Transzendentalkritische Lektüre – Ignatius von Antiochen, oder die Priesterweihe von Frauen; 2. Teil

Dass es vor dem Hl. Ignatius eine größere Vielfalt der kirchlichen Ämter gab, darauf weisen uns die Exegeten gerne hin: die paulinischen Gründungen, der Jerusalemkreis, die Beschreibungen in den Pastoralbriefen, die johanneischen Gemeinden. Siehe z. B. Literatur bei Martin Ebner.
Da ist es doch bemerkenswert, aber auch rätselhaft,  warum sich in der Rezeption des 2. Jhd. und der weiteren Jahrhunderte diese Dreier-Form der Ämter durchgesetzt hat –  Bischofsamt, Priesteramt, Diakonenamt – und dann beschränkt auf das  männliche Geschlecht!? Welche Erkenntnisbemühung und Erkenntnisbegründung steckt dahinter? Wie lässt sich der Geltungsanspruch eines zu leistenden Gehorsams, die Hervorhebung einer kirchlichen Hierarchie, die Reglementierung von Sakramenten u. a. m. begründen und rechtfertigen? 
Sind die in letzter Zeit aufkommenden Fragen zu einer Priesterweihe für Frauen mit dem Hl. Ignatius/dem anonymen Autor 160/175 n. Chr. und anderer Literatur dieser Zeit absolut inkompatibel? Jahrtausendelang gab es offensichtlich in den christlichen Kirche keine Frauen als Priesterinnen, wie schwer fällt ein Umstellungsprozess? Wie groß wäre eine Befürwortung oder eine Ablehnung bei einer Abstimmung? Wie lange dauert es in unseren Affekten, bis ein lang eingelerntes und internalisiertes Verhalten geändert wird? Offensichtlich sind die vielen Formen von Gemeindeleitung und Repräsentation des  1. u. 2.  Jhd. n. Chr. untergegangen und die aufkommende Dreier-Struktur, wie hier in den Texten  des Hl. Ignatius/des anonymen Autors (160/175 n. Chr.),  hat sich durchgesetzt, dazu in nur männlichen Form.

Das alles historisch zu erklären, vielleicht diskurstheoretisch, vielleicht patriarchalisch, das akzeptiert heute niemand mehr und würde einer Begründung und Rechtfertigung nicht mehr genügen. Eine vernünftige Glaubensbegründung steht  dem entgegen, die eine sakramentale Überlieferung nicht,   aber eine   geschlechterdiskriminierende ablehnen wird. 

1) Für mich auffallend und fraglich: Ist die Rückbindung an Jesus Christus in den drei Ämtern, wobei nochmals das Bischofsamt hervorgehoben ist –  wenn man will, „monarchianisch“ bezeichenbar, wie R. M. Hübner sagt -,  eine bloß historische Begründungsform?  „Genetische“ Erkenntnis meint mehr: Es geht um eine fortlaufende Erkenntnis des Geltungsgrundes,  um eine fortlaufende Synthesis der Erzeugung  einer sittlichen Wertung aus Wollen und geschenkter Güte und egologischer Rekonstruktionsmöglichkeit. 

M. a. W. durch den Rückbezug auf die positive Offenbarung in Jesus Christus schien dem Heiligen/dem Autor/der christlichen Gemeinde eine neue Religionspraxis und Realisierung des Glaubens, ein neuer religiöser Kult, überhaupt ein neues Leben, möglich: Alles religiöse und alltägliche Leben konnte  und sollte in geschichtlichem Rückbezug zur positiven Offenbarung  sakramental, individuell, interpersonal,  übernational, „katholisch“ im ursprünglichen Wortsinn, vermittelt werden. Eine sakramentale Sinn- und Lebensordnung im Hl. Geist war begonnen, offen für eine kontinuierliche Fortentwicklung.
2) Ich möchte die vielen historisch-kritischen Methoden des Verstehens eines Textes nicht gering achten, aber letztlich muss es ein erkenntniskritisches und überzeitliches Kriterium des Verstehens über alle historisch-hermeneutischen Bedingungen hinaus geben, einen absoluten Bestimmungs- und Geltungsgrund und eine kontinuierlich weitergehende, pertinente Sinnidee, um eine Aussage nachzuvollziehen und rechtfertigen zu können.
Warum ist dem Autor im 2. Jhd.  plötzlich die Ämterfrage so wichtig geworden und darin wieder das Monoepiskopat, wo doch, soweit bekannt, rundherum nichts davon geredet wurde?  
Rhetorisch fällt mir, wie schon gesagt, ein sehr paränetischer, emotional-warmherziger Ton auf: Die vielen interpersonalen Aufforderungen, Mahnungen, Tröstungen, Anreden, Dankgebete, Bittgebete, Freundschaftsbekundungen usw., dieses ganze Repertoire von Sprechakten, sie weisen hin auf eine Einsicht und Erkenntnis, die a) jeder/jede selbst nachvollziehen konnte (dank des Inhalts der positiven Offenbarung) und verweisen b) auf einen unmittelbar einsehbaren, apriorischen Geltungsgrund, der in genetischer Folge und prinzipiierender Kausation weiterentwickelt  ist zu einer sakramentalen Durchdringung  und Heiligung des ganzen Lebens. 

In so ursprünglichen, wertvollen Texten – mit allen Spiegelungen der damaligen Zeit, – wird buchstäblich Neues verkündet im übergehenden Wollen und wirklichen Sehen. Der Heilige/der anonyme Autor/die Gemeinde weiß sich begnadet, erlöst, gerettet, wiedergeboren, von Gottes Präsenz erfüllt – und diese Erkenntnis, die ich als apriorisch, zeitlos ansehe, versuchte er/sie? zu allgemein akzeptierten, bekannten Bedingungen weiterzugeben und zu verkünden.
Nach außen hin musste  er/sie? notwendig auf die patriarchalisch geprägte, antike Vorstellungswelt männlicher Hierarchie-Strukturen Rücksicht nehmen, nach innen hin aber ging es dem Heiligen/dem Autor/der Gemeinde gar nicht um ein Fortschreiben und Weitermachen altbekannter  Sitten und Gebräuche,  sondern um einen Geltungsgrund des Wissens, der absolut positiv und erlösend und sich in Gegenwart  und in einer eschatologischen, sakramentalen Vollendung, individuell  und interpersonal manifestieren wollte – mit allen defizienten modi der Realisierung dieser Erkenntnis durch sündhafte Menschen.

Die Begriffe mussten nicht neu erfunden werden – außer vielleicht das Wort „katholisch“? – aber die  Verwendung altbekannter Begriffe wie „Priester“, „Bischof“, „Diakon“ wurden mit neuer epistemologischer und differenzspezifischer Begründung und Rechtfertigung eingeführt bzw. neu gedeutet und typologisch auf die Zeiterscheinungen umgelegt. 
Wie hätte der Heilige/der Autor oder die im Hintergrund mitredende Gemeinde die genetische Erkenntnis applizieren und konkretisieren können, wenn nicht einerseits ein altbekanntes Schema vorgelegen hätte, das aber anderseits neu und aktuell von jedem/jeder nachvollziehbar und einsehbar  war?  Hätten die Autoren es besser gemacht, wenn sie sozusagen gewaltsam egalitär  alles umgestürzt und ganz anders praktiziert hätten? Das ist erstens nicht vorstellbar und zweitens nicht notwendig, weil die neue Sinnidee und die neu geschaute Bedeutung des Glaubens, also das WAS  das WIE der Darstellung in einer kirchlichen Hierarchie weit überdeckte, oder besser gesagt, das WIE relativierte. Die Ämter wurden sozusagen pragmatisch, situativ, vielleicht sogar konsensual?, eingeführt und akzeptiert. Mit  Zwang  hätten sich  die alten Begriffe als neue kirchliche Ämter wohl nicht installieren und durchsetzen können.  

3) Anders gesagt: Es schien aus einem lebendigen Traditionsbewusstsein der  Hl. Schrift, generell aus der Weisheit des dortigen genealogischen Denkens und einem intuitiven Wissen um die Konstitution von Zeit  dem Heiligen/dem Autor/der ganzen christliche Gemeinde, noch dazu im   Unterschied und im Gegensatz zur geschichtslosen Gnosis und zu anderen religiösen Formen ihrer Zeit, naheliegend und notwendig, eine kontinuierliche Fortsetzung zu denken und zu leben.   Das übernatürliche und geschenkte Sollsein sollte weitergeführt und überliefert werden, wie es generell der Begriff der Genesis verlangt. (Siehe Blogs zur „genetischen Erkenntnis 1 – 3).  Ohne Begründung und Rechtfertigung aus der absoluten Güte und dem Sollsein der Wahrheit  wäre der Geltungsanspruch der neuen Religion und die Geltungsform ihrer Rede, aber bald nichtig und leer geworden. Wie hätte allein das männliche Geschlecht die  Aussagekraft der  Rückbindung an Jesus Christus und die geschenkte Erlösung garantieren können? Weil JESUS, die Apostel, Paulus selber Männer waren? Welche unrühmliche Rolle haben oft die Männer im Evangelium gespielt und welch bessere die Frauen!? Generell, die ganze Deutung der „Zwölf“, des Apostelamtes, die große Schar der Frauen, die zu Jesus gehörten, das alles hat ja eine andere tiefere Begründung und Legitimation als eine äußerliche, historische und geschlechtliche bekommen! 

Die Geltungsform Bischof/Priester/Diakon allein auf das damalige rechtliche Patriarchat der römischen Gesellschaft zu reduzieren, das wäre ja völlig am Geltungsgrund und an der Notwendigkeit seiner Realisierung vorbeigegangen.  

Patriarchale Muster können   natürlich herausgehört werden – sie sind bereits vor den IGNATIANEN selbst in den kanonischen Texten des Neuen Testamentes zu finden -, aber das besagt wiederum, dass zwischen Geltungsgrund und Historie der Fakten zu unterscheiden ist. Eine patriarchale Struktur um ihrer selbst willen hätte sich auf Dauer nicht gehalten: Das hätte  explizit andere Texte und andere Begriffe wie das kostbare „katholisch“ hervorgebracht. 

Der Geltungsgrund der geschenkten Erlösung und die gelebte Hoffnung und Güte,  das bezog sich auf das Wissen und den Glauben jedes Geschlechts, ob Mann oder Frau, Jung oder Alt, Jude oder Grieche, Sklave oder Freier – und das war überzeugend und diskriminierte (noch) niemand. 
Die Form der männlichen Hierarchie war die  momentane, situative und  administrative, gesellschaftlich  wohl bestmögliche Seite.

Dass später explizit patriarchale  Herrschaftsmuster und Herrschaftsideale folgten, das möchte ich nicht leugnen, leider,  siehe bereits bei CYPRIAN v. Karthago (+ 258), aber das widerlegt nicht den Sinn der apriorischen und genetischen Idee, dass sakramentale Ämter konstitutiv geschaffen werden mussten. Die Ausführung war dann fakultativ und relativ.  

Patriarchale Herrschaftsmuster finden wir bis heute. Warum sollten wir die Zeit um 110/165 n. Chr. dafür geißeln? Wie lange ist es her, dass die Frauen in der Schweiz Stimmrecht haben?  In wie vielen Staaten der USA, die sich oft überaus evangelikal-christlich nennen, sind Kinderehen noch erlaubt?  
Von der expliziten Unterdrückung der Frau in islamischen Ländern  möchte ich gar nicht reden. Dazu gibt es Rückfälle in der Gottesidee selbst, schauen wir auf den Hinduismus in Indien, schauen wir auf den Atheismus mit seiner verkürzten Idee von Erkenntnis.  

„Fortschritt“ gibt es nur nach einem apriorischen Maßstab der Freiheit – und dann realisiert in  Zeit und Geschichte. Anders gesagt, wie ich das sehe: Die Hörer und Leser des 2. Jhd. n. Chr.  haben den „Fortschritt“ an Freiheit in einer sakramentalen Heils- und Sinnordnung erkannt.  
Selbst 1800 Jahre später hören wir noch das eigentliche Anliegen heraus, die Intention, das ganze theoretische Erkennen und praktische Wollen: Realisierung und Verwirklichung einer christlichen Sinnidee – nicht Realisierung und Dominanz des  Männlichen zu installieren.  

4) Wenn es dem Autor tatsächlich um Patriarchalismus und Herrschaftsausübung gegangen wäre, wäre der Stil und der Inhalt ganz anders ausgefallen. 
Der Bestimmungsgrund ist das, worum es dem Willen eigentlich immer geht, wenn er will und handelnd übergeht von einer Kausation (Prinzipiierung) zur anderen Kausation – und so wird die Zeit erzeugt! Die zeitliche und geschichtliche Erstreckung (des Heils, des Sinns) wird zusammengehalten in einer unwandelbaren Geltungsform eines zeitlich ablaufenden Bewusstseins und vollendet sich  in einer projizierten Form erfüllten Seins. Die unwandlbare Geltungsform ist als dauernder Rückbezug auf einen absoluten Bestimmungsgrund stets präsent, ist pertinent ergriffene Sinnidee. Diese Sinnidee ist nicht vermittelt durch ein anderes Moment, oder als Mittel zu einem anderen bestimmt, sondern ist a) höchster Wert einerseits, b) andererseits nicht nur Wert, sondern ebenso auch die diesen Wert verwirklichende Existenz.  Der geschichtliche Rückbezug und die lebendige Erinnerung ist Bild-Werdung der einen, absoluten, konstitutiven Wahrheit, ist  Genesis hin zu einem sittlich und religiös erfüllenden Sein  – wie es heißt: Joh 16,13 „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird redenwas er hört, und euch verkünden, was kommen wird.“ Der HEILIGE GEIST ist dieses bestimmte Sein und Wirken disjunktiver Bestimmung durch die positiven Offenbarung. 

Könnte ich einen höchsten Wert und geschichtlichen Bestimmungsgrund als männlich/maskulin verstehen? Das wäre  pure Perversion der Absicht Jesu Christi und des ganzen Sinns seiner positiven Offenbarung.  Dann hätte Jesus in seinem Tun und Handeln ganz anders auftreten müssen, keine Frauen heranlassen und heilen dürfen, würde von keinen Frauen am Ostermorgen erzählt usw. usf.  Nach den Gesetzen des Bildens bildet sich die Vernunft im Allgemeinen und jedes Individuum im Besonderen interpersonal und zeitlich und räumlich, ebenso geschlechtlich! – und will sich entfalten und sich in Identität durchhalten. Das Ich und innerhalb ihrer jedes Individuum  muss sich stets reflexiv erinnern, um im nächsten Augenblick sich neu bestimmen zu können, aber es  wird sich doch nicht nur naturalistisch nach einer geschlechtlichen Evidenz erinnern – die ich für sich nicht abwerten will -, schon gar nicht, wenn es um rechtliche und geschichtliche und sinnevidente Dinge geht?
Der Heilige/der anonyme Autor/die Gemeinde schöpft aus einer unerschöpflichen Quelle des höchsten Wertes und des Lichtes, des erschienenen Logos, der erschienen Liebe in der Geschichte  und des Sinns – und damit verbunden ist ein zeitliches Werden (und relative Faktizität)  und natürlich eine neue Deutung bereits bekannter Begriffe und überlieferter Traditionen.
Ich könnte dem Heiligen psychologische Gründe der Herrschsucht unterstellen,  politisches Kalkül,  expliziten Patriarchalismus, stoische Weisheit, gnostischen Eigensinn usw. Das ist aber alles nicht schlüssig und kohärent und führt zu  keiner analytischen Basis,  wenn ich die Texte in diese Richtung  zerlegen möchte. 

Ich könnte noch die prekären Rahmenbedingungen der Christenverfolgung zu dieser Zeit einbeziehen, irgendwelche Häresien und Konflikte, systemtheoretische Gründe aller Art bedenken, um die Etablierung einer kirchlichen Hierarchie ein Stück weit deterministisch zu erklären – das ist aber ebenfalls nicht hinreichend angesichts der starken, empathischen Rede und ihres genetischen Inhalts einer intelligierten Einsicht in die positive Offenbarung.

5)  Die dem absoluten Bestimmungsgrund zugrundeliegende und im platonischen Sinne zu reflektierende Idee ist positive (kataphatische) Gottesrede – wie JESUS im Evangelium diese positive Gottesrede gepflogen hat. Viele poetische und liturgische Gesänge und Texte dieser Zeit des 2. Jhd. könnten unmittelbar zur  Illustration der positiven Gottesrede herangezogen werden! (Siehe bei R. M. Hübner)
Die positive Gottesrede des Heiligen/des anonymen Autors klingt bei oberflächlicher Lektüre sittlich-moralisch, ist aber mehr als moralisch, denn die Genese der Sittlichkeit geht ja von der apriorischen wie positiven Offenbarung aus. Seine Rede ist m. E.  gerade nicht explizit moralisch, nicht geschlechtsspezifisch, nicht elitär, nicht national,  sondern explizit „katholisch“  und auf den einzelnen und auf eine solidarische Gemeinschaft zielend und geschlechterübergreifend-universell. Das Postulat einer Rettung aller Menschen, gleich welchen Geschlechts, welchen Alters, welchen Standes, welchen Volkes, soll jetzt kraft genetischer Erkenntnis in eine sakramentale Lebensform übergeführt werden, nicht bloß in eine moralische Lebensform und in eine Standesgesellschaft mit strengen Gesellschaftsregeln. 

Nochmals anders gesagt: Die positive Gottesrede des Heiligen/des Autors/der Gemeinde  ist nicht esoterisch-gnostisch in dem Sinne, dass eine besondere Privilegierung dazu nötig wäre, sondern jeder/jede konnte durch Glauben und durch das Bekenntnis und sakramentale Formen zu dieser erlösten Gemeinschaft übertreten. Es entstand eine möglichst weit zu fassende liberale Ordnung der Kirchenzugehörigkeit, eine äußere, zeitliche und räumlich-figurative Repräsentationsform einer inneren, genetischen Rückbeziehung auf die positive Offenbarung. 

Nochmals anders formuliert: Die positive Gottesrede ist weder eine rein moralische Rede, noch eine rein   philosophische Erkenntnislehre, als könnte die biblische Überlieferung und die Generationenkette der Überlieferung durch reine formale Erkenntnis geleistet  werden, sondern explizit durch Logos und Geschichte, durch Hl. Schrift und namhafte Zeugen, durch Gemeinschaftssinn und Sakramente, erzeugte Erinnerung – und sollte als höchster Wert der positiven Offenbarung weitergeführt werden.   Der pertinente Wert der positiven Offenbarung war Bestimmungsgrund der damaligen Gegenwart – noch dazu durch Gegensatz und Widerstand hervorgetrieben,  durch die ständige Bedrohung und Verfolgung seitens des römischen Staates gefährdet, verführt durch die Gnosis oder anderen Institutionen, angefeindet durch andere Religionen inklusiv Judentum.  Solche Gefährdungen waren systemtheoretisch natürlich nicht belanglos, sie waren widersinnige Potenz, die indirekt miteingeflossen ist, aber nicht so bedingend, wie die genetische Erkenntnis selbst.   Gefühlt wurde die Gefahr, in der der Heilige/der anonyme Autor/die Gemeinde stand, die Repression des Glaubens, der Synkretismus des Götterglaubens, die griechisch-römischen, heidnischen, doketistischen und gnostischen und judäischen Sitten und Gebräuche – aber entscheidend und sakramental wirksam sollte  die geschenkte Gnade, die Botschaft der Vergebung, die Wiedergeburt aus dem Glauben, werden.  Die Relevanz der zu gewinnenden Hoffnung, die Relevanz der sakramentalen Sinn- und Lebensordnung, die Relevanz der Sinnidee, sie sollte unmittelbar gegenwärtig gesetzt und  im Gegensatz zur übrigen Kultur und Welt etabliert werden. So entstand die Notwendigkeit einer neuen Sinn-Ordnung, inklusiv Weihe-Ämter. Dass irgendwie verfassungsmäßige und juridische und soziologische Wissensstrukturen folgen mussten – das liegt praktisch-logisch in der Vernunftform der Realisierung einer genetischen Einsicht.

In der genetischen Erkenntnis kommen sittliche Wertung und Wille in spezifischer Weise egologischen Wissens und zukünftigen Handelns in Synthese zusammen:

Diese Synthese ist Anfang, Liebe, Wert, ist „Wille der Vernunft zur Vernunft“1 .

Der höchste Wert der Liebe leuchtete für die Christen dieser Zeit in der positiven Offenbarung JESU CHRISTI auf. Dieser Wert ist seiner Pertinenz nach ein Sollen, aber im Gegensatz zu anderen Werten hat er  unbedingten Charakter, d. h. er ist gänzlich aus sich selbst und wegen seiner selbst. Seine Hoheit, seine unbedingte Selbstrechtfertigung beinhaltet in eins seine vollkommene Erfüllung, seine Herrlichkeit.
Seine spezifische Evidenz, seine Sazienz, ist keine faktische, wie bei anderen Werten, sondern eine genetische: Der sittliche Wert ist unmittelbar „als wahr bewußt. in seiner Herrlichkeit und Hoheit“.2

Man liest in historisierender Literatur, dass mit der Schließung der Tempel die arbeitslos gewordenen „Priester“ eine Anstellung brauchten u. a. m., deshalb sei alles so patriarchalisch überfrachtet worden. Das sind aber nur historische Vermutungnen, historische  Kompilationen –  ohne apriorische Wissensgesetze getätigte Urteile. 
Im 2.  Jhd. ging es nicht um diese Postenfrage der heidnisch gewesenen Kultpriester oder um eine Männerfrage, sondern um die Genesis fortlaufender Erkenntnis von positiver Offenbarung, um die Kontinuität der in JESUS CHRISTUS sichtbar erfahrenen Liebe. Deshalb unsere höchste Achtung dieser Texte mit diesem hermeneutischen Hintergrund – Achtung dieses Zeugnisses!  

In ähnlicher Weise wie bei IGNATIUS  finde ich beim Hl. IRENÄUS von Lyon (ca. 135 – 200 n. Chr.) diese neue, sakramentale Weltsicht – formuliert aus einem geschichtsphilosophischen Denken heraus. Er pochte auf die apostolische Sukzession im Unterschied zur Gnosis u. a. Häresien.  Er nannte es  „ordo traditionis“, „Sukzession“,  apostolische Begründung etc., weil er intuitiv eine transzendentale Konstitution der Zeit im Bewusstsein kannte und damit verbunden einen qualitativen Wert an Einsicht veranschlagen konnte. Der Geltungsgrund war ihm klar, so kam er zu einer Art apriorisch-geschichtlichen Schriftauslegung und zu einem figuralen Denken von Kirche in zeitlicher Erscheinung.  (Siehe Blog von mir zu Irenäus).  

© Franz Strasser
21. 8. 2024
————- 

Weiterführende Literatur zur philosophischen Begründung von Zeit und Geschichte:
Reinhard Lauth, Die Konstitution der Zeit im Bewusstseins. München 1981

Literatur zur Geschichte der „Männlichkeit:

Radiosendung: Ö1 8. 1. 2021 Radiokolleg – Krise der Männlichkeit? Die Suche nach einer neuen Maskulinität (1). Gestaltung: Johannes Gelich

Klaus Theweleit: Männerphantasien, 2. überarbeitete Auflage; Matthes & Seitz Berlin, 2019

Wolfgang Schmale: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450-2000), Böhlau Verlag, 2003

Dasa Szekely: Das Schweigen der Männer: Warum der Mann in der größten Krise seines Bestehens ist und wie er wieder herauskommt, Blanvalet Verlag, 2016

Paul Scheibelhofer: Der fremd-gemachte Mann: Zur Konstruktion von Männlichkeiten im Migrationskontext, Springer VS, 2018

Paul Scheibelhofer in: Jens Luedtke (Herausgeber): Die soziale Konstruktion von Männlichkeit: Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland, Budrich, 2008

Bernhard Heinzlmaier: Performer, Styler, Egoisten: Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben, Archiv der Jugendkulturen, 2013

Anil Altintas in Blu Doppe (Herausgeber), Daniel Holtermann (Herausgeber): Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern: Kritische Reflexionen von Männlichkeiten, Unrast Verlag, 2021

Harald Werneck: Übergang zur Vaterschaft: Auf der Suche nach den „Neuen Vätern“, Springer, 2013

Stefan Krammer: Fiktionen des Männlichen: Männlichkeitsforschung in der Literaturwissenschaft, Facultas, 2018

Susanne Kaiser: Politische Männlichkeit: Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen, Edition suhrkamp, 2020

————— 

1R. Lauth, Ethik, in ihrer Grundlage aus Prinzipien entfaltet. Stuttgart-sserlin-Köln-Mainz 1969, S. 34.

2R Lauth, Ethik, ebd. S 37.

Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser