Die Begründung und Rechtfertigung eines sakramentalen Amtes in der Katholischen Kirche wird immer wieder in Berufung auf antike Texte und geschichtliche Zusammenhängen gesehen. Aber wie interpretieren wir antike Texte und wie entstehen überhaupt geschichtliche Zusammenhänge? Was ist die Bedingung der Wissbarkeit, dass es hermeneutisches Verstehen und Kontinuität und einen einheitlichen Geltungsgrund von allgemeiner Vernunft oder Glaubenswissen, oder wie sollte man das nennen?, gibt, sodass wir Texte, z. B. der Hl. Schrift, von Heiligen, von Kirchenvätern, lesen und verstehen können – und die ganze Wirkungsgeschichte noch einbeziehen?
Ein Friedrich D. E. Schleiermacher (1768-1834) hat Regeln aufgestellt, wie es zu einem guten Verstehen kommen kann.1
Mangels Zugang zu Bibliotheken gehe ich nach seinen allgemeinen Regeln der Hermeneutik und Kritik vor – und versuche einen Text der Antike zu verstehen, auf den z. B. im 2. Vatikanischen Konzil Bezug genommen worden ist, um die BegrĂĽndung und Rechtfertigung von Bischof-Priester-Diakon geltend zu machen – selbstverständlich unter Ausschluss der Frauen?!
1) Ich beginne mit „Lumen Gentium“, promulgiert 1964, Kap. 20.
„Jene göttliche Sendung, die Christus den Aposteln anvertraut hat, wird bis zum Ende der Welt dauern (vgl. Mt 28,20). Denn das Evangelium, das sie zu überliefern haben, ist für alle Zeiten der Ursprung jedweden Lebens für die Kirche. Aus diesem Grunde trugen die Apostel in dieser hierarchisch geordneten Gesellschaft für die Bestellung von Nachfolgern Sorge.
Sie hatten nämlich nicht bloĂź verschiedene Helfer im Dienstamt (Vgl. Apg 6,2-6; 11,30; 13,1; 14,23; 20,17; 1 Thess 5,12-13; Phil 1,1; Kol 4,1.1 u. ö.), sondern ĂĽbertrugen, damit die ihnen anvertraute Sendung nach ihrem Tod weitergehe, gleichsam nach Art eines Testaments ihren unmittelbaren Mitarbeitern die Aufgabe, das von ihnen begonnene Werk zu vollenden und zu kräftigen (Vgl. Apg 20,25-27; 2 Tim 4,6f vgl. mit 1 Tim 5,22; 2 Tim 2,2; Tit 1,5; Clemens v. Rom, Ad Cor. 44, 3: ed. Funk I, 156.). Sie legten ihnen ans Herz, achtzuhaben auf die ganze Herde, in welcher der Heilige Geist sie gesetzt habe, die Kirche Gottes zu weiden (vgl. Apg 20,28). Deshalb bestellten sie solche Männer und gaben dann Anordnung, daĂź nach ihrem Hingang andere bewährte Männer ihr Dienstamt ĂĽbernähmen ( Clemens v. Rom, Ad Cor. 44, 2: ed. Funk I, 154f.). Unter den verschiedenen Dienstämtern, die so von den ersten Zeiten her in der Kirche ausgeĂĽbt werden, nimmt nach dem Zeugnis der Ăśberlieferung das Amt derer einen hervorragenden Platz ein, die zum Bischofsamt bestellt sind und kraft der auf den Ursprung zurĂĽckreichenden Nachfolge (Vgl. Tertullian, Præscr. Hær. 32: PL 2, 52f. Ignatius v. A., öfters.) Ableger apostolischer Pflanzung besitzen (Vgl. Tertullian, Præscr. Hær. 32: PL 2, 53.). So wird nach dem Zeugnis des heiligen Irenäus durch die von den Aposteln eingesetzten Bischöfe und deren Nachfolger bis zu uns hin die apostolische Ăśberlieferung in der ganzen Welt kundgemacht (Vgl. Irenäus, Adv. Hær. III., 3, 1: PG 7, 848A; Harvey 2, 8; sagnard 100f: „manifestatam“.) und bewahrt (Vgl. Irenäus, Adv. Hær. III., 2, 2: PG 7, 847; Harvey 2, 7; Sagnard 100: „custoditur“, vgl. ebd. IV, 26, 2: Sp. 1053; Harvey 2, 236, u. IV, 33, 8: Sp. 1077; Harvey 2, 262.)
Die Bischöfe haben also das Dienstamt in der Gemeinschaft zusammen mit ihren Helfern, den Priestern und den Diakonen, übernommen (Ignatius v. A., Philad., Vorrede: ed. Funk I, 264.). An Gottes Stelle stehen sie der Herde vor (Ignatius v. A., Philad., 1, 1; Magn. 6, 1: ed. Funk I, 264 u. 234.), deren Hirten sie sind, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung (Clemens v. Rom, a. a. O., 42, 3-4; 44, 3-4; 57, 1-2: ed. Funk I, 152, 156, 171f. Ignatius v. A., philad. 2; smyrn. 8, Magn. 3; Trall. 7: ed. Funk I, 265 f; 282; 232; 246fu. a.; Justin, Apol., 1, 65: PG 6, 428; Cyprian, Epist. passim.). Wie aber das Amt fortdauern sollte, das vom Herrn ausschließlich dem Petrus, dem ersten der Apostel, übertragen wurde und auf seinen Nachfolger übergehen sollte, so dauert auch das Amt der Apostel, die Kirche zu weiden, fort und muß von der heiligen Ordnung der Bischöfe immerdar ausgeübt werden ( Vgl. Leo XIII., Enz. Satis cognitum, 29. Juni 1896: ASS 28 (1895-96) 732.) ….“
Es ist für mich staunenswert, mit welcher Akribie und Weisheit hier in LG 20 die Hl. Schrift und älteste Väterzeugnisse zur Untermauerung der Argumente für kirchliche (männliche) Ämter herangezogen werden. Sozusagen eine Zusammenschau der Tradition und ein nicht zu unterschätzender hoher Autoritätsbeweis wird geboten.
Unter den Zitaten möchte ich selektiv nochmals auf den Hl. IGNATIUS und seine „Sieben Briefe“ eingehen, rein exemplarisch: Wie hat der Heilige damals das Bischofs- Priester und Diakonenamt gesehen? Kann mit gleicher Begründung heute noch so argumentiert werden?
Die „Sieben Briefe“ sind nicht so umfangreich und überschaubar, wiewohl sie in ihrer historisch-kritischen Genese überaus strittig sind. Dazu verweise ich auf Reinhard M. Hübner2.
Wenn ich die „Sieben Briefe“ wiederholt lese, so scheint mir die Methodenlehre von Schleiermacher recht hilfreich zu sein: Was ist der grammatische Sinn, der psychologisch-technische Sinn, was ist Meditation und Komposition, schließlich, was ist notwendige Kritik.
Ich habe eine hermeneutische Aufschlüsselung einiger Passagen versucht, wobei ich den grammatischen Teil mangels Kompetenz nicht durchführen konnte. So interpretierte ich das, was ich als Absicht und Urheberschaft des Autors besonders hervorgehoben sehen möchte, den psychologisch-technischen Teil, vorallem seine paränetischen Aufmunterungen und Mahnungen und performativen Sprechakte. Die „Meditation“ dieses Teils wird von einer beabsichtigten Komposition zusammengehalten. Letztere Komposition wird wiederum von einer apriorischen „Kritik“ interpretiert.
Was ich analog zur „Kritik“ bei Schleiermacher jetzt hervorheben will, das ist eine Art „genetische Erkenntnis“, weil sie die Genese der Begriffsbildung – den Akt der Bildung – einbezieht und auf eine unwandelbare, sittliche Wertung und Wahrheit verweist.
2) Es bedarf sozusagen eines zweifachen Vorgehens in der LektĂĽre spiritueller Texte:
a) Herausarbeitung des subjektiven und objektiven Sinns eines Textes, mit Gadamer gesprochen, Herausarbeitung einer „hermeneutischen Erfahrung“
und b) Einordnung dieser Hermeneutik in eine transzendentale Erkenntnislehre, wie „Repräsentation“, „geschichtliche Überlieferung“, „Geltungsgrund“, „Geltungsanspruch“ der Bedingung der Möglichkeit nach gedacht und gebildet werden können.
Die Vorstellung einer konstituierten Weihe-Hierarchie inklusiv Ausschluss der Frauen ist m. E. bereits eine aporetische Konstruktion, weil darin der Akt der Bildung einer sakramentalen Hierarchie aus dem Geltungsgrund einer geschlechtsunabhängigen Sinn- und Heilsordnung weggeblendet wird zugunsten einer begrifflichen, metaphysischen Konstruktion: Die kirchlichen Weiheämter repräsentieren in ihrem Status eine göttliche, sakramentale Wirklichkeit – die Priester z. B. handelt in der Eucharistie in „ persona Christi“ -, die nicht einfach beliebig verändert werden darf. Da die Apostel und Presbyter und Diakone – es mag auch Diakoninnen gegeben haben – Männer waren, können nur Männer eine solche „Repräsentation“ weiterhin erfüllen.
Der Akt der Bildung einer sakramentalen Wirklichkeit oder expliziter Sakramente oder der sakramentalen Ă„mter – Bischof-Priester-Diakon – verweist hingegen (m. E.) auf einen absoluten Geltungsgrund, der damals und heute in „genetischer Erkenntnis“ mitvollzogen und nachvollzogen, re-konstruiert und erinnert werden kann, und Entscheidungshilfen bietet, was heute ein sakramentales Weihe-Amt bedeuten kann und ob es weiterhin nur fĂĽr Männer reserviert bleiben muss.
3) Liest man in historisch-kritischer Literatur des Neuen Testamentes oder hört dazu Vorträge3, so frage ich mich immer, welche „Selbstbeobachtung“ (ebenfalls ein Begriff von Schleiermacher) und Idee und Kritik steckt hinter den grammatischen und psychologischen Textinterpretationen der Exegeten und Interpreten von heute? Abgesehen jetzt von den vielen Methoden der Textanalyse (Textkritik, Formkritik, Gattungskritik, Kanonkritik, rhetorische Analyse, narrative Analyse, literarische Dekonstruktionen, humanwissenschaftliche Methoden u. a. m), ist die umfassende Kritik des Geltungsanspruches eines Textes entscheidend.
Eine subjektive und objektive „hermeneutische Erfahrung“ – bei Gadamer in einem zweifachen defizienten modus oder in einem hochwertig zu verstehen modus als „Gespräch“ zu lesen-4, ist eine erste wissenschaftliche Aufgabe, zweifellos: Den Autor, das Werk, die Zeitumstände, die Absicht, so gut wie möglich zu erkennen.
Irgenwann tauchen aber dann die apriorischen Fragen auf: Können wir den Geltungsanspruch, der ja erhoben wird, heute noch nachvollziehen? Welche  „transzendentale Möglichkeitsbedingung“ verlangt dieser Nachvollzug und Mitvollzug? Wenn ich den Geltungsanspruch finden will, flieĂźen Autor, sein Werk, seine damalige, umliegende synchrone Geschichte, die diachrone Wirkungsgeschichte des Werkes, und viele andere unreflektierte Projizierungen ineinander und fordern unser/mein Wert- und Sinnsystem zur Stellungnahme heraus. Â
Die versteckten „doktrinalen“ (Schleiermacher) Interpretationen freizulegen ist immer wieder Sache einer philosophischen Kritik, die nach Wahrheit und Erkenntnis der Wirklichkeit fragt.
Um noch einmal mit Schleiermacher zu sprechen: Es begleitet uns bei allem faktischen Verstehen stets eine divinatorische Einschätzung des ganzen Textes, d. h. eine Kritik der ganzen, herausgearbeiteten subjektiven wie objektiven „hermeneutischen Erfahrung“. („Von der divinatorischen LektĂĽre zur Hermeneutik und wieder zurĂĽck zur divinatorischen LektĂĽre“ Vorlesung 2007 v. M. Hofer, Linz).5
Solche eindringliche Briefliteratur eines dem Hl. IGNATIUS von Antiochien, oder einem Autor um 160/170 n. Chr.?, zugeschrieben Textes, lese ich nicht als Zeitungsbericht oder als politisches Pamphlet – worunter ich z. B. „De bello gallico“ von Cäsar einordnen täte – , oder als mythische Erzählung,  sondern als eindringliche, performative Predigt, Aufmunterung und Aufforderung und als Einladung zum Mitvollzug, zur Danksagung, zur Bitte, zur Partizipation im weitesten Sinne. Gerade dieser Mitvollzug ist der genetische BegrĂĽndungs-Akt der Einsicht in die Bildung von sakramentalen Ă„mtern.
Denn vordringlich und unüberhörbar geht es a) um die Einheit der Gemeinde angesichts vieler Anfeindungen und systemtheoretischer Bedingungen, und b) um eine, soweit im menschlichen Ermessen mögliche, gesicherte, glaubwürdige, nachvollziehbare Weitergabe der positiven Offenbarung.
Schaue ich hingegen, sozusagen aus der Welt von heute, nur auf die Konstitution von Weiheämtern, ist der Akt der Einsicht in die Notwendigkeit sakramentaler Ämter bereits verschwunden und zu einer historischen Begrifflichkeit geworden. Es gibt eine transzendente und eine immanente Wirklichkeit. Die kirchlichen Ämter stehen für die Anwesenheit der göttlichen Abwesenheit, sie „repräsentieren“ das göttliche Element in einer säkularisierten Welt – und die christliche Gemeinde heute ist ebenfalls eine gewisse repräsentative Größe, aber verkörpert eher die anonyme Welt mit Ausschluss der Frauen von sakramentalen Ämtern.
Historisch entschied sich die christliche Gemeinde und der charismatisch begabte Schreiber – ich wĂĽrde ihn eher als Diakon einstufen, weil er von Diakonen als „Mitknechte“ spricht –  fĂĽr eine männliche Struktur sakramentaler Ă„mter, aber das hatte m. E. reine systemtheoretische GrĂĽnde. Die Gemeinschaft und die VerkĂĽndigung des Glaubens wäre anders nicht verstanden worden. Die apriorische Sinnidee hinter der VerkĂĽndigung, hinter dem Mahnungen zur Einheit, im Anliegen der Kontinuität der positiven Offenbarung, ist aber deutlich bis heute herauszuhören – ohne männlichen (oder gar maskulinen) Einschlag!
Die Ämter sind in statu nascendi gedacht, damit a) die Einheit gewahrt bleibe bei allen systemtheoretischen Gefährdungen und b) die genetische Erkenntnis und Teilhabe am sakramentalen Heil der positiven Offenbarung für alle von allen zu jeder Zeit ermöglicht werde. Die Legitimation der sakramentalen Ämter lag in der teleologischen Zweckidee der Einheit und Kontinuität, begründet aus dem absoluten Geltungsgrund der positiven Offenbarung.
4) Ich möchte LG 20 in den expliziten Verweisen auf den Hl. IGNATIUS exemplarisch aufgreifen: Hier in LG 20 war ein ausgesprochen guter Kenner der Texte am Werk, denn er suchte wirklich die m. E. schönsten Stellen aus dem NEUEN TESTAMENT und den „Sieben Briefen“ und anderer Kirchenväter heraus:
LG 20: „(….das Bischofsamt) kraft der auf den Ursprung zurückreichenden Nachfolge (Vgl. Ignatius v. A., öfters.)
Die Bischöfe haben also das Dienstamt in der Gemeinschaft zusammen mit ihren Helfern, den Priestern und den Diakonen, übernommen (Ignatius v. A., Philad., Vorrede: ed. Funk I, 264.). An Gottes Stelle stehen sie der Herde vor (Ignatius v. A., Philad., 1, 1; Magn. 6, 1: ed. Funk I, 264 u. 234.), deren Hirten sie sind, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung (Ignatius v. A., philad. 2; smyrn. 8, Magn. 3; Trall. 7: ed. Funk I, 265 f; 282; 232; 246fu. a.; ).
Der Brief an die Philadelphier ist vielleicht der eindringlichste und schönste Brief, was das Bischofsamt und generell die Botschaft betrifft:
Vorrede: „Ignatius, der auch Theophorus (genannt wird), an die Kirche Gottes des Vaters und des Herrn Jesu Christi, die in Philadelphia in Asien sich befindet, begnadigt und gefestigt in Eintracht mit Gott, die ohne Aufhören frohlockt im Leiden unseres Herrn und die in seiner Auferstehung vollendet ist in jeglicher Barmherzigkeit, die ich grüße im Blute Jesu Christi, die meine ewige und bleibende Freude ist, besonders wenn sie eins ist mit ihrem
Bischof und seinen Presbytern und den nach Jesu Christi Willen eingesetzten Diakonen, die er nach seinem eigenen Willen in Festigkeit gestärkt hat durch seinen Heiligen Geist.
An die Magnesier: „ 1. Wie nun der Herr, da er mit ihm eins ist, ohne den Vater nichts getan hat, weder durch sich selbst noch durch die Apostel, so sollt auch ihr ohne den Bischof und die Presbyter nichts tun; auch sollt ihr nicht versuchen, etwas auf eigene Faust als richtig erscheinen zu
lassen, sondern bei eurer Versammlung sei ein Gebet, eine Bitte, ein Sinn, eine Hoffnung in Liebe, in untadeliger Freude, das ist Jesus Christus, im Vergleich zu dem es gar nichts Besseres gibt.
2. Kommet alle zusammen wie in einen Tempel Gottes, wie zu einem Altare,
zu dem einen Jesus Christus, welcher von einem Vater ausging und bei dem einen blieb und zu ihm zurückgekehrt ist.“
Philadelphier: 2. Kap. Warnung vor Spaltung und Irrlehre.
1. Als Kinder des Lichtes der Wahrheit fliehet die Spaltung und die schlimmen Lehren; wo immer der Hirte ist, dorthin folget wie die Schafe.
2. Denn viele Wölfe, die vertrauens- würdig (scheinen), fangen durch böse Lust die Gottsucher weg. Wenn ihr aber einig seid, haben diese keinen Erfolg.“
An die Smyrner: 8. Kap. Seid eins mit dem Bischof!
1. Alle sollt ihr dem Bischof gehorchen wie Jesus Christus dem Vater, und auch dem Presbyterium wie den Aposteln; die Diakonen aber ehret wie Gottes Anordnung. Keiner tue ohne den Bischof etwas, das die Kirche angeht. Nur jene Eucharistie gelte als die gesetzmäßige, die unter dem Bischof vollzogen wird oder durch den von ihm Beauftragten.
2. Wo immer der Bischof sich zeigt, da sei auch das Volk, so wie da, wo Jesus Christus ist, auch die katholische Kirche ist. Ohne den Bischof darf man nicht taufen noch das Liebesmahl feiern; aber was immer er für gut findet, das ist auch Gott wohlgefällig, auf dass alles, was geschieht, sicher sei und gesetzmäßig.“
An die Magnesier: 3. Kap. Achtung vor dem jugendlichen Bischof.
1. Es ziemt euch aber, das jugendliche Alter des Bischofs nicht auszunützen, sondern entsprechend der Macht Gottes des Vaters jegliche Ehrfurcht ihm zu erzeigen, wie ich erfahren habe, dass auch die heiligen Presbyter seine offenbar in jugendlichem Alter erfolgte Erhebung nicht missbrauchen, sondern als in Gott verständige Männer in Über- einstimmung mit ihm wandeln, doch nicht mit ihm, sondern mit dem Vater Jesu Christi,
dem Bischof aller.
2. Zur Ehre dessen nun, der uns erwählt hat, ziemt es sich, ohne jede
Heuchelei gehorsam zu sein; denn man täuscht nicht diesen sichtbaren Bischof, sondern man spottet über den unsichtbaren. Ein solches Handeln aber bezieht sich nicht auf das Fleisch, sondern auf Gott, der das Verborgene weiß.“
An die Trallianer: 7. Kap. Anschluss an den Bischof.
1. Hütet euch also vor solchen. Das wird bei euch der Fall sein, wenn ihr nicht aufgeblasen seid und euch nicht trennet von Gott Jesus Christus, vom Bischof und von den Vorschriften der Apostel. 2. Wer sich innerhalb der Opferstätte befindet, ist rein; wer aber außerhalb steht, ist nicht rein; das heißt: wer ohne Bischof, ohne Presbyterium und Dia-kon etwas tut, der ist nicht rein in seinem Gewissen.“
5) Ich lese und höre als erstes, als „Kritik“ oder genetische Erkenntnis aller Briefe, wie schon angedeutet a) die durch die Bischöfe und Priester und Diakone zu bezweckende Einheit und Eintracht und Kontinuität heraus!
Das alles ist aber nicht narzisstisch, patriarchalisch oder herrschsĂĽchtig motiviert, denn alles ist begrĂĽndet im Gehorsam dem dreifaltigen Gott gegenĂĽber. (Wenn wirklich psychische Eigensucht dahinterstĂĽnde, wĂĽrden die Briefe total anders lauten!)
Die Einheit der Gemeinde dürfte aus diesen und jenen systemtheoretischen Gründen gefährdet gewesen sein (Irrlehren, Verfolgung durch den römischen Staat u. a. m.), ergo musste erst recht Einheit, Zusammenhalt und „Gehorsam“ demonstriert werden.
Die eigentliche BegrĂĽndung und Rechtfertigung war dann aber b) der genetische Geltungsgrund der positiven Offenbarung, die fĂĽr die nachfolgenden Generationen bewahrt und weitergegeben werden sollte.
6) Im Gegensatz zur Gnosis und ihrer Denkart und anderen Sinnangeboten der damaligen Zeit gewährte die christliche Erlösungsidee (Vergebung) eine  dauernde, über Zeit und Vergänglichkeit hinausgehende, pertinente Sinnidee, während z. B. die Gnosis von suspekten, schauderhaften bis frivolen Geschichten ausging (Siehe Blog von mir zum Hl. Irenäus von Lyon.)
Anders gesagt: Die genetische Erkenntnis der Gnade verlangte die Realisierung dieser Gnade, verlangte Kult und Erinnerung, „succesio“ und „ordo traditionis“, mit IRENĂ„US v. Lyon gesprochen, neues Zusammenleben, geistliche Durchdringung des Alltags und des ganzen Lebens, eine kirchliche Lebensform, aber immer im Wissen und im RĂĽckbezug, dass die intuitive und intelligierende Quelle dieser Formen und Institutionen vom absoluten Geltungsgrund selber ausgehe und davon abhänge. Dort lag die absolute BegrĂĽndung und Rechtfertigung, während die Umsetzung nur relativ verlaufen konnte.
Nach transzendentalen Prinzipien ist notwendig mit einer Erkenntnis deren Realisierung und Anwendung verbunden.  Die neu erkannten Werte sind prinzipielle, geistige Setzungen, die aber nicht außerhalb des Bewusstseins existieren. Sie sind selbst ein Wille und gerichtet an ein freies Wollen. Der höchste Wert der positiven, christlichen Offenbarung ist die erlösende, vergebende Liebe JESU CHRISTI, ist Selbstwert, an den freien Willen der Aufnahme und des Glaubens gerichtet, ergreifende Evidenz, vollkommene Erfüllung des Willens, ist genetische Erkenntnis, über theoretisches Wissen hinausgehend, praktisches Wissen und Wollen, unmittelbar wahr und gut, reflexologisch nachvollziehbar und zukunftsorientiert. Diese Vergebung und Erlösung als absoluter Wert bezieht sich auf die Freiheit jedes einzelnen Vernunftwesens. Die Wahlfreiheit für jedes einzelne Vernunftwesen ist dadurch erst ermöglicht, weil der einzelnen Freiheit in der positiven Offenbarung ein objektiver Wert gegenübergesetzt ist, sodass die Freiheit diese absolute, pertinente Sinnidee auf ihre faktische Realität beziehen kann, wenn sie denn will. Die Realität wird zur aufgegebenen Wirklichkeit in einem Verhältnis der Applikation des sittlichen Wertes auf die im Bewusstsein anzutreffende Realität.
Der Hl. Ignatius/der anonyme Autor und die ganze dahinterliegende Gemeinde waren sich ihrer Verantwortung der Beziehung des sittlichen Wertes auf ihre geschichtliche und weltliche Situation sehr bewusst. Sie handelten nicht nach egoistischen BedĂĽrfnis oder aus einem verkappten Patriarchalismus heraus. Das ist wohl eindeutig den Texten zu entnehmen!
Der höchste legitimierende Wert der Hoheit und WĂĽrde der positiven Offenbarung stand über allem – noch unabhängig von der Geschlechterfrage! Die Umsetzung und Applikation bei aller Heiligkeit eines IGNATIUS oder eines unbekannten Autors oder der anonymen Gemeinde dahinter musste aber faktisch, und damit relativ und fallibel auf die Situation bezogen, ausfallen.Â
Ich höre entsprechende Sorge und Verantwortungsbereitschaft gegenüber dem höchsten Anspruch des Sollens und gegenüber den Gläubigen in individuo und im Ganzen als Gemeinde heraus, ebenso eine gewisse Unsicherheit und Angst und Sorge wegen der politischen und sozialen und kulturellen Verhältnisse. Wie kann es und soll es weitergehen?
Es ist eine Idee, eine „genetische Erkenntnis“, die zur Realisierung drängt, aber in dieser Realisierung noch den Sinn und den Zweck der Etablierung kirchlicher Weiheämter erkennen lässt: Um der Einheit willen, um der Bewahrung vor Irrlehrern und um Rettung möglichst vieler Menschen willen (Kontinuität) soll es gehen.
7) Nach dem Schema von Schleiermacher können die Aussagen der Briefe gut analysiert und gegliedert werden: Es besteht immer, abgesehen jetzt vom grammatischen Teil, ein Zusammenhang von Meditation, Komposition (Einheit und Kontinuität der Botschaft) und „Kritik“, d. h. genetische Erkenntnis.
Die sakramentalen Weiheämter wie „Bischof“, „Priester“, „Diakon“ sind im Rahmen der Bildung und des Ursprungs einer sakramentalen Heils- und Sinnordnung einsehbar, noch dazu durch die charismatischen Persönlichkeiten beglaubigt – wer immer das im einzelnen gewesen sein mag. Die „genetische“ Erkenntnis schuf die Ă„mter, nicht ein abstraktes Subjekt „Kirche“ mit einer begrifflich bereits voll ausgestatten Ă„mter-Hierarchie und geschriebener Verfassung und Gesetzgebung und Rechtssprechung und durchorganisierter Verwaltung.
WĂĽrde ich dem Hl. IGNATIUS oder dem unbekannten Autor um 160/170 n. Chr. patriarchale Interessen unterstellen, hätte er sich stark auf die Männlichkeit JESU und der Apostel und des Paulus berufen mĂĽssen, hätte er nicht so liebevoll, wenn auch spärlich, in GruĂźlisten die Frauen erwähnt, hätte er vielleicht viel straffer alles organisiert, betriebswirtschaftlich besser, sich diskursmäßig stärker gegen Konkurrenten verteidigt….. Diesen patriarchalen Diskurs kann ich bestenfalls nicht erkennen. Die genetische Erkenntnis verwies auf einen absoluten Geltungsgrund jenseits der Geschlechterzugehörigkeit, deshalb die starke performative Rede. Die Applikation auf eine männerspezifisch dominierte Gesellschaft war situationsangepasst, den zeitgeschichtlichen Faktoren geschuldet – und deshalb auch männerspezifische Ă„mter, aber nicht begrĂĽndet aus dem absoluten Geltungsgrund selbst.Â
Es entstand sogar, was ebenfalls zu bedenken ist, eine fĂĽr damalige Verhältnisse äuĂźerst gleichwertige, gesellschaftliche und völkerĂĽbergreifende, „katholische“ Einheit fĂĽr Mann und Frau, fĂĽr Kind und Sklave und fĂĽr alle Völker und Sprachen – vgl. z. B. Literatur zum Begriff „katholisch“.6
Liest man historische Literatur zu damaligen Zeit des 2. Jhd. n. Chr., so gab es viele Unfreie, Tagelöhner, Sklaven etc. Die Frauen und Kinder und Fremde waren von der „libertas“, „dignitas“ und „auctoritas“ eines römischen Staatsbürgers bzw. von der Redefreiheit des griechischen Polis-Bürgers, der ein Mann sein musste, ausgeschlossen. Das alles ist für eine „hermeneutische Erfahrung“ solcher Texte in komparativer Lektüre festzuhalten, will man das durchaus Revolutionäre und Neue der christlichen Gemeinden gerecht einschätzen.7
Darum geht es bis heute: Die Ziel- und Zweckbestimmung einer durch die positive Offenbarung bewirkten neuen Erkenntnis von Gott ist einerseits ungeschichtlich wahr und unveränderlich, andererseits fortwährende, geschichtliche Objektivierung mit allen ihren Relativitäten und Fallibilitäten.
8) Was historisch gewesen ist, ist Aufgabe der hermeneutischen Analyse, ist Komparation vieler Texte, ist „hermeneutische Erfahrung“ und verlangt wissenschaftliche Fundierungen. Was dahinter an zeitüberhobenen Geltungsanspruch enthalten ist, das verlangt eine transzendentale Erkenntniskritik.
Geschlechtsspezifisch handeln wir immer, das hat einen tieferen Sinn, das möchte ich gar nicht bezweifeln, aber das kann nicht eine reelle Eigenschaft des absoluten Geltungsgrundes selber sein. Das wäre ja purer Geschlechter-Realismus in Gott (oder in die Idee) hineingetragen?Â
Die Bischöfe von heute, die eine ziemlich hohe legislative und jurisdiktionelle und administrative FĂĽlle an Macht (vgl. z. B. CIC/1983 c 381 § 1ff) beanspruchen, die teilhaben an den munera Christi wie „Hirtendienst“, „Lehramt“, „Leitungsdienst“, sie begrĂĽnden ihre Repräsentanz und Legitimation mit einer metaphorischen Herleitung von den Aposteln. Diese Metaphorik ist z. B. in den Ignatius-Briefen nicht zu finden. Dort wird diese eher „monarchianische“ Stellung des Bischofs ja aus der Sorge und Zweckbestimmung der Einheit der Gemeinde und der FortfĂĽhrung der positiven Offenbarung gesehen, die Presbyter und Diakone genieĂźen wieder eine andere metaphorische Abstammung – die “Presbyter“ fĂĽr die Apostel, die „Diakone“ fĂĽr Jesus Christus selbst – in jedem Fall kommt die Legitimation aus der Zweckbestimmung der Idee und in und aus dem absoluten Geltungsgrund der positiven Offenbarung, an dem partizipativ in genetische Erkenntnis alle gläubigen Christen Anteil bekommen können, nicht nur die sakramentalen Ă„mter/Dienste.
Zum Begriff „genetische Erkenntnis“ – siehe erste Versuche von mir in drei Teilen Link 1 und 2 und 3)
Wenn ich diesen Ausdruck „genetische Erkenntnis“ hier und den folgenden Ăśberlegungen zur Priesterweihe der Frauen gebrauche, so meine ich immer dieser FĂĽlle von werthafter, reflexologischer und zukunftsgerichteter, geschichtlicher Erkenntnis, wie sie kraft Vernunft jedes Vernunftwesen vollziehen kann.Â
Dass es zu einer Art sakramentaler Weiheämtern kommen kann, verstehe ich aus dem Akt der Freiheit heraus,  weil es eine genetische und saziente Erkenntnis einer positiven Offenbarung ebenfalls gibt, nachvollziehbar von allen für alle zu jeder Zeit. Wie diese Objektivierung und Konstituierung ausfallen sollte, das ist dann kluge, pragmatisch Lösung, angepasst an die historischen Bedingungen der Zeit.
Da verstehe ich die Einschränkung auf das männliche Geschlecht der damaligen Zeit im 2. Jhd. Es muss ein stark platonisch gefärbtes Umfeld gewesen sein, zumindest im Denken des Autors (der Autorenschaft), wenn die Notwendigkeit einer neuen, ideell-geistigen und spezifisch „sakramentalen“ Weltsicht zur Debatte stand, über die Grenzen jĂĽdischer bzw. heidnischer Erinnerungskultur und mythischer Göttergeschichten hinausgehend. Ebenso verlangte es ein mĂĽndiges, politisches Denken vieler Gläubiger, weil eine aktive, politische und kirchliche Partizipation an der Einheit und Kontinuität gesucht wurde. Ohne aktive christliche Gemeinde hätte es der Autor/die Autorin? nicht zu diese Paränese und ideellen Sicht gebracht bzw. wäre gar nicht verstanden worden.
Kann ich aber von einer inneren Gesetzmäßigkeit in der Erkenntnis (apriorische Vernunftidee) und einer pertinenten Wert- und Sinnidee (positive Offenbarung) und einem damit verbundenen Geltungsanspruch ausgehen, habe ich ein festes Fundament der Analyse alter Texte gefunden – und bin nicht mehr hilflos historischen Meinungen der Exegese und unendlicher Hermeneutik ausgeliefert, was kann und soll aus damaliger Zeit heute noch herĂĽbergerettet, was kann fallen gelassen werden.
9) Ein groĂźes Danke an die Ăśbersetzer und an die „Bibliothek der Kirchenväter“ fĂĽr die digitale Zugänglichkeit dieser Texte.Â
griechisch: https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-1025/versions/the-letters-loeb/divisions/2
deutsche Ăśbersetzung:Â
https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-1025/versions/die-sieben-briefe-des-ignatius-von-antiochien-bkv
Download:Â
Die sieben Briefe des Ignatius von Antiochien (BKV)_deutsch_121
© Franz Strasser, Juli 2025
1 F.D.E. Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers. Hrsg. v. Manfred Frank, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1977.
2Siehe im Buch: Hübner, Reinhard M. und Kany, Roland (Hrsg.) (2017): Kirche und Dogma im Werden. Aufsätze zur Geschichte und Theologie des frühen Christentums. Studien und Texte zu Antike und Christentum, Bd. 108. Tübingen.
3Ich hörte zu diesem Thema Priesterweihe für Frauen einen historisch-kritischen Beitrag von Prof. C. Niemand, 27. 6. 2024. Er zeigte in verständlicher, anschaulicher und akribischer Art die historische und etymologische Entwicklung zum Priestertum auf.
Ich schrieb fĂĽr mich den Vortrag zusammen – in Stichworten:Â Link, Christoph Niemand, Theologie des Leitungsamtes, Abschiedsvorlesung 27. 6. 2024 Â
4Bernward Grünewald, Der Erfahrungsbegriff der dialektischen Hermeneutik H.-G. Gadamers und die Möglichkeit der Geisteswissenschaften. Erschienen in: Logos, Neue Folge, Bd. 1, 1993/94, Heft 2, S. 152-183. Download im Inernet: Der Erfahrungsbegriff der dialektischen Hermeneutik H.-G. Gadamers und die Möglichkeit der Geisteswissenschaften
5Genauso wie die psychologische und die grammatische Methode dürfen das komparative und das divinatorische Verfahren nicht getrennt werden, denn „die Divination erhält ihre Sicherheit erst durch die bestätigende Vergleichung, weil sie ohne diese immer fantastisch sein kann. Die komparative aber gewährt keine Einheit. Das Allgemeine und das Besondere müssen einander durchdringen, und dies geschieht immer nur durch Divination.“ (Schleiermacher, siehe Anm. 1, ebd. S. 170)
6 REINHARD M. HĂśBNER, „Überlegungen zur ursprĂĽnglichen Bedeutung des Ausdrucks „Katholische Kirche“ bei den frĂĽhen Kirchenvätern.“ In: Väter der Kirche, ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit“, hrsg. Von J. Arnold, R. Berndt, R.W. Stammberger, Paderborn 2004, S. 31 – 79.(Downloadbar von der Bayerischen Staatsbibliothek – aufrichtigen Dank! – siehe Link:
7Zum Begriff der Freiheit im antiken Leben und antiken Gesellschaftsformen siehe z. B. den Artikel von Christina M. Kreinecker, Freiheit in der Antike. In: Freiheit. Vom Wert der Autonomie, hrsg. v. Clemens Sedmak, Darmstadt 2012, S. 95 – 110.