Priesterweihe der Frauen 4. Teil

1) Wenn es dem Autor tatsächlich um Patriarchalismus und Herrschaftsausübung gegangen wäre, wäre der Stil und der Inhalt ganz anders ausgefallen. 
Der Bestimmungsgrund ist das, worum es dem Willen eigentlich immer geht, wenn er will und handelnd ĂĽbergeht von einer Kausation (Prinzipiierung) zur anderen Kausation – und so wird die Zeit erzeugt! Die zeitliche und geschichtliche Erstreckung (des Heils, des Sinns) wird zusammengehalten in einer unwandelbaren Geltungsform eines zeitlich ablaufenden Bewusstseins und vollendet sich  in einer projizierten Form erfĂĽllten Seins. Die unwandlbare Geltungsform ist als dauernder RĂĽckbezug auf einen absoluten Bestimmungsgrund stets präsent, ist pertinent ergriffene Sinnidee. Diese Sinnidee ist nicht vermittelt durch ein anderes Moment, oder als Mittel zu einem anderen bestimmt, sondern ist a) höchster Wert einerseits, b) andererseits nicht nur Wert, sondern ebenso auch die diesen Wert verwirklichende Existenz.  Der geschichtliche RĂĽckbezug und die lebendige Erinnerung ist Bild-Werdung der einen, absoluten, konstitutiven Wahrheit, ist  Genesis hin zu einem sittlich und religiös erfĂĽllenden Sein  – wie es heiĂźt: Joh 16,13 „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkĂĽnden, was kommen wird.“ Der HEILIGE GEIST ist dieses bestimmte Sein und Wirken disjunktiver Bestimmung durch die positiven Offenbarung. 

Könnte ich einen höchsten Wert und geschichtlichen Bestimmungsgrund als männlich/maskulin verstehen? Das wäre  pure Perversion der Absicht Jesu Christi und des ganzen Sinns seiner positiven Offenbarung.  Dann hätte Jesus in seinem Tun und Handeln ganz anders auftreten mĂĽssen, keine Frauen heranlassen und heilen dĂĽrfen, wĂĽrde von keinen Frauen am Ostermorgen erzählt usw. usf.  Nach den Gesetzen des Bildens bildet sich die Vernunft im Allgemeinen und jedes Individuum im Besonderen interpersonal und zeitlich und räumlich, ebenso geschlechtlich! – und will sich entfalten und sich in Identität durchhalten. Das „Ich“ (Ichheit, Reflexionsstruktur der Vernunft, Glaubenswissen) und innerhalb ihrer jedes Individuum  muss sich stets reflexiv erinnern, um im nächsten Augenblick sich neu bestimmen zu können, aber es  wird sich doch nicht nur naturalistisch nach einer geschlechtlichen Ausstattung erinnern – die ich fĂĽr sich nicht abwerten will -, schon gar nicht, wenn es um rechtliche und sittliche und geschichtliche und sinnevidente Dinge geht?
Der Heilige/der anonyme Autor/die Gemeinde schöpft aus einer unerschöpflichen Quelle des höchsten Wertes und des Lichtes, des erschienenen Logos, der erschienen Liebe in der Geschichte  und des Sinns –
und damit ist ein zeitliches Werden (und relative Faktizität)  und natürlich eine neue Deutung bereits bekannter Begriffe und überlieferter Traditionen verbunden. Ich könnte dem Heiligen psychologische Gründe der Herrschsucht unterstellen,  politisches Kalkül,  expliziten Patriarchalismus, stoische Weisheit, gnostischen Eigensinn usw. Das ist aber alles nicht schlüssig und kohärent und führt zu  keiner analytischen Basis,  wenn ich die Texte in diese Richtung  zerlegen möchte. 

Ich könnte noch die prekären Rahmenbedingungen der Christenverfolgung zu dieser Zeit einbeziehen, irgendwelche Häresien und Konflikte, systemtheoretische GrĂĽnde aller Art bedenken, um die Etablierung einer kirchlichen Hierarchie ein StĂĽck weit deterministisch zu erklären – das ist aber ebenfalls nicht hinreichend angesichts der starken, empathischen Rede und ihres genetischen Inhalts einer intelligierten Einsicht in die positive Offenbarung.

2)  Die dem absoluten Bestimmungsgrund zugrundeliegende und im platonischen Sinne zu reflektierende Idee ist positive (kataphatische) Gottesrede – wie JESUS im Evangelium diese positive Gottesrede gepflogen hat. Viele poetische und liturgische Gesänge und Texte dieser Zeit des 2. Jhd. könnten unmittelbar zur  Illustration der positiven Gottesrede herangezogen werden! (Siehe ebenfalls bei R. M. HĂĽbner zum Begriff „katholisch“)
Die positive Gottesrede des Heiligen/des anonymen Autors klingt bei oberflächlicher LektĂĽre sittlich-moralisch, ist aber mehr als moralisch, denn die Genese der hier beschriebenen „Sittlichkeit“ und Nächstenliebe geht ja von der apriorischen wie positiven Offenbarung aus. Seine Rede ist m. E.  gerade nicht explizit moralisch, nicht geschlechtsspezifisch, nicht elitär, nicht national,  sondern explizit „katholisch“  und auf den einzelnen und auf eine solidarische Gemeinschaft zielend und geschlechterĂĽbergreifend-universell. Das Postulat einer Rettung aller Menschen, gleich welchen Geschlechts, welchen Alters, welchen Standes, welchen Volkes, soll jetzt kraft genetischer Erkenntnis in eine
sakramentale Lebensform übergeführt werden, nicht bloß in eine moralische Lebensform und in eine Ständegesellschaft mit strengen Gesellschaftsregeln. 

Nochmals anders gesagt: Die positive Gottesrede des Heiligen/des Autors/der Gemeinde  ist nicht esoterisch-gnostisch in dem Sinne, dass eine besondere Privilegierung dazu nötig wäre, sondern jeder/jede konnte durch Glauben und durch das Bekenntnis und sakramentale Formen zu dieser erlösten Gemeinschaft übertreten. Es entstand eine möglichst weit zu fassende liberale Ordnung der Kirchenzugehörigkeit, eine äußere, zeitliche und räumlich-figurative Repräsentationsform einer inneren, genetischen Rückbeziehung auf die positive Offenbarung für alle von allen zu jeder Zeit.

Nochmals anders formuliert: Die positive Gottesrede ist weder eine rein moralische Rede, noch eine rein   philosophische Erkenntnislehre, als könnte die biblische Ăśberlieferung und die Generationenkette der Ăśberlieferung durch reine formale Erkenntnis geleistet  werden, sondern explizit durch Logos und Geschichte, durch Hl. Schrift und namhafte Zeugen, durch Gemeinschaftssinn und Sakramente, wird die Erinnerung und die Zukunft erzeugt. Der pertinente Wert der positiven Offenbarung war der Bestimmungsgrund der damaligen Gegenwart – noch dazu durch Gegensatz und Widerstand gepresst und provoziert, gefährdet durch die ständige Bedrohung und Verfolgung seitens des römischen Staates,  durch die Gnosis oder anderen Institutionen verspottet, angefeindet durch andere Religionen inklusiv Judentum -, die sozusagen neue Formen des Glaubens und der Religiosität hervorbrachte. Die damaligen historischen  Gefährdungen waren systemtheoretisch nicht belanglos, sie waren widersinnige Potenz, die indirekt miteingeflossen ist, aber jetzt nicht so bedingend, dass die genetische Erkenntnis erstickt worden wäre oder nicht erkennbar gewesen wäre. 
Gefühlt wurde die Gefahr, in der der Heilige/der anonyme Autor/die Gemeinde stand, die Repression des Glaubens, der Synkretismus des Götterglaubens, die griechisch-römischen, heidnischen, doketistischen und gnostischen und judäischen Sitten und Gebräuche – aber entscheidend und sakramental wirksam sollte  die geschenkte Gnade, die Botschaft der Vergebung, die Wiedergeburt aus dem Glauben werden.  Die Relevanz der zu gewinnenden Hoffnung, die Relevanz der sakramentalen Sinn- und Lebensordnung, die Relevanz der Sinnidee, sie sollte unmittelbar gegenwärtig gesetzt und  im Gegensatz zur übrigen Kultur und Welt sichtbar werden. So entstand die Notwendigkeit einer neuen Sinn-Ordnung inklusiv Weihe-Ämter – aber nicht konstitutionell, begriffslogisch und metaphysisch für ewige Zeiten festgeschrieben! 
Danke diesen Generationen für ihren Glaubensmut und diese Zeugnisse!  

Dass irgendwie verfassungsmäßige und juridische und soziologische Wissensstrukturen folgen mussten – das liegt praktisch-logisch in der Vernunftform der Realisierung einer interpersonalen Gemeinschaft – und ist irgendwie auch zu verstehen, aber bedarf deshalb ständiger philosophischer Kritik und eines ständigen BegrĂĽndungsrekurses auf den wahren Geltungsgrund.

In der genetischen Erkenntnis kommen sittliche Wertung und  menschlicher und göttlicher Wille in spezifischer Weise egologischen Wissens und zukünftigen Handelns in Synthese zusammen: Diese Synthese ist , wie andernorts schon ausgeführt, Anfang, Liebe, Wert, ist „Wille der Vernunft zur Vernunft“1 .

3) Der höchste Wert der Liebe leuchtete für die Christen dieser Zeit in der positiven Offenbarung JESU CHRISTI auf. Dieser Wert ist seiner Pertinenz nach ein Sollen, aber im Gegensatz zu anderen Werten hat er  unbedingten Charakter, d. h. er ist gänzlich aus sich selbst und wegen seiner selbst. Seine Hoheit, seine unbedingte Selbstrechtfertigung beinhaltet in eins seine vollkommene Erfüllung, seine Herrlichkeit.
Seine spezifische Evidenz, seine Sazienz, ist keine faktische, wie bei anderen Werten, sondern eine genetische: Der sittliche Wert ist unmittelbar „als wahr bewußt. in seiner Herrlichkeit und Hoheit“.
2

Man liest in historisierender Literatur, dass mit der SchlieĂźung der Tempel die arbeitslos gewordenen „Priester“ eine Anstellung brauchten u. a. m., deshalb sei leider alles patriarchalisch ĂĽberfrachtet worden. Das sind aber nur historische Vermutungen, historische  Kompilationen.
Im 2.  Jhd. ging es m. E.  nicht um diese Postenfrage der heidnisch gewesenen Kultpriester oder um eine Männerfrage, sondern um die
Einheit und Eintracht und die Genesis fortlaufender Erkenntnis von positiver Offenbarung, d. h. um die Kontinuität der in JESUS CHRISTUS sichtbar erfahrenen Liebe. Deshalb meine höchste Achtung dieser Texte mit diesem hermeneutischen Hintergrund.  

In ähnlicher Weise wie bei IGNATIUS  finde ich beim Hl. IRENĂ„US von Lyon (ca. 135 – 200 n. Chr.) diese neue, sakramentale Weltsicht – formuliert aus einem geschichtsphilosophischen Denken heraus. Er pochte auf die apostolische Sukzession im Unterschied zur Gnosis u. a. Häresien.  Er nannte es  „ordo traditionis“, „Sukzession“,  apostolische BegrĂĽndung etc., weil er intuitiv eine transzendentale Konstitution der Zeit im Bewusstsein kannte und damit verbunden einen qualitativen Wert an Einsicht veranschlagen konnte. Der Geltungsgrund war ihm klar, so kam er zu einer Art apriorisch-geschichtlichen Schriftauslegung und zu einem figuralen Denken von „Kirche“ in zeitlicher Erscheinung. Die „figurale“ Erscheinung ist die gleiche Wesenheit der Kirche in allen Teilkirchen des damals bekannten Erdkreises geworden. (Siehe Blog von mir zu Irenäus).  

© Franz Strasser
21. 8. 2024
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WeiterfĂĽhrende Literatur zur philosophischen BegrĂĽndung von Zeit und Geschichte:
Reinhard Lauth, Die Konstitution der Zeit im Bewusstseins. MĂĽnchen 1981

Literatur zur Geschichte der „Männlichkeit:

Radiosendung: Ă–1 8. 1. 2021 Radiokolleg – Krise der Männlichkeit? Die Suche nach einer neuen Maskulinität (1). Gestaltung: Johannes Gelich

Klaus Theweleit: Männerphantasien, 2. überarbeitete Auflage; Matthes & Seitz Berlin, 2019

Wolfgang Schmale: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450-2000), Böhlau Verlag, 2003

Dasa Szekely: Das Schweigen der Männer: Warum der Mann in der größten Krise seines Bestehens ist und wie er wieder herauskommt, Blanvalet Verlag, 2016

Paul Scheibelhofer: Der fremd-gemachte Mann: Zur Konstruktion von Männlichkeiten im Migrationskontext, Springer VS, 2018

Paul Scheibelhofer in: Jens Luedtke (Herausgeber): Die soziale Konstruktion von Männlichkeit: Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland, Budrich, 2008

Bernhard Heinzlmaier: Performer, Styler, Egoisten: Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben, Archiv der Jugendkulturen, 2013

Anil Altintas in Blu Doppe (Herausgeber), Daniel Holtermann (Herausgeber): Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern: Kritische Reflexionen von Männlichkeiten, Unrast Verlag, 2021

Harald Werneck: Ăśbergang zur Vaterschaft: Auf der Suche nach den „Neuen Vätern“, Springer, 2013

Stefan Krammer: Fiktionen des Männlichen: Männlichkeitsforschung in der Literaturwissenschaft, Facultas, 2018

Susanne Kaiser: Politische Männlichkeit: Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen, Edition suhrkamp, 2020

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1R. Lauth, Ethik, in ihrer Grundlage aus Prinzipien entfaltet. Stuttgart-sserlin-Köln-Mainz 1969, S. 34.

2R. Lauth, Ethik, ebd. S 37.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser