Wenn die Philosophie die Aufgabe der Erkenntnis hat,1, so möchte ich jetzt ANSELM zu Hilfe rufen, um dies noch näher zu explizieren.
Das Erkennen muss erkenntniskritisch in und aus der Norm der Wahrheit (des Seins) gerechtfertigt sein. Wird diese Norm – von ANSELM als „rectitudo“, als Eigenschaft der Richtigkeit bezeichnet -, philosophisch nicht geleistet, so ist dem natürlichen Glaubens- und Wahrheitsbewußtsein, das jeder Mensch in sich trägt, erkenntniskritisch der Vorzug zu geben, ehe einer eitlen Spekulation Folge geleistet wird. Allein schon von der Seite der Erkenntniskritik darf die Philosophie als Wissenschaft nicht willkürlich den Erkenntnisprozess abbrechen und autoritär-willkürlich entscheiden, was wahr und richtig ist, wenn sie nicht die letzte genetisierte Evidenz der Richtigkeit der Wahrheit im Wissen selbst erreicht haben sollte.
Sich vom Glauben leiten zu lassen, wäre nicht das Problem. Problematisch ist es, wenn pseudowissenschaftlich ein Anspruch eingefordert würde, der nicht gerechtfertigt werden kann. Es gibt hier zahlreiche Idealismen, Realismen, Skeptizismen, Ideologien, Religionen!, die mit höchstem Wahrheitsanspruch auftreten, und, falls argumentativ nicht durchsetzbar, notfalls mit Gewalt und politischen Machtentscheid nachhelfen, um jede Unwahrheit und Lüge durchzusetzen! Ich kann hier vieles nicht ansprechen. Wenn z.B. eine Philosophie – in angeblicher Bescheidenheit und Demut – einen Skeptizismus oder Agnostizismus vertritt, so ist ein unendlicher Zirkel und Wechsel aufgemacht, dass entweder das Sein das Wissen oder umgekehrt das Wissen das Sein bestimmt, aber man kann dazu nichts Gültiges sagen, ………. also bleibt man skeptisch. Das ist ipso facto ein verabsolutierter, hybrider Standpunkt. Oder denkbar wäre auch, dass der Wechsel zwischen Sein und Wissen selbst absolut gesetzt würde, weil eben nichts Rechtes erkannt werden kann kann, so ist ebenfalls dieser Wechsel unkritisch verabsolutiert. (Die Daseinsanalyse nach Heidegger kommt mir so vor!) Diese skeptische „Bescheidenheit“ und „Zurückhaltung“ ist gar nicht so demütig, wie sie sich gibt, im Gegenteil, ziemlich anmaßend: Denn in willkürlicher Verabsolutierung wird eine letzte, unerkennbare Identität behauptet, die als solche doch Anspruch auf Wahrheit erhebt!? Die Frage nach der wahren Erkenntnis muss wissenschaftstheoretisch im Begriff des „Wissens“ präzisiert und klar ausgedrückt werden können. Allein im Begriff des Wissens, wozu ich auch bildliche Metaphern zählen würde, müssen die Kriterien der Wahrheit und des Gutseins gefunden werden, sonst erübrigt sich alles Philosophieren und freie Räsonnieren.
Zu wissen, was zu tun ist, ist a) eine praktische Handlungserklärung und ein praktisches Wissen und Wollen – und zu wissen b) was geglaubt werden kann, ist ein theoretisches Wissen, weil die Überzeugung aus der dem Wissen immanenten Lichtsein erfolgt.2
Beide Male (im praktischen wie theoretischen Wissen) handelt es sich aber um ein und denselben Wissensakt, dessen Bedingung der Möglichkeit nach einzusehen die Aufgabe der transzendentale Analyse, und dessen Darstellung die Aufgabe der transzendentalen Synthese ist, d. h. mit einem Wort, die Aufgabe einer analytisch wie synthetisch vorgehenden Philosophie. Die transzendentale Frage lautet somit stets gleichbleibend: Was sind die Bedingungen der Wissbarkeit einer Aussage – und wie ist die daraus folgende Darstellung (Evidenz) des theoretischen Vorstellens und praktischen Wollens und Tun zu leisten. 3
Dieses Programm einer vernünftigen Durchdringung der Wirklichkeit, analytisch in allen Bereichen der Wissbarkeit, synthetisch in der Anwendung in allen Bereichen der Wirklichkeit, ausgehend auf vollkommene Erkenntnis, die also auch Wert- und Sinnfragen wesentlich miteinschließt, dass ist als „Idee“ der Transzendentalphilosophie Kant bereits vorgeschwebt, wenn wir ihn aus der späteren Sicht Fichtes lesen. Kant hat das irgendwie geahnt, konnte diese höchste Idee aber nicht finden, weil sein Denken nur bis zu einer Kritik sinnlicher Erkenntnisbedingungen gekommen ist. Er schreibt einmal: „Die Transscendental-Philosophie ist hier nur eine Idee, wozu die Kritik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch, d.i. aus Principien, entwerfen soll, mit völliger Gewährleistung der Vollständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Gebäude ausmachen. (KrV, Zusatz in B). Daß diese Kritik nicht schon selbst Transscendental-Philosophie heißt, beruht lediglich darauf, daß sie, um ein vollständig System zu sein, auch eine ausführliche Analysis der ganzen menschlichen Erkenntniß a priori enthalten müßte.“ (KrV A 14).
(c) Franz Strasser 29. 10. 2015
—————
1Unter Erkenntnis des Prinzipiellen darf auf keinen Fall etwas Abstraktes allein verstanden werden. Das Konkrete ist vielmehr selbst ein Prinzip. Es darf in der Realisierung der transzendentalen Einsicht keinen idealistischen Überhang geben. Das konkrete Handeln und Wollen und das concretum einer Hemmung oder einer Aufforderung muss in einem integrativen Sinn in einer vollkommenen Erkenntnisbemühung stets eingeschlossen und mitrealisiert sein.(Siehe dazu: R. LAUTH, Begriff, Begründung und Rechtfertigung der Philosophie, München 1967.)
2 Zu Glauben und Wissen siehe z. B. die Ausführungen Fichtes in der WL 1805, Erlangen, 12. u. 13. Vorlesung – siehe dazu zwei Blogs.
3FICHTE hat von allem Anfang an gegenüber dem Empirismus seiner Zeit das apriorische Vorwissen (griechisch bei PLATON „pro-eidenai“) im Bewusstsein verteidigt, worin Evidenz „von allen und für alle und zu allen Zeiten“ (WL 1801/02) behauptet werden kann. Es kann nicht von einem Sein ausgegangen werden, sondern immer nur vom Sehen des Seins. Die transzendental-reflexive Einheit des Sich-Wissens und Sich-Wollens ist deshalb ein Vollzug von universeller Vernunft in individueller Vernunft, erscheinend allgemein in einem interpersonalen Aufruf und in der sinnlichen Wahrnehmung, sich weiter konkretisierend in mannigfaltigen Wertkonkretionen, und schließlich als währender Transzendenzdialog auf Sinnbewährung und Sinnerfüllung ausgehend. Das Sehen (oder die Existenz) ist das einzig ableitbare Dasein.