Zur genetischen Erkenntnis bei IRENÄUS von LYON.

Der Hl. IRENÄUS ist sicherlich einer der ganz großen Theologen der Kirchengeschichte, weil er, so will ich sagen, eine exzellente Theorie der Zeit und Geschichte hatte. Er war, so könnte ich auch sagen, ein Transzendentalphilosoph ersten Ranges, weil er im Bewusstsein nachvollziehbar und konstituiert die Vernunftidee von Zeit und Geschichte und Raumanschauungen und anderer Akte des Geistes darlegen konnte. (Ähnlich dann auch AUGUSTINUS in „civitate dei“)  Natürlich ist diese Theorie zur Zeit und Geschichts schon in der Hl. Schrift grundgelegt, denken wir an die vielen Geschichtsbücher und Geschichtsdeutungen dort, oder selbst Propheten geben immer eine Kommentar zur Zeit- und Geschichtserfahrung. Schließlich denkt JESUS selbst in zeitlichen und geschichtlichen Kategorien, wenn er von der Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit des Reiches Gottes spricht. Es ginge dann weiter in den Paulusbriefen bis zur Offenbarung des Johannes. 

Der Hl. IRENÄUS reflektierte sozusagen mit philosophischen Mitteln die Zeit- und Geschichtsvorstellungen der Hl. Schrift – und vermochte sie neu zu systematisieren und deduktiv-notwendig aus der Idee Gottes und seiner Vergeschichtlichung und Inkarnation abzuleiten. Wer ein System kennt, kennt eine Grundbestimmung – und daraus ableitbar sind die Weiterbestimmungen und generell eine systematische Anwendung. So kommt der Hl. Irenäus zu einer Geschichtsphilosophie aus systematischen Vernunftgründen. 

Ich nenne diese Geschichtsphilosophie aus einer genetische Erkenntnis geboren, weil die Zeit- und Raum- und Kirchenanschauung objektivierend aus der intuitiv und intelligierenden eingesehene Erkenntnis, voluntativ-intellektiv, hervorgehen.   Das bringt Irenäus einen  gegenüber den Fabeleien der Gnostiker  weit  hinausgehenden Überblick, weil er Zeit und Raum, Anfang und Schöpfung, Verlauf der Geschichte und Ende der Zeit, in einer faktisch bei Gott  beginnenden und endenden Genesis sehen kann, d. h. bei Gott nach einem Weltplan alles vor-geordnet sieht.  
In neuerer, transzendentalphilosophischer Terminologie ausgedrückt: Alle  Zeit- und Raumanschauung geht von einer existentiellen Gegenwart  und einer präsentischen Mitte aus, d. h. von einer pertinenten Sinnidee, die Irenäus in Jesus Christus gefunden (hat) und erfüllt sah – und genetisch bei Gott beginnt und bei Gott endet.
Irenäus vermag a) eine Charakteristik seines eigenen Zeitalters, als auch b) einen ganzen Geschichts- und Heilsplan der Weltgeschichte und Kirchengeschichte zu bieten – ohne in spekulative, unbegründete Mythen zu verfallen.   

1) Eingangs möchte  ich einen beliebigen Auszug bringen – hier z. B. aus dem 3. Buch „Gegen die Häretiker“, nur um etwas  in sein Denken hineinzukommen: Es ist ein längeres Zitat, um die Kraft seiner Argumentation zu spüren.  Ich zitiere entweder aus der dankenswerter Weise im Internet zugänglichen „Bibliothek der Kirchenväter“ oder aus der Übersetzung von Norbert Brox, die ich tlw. besser finde, oder aus Zitaten von Monographien wie Bernard Sesboüe oder Norbert Brox. 1Wörtliche Texte von IRENÄUS hebe ich rot hervor.

Buch III „Gegen die Häretiker“: Es geht bei ihm  um den Traditionsbeweis, den „ordo traditionis“. Was kann man darunter verstehen? 


3, 1:
Die Apostel sind im Vollbesitz der Wahrheit; III, 2: Die Schrift und Tradition werden (von den Gnostikern) ignoriert, (…) So stehen sie also weder auf dem Boden der Schrift, noch der Tradition.“

III, 2, 3. Gegen solche Leute haben wir zu kämpfen, bester Freund. Glatt wie die Schlangen suchen sie nach allen Seiten zu entwischen. Deshalb muss man ihnen auch von allen Seiten entgegentreten. Vielleicht können wir den einen oder anderen von ihnen durch Abweisung doch verunsichern und dazu bringen, sich zur Wahrheit zu bekehren. Auch wenn es nicht leicht gelingt, dass eine im Irrtum befangene Seele wieder zur Vernunft kommt“, so ist es doch nicht völlig unmöglich, dem Irrtum zu entkommen, wenn man die Wahrheit daneben hält. 

3,1. Darum ist die Tradition der Apostel auf der ganzen Welt offenkundig. Alle Menschen, die die Wahrheit sehen wollen, können sie sich in jeder Kirche anschauen. Und wir können die Bischöfe aufzählen, die von den Aposteln in den einzelnen Kirchen eingesetzt wurden, und deren Nachfolger bis in unsere Zeit. Sie haben solche Lehren und Erkenntnisse, wie sie von diesen Leuten gefaselt werden, nie verbreitet. Hätten die Apostel nämlich von verborgenen Mysterien gewusst, die sie abgeschirmt vor den anderen und heimlich nur den Vollkommenen mitteilten, dann hätten sie sie doch an erster Stelle denen überliefert, denen sie sogar die Kirchen anvertrauten. Absolut vollkommen und tadellos (vgl. 1 Tim 3,2) in allem sollten nach ihrem Willen diejenigen sein, die sie auch als Nachfolger hinterlassen wollten, indem sie ihnen ihren eigenen Auftrag zur Lehre übertragen würden, denn ihre tadellose Amtsführung würde sich sehr nützlich auswirken, ihr Versagen aber höchst katastrophal sein. Die Kirchen in Rom und Asien als prominente Beispiele für den apostolischen Ursprung; die römische Bischofsliste als Beweis; die Apostelschüler als Garanten der apostolischen Predigt (3,2-4,1) 

3,2. Aber weil es viel zu weit führen würde, in einem Buch wie diesem die Aufeinanderfolgen (der Bischöfe) sämtlicher Kirchen aufzuzählen, gebe ich die von den Aposteln stammende Tradition und den für die Menschen gepredigten Glauben (vgl. Röm 1,8) nur am Beispiel der besonders großen und besonders alten und aller Welt bekannten, von den beiden hochberühmten Aposteln Petrus und Paulus in Rom gegründeten und organisierten Kirche an, wie sie durch die Aufeinanderfolgen der Bischöfe auf uns gekommen ist. Damit bringen wir alle in Verlegenheit, die auf jede nur erdenkliche Art und Weise, selbstgefällig, in eitler Prahlerei beziehungsweise in Blindheit und übler Absicht abwegige Zirkel gründen. Denn mit dieser Kirche muss ihrer besonderen Gründungsautorität wegen jede andere Kirche übereinstimmen, das heißt die Gläubigen ringsum. In ihr ist von den Gläubigen ringsum die Tradition, die auf die Apostel zurückgeht, allezeit aufbewahrt worden

3,3. Als die seligen Apostel die Kirche also gegründet und erbaut hatten, legten sie dem Linus das Amt des Bischofs zur Leitung der Kirche in die Hände. Das ist der Linus, den Paulus in seinen Briefen an Timotheus erwähnt (vgl. 2 Tim 4,21). Sein Nachfolger war Anenkletos. Nach ihm bekam Clemens, von den Aposteln aus gezählt an dritter Stelle, das Bischofsamt. Er hatte noch die seligen Apostel gesehen und Kontakte zu ihnen gehabt: Er hatte die Predigt der Apostel noch in den Ohren und die Überlieferung vor Augen; übrigens nicht er allein, es gab damals noch viele, die von den Aposteln belehrt worden waren. – Zur Zeit dieses Clemens kam es nun zu einer schweren Kontroverse unter den Brüdern in Korinth. Da schrieb die Kirche in Rom den Korinthern einen ganz bedeutenden Brief, um sie in Frieden auszusöhnen, ihren Glauben zu erneuern und die Überlieferung zu verkünden, die sie unlängst von den Aposteln empfangen hatte: dass es einen Gott gibt, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde (vgl. Gen 1,1), den Bildner des Menschen (vgl. Gen 2,7), der die Sintflut kommen ließ (vgl. Gen 6, 17) und Abraham berief (vgl. Gen 12, 1), der sein Volk aus dem Land Ägypten herausführte (vgl. Ex 3, 10), mit Mose gesprochen hat (vgl. Ex 3, 4 f), das Gesetz gab (vgl. Ex 20, 1f) und die Propheten sandte (vgl. Jes 6, 8; Jer 1,7; Ez 2,3), der dem Teufel und seinen Engeln das Feuer bereitet hat (vgl. Mt 25, 41), dass dieser Gott von den Kirchen als der Vater unseres Herrn Jesus Christus verkündigt wird, kann gerade aus diesem Schreiben jeder, der will, entnehmen und kann es als apostolische Überlieferung der Kirche erkennen, denn der Brief ist älter als diese Leute, die jetzt falsche Lehren in die Welt setzen und sich einen anderen Gott oberhalb des Weltbildners und des Schöpfers aller hiesigen Dinge ausdenken. – Auf diesen Clemens folgte Evaristus, auf Evaristus Alexander; dann war als sechster seit den Aposteln Sixtus im Amt, nach ihm Telesphorus, der auch ein sehr ruhmvolles Martyrium erlitt; dann Hyginus, dann Pius, nach diesem Aniket; nachdem auf Aniket Soter folgte, hat derzeit an zwölfter Stelle seit den Aposteln Eleutheros das Bischofsamt inne. Das ist die Ordnung und das die Sukzes- sion, in der die Überlieferung in der Kirche, die von den Aposteln herkommt, und die Verkündigung der Wahrheit auf uns gekommen sind. Und das ist der schlagendste Beweis dafür, dass es ein und derselbe lebenspendende Glaube ist, der in der Kirche seit der Zeit der Apostel bis heute aufbewahrt und in Wahrheit überliefert worden ist. 

3,4. Auch Polykarp wurde von den Aposteln nicht nur unterrichtet und hatte nicht nur mit vielen Umgang, die den Herrn noch gesehen hatten, sondern er ist auch von den Aposteln in der Kirche von Smyrna als Bischof für Asien eingesetzt worden. Ich habe ihn sogar selbst in meiner frühen Jugend noch gesehen; er lebte nämlich sehr lange und schied erst in hohem Alter als strahlender Märtyrer ruhmvoll aus dem Leben. Ständig lehrte er, was er bei den Aposteln gelernt hatte und was die Kirche überliefert, denn das allein ist die Wahrheit. Das bezeugen alle Kirchen Asiens und die Nachfolger Polykarps bis heute. Er war ein bei weitem glaubwürdigerer und zuverlässigerer Zeuge der Wahrheit als Valentin, Markion und alle anderen Leute mit ihren perversen Ansichten. Zu Anikets Zeit war er auch (….)“ 2

Es ist für mich sagenhaft, wie scharfsinnig IRENÄUS eine bloße Begriffsideologie der Gnostiker zurückweist (Deren Theorien sind mehr als skurill und langatmig – siehe  z. B. bereits im 1. Buch zu den verschiedenen „Schulen“ und Vertretern der Gnostik.)3

2) Im ersten Eindruck des Lesens meinte ich, IRENÄUS bietet eine Art chronologische  Aufzählung von Personen und Daten, die additiv  miteinander verbunden sind: Von der Schöpfung über die Patriarchen, Mose, die Propheten, bis zu JESUS selbst. Dann folgt eine Aufzählung weiterer historischer Fakten: Die Apostel, die  Märtyrer, er selbst in dieser Reihe der Zeugen. Eine aufgezählte Reihenfolge der Fakten ist aber theoretisch gar nicht möglich, wenn man nicht transzendental die apriorischen Bedingungen dazu bedenkt: Immer fließen über die historischen Fakten (Data) hinaus Deutungsmuster und Deutungs-Begriffe mitein. Eine bloße Aufzählung der Fakten ergäbe noch keinen Zusammenhang, nur eine vollkommene Zerstreuung.
Irenäus hingegen reflektiert ausdrücklich die Konstitutionsbedingungen des Zeit-  und Geschichtsbewusstsein, denn er kommt zu dem wertvollen Begriff eines „ordo traditionis“ und einer apostolischen „successio“.

Anders gesagt: Irenäus liest den Zeitverlauf und die Geschichte nach einem apriorischen Vernunftplan und Weltplan und  nach inneren Evidenzkriterien der Vernunft. Er erreicht so eine größtmögliche Freiheit sowohl für den individuell Glaubenden, wie für ein ganzes Kollektiv von „Volk Gottes“, sich die Erlösung und Vergebung in JESUS CHRISTUS präsentisch  zuzurechnen.

Anders gesagt: Er erreicht eine individuelle wie universelle, gemeinschaftliche  Präsenz der Erlösung, eine von allen für alle zu jeder Zeit zugängliche Sinnidee – durch Rückbezug auf positive Offenbarung, durch inspiriertes Lesen der Hl. Schrift, durch den Glauben an den Heiligen Geist, der diese apriorische und positive Offenbarung trägt und weiterführt. 

Von Adam und Eva über den Sündenfall, über die Gestalten des Ersten Testamentes bis zu Jesus und die Apostel und zu ihm selbst wird ein Bogen einer apriorischen Vernunftidee und einer positiven Erlösungsidee gespannt:  

Die Zeit ist nicht ein unendlicher Behälter, wie KANT richtig sagte, in dem alles hineingestellt werden kann ohne Reflexion – eine Art  Chronologiebehälter der historischen Daten; sie ist aber auch nichts Vergangenes,  ein einmal Gewesenes  und wir stehen sozusagen  außerhalb ihrer, in einer  uns nicht mehr berührenden Wirksamkeit. Wir sind vielmehr von der Zeit und Geschichte zutiefst bestimmt  und stehen in einem  individuellen und gemeinschaftlich-gesellschaftlichen  Zusammenhang,  in einem „ordo traditionis“, wie er sagt, in einem integralen Ganzen von Erinnerung, Gegenwart und unendlicher Zukunft.  

Irenäus gewinnt seine vernunftgemäße Geschichtsidee vor allem im Gegensatz und in Absetzung zu den Spekulationen der „Gnostikern“. (So hatte diese Gegnerschaft sozusagen einen negativen Nutzen). Die in der gnostischen Literatur aufgezählten, unendlichen Listen von Personen und Mythen und Spekulationen  – sie wollen und müssen  bewusst ihre Ursprünge und die Herkunft ihrer Geistesgehalte verschleiern  und verbergen. So, nach dem Urteil des Irenäus, verfallen sie aber in tiefe Unkenntnis und verstricken sich in viele Pseudo-Erkenntnisse und viele Widersprüchlichkeiten und moralische Bedenklichkeiten.  (Man lese z. B. nur im 1. Buch, wie die Gnostiker gerne die reichen Frauen verführen. Direkt amüsant zu lesen! Bsp. gefällig? – siehe z. B.  Buch I, 13, 3 – Link I, 13, 3

IRENÄUS war hoch gebildet in der Hl. Schrift und in der Philosophie. Er erkannte intuitiv und reflexiv die Bedeutung einer Zeit- und Geschichts- und Sinnevidenz, nochmals differenzierbar in Verstandes- und Vernunftevidenz. Zeit und Geschichte (und Raum) sind transzendental zu denkende, notwendige Wissbarkeitsbedingungen, „Anschauungsformen“ (Kant) oder „Empfindungsformen“ (Fichte), die in jeder Erkenntnis bedingend miteinfließen.  Sie werden im Bewusstsein gebildet,  entstehen durch ein individuelles und interpersonales  und mediales Aufforderungsverhältnis, können durch Begriffe in Epochen oder Typen zusammengestellt werden, und werden vollendet dargestellt in einer materialen intellektuellen Anschauung oder apriorischen Sinnidee.  

Ich bin mir hier noch nicht sicher: Von der linearen Zeitvorstellungen – kann zu einer vieldimensionalen, figurativen  Raumvorstellung übergegangen werden, die wiederum zuerst eine interpersonale Figuration meint?!
Weil wir zeitlich und personal aus  einem Aufforderungs-Antwort-Verhältnis  hervorgehen, konstruieren wir das Verhältnis zeitlich und interpersonal nach.
Wie es Irenäus gelingt, die göttliche Wahrheit in zeitlichen Zusammenhängen zu entdecken, so ebenfalls in situativ-interpersonalen und „räumlichen“ Verhältnissen.  Die Gnosis ist ihm hier wiederum der richtige Widerpart.
4

Die spezifisch  typologische  und kirchliche Schriftauslegung und existenzrelevante Zeit- und Raumauffassung, wie wir sie in der Hl. Schrift finden oder beim Hl. Irenäus, muss explizit im Wissen präsent und lokalisierbar sein, wie eben Transzendentalphilosophie verlangt, dass nichts gesetzt sein kann, was nicht im Selbstbewusstsein gesetzt ist.

3) KANT hat bekanntlich Zeit- und Raumanschauungen als Formen a priori beschrieben. Wie sie aber nochmals abgeleitet werden aus der Einheit der Reflexion, wie sie untereinander zusammengehören und durch Begriffe bestimmt werden  – das  möchte ich nur zur Explikation des typologischen und ekklesiologischen Denkens des Hl. Irenäus kurz bringen nach J. G. Fichte: Die Zeit kann nicht wahrgenommen werden wie eine Sinneswahrnehmung. Wir unterlegen sie vielmehr existentiell und projektiv jeder Wahrnehmung. (Zum genaueren Aufbau von Zeit und Wahrnehmung in der Einbildungskraft siehe  Blog, https://www.platonjgf.net/kategorien-des-zeitlichen-und-schweben-der-einbildungskraft/

Die Bestimmung eines zeitlichen Moments, jetzt empfinde ich rot und dann hart, dann grün, und die Reihenfolge in einer geordneten Nachfolgereihe, das  legen wir mit Bewusstsein in die Vorstellung hinein und liegt nicht in den Empfindungen selbst.
Zeit ist primär Existenzsetzung – und Linienziehen. Auf dieser Linie kann nur eine Stelle als primär existent und als Gegenwart ausgezeichnet werden, wenn Bewusstsein sein soll. Durch Reflexion erweitert sich die Gegenwart zu Ex-Existenzsetzungen in die Vergangenheit und In-Existenzsetzungen in der Zukunft. Alle Setzungen untereinander und miteinander ergeben ein System von Zeitsetzungen im Bewusstsein, die beständig in neuer Generierung von Systemen von Zeitsystemen in dynamischer Weise übergehen.

Die Möglichkeit des Begreifens von Zeit und ganz allgemein von einem Werden in der Anschauung verlangen des weiteren Begriffe. Es sind Begriffe des Nacheinanders und Miteinanders und natürlich eines gewissen Inhaltes, der als solche durch den Verstand gesetzt ist,  und nicht als historisches post hoc und nächstes und übernächstes post hoc von selbst sich einstellt.
Es geschieht im Geiste  ein immerwährendes Konstruieren der Zeit und des Raumes (figurativ) nach einer übergeordneten Sinnidee genetischer Erkenntnis. 

Wenn eine Setzung in der Gegenwart zu einer anderen in der Vergangenheit und zur Zukunft möglich sein soll, so verlangt das eine ständige Relationierung in und aus einer substantiellen Einheit des Ichs. Diese Einheit oder Identität eines Ichs ist
a) für sich nochmals eine Disjunktionseinheit in und aus einem absoluten Aufruf. 
b) In
jedem konkreten Fall einer Reflexion und Rückbezüglichkeit  auf der faktischen Ebene des Bewusstseins geschieht  einzeln und interpersonal und medial eine Zeit- und Geschichtskonzeption, ein Raum- und Interpersonalkonstellation.  

Für den Raum müsste das deutlicher ausgeführt werden –  hier für die Zeit: Wir erzeugen nicht nur linear eine gerade Linie von Punkten der Zeitanschauung, sondern durch Verstand und Reflexionsideen kommt es zu einem Hin- und Hergehen auf dieser Linie der Zeitanschauung. Es kommt zum Begreifen des Schwebens der ursprünglich produzierenden Einbildungskraft und zu einer fixierten Anschauung mittels Verstand und praktischen Reflexionsformen – bis eine befriedigende Vorstellung der Anschauung erreicht ist.

Nicht absolut beliebig wird die Vergangenheit entworfen, sondern aus einer bestimmten, ebenfalls nicht beliebig gedeuteten Gegenwart bekommt jedes Ereignis der Vergangenheit (bzw. eine Inexistenz der Zukunft) einen bestimmten Sinn und einen unverwechselbaren Vorgänger oder Nachfolger. Wir greifen einen Zeitpunkt durch Abstraktion mit einer bestimmten Wertbestimmung heraus, setzen in mehr oder minder existenzrelevant zur Gegenwart in Beziehung, und ein „ordo traditionis“ mit einer unverwechselbaren Reihe entsteht. 
Die Gnostiker können das nicht, weil sie keine übergeordnete Sinnidee kennen  – siehe Zitat oben:
3, 2 „(…) So stehen sie also weder auf dem Boden der Schrift, noch der Tradition.“5

Wir setzen existenzrelevant unsere Gegenwart zweimal an: einmal a) als ständige Gegenwart, und b) als das, was existentiell in dieser Gegenwart gilt und gelten soll.

Der Hl. IRENÄUS vermag durch seinen Glauben an die positive Offenbarung eine bestimmte, existenrelevante Gegenwart und Geschichtsreihe aufzubauen. Er beweist Geschichtsbewusstsein und geschichtliches Evidenzbewusstsein – und kann das in der Bibel wiederfinden und dort sehr vielfältig exegetisieren! Er spricht nicht von äonenmäßigen oder biologischen  Genealogien (wie die Gnosis), sondern von geistigen Zusammenhängen eines „ordo traditionis“ .6

Wenn wir Zeit und Zeitanschauung und ein Werden bewusst einsehen und verstehen möchten, wozu auch räumliches Linienziehen und Aufbau eines flächenmäßigen  und interpersonalen Zugleichs gehört, so ist es transzendental analysiert zuerst ein inneres Übergehen in der Seele. Das wird dann projiziert auf das Äußere eines Ablaufes und einer äußeren Raumanschauung. 
Es entsteht ein Nexus von maximal Unterschiedenen und minimal ineinander übergehenden Setzungen in einer  Unschärferelation wechselnder Zeitmomente. Durch Verstandesbegriffe und Reflexionsbegriffe kommt es schließlich zu einem
einsinnigen Verwechseln und zu typologischen und endgültigen Sinnideen. 

4) IRENÄUS wirft den Gnostikern des öfteren Blindheit vor, weil sie weder die analogen Vergleiche in der Natur, noch die heiligen Schriften richtig anschauen und lesen, sprich im transzendentalen Wissen erklären und darstellen können. 7

Anders gesagt: Der Heilige argumentiert mittels begriffener Anschauung von Zeit und Geschichte und figürlichem, interpersonalem Raum, sodass ihm ein „ordo“, ein Ordinationsgefüge gelingt.  8

Direkt genüsslich, wenn ich so sagen darf, erstellt IRENÄUS immer wieder Sukzessionsreihen, sei es eine Geschichte in der alttestamentlichen Bibel, oder sei es die neutestamentliche Geschichte oder die jüngere Kirchengeschichte – durch den  Zielpunkt (Fokus) einer vorweggenommenen Vollendung in der Person JESU CHRISTI. Dessen genetische Erkenntnis wiederum führt zum Bild eines dreifaltigen Gottes und zum Wirken des HEILIGEN GEISTES. 

In diesem Ordinationsgefüge von Zeit und Raum und Topos einer Sinnidee und Erlösung kann er z. B. die „successio“ der Päpste transparent und öffentlich wirksam darlegen, a) dem Denken nach und b) weil er selbst in Rom gewesen ist und sich durch die Erzählungen ein Bild machen konnte. (Siehe als Beispiel das längere Zitat oben III, 3, 3 u. v. a.) Wie immer historisch-kritisch genau diese Reihe beurteilt werden mag, es wird nach einem apriorischen Vernunftplan verfahren. Eine bloße, neutrale Chronologie gibt es nicht, sondern Zeit und Geschichte (und Raum) sind mittels Reflexionsideen und höchster Begriffe und Vernunftideen konzipiert.

5) Der Vorgang des einsinnigen Verwechselns, Umschlagens, Verbindens von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft,  ist ein Vorgang der Generierung, ist „genetische“ Erkenntnis. Damit ist nicht nur ein formales Übergehen und Verwechseln gemeint, sondern wesentlich ein intentionales und praktisches Wollen und Sich-Bestimmen und Bestimmtwerden  im Zeit-Fluss des werdenden Ichs. 

Im Konkreten wird die Wahrheit behauptet und eingesehen und  intentional und sittlich-praktisch bestimmt. Würde die Wahrheit verleugnet, so führt das zu einem   performativen Selbstwiderspruch in den Voraussetzungen der Behauptungen. 
Wir könnten z. B. aus historischem Interesse uns beschäftigen mit der Geschichte Roms: Gründung 753 v. Chr., Untergang Roms 476 n. Chr., usw… Dazu braucht man  gewisse Kriterien und Parameter, die mehr oder
weniger relevant sind.  Will man hingegen nach einer absolut sinnstiftenden Zeitbestimmung Ausschau halten, so schaut die Rückbezüglichkeit  anders aus als bei einem nur mythologischen Datum der Gründung Roms.  Die Rückbeziehung wird in relevanten Fällen eine pertinente Sinnidee. 

Anders gesagt: Ein Verbinden und einsinniges Verwechseln von Zeit-Momenten verläuft in grundsätzlich zweierlei Weise: In einer Implikations-und in einer Appositionsordnung, weiterführbar in einer Zeit- und Geschichtsreihe und figurativ-räumlich in einer interleiblichen-interpersonalen Gemeinschaft.
Wir bedürfen für unser Reflektieren und Denken stets beider Ordnungen: Das Blatt fällt vom Baum zu Boden, weil die Ordnung der Schwerkraft gilt – eine Implikationsordnung; das Fallen des Blattes beschreiben wir aber appositionell in der Zeit, langsam zu Boden fallend und in räumlichen Vorstellungen des Fallens von oben nach unten.

Es gibt notwendige und fakultative Bestimmungen eines Seienden. Mit dem Begriff „Dreieck“ ist notwendig die Winkelsumme von 180 Grad festgestellt; fakultativ kann es ein spitzwinkeliges oder stumpfwinkeliges Dreieck sein. Eine appositionelle Reihe und Folge muss  zur Implikationsordnung erst frei erzeugt werden und ist nicht von selbst fakultativ schon vorgegeben. Sie muss aber erzeugt werden, soll die implikative Reihe selber bestimmbar sein. 

IRENÄUS geht so vor, dass er eine appositionelle Reihe des Geschichtsverlaufes erstellt, weil er zugleich von einer implikationslogischen Grundbestimmung der Heils-Ordnung ausgeht, einer „Heilsökonomie“. Er kennt in seiner genetischen Erkenntnis von Rettung, Erlösung, sittlicher Wertung einen Geltungsgrund – und weiß sich durch die gleiche Geltungsform „Vernunft“ verbunden mit allen vor und nach ihm lebenden Glaubenden, die ebenfalls zu dieser genetischen Erkenntnis in Teilen (appositionell) schon übergegangen sind. Die Vernunftform ist zeitlose Geltungsform aller Vernunftwesen. Die Objektivierungen der genetischen  (nicht irgendeiner)  Erkenntnis sind deren sinnrelevante (oder nicht relevante) faktischen Bedingungen, in denen auf den absoluten Geltungsgrund Bezug genommen wird.  Die Richtung und der ganze Raum der Welt und der interpersonalen Gemeinschaft, die Zielbestimmung der Zeit und das erwartete Eschaton einer vollendeten Erfüllung, das eröffnet das Zeitbild eines Werdensdas nicht bloß chronologische Zeit ist, sondern gedeutete „traditio“ und „sucessio“.

6) Eine nur zeitliche Linie einer freien Entscheidungsreihe wäre eine bloße Abstraktion, losgelöst vom Ganzen interpersonaler und medialer Ausdrucksformen des Geistes.  Damit eine zeitliche Linie und eine pertinente Sinnidee als herausgehobener Bestimmungsgrund der existentiellen Gegenwart entsteht, kommt notwendig eine figurative Vermannigfaltigung und Distribution dazu, eine Darstellung der individuellen Geschichte in einer interpersonalen Geschichte und Gemeinschaft.

Wie lässt sich eine geistige Objektivierung und eine existentielle Sinnidee  zeitlich und figurativ darstellen? 

Nur durch ein anderes Dasein: durch ein Zeichen, ein Symbol, das zusätzlich mit Hilfe von Begriffen als stellvertretend für das gemeinte ursprüngliche Dasein gedeutet wird. 

Anders gesagt: Durch ein abbildliches Repräsentationsverhältnis, durch ein  Bildverhältnis des Bildes vom wahren Sein.

Für IRENÄUS ist dieser Ort der Repräsentation eindeutig und klar: Es ist das „systema“ (lat. status) einer „Kirche“.  

Eine vernünftige Auslegung sowohl der göttlichen Heilsökonomie wie der zeitlichen und figurativen Objektivierung der genetischen Erkenntnis führt notwendig zu einem ekklesiologischen Denken, das sich deduktiv in allen Bestimmungen durchhält. Weder die Kirchen, die in Germanien errichtet sind, haben einen anderen Glauben oder eine andere Überlieferung noch die in Iberien oder bei den Kelten, auch nicht die im Orient, in Ägypten, in Libyen und die, die in der Mitte der Welt errichtet sind. (…) Und auch der Wortgewaltigste unter den Kirchenvorstehern wird nichts anderes als dies sagen …(…) Die ganze wahre Kirche besitzt über die ganze Welt hin ein und denselben Glauben, wie wir gesagt haben.“9

Die Kirche ist  Repräsentation und Raum  der genetischen Erkenntnis, Erkenntnis des einen, lebendigen Gottes in seinem Sohn, kraft des Heiligen Geistes in einer zeitlichen und figurativen, interpersonalen  Dimensionierung. 

Das „System“ Kirche  ist „anakephalaiosis“, Rekapitulierung der ganzen Heilsgeschichte, liturgischer Vollzug, Verkündigung von Sinn, Verkündigung von Satisfaktion und Restitution des Guten, Verkündigung von Auferstehung und  Überwindung des Todes. 10

Will der Mensch  geschichtlich etwas erkennen, einen Sinn finden, will er, mit einem Wort, genetisch voll und ganz erkennen, im weiteren Sinn vernünftig denken und wissen und handeln, so wird er von selbst und frei zu einer typologischen und  ekklesiologischen Form und Materie dieser genetischen Erkenntnis übergehen. Die „Kirche“ ist selbst das „Schweben“ zwischen zeitlich-geschichtlicher und figurativer Verkündigung. (Zur Notwendigkeit eines repräsentativen Vereinigungsvertrages – siehe z. B. Blog „Zur Priesterweihe der Frauen“, 6. Teil)  

Die Gnostiker sind nicht vernünftig, so sagt Irenäus, denn sie kennen weder das  durch die Einbildungskraft gebundene  Wissen – sie erfinden nur Geschichten -, noch ein verstandliches und vernünftiges freies Weiterbestimmen der  zeitlichen und figurativen  Anschauung. Sie vermögen  keine zusammenhängende Reihe in ihren mythologischen Geschichten aufzubauen, keinen Sinnzusammenhang und keine interpersonale Gemeinschaft. 11 Es fehlt ihnen das zeitlich-geschichtliche wie das interpesonal-ekklesiologische Vernunftprinzip.  

7) Es könnte diese transzendentale Wissens-Analyse im Werk bei IRENÄUS an vielen Stellen nachgewiesen werden. (Ich zitierte nur wenige in den Anmerkungen.) Jeder Begriff z. B. einer „Bewegung“ in der typologischen Schriftauslegung, oder jeder Begriff einer teleologischen Zweckordnung in der Heilsökonomie, jeder Begriff des „Organismus“ für das Symbol und Dasein der Kirche, sie sind allesamt transzendental-reflexive Vernunftideen, die die verstandlichen Analysen und historischen Einzeldaten zu einem zusammenhängenden System verarbeiten.12

Es gibt eine appositionelle Reihe, begründet durch die implikative Ordnung der göttlichen Heilsökonomie, und umgekehrt wird die implikative Ordnung erst durch die appositionelle Reihe verstanden und ausgelegt.13

Ein „Pneumatiker“ anerkennt nicht die implikative Begründung, kennt keine appositionelle Reihe, weiß nicht um die einfließenden Anschauungsformen, anerkennt nicht die begriffliche Vermittlung durch höchste Heils-Ideen (Sinnideen), und respektiert nicht die interpersonale und mediale und ekklesiologische Vermittlung des Wissens. So findet er nicht dir rechte Vernunftidee zur Schöpfung und zur Erlösung in der Vermittlung des Hl. Geistes. 

© Franz Strasser

Altheim, 8. 12. 2023

1Zur „Bibliothek der Kirchenväter“, siehe ebd. https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-1306/versions/gegen-die-haresien-bkv/divisions/409.

Monographien:
Bernward Sesboüe, Irenäus von Lyon: Mann der Kirche und Lehrer der Kirche. In: Johannes Arnold, Väter der Kirche. Ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit. Festgabe für Josef Sieben zum 70. Geburtstag, Paderborn, München u. a. 2004, S. 105 – 126.
Norbert Brox, Offenbarung, Gnosis und gnostischer Mythos bei Irenäus von Lyon. Salzburger Patristischer Studien, Salzburg u. München, 1966
.

2Übersetzung von Norbert Brox. In: Adversus haereses = Gegen die Häresien III (Fontes Christiani 1. Folge), 1995. S 29 – 35.

3Zur Darstellung der Gnosis in ihren Lehren und Argumentationen siehe in Sekundärliteratur, z. B. Norbert Brox, Offenbarung, Gnosis und gnostischer Mythos bei Irenäus von Lyon, a. a. O., Anm. 1.

4Bernward Sesboüe, Irenäus von Lyon: Mann der Kirche und Lehrer der Kirche. In: Johannes Arnold, Väter der Kirche. Ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit. Festgabe für Josef Sieben zum 70. Geburtstag, Paderborn, München u. a. 2004, S 107. „In der Auseinandersetzung mit den Gnostikern ist der entscheidende Punkt die Frage,  wo sich die Wahrheit befindet. Ist sie in den ‚Konventikeln‘ der Gnostiker, die eine  esoterische Überlieferung beanspruchen? Ist sie nicht vielmehr in den Kirchen, deren  bis zu den Aposteln zurückreichende Sukzession öffentlich bezeugt ist und deren  Oberhäupter den ordo traditionis hüten und ausgestattet sind mit dem „zuverlässigen  Charisma der Wahrheit“ ?

5B. Sesboüe: „Die Presbyter beziehungsweise die Episkopen sind par excellence die Hüter des ordo traditionis. Denn „zusammen mit der Sukzession im Bischofsamt empfingen sie das zuverlässige Charisma der Wahrheit, wie es dem Vater gefiel“. Sie bieten eine gesunde Lehre“ und stehen im Dienst der „unverdorbenen Reinheit des Wortes“. Sie verkünden eine „wahre Erkenntnis„, die die „Lehre der Apostel“ ausmacht.“ (ebd. S 109)

6 In der Kirche ist die Überlieferung immer wirksam: sie wird ununterbrochen aufgenommen und weitergegeben in einer zugleich passiven und aktiven Übermittlung. Eben diese Überlieferung hat ihren Ursprung bei den Aposteln, und ihre Übermittlung ist zuverlässig: Die Überlieferung … ist in den Kirchen gewahrt.“ Diese Überlieferung ist öffentlich und ohne weiteres erkennbar. Um sie zu garantieren, wird das Argument der legitimen Sukzession der Bischöfe geltend gemacht beginnend bei jenen, denen die Apostel selbst den Glauben übermittelten. Sie tritt also dem Anspruch jeder esoterischen, geheime Mysterien übermittelnden Überlieferung entgegen: (B. Sesboüe ebd. S 109)

So kann also die Überlieferung der Apostel, die auf der ganzen Welt offenkundig wurde, von denen, die die Wahrheit sehen wollen, in jeder Kirche wahrgenommen werden.“

Das ist die Abfolge und das die Sukzession, durch die die von den Aposteln an in der Kirche bestehende Überlieferung und die Verkündigung der Wahrheit bis zu uns gelangt sind. Und hier liegt ein ganz vollständiger Beweis dafür, dass es ein und derselbe lebenspendende Glaube ist, der in der Kirche seit der Zeit der Apostel bis zum jetzigen Zeitpunkt aufbewahrt und in der Wahrheit überliefert worden ist.“ (Zitate ebd., Hervorhebung von mir)

7 Der Konflikt mit den gnostischen Gegnern betrifft zugleich die Überlieferung und die heiligen Schriften. Aus ihrem Schatz wählen diese Leute das aus, was ihnen gefällt, wobei sie sich auf die Erleuchtungen einer geheimen Überlieferung berufen. Ihrem unberechtigten Anspruch setzt Irenäus noch einmal die allgemeine Kirche entgegen, gut sichtbar in ihren vielen Kirchen, deren einzige und zugleich vierfache Säule, auf der sie ruht, das Evangelium ist: (B. Sesboüe, ebd. S 110)

Da vier Regionen der Welt existieren, in der wir leben, und vier Hauptwinde, und da die Kirche auf der ganzen Erde verbreitet ist, Säule und Stütze der Kirche aber das Evangelium und der Geist des Lebens sind, ist es folgerichtig, dass sie (sc. die Kirche) vier Säulen hat, die von allen Seiten her Unvergänglichkeit atmen.“ (ebd.)

8Diese Überlieferung (der Apostel, der Kirche) ist eine ‚Ordnung‚, das heißt zugleich die ,Wahrheits-Regel‘, die im selben Abschnitt erwähnt ist. Ein Ausdruck, der in den Texten des Irenäus oft wiederkehrt; sie ist die Regel (kanon), die durch die Taufe empfangen“ wurde. Der Inhalt dieser Regel ist zunächst und vor allem das Glaubensbekenntnis. Setzt man den Extremfall voraus, dass die Apostel keine heiligen Schriften hinterlassen hätten, so müsste man „dem ordo traditionis folgen, welchen sie denen übergeben haben, denen sie die Kirchen anvertrauten“. (B. Sesboüe, ebd. S 109)

9Zitate siehe alle dort bei B. Sesboüe, S 107; Adversus haereses, I, 10, 2)

10Zum Begriff der „Anakephalaiosis“ siehe z. B. Norbert Brox, a. a. O. Anm. 1, ebd. S 186ff.

11(…) Für den wahren Gläubigen) wird jedes Wort (der Schriften) eine vollständig gesicherte Bedeutung haben, vorausgesetzt, er hat die Schriften bei den Presbytern innerhalb der Kirche aufmerksam gelesen, bei denen sich ja auch die apostolische Lehre findet …“ (zitiert nach B. Sesboüe, ebd. S 113)

Die Linie zu den Presbytern geht weiter bis zum geisterfüllten Schüler“, als den sich IRENÄUS selbst versteht.

12Die Kirche, geformt nach dem Bild der Dreieinigkeit Gottes, ist ein „ursprünglicher Organismus“ , der über die ganze Welt hin ausgebreitet ist. Die wahre Gnosis ist die Lehre der Apostel und das alte Lehrgebäude der Kirche für die ganze Welt. Den Leib Christi erkennt man an der Nachfolge der Bischöfe, denen die Apostel die gesamte Kirche übergeben haben. Hier sind die Schriften in treuer Überlieferung bewahrt; nichts ist hinzugetan, nichts ist fortgenommen. Hier werden sie unverfälscht verlesen und gesetzmäßig, sorgfältig, gefahrlos und gottesfürchtig erklärt. Hier ist vor allem das Geschenk der Liebe, das kostbarer ist als die Erkenntnis, ruhmvoller als die Prophetengabe, vortrefflicher als alle übrigen Charismen.“ (Buch IV, 33, 8)

13Die Apostel haben in ihr wie in einem reichen Vorratsraum alles in größter Vollständigkeit zusammengetragen, was zur Wahrheit gehört.“(Zitat bei B. Sesboüe, ebd. S 108)

Diesen Glauben, den wir von der Kirche empfangen haben, hüten wir, denn unter dem Wirken des Geistes Gottes ist er, als kostbares Gut in einem kostbaren Gefäß, immer jung und läßt auch das Gefäß, in dem er ist, wieder jung werden.“ (ebd.)

Die Kirche ist „Behälter, „neuer Schlauchder göttlichen Wahrheit, ist immer „jung“.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser