Priesterweihe der Frauen 3. Teil

Ich muss (nolens volens) auf viele komparatistische Lektüre und textkritische und literarkritische Methoden verzichten mangels Zugang zu Bibliotheken. Eine systematische und transzendentale Lektüre scheint mir aber möglich.

1) Im Mittelpunkt des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe, trotz physischer und psychischer Verfolgung, trotz geistiger Angriffen seitens der Gnosis und anderer Irrlehren, trotz Angriffen des jĂĽdischen Glaubens,  trotz römischem Ständestaat und römisch-kaiserlicher UnterdrĂĽckung, trotz herrschendem Patriarchat,  dĂĽrfte es eine stark erlebte Erlösungs- und Sinnidee dieser christliche Gemeinde in Kleinasien gegeben haben, eine durchaus neue apriorische Sinn-Erkenntnis, die zusammen mit ihrem Autor zur Notwendigkeit einer sakramentalen Ordnung mit einer damit verbundener Art  von Sakramentenlehre und anfänglichen „Ämtern“ – mit gefährlicher Ambivalenz zu einer metaphysischen Konstituierung – gefĂĽhrt hat.  

Die historische Handlungsfolge bleibt immer ein StĂĽck weit das „Unbegriffene“,  wie Fichte in der GdgZ (1806) die eine Seite des geschichtlichen Denkens gefasst  hat im GegenĂĽber  zur apriorischen Idee.  Die andere Seite ist die  unwandelbare Einheit des Sich-Bildens von Glaube, Hoffnung und Liebe, ein Sinn-Ganzes des Verstehens (ein „noematisches System“, das uns ĂĽber die Zeiten verbindet –  nach Husserl), oder anders gesagt, eine Kritik der transzendentalen Lebens-Bedingungen, die im Akt des Glaubens zusammengefasst werden können.

Die genetische Erkenntnis begrĂĽndet letztlich jede Aussageform, begrĂĽndet alle Zeit- und Geschichtsform und sinnliche Erkenntnis.
In wesentlicher Einheit mit dem Geltungsgrund werden die Aussagen (durch genetische Erkenntnis) vom Autor reflexiv und kategorial  gesetzt und  getätigt. Der dazugehörende Wille manifestiert sich in dieser Schematisierung   – immer in RĂĽckbezug zum absoluten Geltungsgrund –  im Wirken, Wollen und Handeln, d. h. in diesem Falle in einer anfänglichen sakramentalen Heils- und Sinnordnung in pragmatischen, juridischen, kulturellen, personalen Begriffen und deren Handlungsfolgen – damals wie heute.

Warum sich nicht andere Gemeindemodelle durchgesetzt haben, wie es deren viele gegeben haben mag und uns die Exegeten und Kirchenhistoriker beteuern, das mag alles stimmen,  hilft uns aber in Entscheidungen fĂĽr heute nicht weiter, sollten wir dies alles nur historisch lesen und interpretieren. („Historisch“ meine ich im Sinne von empirischen Daten, soweit ĂĽberhaupt möglich.)
Die Generation um 110 oder eher 160/170 n. Chr. hat sich für eine männliche  Hierarchie entschieden, das ist historisch nicht umzudeuten. Prinzipiell ging es aber  gerade nicht um die männliche Hierarchie, denn prinzipiell war die  hermeneutisch und erkenntniskritisch zu verstehende Frage, wie die Einheit und Kontinuität und Unversalität der positiven Offenbarung erhalten und weitergegeben werden könnte. Man stand vor einer Wahl und entschied klug und angemessen u. a. durch eine männliche Hierarchie.

Das gemeindliche, solidarische Zusammenleben, der beginnende Kult und die Sakramente, die kirchliche Hierarchie,1 die soziale Gleichstellung der Menschen, die alle Völker und Kulturen verbindende Einheit u. a. m., sie  sind m. E. analytisch aus dieser übergeordneten Perspektive der „genetischen“ Erkenntnis eines neues Geltungsanspruches verstehbar und ableitbar.  
Nur aus sozialgeschichtlichen Faktoren etwas zu erklären, z. B. die Notwendigkeit einer Professionalisierung der Seelsorge, weil reichere Leute mehr Ansprüche stellten (M. Öhler, M. Theobald), deshalb kam es zu einer klerikalen Hierarchie, das hilft uns nicht weiter und bleibt sinnlos, denn welche Antworten sollten das sein für heute? In der Professionalisierung mangelt es heute nicht!
Ich brauche neben komparatistischer Lektüre eine feste analytische Basis der Deduktion, sonst endet alles  bei historischen Reminiszenzen oder unsicheren Spekulationen.

Wir verdanken viel an Wissen und Geltungsanspruch diesen apostolischen „Vätern“ und halten diese Texte fĂĽr groĂźe Autorität  – und zugleich bleibt es Aufgabe, hier und heute die genetische Erkenntnis in diesen Texten neu zu rekonstruieren und die Kontinuität der apriorischen Sinnidee neu  zu realisieren.  

2) Ich könnte verschiedene Spekulationen und systemtheoretische Notwendigkeiten und sozialgeschichtliche Faktoren aufzählen, warum und wie es zu solchen Texten gekommen sein kann. Es läuft m. E. auf die Alternative hinaus:
a) Der Heilige oder der anonyme Autor oder die Christen der damaligen Zeit waren vor die Entscheidung gestellt, entweder durch abstrakten Rückschluss auf einen absoluten Werthorizont und auf eine wie immer vermittelte historische Geschichte von Jesus  eine Art konstitutive Gesetzgebung einer zweckmäßigen Herrschaft und Administration zu etablieren, um in der Zeit und  Gesellschaft bestehen zu können. Das wäre dann eine Art politische, kluge, durchaus sittlich-hochstehende  Zweckordnung gewesen, damit das überlieferte Erbe nicht verloren gehe – analog zu modernen Staatstheorien seit Hobbes. (Eine Art Repräsentationalismus).

b) Die zweite Möglichkeit, die ich aber bevorzuge und aus den Texten und zwischen den Zeilen und dem Tonfall herauslese: Durch die genetische Erkenntnis war eine derart stark und lebendigmachende Ăśberlieferung  geborenim Heiligen Geist – dass der Heilige/der anonyme Autor/die ganzem Gemeinde der Christen ausdrĂĽcklich einen absoluten Geltungsgrund kannten und deshalb eine sakramentale Sinn- und Heilsordnung bilden konnten, in statu nascendi  – zwecks Einheit und zwecks Kontinuität – zu Bedingungen der Freiheit, von allen fĂĽr alle zu jeder Zeit, von den Frauen konsensual wohl mitentschieden!

Die anstehenden geforderten Entscheidungen für eine beginnende, sakramentale Sinn- und Heilsordnung war in Verantwortung gegenüber dem Sinngehalt der positiven Offenbarung getroffen, nicht, weil JESUS ein Mann war, oder die Apostel männlichen Geschlechts, sondern weil konstitutiv die positive Offenbarung Anfang, Wert, Liebe versprach, neue Zusammengehörigkeit über Grenzen und Zeiten hinweg, Rettung und ewiges Leben, natürlich völlig gleichberechtigt, ob Mann oder Frau, Kind oder Erwachsener, Grieche oder Römer, Freier oder Sklave, Armer oder Reicher.
Anders gesagt:  Der absolute Geltungsgrund einer christlichen Heils- und Sinnordnung lag nicht bloß in menschengemachten, selbstausgedachten Organisationsformen oder in tradierten Patriarchalismen, war nicht selbstherrliche Inszenierung oder Spiegelung einer repräsentativen Ständeordnung oder Wiederholung der römischen Klassenordnung, sondern lag in der ganzen Verheißung des christlichen Glaubens – wie sie hoffentlich auch noch heute ersehnt wird.

Die BegrĂĽndung und Rechtfertigung kirchlicher Ă„mter scheint in „Lumen Gentium“ 20 (1964) noch halbwegs deutlich auf, vorallem durch diese geschichtlichen Verweise. Sobald aber im CIC 1983 oder anderen dogmatische Texten die historische Relation nicht mehr begrĂĽndet, quasi nur äuĂźerlich behauptet wird –   „die Apostel waren Männer, ergo können nur Männer Bischöfe und Priester und Diakone sein“ – bricht die geschichtliche BegrĂĽndung und die teleologische Sinnbestimmung zusammen. Einfach nur von einer „Repräsentationsordnung“ zu sprechen, Männer, delegiert von den Gemeindemitgliedern, von systemtheoretischen und juridischen Notwendigkeiten eingesetzt, das verkĂĽrzt bereits den Akt der Bildung eines kirchlichen Amtes hin zu einer stratifizierten Anschauung eines unveränderlichen Begriffes mit gewissen Merkmalen und bringt die Gefahr einer abgehobenen MachtausĂĽbung und eines geschichtlichen Stillstandes mit sich.2

Allein im Erkennen eines (transzendentalen) Geltungsgrundes und einer (transzendentalen) Geltungserhebung (als Basis einer literarischen Analyse) können  m. E.  Entscheidungshilfen fĂĽr die Fragen heute abgeleitet und diskutiert werden,  ob nicht  ebenso Frauen zu Bischöfinnen oder Priesterinnen oder Diakoninnen geweiht werden sollen.  BloĂź „historische“ oder begrifflich-notwendige Rationalisierungen – wie z. B., wir brauchen eine repräsentative Ordnung – vergessen den Akt der Bildung und des Nachvollzugs einer Idee.
Das politische Denken hat hier oft noch gewaltigen Nachholbedarf was Verfassung, Parteiensystem, Wahlmodus betrifft. Da ist die Kirche tlw. sogar weiter – und hat  geschichtlich oft den Weg zu mehr Teilhabe und Gerechtigkeit gezeigt! Man denke an die Konzilien, an Ordensverfassungen u. a. m.) 

© Franz Strasser, Juli 2025 

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1Der Begriff der Hierarchie bezeichnet im etymologischen Sinne lediglich den heiligen Ursprung bzw. das heilige Prinzip (im Sinne des Anfangs) einer Ordnung. Dabei denke ich nicht gleich an eine institutionelle, unangreifbare Hierokratie. Der Heilige/der Autor beansprucht zwar märtyrerhafte und charismatische Autorität, ruft immer wieder zum Zusammenhalt und zum Gehorsam auf, aber nie beansprucht er für seine Person und seine Machtposition eine Art Hierokratie, eine heilige Repräsentation und Verehrung. Ein Verhältnis zu denken von Souverän (personaler Souverän, der Hl. Ignatius, der Autor) und Repräsentation der damaligen Gemeinde – das grenzt schon an moderne „repräsentative“ Demokratiemodelle, die in sich aber durchaus aporetisch sein können.  Entweder ist der Souverän bereits unabhängig von der Gemeinde, also kritiklos hinzunehmen, oder die Gemeinde bestimmt partizipativ das politische Leben so mit, dass ein einzelner Souverän gerade nicht mehr Souverän ist. Siehe dazu Literatur von Giuseppe Duso. Die moderne politische Repräsentation: Entstehung und Krise des Begriffs Übersetzung aus dem Italienischen vonPeter Paschke, 2006.

2Ives Radrizzani, Bemerkungen zu Fichtes Geschichtsphilosophie. In: Philosophie als Denkwerkzeug, WĂĽrzburg 1998, S. 99. „Da die Triebfeder der Geschichte die Freiheit ist, muss immer mit einem katastrophalen RĂĽckschlag gerechnet werden. Nichts Erworbenes ist endgĂĽltig; jeder Fortschritt kann rĂĽckgängig gemacht werden; jede Aufforderung zur Freiheit enthält ein Risiko. Der Mensch ist es, der durch seinen Gebrauch der Freiheit die Geschichte nach dem Bild der Ziele gestaltet, die er sich auferlegt.(…)“.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser