten Ich“ kommt bereits in dieser Frühschrift eines „Ich absolutum“ vor – siehe z B. GA II, 88 Z 29 und mehrmals bis Seite 91. Unwillkürlich, von selbst, möchte ich sagen, da FICHTES Ausgangspunkt eigentlich der kantische Ich-Begriff war; der transzendentale Gedanke trieb ihn aber über den kantischen Ich-Begriff zur höchsten Synthesis des „Ich absolutum“.
Damit zusammenhängend ist, dass die transzendental-deduktive Folgerung als ein synthetisches Suchen! (nicht schon Erkennen) von Lösungsbedingungen vor allem im praktischen Bereich sichtbar wird als übergehender, einsichtiges Wollen – und ebenso konstitutiv und produktiv im theoretischen Bereich als einsichtige „Darstellungskraft“ (ebd., GA II, 89).
„Discursiv- Was ist denn eigentlich, die reine Einbildungsskraft? Das Subjekt bestimmt sein eignes Seyn in einem Accidens seiner selbst. Nur ist die Frage was heißt bestimmen? – Das Subjekt ist thätig; es ist selbstständig: es hat also Kraft. – Das Subjekt ist (für sich) vermöge seines Seyns: es ist sich selbst Ursache, u. Wirkung seines Seyns: – Dies geschieht durch ein Thätig seyn, dieses Thätig seyn ist Ursache des Seyns, von welchen es doch auch Wirkung ist; dieses Handlung heißt (Darstellen) sich selbst als selbst im Daseyn setzen; u. die Kraft: Darstellungskraft.“ (EIGNE MEDITATIONEN, GA II, 89).
Die höhere Synthesis ist eine Darstellungskraft, Veräußerung- und Versinnlichungskraft, welche Kraft und übergehender Wille und Licht letztlich vom Geltungsgrund des „Ich absolutum“ ausgeht.
Insofern FICHTE sich mehr und mehr hineinarbeitet in die synthetische Beziehung von Ich und Nicht-Ich, rückt der Übergang vom theoretischen zum praktischen Bewusstsein immer weiter hinauf; es droht ihm ein unendlicher Regress in einem supponierenden Verfahren der Synthesis. Er muss deshalb eine Einheit postulieren, die nicht bloß formal eine Letztbegründung ist, sondern in der und aus der die Gegensätze einsichtig hervorgehen, d. h. genetisch hervorgehen. Es muss eine analytisch-synthetische Einheit sein, worin die Ursache zugleich ihre Wirkung, und der Grund zugleich das Sein seiner selbst ist. (Das hebt Fichte markant von Spinoza ab, der Substanz und Attribute nur begrifflich nebeneinander setzt.)
Wie kann das aber wiederum transzendental im Wissen gesetzt werden, ohne es einfachhin so zu behaupten? Die Frage ist, wie in der Spontaneität selbst ein Grund einer beschränkten Handlung des Ichs gedacht werden muss, sodass das endliche Ich modal notwendig sich analytisch-synthetisch setzt?
FICHTE reflektiert das oftmals im praktischen Teil.
Das Streben ist zwar als reines Streben unabhängig von allen Hemmungen und Aufforderungen zu sehen, „(…) schlechthin unabhängig.“ (ebd. PRACTISCHE PHILOSOPHIE, ebd. S 186); „Also es ist ein Streben ohne Zwek“ (ebd.)“, aber ohne konkrete und vorgestellte Grenze dieses unendlichen Strebens wäre keine Vergleichbarkeit des Strebens mit sich selbst gesetzt, mithin überhaupt keine Vorstellung gesetzt, kein Bewusstsein. Eine reine Analysis führt zu Nichts.
Das reine Streben geht darauf aus, wie es kurz vorher an dieser Stelle heißt, „das Nicht-Ich abhängig vom Ich zu machen“ (ebd. S 187), aber es soll darin zu keinem Charakter eines theoretischen Ursache-Wirkung-Verhältnisses kommen, wie es im 1. Teil der EIGNE MEDITATIONEN noch angestrebt war.
„Jene bestrebte Erweiterung (sc. Streben) geht also nicht auf dein Erkennen aus; hat nicht Erkenntnis zu ihrem Zwecke. (…) Absolute Selbstthätigkeit hat keinen andern Zwek, als Selbstthätigkeit. (…)“ (ebd. S 188)
Das Streben geht rein auf die Selbsttätigkeit des Ich aus, da es aber real nicht die Kausalität auf die Außenwelt übertragen kann, führt das zu einem „inneren Gefühl der Steigerung der Einengung des Strebens, das uns aber erst die objektive Zeitdimension der Zukunft eröffnet.“2
Das Streben geht zu einer verzeitigenden Appositionsordnung über, sodass es sich nur bedingterweise kraft der Grenze und mittels Grenze eines Nicht-Ich realisieren kann. (Den Begriff der „Selbsttätigkeit“ wird Fichte in der SL von 1798 deutlicher hervorheben. Er hat ihn aber hier bereits vor Augen: Die beschriebenen Tendenz zur absoluten Tätigkeit setzt zufolge des Postulats sich selbst. Die Intelligenz konzipiert den Zweckbegriff der Selbsttätigkeit des Ichs, bevor das Ich als Wille sich gemäß diesem Zweckbegriff zur Selbsttätigkeit bestimmt.) (Siehe Blog zur SL, 2. Teil)
Mit der obigen Forderung der Verichlichung des Nicht-Ich kommt damit eine bestimmte Sinn- und Bedeutungsgebung herein, die wesentlich ist. „Verichlichung“ meint nicht eine Form gewaltsamer Angleichung, Vereinheitlichung und Instrumentalisierung, sondern vernünftige und praktische und poetische Angleichung/Anpassung (oder wie man das ausdrücken kann?) und letztlich freie Übereinstimmung. Die ideal-reale Zeitreihe und Raumsphäre (als Vorstellungs- und Anschauungsform) ist schon der Anfang einer gelungenen Realisierungsforderung und Sinn-Forderung von Freiheit und erfüllter Sinnhaftigkeit. „Die Zukunft wird nicht theoretisch, sondern ästhetisch, vergegenwärtigt.“ (ebd. S 189).
Die Zeit und Geschichte, der Raum und die Hemmung, der Aufruf, sie sind nicht allesamt total determinierende Hindernisse und Hemmnisse einer eingeschränkten Freiheit und Sinnhaftigkeit, vielmehr werden sie zum Anlass von Freiheit und Selbsttätigkeit.
Anders gesagt: Die Zeit und Geschichte werden zu einer Art Gericht von Entscheidungszeit und Erscheinungszeit, was eben das reflexive Selbstbewusstsein für sein theoretisches Wissen und praktisches Wollen und Handeln für maßgeblich und entscheidend hält.
Dies besagt einerseits eine zeitliche Unabschließbarkeit der synthetischen Setzungen (in einem unendlichen Nicht-Ich), andererseits muss im material-sittlichen Wollen eine Synthesis-Erfüllung – oder Verhinderung der Synthesis-Erfüllung – innerlich empfunden und erfahrbar sein. Der Vorstellungstrieb erfüllt sich jederzeit und überall, sonst wäre eine Reflexion gar nicht möglich; die anderen Triebgestalten des Strebens erfüllen sich je nach Abhängigkeit und Bedingung.
Da wir keine vollkommenen Wesen sind, bedarf es im theoretischen Erkennen eines diskursiven und reflexiven Vorgehens, ebenso im praktischen Wollen und Handelns eines sich bewährenden Empfindens. Es bleiben stets Analysis wie Synthesis gleichzeitig tätig, damit ein freies Selbstbewusstsein eingesehen und wirklich und zukünftig sein kann.
© 20. 10. 2015 Franz Strasser
1 M. GERTEN, Wahrheit und Methode bei Descartes, Hamburg 2001, S 336.
2K. Hammacher, Kategorien der Existenz in Fichtes Eignen Meditationen über Elementarphilosophie. Würzburg 1993, S. 105.