Die Evolutionstheorie tut so, als ob sie aus empirisch aufgenommenen Tatsachen oder Berechnungen eine kausale Ursachenerklärungen späterer Erscheinungen aufstellen könnte. Sie erklärt etwas als Gewordenes aus etwas anderem, z. B. einen jetzt lebenden Fisch aus einem Fossil eines vor Jahrmillionen Jahren lebenden Fisch.
Nichts dagegen einzuwenden, wenn eine kausale Zeit- und Geschichtsreihe aufgebaut werden soll, nur ist die Frage, mit welchem Interesse und mit welcher Sinnhaftigkeit wird diese zeitliche Reihe und zeitliche Kausalreihe aufgebaut?
Die mehr oder minder genau zusammengestellten, nennen wir sie wohlwollend, deduktiv-nomologisch zusammengestellten Kausalitäten, die zu diesem anorganischen oder organischen oder geistigen Ergebnis geführt haben könnten, sind durch vorhergehende Unterscheidungen und Beziehungen und Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge er-dacht worden, bis das Denken zu einer befriedigenden theoretischen Vorstellung des WIE des Gewordenseins gekommen ist.
Es ist das Denken, das etwas auf etwas anderes bezieht, Verschiedenes durch Entgegensetzung bestimmt und zusammensetzt, und schließlich etwas negiert oder affirmiert.1
In welchem Interesse und mit welcher Sinnhaftigkeit?
1) Es ist unser Denken immer Existenzanalyse des Selbstbewusstseins, das erkennen will, wie es mit seiner endlichen Erkenntnis umgehen kann und was an Selbsttätigkeit und Freiheit (übrig) bleibt. Die Existenz erkennt aber theoretisch nicht, welchen Geltungsgrund es wirklich gibt (oder gegeben hat), wenn es sich durch zeitliches Gewordensein erklären will. Sie erkennt die wirkliche Ursache aber nicht nur theoretisch nicht, auch im praktischen Streben des triebhaften oder geistigen Lebens erkennt die Existenz für sich nicht, warum es denn teleologisch immer einen Zweck des Lebens und des Tuns setzt, d. h. die Idee der Möglichkeit so entwirft, dass es notwendig auf die Wirklichkeit ihres gerade zeitlichen So-Seins reagieren kann und neue Zukunft entwirft. Es erkennt nicht theoretisch und nicht praktisch den Geltungsgrund seines Vorstellens und Strebens, ja es geht gar nicht unmittelbar auf Erkenntnis aus, sondern primär auf die Erkenntnis der Selbsttätigkeit. 2
Weil die Existenz strebt, die Selbsttätigkeit zu erhalten, auch bei endlicher, unsicherer Erkenntnis, erstellt sie im Denken eine kausale Reihe ihrer Selbsterkenntnis, um besser oder klarer und bewusster auf die Anforderungen oder Aufforderungen reagieren zu können.
Dieses in der Existenz vorgehende, heuristisch suchende, begründende Verfahren ist nichts Subjektives oder gewohnheitsmäßig Angelerntes, sondern selbst kausal notwendig, um sich selbsttätig bestimmen zu können. Die Realität wird dabei durch die unterscheidende und beziehende Tätigkeit des Denkens zu einem (endlichen) Ich und zu einem (unendlichen) Nicht-Ich (innerhalb eines absoluten Ichs) notwendig aufgebaut, d. h. zur Wirklichkeit der Existenz und für die Existenz notwendig aufgebaut. (Siehe dann 5. Teil über Rezeption und Hirnforschung)
2) Diese Zweckhaftigkeit der Selbsttätigkeit kann apriorisch nicht geleugnet werden, sei es im empirischen Bereich des organischen oder sensitiven oder motorischen Lebens, sei es im geistigen Leben des interpersonalen Austausches oder in allen medialen und kulturellen Formen der Extrapolation der Existenz.
Anders gesagt: Das Denken vollzieht treffend oder weniger gut treffend, realistisch/idealistisch, die Gesetze der Handlungen des Bewusstseins nach. Es kommt von selbst zu diesem Satz der Teilbarkeit der Begründung a) teils aus dem (endlichen) Ich und b) teils aus dem (unendlichen) Nicht-Ich der erkannten Wirklichkeit zwecks Selbsttätigkeit.
Diese begründete und oft erst als Aufgabe gestellte, zu begründende Wirklichkeit ist durch Denken nach den Gesetzen der Modalität (notwendig, möglich, wirklich, zufällig) gesetzt und geordnet, ferner durch die Kategorien der Substanz und der Kausalität und der Wechselwirkung und durch höhere Reflexionsideen wie Zweckhaftigkeit, Bewegung, Organizität. Ich zitiere Fichte, EIGNE MEDITATIONEN, 1793: Notwendig ist eine Beziehung (zwischen Unterschiedenen und Verschiedenen), weil sie durch die bloße „Denkbarkeit“ wirklich wird (GA II, 3, 43, 14/15)3, wirklich ist, „was der Rezeptivität gegeben wird“ (ebd. Z 15/16).
Was wir dabei vollziehen, ist ein „Postulat“, weil wir ja im Denken so fordern, dass es kausal so sein soll, wenn wir zu einer methodischen Begründung und einer prinzipiellen Geltung eines Grundes übergehen möchten. Es muss so sein, so fordert das Denken, weil wir etwas realistisch oder auch idealistisch (rational) erklären wollen. Wir erkennen die Wirkung aus dem Zweck, den wir uns willentlich gesetzt haben, und vergleichen Wirkung und Zweck als gefühlte Empfindung. „Zweck ist Selbsttätigkeit in Beziehung auf Selbsttätigkeit, wie Ursache auf ihre Wirkung.“ (GA II, 3, 12.13)
Die erkannte Welt besteht nur in Bezug auf jenes Streben, und umgekehrt erfahren wir das Streben erst, weil wir uns notwendig Zwecke setzen. Dadurch wird uns, durch das gehemmte Streben und dem gleichzeitigen Hinausgehen über die Hemmung in der Vorstellung, die Zeitvorstellung der Zukunft eröffnet.
3) Letztlich möchten wir die ganze Wirkung und Wirklichkeit kausal aus einem Grunde erklären, nicht bloß eine historische oder gewohnheitsmäßige (wie Hume das gesehen hat) Relation zu einem vergangenen Ereignis herstellen.
Der teleologische Zweckbegriff ist konstitutiv für unsere Erkennen und praktisches Streben: Die Erklärung der Ursachen werden dabei im anorganischen Bereich durch regulative Zweckideen bestimmt, im organischen Bereich durch notwendige und im geistigen Bereich durch konstitutive Zweckideen. Naturwissenschaft wäre ohne diese regulativen und apodiktisch-verstandlichen Begriffe nicht möglich, Gesellschaftswissenschaft nicht ohne konstitutive und kategorische Zweckideen. Es gäbe keine denkbare und vorgestellte Entwicklung im anorganischen Bereich, keine Genetik und Mutation auf der organischen Ebene, keine Entwicklung von Sprache und Geschichte auf der kulturellen Ebene – würden wir nicht zuerst innerlich in der Empfindung und dann im Geiste ein zweckhaftes Werden der Existenz des Ichs anschauen und im Denken übertragen auf diese Welt die dann notwendig, wirklich oder möglich, oder zufällig so geworden ist – und mit allen weiteren begrifflichen Unterscheidungen und Beziehungen.
4) Und hier beginnt die Evolutionstheorie, soweit ich sie natürlich nur spärlich kenne, weil ich in diesen Texten nie weiterlesen kann wegen ihrer ständigen Ebenensprünge, zu tricksen. Sie versucht real/ideal ein Gebirge, ein Fossil, ein kulturelle Erscheinung auf zeitlich Vorhergehendes zurückzuverschieben, um durch die Wirkung des Gewordenseins die Ursache zu bestimmen. Sie supponiert Ursachen und reale Kausalitätszusammenhänge, von denen das Wissen im Grunde gar nichts Sicheres wissen kann, um schlussendlich die Bedingungen der Möglichkeit späteren Gewordenseins vorstellen zu können.
Wohin ist die existentielle Analyse des Selbstbewusstseins verschwunden, wenn das Werden und Gewordensein auf die Außenwelt übertragen ist?
Die Existenz kann weder theoretisch die letzten Geltungsgründe ihrer selbst, noch die praktischen Begründungschritte zu einem absoluten Geltungsgrund erkennen. Wenn sie begründend fortschreitet, verändert sie sich durch Tat, sieht aber nicht ihr Tun, wenn sie handelt, reflektiert sie nicht. Das praktische Streben geht unmittelbar gar nicht auf Erkenntnis aus, sondern nur auf Selbsttätigkeit – wie oben schon gesagt.
Die Existenz muss zwar theoretisch und praktische Erkenntniselemente supponieren und stipulieren, sofern sie sich erkennen will, aber eine erdachte, evolutiv wirksame gewordene Ursachenkette von Welt, Tieren, Menschen, kulturellen Erscheinungen – sie sind unendlich in ihren Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis und können im Ganzen nie erkannt werden. Welchen Zweck legen wir aber dann in dieses übertrieben wirkende Denken einer evolutiven Reihe und einer Evolutionstheorie? Wir erkennen die Wirkung aus dem Zweck, den wir uns willentlich gesetzt haben, und vergleichen Wirkung und Zweck als gefühlte Empfindung – siehe oben. Welchen Zweck verfolgen wir im evolutiven Denken wirklich?
Wir können letztlich in unserem Vorstellen und praktischen Streben nur diesen einen Zweck existentieller Analyse erkennen und insgesamt zusammenfass, dass wir die Selbsttätigkeit erkennen. Hat die Evolutionstheorie sich diesen Zweck zur Erkenntnis gemacht? Eher entschuldigt die Evolutionstheorie das praktische, selbsttätige Handeln, da ja das Werden und Gewordensein determinierend und kausal und anonym etwas hervorgebracht hat, u. a. auch das Selbstbewusstsein?!
Ich empfinde die Evolutionstheorie eher als lähmende Theorie der Selbsttätigkeit, als große Entschuldigungsstrategie, als Verdrängungstheorie selbstverantworteter Tätigkeit.
© Franz Strasser, 19. 12. 2015
1Fichte – SITTENLEHRE 1798: „Der schlechthin angefangene Zustand wird nicht schlechthin an nichts angeknüpft, denn das endliche vernünftige Wesen denkt nothwendig nur vermittelnd und anknüpfend. Nur wird er nicht an ein anderes Seyn angeknüpft, sondern an ein Denken.“ (SL GA I/5, 53)
2K. Hammacher, Kategorien der Existenz, 1993, S. 105.
3Zitiert nach K. Hammacher, Kategorien der Existenz, 1993, S. 97.