FICHTE arbeitet jetzt auf eine Synthesis hin, d. h. auf einen Begriff, von dem er sagt, „(der) einer der abstraktesten ist, welche in der ganzen Philosophie vorkommen (kann)“ (ebd. S 102). Denn was ist gefragt und von FICHTE angestrebt? Selbstständigkeit zu denken in und aus Freiheit. Aber wie ist das theoretisch und praktisch möglich, d. h. evident einsehbar?
SL S 99 § 8 Deduktion einer Bestimmtheit der Objekte ohne unser Zutun
Oben wurde der Stoff als Objektivität abgeleitet. Dieser Stoff ist durch eine Wirksamkeit immer schon geformt. Keine Hemmung ohne Reflexion, keine Reflexion ohne Hemmung.
„Es werden absolute Schranken des Urtriebes selbst gedacht.“ (S 98)
S 100 Es gibt die eine Thesis, dass das Vernunftwesen keine Erkenntnis hätte außer zufolge einer Selbst-Beschränkung seiner Tätigkeit (seiner Reflexion) – und die Gegenthesis, dass keine beschränkte Selbsttätigkeit möglich wäre ohne (realistische) Erkenntnis derselben. Die natürliche Bestimmtheit des (realistischen) Wollens ist bedingt durch einen frei entworfenen (idealen) Zweckbegriff und der (ideale) Zweckbegriff eines Etwas ist umgekehrt bedingt durch ein (reales) Wollen.
Es muss dieser Zirkel synthetisch erklärt und gelöst werden, deshalb dieses Hinsteuern auf eine höhere Synthesis, die diesen Wechsel von innen her erklärt: Was geschieht hier in diesem Wechsel – und wie das möglich?
Der Kürze halber halte ich mich wiederum an die hervorragende Literatur von J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens (1977) und in allgemeiner Weise an R. Lauth, Naturlehre (1984).
1) S 102 – FICHTE verweist auf die „bekannten Regeln der synthetischen Methode“. Wie kann die Einheit von Wechsel und Wechselverhältnis Wollen/Zweck angeschaut und gedacht werden? Wenn das Ich seine Tätigkeit sinnlich und objektiv begreifen und denken will, dass es einerseits Objektives wahrnimmt und davon affiziert wird, andererseits aber nichts Objektives und keine Affektion wahrnehmen könnte, wenn es nicht selbsttätig und als eigenständiges Prinzip dieses Objektive und Affektive in sich setzen würde, so ist das eine Synthesis von aposteriorischem Stoff und freier Intelligenz. Gibt es dafür eine Anschauung und Erkenntnis?
J. Widmann nennt sie eine „Grundevidenz von Natur“.1
Sobald der Mensch reflektiert und Subjekt des Bewusstseins wird, reflektiert er notwendig nach einem inneren Gesetz. Es äußert sich darin eine Tendenz der Vernunft, sich schlechthin durch sich selbst zu bestimmen, obwohl diese Tendenz augenblicklich im Reflektieren gehemmt ist, sobald die Wahrnehmung eintritt. Wie ist das miteinander verträglich, die behauptete, freie Selbstbestimmung und die natürliche Bestimmt- und Determiniertheit? 2
Hier kann – mit Worten J. Widmanns, der „genetische Ort“ der Entstehung des Begriffes „Trieb“ eingesehen werden.3
Jeder Stoff ist schon ideal geformt, das Wollen ist durch den Zweckbegriff gesetzt und erkannt – und umgekehrt ist der Zweckbegriff nicht anders möglich als durch das reale Wollen. Wenn es eine prinzipielle Vorstellung des Gesehenen im Sehen gibt – obwohl das Sehen sich dabei nicht sehen kann – was ist das Sichtbare darin? Wie könnte es begrifflich beschrieben und gefasst werden? Die Tendenz der Vernunft möchte etwas bewirken, aber kann es offenbar doch nicht. Was zeigt sich von der Vernunft, d. h. im Wissen, als solches?
„Nicht seine unmittelbare Aktualität, sondern das Bild seiner „Natur“ (sc. der Vernunft), die als Sichtbarmachen von Konkretem erscheint und sich zugleich vor dem sichtbar Gemachten wieder zurücknimmt.“ 4
M. a. W.: „Dies Sichtbare (sc. in einer Phänomenologie der Tendenz der Vernunft und in einer Bildlichkeit, die als „Natur“ beschrieben werden kann) im bloßen Sichsehen des Sehens ist nun nicht etwas im Sinne eines Dings unter anderen Dingen, sondern Projektion der Sichtbarkeit überhaupt, d. h. der prinzipiellen Vorstellung der Möglichkeit, dass und wie Konkretes evident werden kann. Das Insgesamt des durch die schlechthinnige Möglichkeit der Evidenz Erschlossenen und je Erschließbaren wird begriffen als ,,Natur“ 5
Das Denken von Selbstbestimmung und Freiheit wäre zuwenig, könnte nicht in der Evidenzform der Natur und ihrer spezifischen Sichtbarkeit und Anschaubarkeit tatsächlich frei übergegangen und gehandelt werden. Der Begriff „Trieb“ ermöglicht diesen Übergang, d. h. bietet diese Evidenz. J. Widmann: „Gleichermaßen ist es auch allein der Begriff, der diesen Unterschied zwischen sich und der Evidenz erfasst und objektiviert. Die Evidenz kann ihn erst und nur in der Form sehen, in der er vom Begriff projiziert und objektiviert wird: als zwei verschiedene Bildformen (sc. als Begriff einer möglichen Wirklichkeit durch freien Zweckbegriff und als Konkretion von Wirklichkeit). Der Begriff fasst in diesem Unterscheiden die Differenz seiner prinzipiellen Möglichkeiten zu den prinzipiellen Möglichkeiten der Evidenz. Er erkennt in diesem Akt, dass er ohne den von der Evidenz vermittelten Wirklichkeitsbezug auf konkretisiertes Mögliches nur bloße Möglichkeiten als solche projizieren und objektivieren kann, reine „Ideen“.
Umgekehrt begreift er dabei auch, dass die Evidenz ohne seine Projektion der um- und übergreifenden Möglichkeitsstrukturen der Genesis die Wirklichkeit nur im bruten Faktum des jeweiligen status quo der genetischen Verwirklichung wahrnehmen kann.“ 6
„Wie aber kommt das Sehen dazu, sich reflektierend dem Begriff des Möglichen zuzuwenden, wenn es für seinen reinen Inhalt ,,blind“ ist? Da die Zuwendung quasi bewusstlos ist und erst durch sie Bewusstheit vom Erblickten entsteht, muss im Sehen eine ursprüngliche „natürliche“ und leitende Dynamis liegen, die sich in diesem Bezug verwirklicht.“ 7
Diese Dynamis und innere Tendenz ist eine Synthesis des Gehemmtseins und doch zugleich Transzendierens desselben in theoretischer wie praktischer Funktion, zu deutsch treffend „Trieb“ zu nennen: „als die im actualen Sehen unsichtbare Öffnung des Sehens zum möglichen Sehen hin.“ 8
Das möglich Sichtbare nach einem Gesetz des Bildens kann als solches und als Ganzes nie vollständig sichtbar werden, sondern immer nur ein Konkretum eines Gebildeten, herbeigeführt und realisiert durch (formale) Freiheit und (materialem) Wollen.
Das vollständige und vollkommene Prinzip des Ichseins und Ich-Werdens (das Gesetz) bleibt verborgen, aber es muss transzendental diese Dynamis und Tendenz der Vernunft vorausgesetzt werden, sonst könnte ein sinnliches Sehen und eine sinnliche Wahrnehmung und ein sittliches, freies Handeln (formal wie material) nicht evident eingesehen bzw. es könnte in Folge nichts realisiert und konkretisiert werden.
M. a. W. eine angestrebte Erfüllung einer Tendenz (eines Strebens, eines Triebes) ist der Idee und dem Denken nach projiziert schon da, geschlossen, als Totalität, aber sobald das Ich in concreto dieses Tendenz zu realisieren und zu wollen beginnt, realisiert es nur einen Teil der ganzen Tendenz und Geschlossenheit der Erfüllung – und die (formale) Freiheit und das (materiale) Wollen als Prinzip dieser Handlungen und Realisierungen kehrt ipso facto zur ursprünglich angestrebten und angelegten Geschlossenheit der Tendenz zurück – und offenbart als Produkt die Mangelerscheinung einer nicht vollen Erfüllung des Strebens und eine defiziente Realisierung des Wollens. Sinnliches Naturstreben und sittliches Freiheitsstreben schließen dabei einander nicht aus – bei KANT ja ein erhebliches Problem! – sondern bedingen sich wechselseitig durch die eine, ganze Tendenz der Vernunft, die wiederum sich als Bild der unableitbaren Erscheinung des Absoluten versteht.
Es ist wegen der gehemmten und nie vollständig und vollkommen zu erreichenden Tendenz der Vernunft nicht widersinnig, einen Trieb anzunehmen und zu abstrahieren, bzw. es wäre auch unnötig, seine Sinnhaftigkeit und Phänomenalität zu bestreiten, weil gerade in seiner Kraft des Herausgehens und Strebens und gleichzeitigem Zurückgehens und Sich-Schließens die transzendentale und evidente Möglichkeits- und Sichtbarkeitsbedingung mitgebracht wird, dass Freiheit und Wollen der Möglichkeit nach eingesehen und in concreto realisiert werden können.9
„Wir können auch sagen: er (sc. der Trieb) leitet das Sichevidieren in jenen Konkretionsstadien vor der vollkommenen Freiheitsverwirklichung, in denen es noch nicht in durchbegriffener Selbstbewustheit seines faktischen Seins handeln und sich bestimmen kann. Das alles aber geht auf ein erreichbares Ziel und nicht auf ein ewig unerreichbares Ideal hin.“10
M. a. W., Durch diesen Begriff des Triebes „objektiviert sich die unmittelbare dynamische Öffnung des Sehens auf das mögliche Begreifen hin. Er stellt aber nur dessen unbewusste, quasi prästabilierte Hinordnung auf das Mögliche und dessen Konkretionen vor.“ 11
Was ist damit gewonnen? „Der reine Begriff der Richtung: Der unmittelbar unbestimmbare und unsichtbare Trieb des Sehens wird in seiner Ausrichtung rein bestimmbar durch die Synthesis, die er zwischen Sehen und möglichem Begreifen schafft. Da er vom Begriff reiner Möglichkeit bestimmt wird, ist das Resultat dieser actualen Bestimmung die reine Möglichkeit, eben der bloße Begriff, von Richtung. Kurz gesagt: der unmittelbare Bezug zwischen Natur und Möglichem wird im reinen Begriff der Richtung objektiviert. Die unsichtbare Dynamis des natürlichen Seins richtet sich auf mögliche Konkretionen – der Begriff erfasst dies als prinzipiell und einzig mögliche Richtung, in der das Sehen sich als Sehen von Sichtbarem verwirklichen kann.“ 12
Es liegt – und das muss gewürdigt und gesehen werden – in diesem Begriff und Bild von „Natur“ eine „primäre Evidenzstruktur“ (J .Widmann), weil unbewusst und richtungsbezogen bereits etwas eingesehen und gewollt wird.
Das, was an Wahrnehmung und Gefühl eintreten wird, das trägt die sichere Evidenz der Natur schon an sich, eine Gewissheit und Sicherheit auf natürlicher Basis, der assertorisch geglaubt werden kann. Die Natur einer Pflanze, die Artikulation eines Tieres, die Organisation des menschlichen Leibes – alles trägt eine unleugbare Evidenz eines noch durchzubestimmenden Wollens an sich.
Anders gesagt: Der Begriff im Begreifen des Sichtbaren der Natur unterscheidet bereits d. h. er weiß bereits um das Licht einer Evidenz des Möglichen, hier der assertorisch gewissen Natur, dynamisch gerichtet. Über oder neben der Gewissheit der Natur muss aber folgen der Logos, die Geschichte und der Sinn – nach J. Widmann.
2) Mit dem Gesetztsein einer evidenten, in der schlechthinnigen Möglichkeit der Evidenz Erschlossenen und je Erschließbaren (in der Natur) kommt es jetzt zu einem nächsten wichtigen Begriff, der transzendental eingesehen werden kann, zum Begriff der Gewissheit und des Gewissens.
Die Gewissheit und das Gewissen begegnet auf den verschiedenen Ebenen der dargestellten WL: Auf der Ebene der (sinnlichen) Natur, der Moralität, oder auch an entscheidender Stelle der Begründung des Wissens in der WL.13
Der Begriff, wie wir bisher gesehen haben, begreift zwar nur das Mögliche, ist selber bereits eine Differenz zur Evidenz, aber er vermag die Bedingung anzugeben, unter der sich Evidenz einzustellen vermag.
Durch das Gewissen wird der faktische Begriff des Möglichen, wiewohl er eine Differenz setzt zwischen sich und dem Unsichtbaren des Sehens, in Evidenz projiziert und objektiviert.
Das Gewissen meint die aktuale Geschlossenheit der Sehensreflexion, wie das Wissen sich selbst wissen und sich selbst gewiss sein kann, wenn es etwas weiß. Ich kann z. B. mit Gewissheit sagen, dass es so ist (oder gewesen ist) und nicht anders – weil ich es so einsehe. Notwendig führt der Begriff der Einsicht in eine Evidenz des faktisch Möglichen die Gewissheit mit sich. 14Diese unbezweifelbare Wissen im Gewissen ist freilich dann genau zu denken – und kann bei empirischen Dingen nur sehr schwankend angesprochen werden. Es ist stets zu prüfen, wie weit das konkrete Sehen reicht.
Die Ausführung des Gewissens in der Beurteilung moralischer Handlungen und Pflichten kommt ausführlicher erst ab § 15 S 170ff vor, aber diese dortigen Aussagen beginnen mit dieser ersten Evidenz im Naturbegriff.
Nicht auf äußere Veranlassung oder Autorität oder logische Schlussfolgerung soll etwas sittlich getan werden, sondern nur aufgrund der Handlungszusammenhänge, die im Gewissen und durch die Einbildungskraft erkannt werden können. Es wird oft heißen, verschieden abgewandelt: Kriterium einer moralischen Handlung ist die Evidenz des Gewissens.
§ 15 S 173 (u. a.): Der Mensch muss um des Gewissens willen selbst urteilen, das Urteil an sein Gefühl halten; es kann keinen äußeren Grund der Verbindlichkeit eines Sittengebotes geben, sondern nur das Gewissen. Das Gewissen trägt und hat in sich das Kriterium der Selbst-Erkenntnis und der Selbstbestimmung. Das Gewissen entscheidet über die Moralität. Es ist absolute Pflicht, einen Moralsatz nach seinem Gewissen zu prüfen.15
FICHTE treibt dort diese Frage nach der Begründung eines moralischen Handelns aber noch weiter, wenn er, sozusagen als 2. Stütze des Gewissens, § 17 S 204 sagt, dass diese Begründungsform des Gewissens für eine „Wissenschaft“ nicht ausreiche. Wir müssen auch a priori bestimmen können, was überhaupt das Gewissen billigen wird. Sonst wäre eine Sittenlehre als „reelle anwendbare Wissenschaft“ nicht möglich.
Der Begriff des Gewissens verweist auf das Sittengesetz, das die ganze Vernunft zum Objekt hat (siehe ab § 15ff), und wird somit zu einer Instanz der Begründung eines sittlichen Handlungszusammenhangs aufgewertet, wie es bei KANT noch nicht zu finden ist – deshalb dort nicht zu finden ist, weil die Instanz der Willens und des Kausalität durch Freiheit noch unverbunden neben der Erscheinungswelt der Interessen und sinnlichen Bedürfnisse zu liegen kommen.16
Exkurs zum Abschluss: Ich las zufällig einen Artikel zu diesem Thema Sittenlehre und Gewissen. P. ROHS spricht am Schluss der Besprechung der SL 1798 von einem „Zweistufenmodell“ der Begründung der sittlichen Freiheit a) im Gewissen und einer
b) apriorischen Darlegung der sittlichen Freiheit nach allgemeinen Vernunftgesetzen.
Es sei nach ROHS irgendwie „befremdlich“,17 dass sich innere Gewissenseinsicht und allgemeine Vernunftprinzipien nicht recht decken, sie sollten „stärker aneinander“ gebunden werden. 18 Wie immer er das jetzt meint, ich las daraufhin nochmals diese Stellen des Übergangs vom Gewissen zur allgemeinen wissenschaftlichen Darlegung der Ethik und meine, keine Diskrepanz zwischen individuellem Gewissen und allgemeinem Vernunftgesetz erkennen zu können, ja im Gegenteil, dass im Gewissen selbst die Begrifflichkeit des Endzwecks, mithin eine allgemeine Vernunftethik, bereits zu finden sei.
Die sittliche Freiheit besteht in ihrem Endzweck in einem Begriff des realisierten Sittengesetzes, sprich, in einem Begriff verobjektivierter Sittlichkeit in Form der „Synthesis der Geisterwelt“ – und das steht auch im Gewissen fest. (Immer wieder wird als Endzweck und Ziel des moralischen Handelns die „Gemeinde“ aller Vernunftwesen angestrebt. (vgl. z. B. 251. 272. 341ff) 19
Wenn das klare Endziel der Sittenlehre der Begriff einer interpersonalen Gemeinschaft und eines interpersonalen Ideals ist, als Anschauung und Einschauung des Sittengesetzes, so ist dies notwendig schon ein Pflichtbegriff im Gewissen selbst. Die interpersonale Gemeinschaft ist logische Folge einer Darstellung und Beschreibung des sittlich Gesollten.
FICHTE stellt geradezu eine konsequent logische Verbindung her von innerer Gewissenseinsicht und äußeren Tugendpflichten, so logisch und stringent, dass er in späteren Jahren Zweifel an dieser so optimistischen Sicht der moralischen Idee bekommen wird. Der allgemeine sittliche Vernunftzweck kann sich zeitlich nie vollständig und objektiv mit dem Gewissen decken. J. Widmann beschreibt es so: Diese Idee nach einer vollkommenen Gesellschaft „(…) hat Fichte zwei Jahrzehnte lang durch die Höhen und Tiefen der Spekulation gerissen.“20
Wenn die ideale Personengemeinschaft zwar a priori im Denken ausgerichtet ist, de facto aber das nie endgültig spürbar ist, wie kann es einen äußeren Reflex und eine Konkretion des apriorischen Denkens im Gewissen geben? Die Frage nach dem Sinn taucht auf: Was tun, wenn Gewissen und sittliche Ordnung kaum mehr zusammenpassen? Damit würde das Gewissen nicht aufgehoben, aber der Naturbegriff des Triebes und der Gewissheit müsste in seiner Idee erweitert werden. Frei nachbildend muss das Vernunftwesen sowohl die Evidenz der Natur als auch einen konkreten Begriff des Sinns und der Erlösung finden können, unabhängig noch von universeller Realisierung des Vernunftgesetzes.
Das Gewissen und die allgemeinen Vernunftregeln bleiben a priori aufeinander bezogen und können im transzendentalen Reflex des Erkennens und Wollens eingesehen werden, doch die konkrete Einsicht bedarf geschichtlicher Ereignisse, die nicht a priori deduzierbar sind, die aber anzeigen, dass deren vorausgesetzte Übereinstimmung realisiert worden sind oder realisiert werden können.
(c) Franz Strasser, 11. 2. 2021
1J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens, ebd., S 184 – 190. Anhand der 26. Vorlesung der WL 1804/2 wird der Begriff der Evidenz der Natur herausgearbeitet.
2Man lese R. Lauths, Naturlehre, 1984. Siehe dort z. B. im Abschnitt „3. Teil. Die Konstitution der organischen Natur durch die reflektierende Urteilskraft“ (ebd. S 96ff) Das Ich entspricht dem Postulat der vollen Realisierung der Vernunft zweifach: praktisch durch Handeln; und theoretisch, in einer bestimmten Weise der Verwirklichung der Vorstellung. Die Objekte sind durch die ideale Tätigkeit der Intelligenz in ihrer Funktion der produktiven Einbildungskraft überhaupt da. Unsere Freiheit ist selbst ein theoretisches Bestimmungsprinzip unserer Welt. Der Begriff des Freiseins gibt ein theoretisches Denkgesetz ab, das mit Notwendigkeit herrscht über die ideale Tätigkeit der Intelligenz. Vgl. R. Lauth, Naturlehre, Abschnitt „Freiheit und Natur“, S 140ff.
3J. Widmann, ebd. S 189.
4Vgl. J. Widmann, Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens, a. a. O., S 187.188
5J. Widmann, ebd., S 188.
6J. Widmann, ebd. S 189.
7J. Widmann, ebd. S 189.
8J. Widmann, ebd. S 189.
9 Die Biologen oder Psychologen, soweit ich das sehe, deuten den Trieb als empirisches, mechanisches Reiz-Reaktionssystem? Aber dafür bräuchte es nicht den Begriff „Trieb“, sondern es würden biologische und chemische Gesetze genügen, ein Ereignis zu beschreiben. Das Wort „Trieb“ wird dort eigentlich nur metaphorisch gebraucht? Ein S. FREUD hat ihn zu einem Grundbegriff seiner Psychoanalyse gemacht, wodurch ihm einerseits viele transzendentale Begründungen und Erklärungen gelangen, was das Verhalten von Menschen oder was die Diagnose von psychischen Krankheiten betrifft, andererseits reduzierte er das Triebverhalten doch wieder auf chemisch-physiologische Vorgänge, wodurch ein platter Empirismus übrig bleibt. Siehe dazu Blogs von mir zum Vergleich des Triebbegriffes bei S. FREUD und bei J. G. FICHTE.
10J. Widmann, ebd. S 189.
11Ebd. S 189.
12J. Widmann, ebd. S 189.190.
13 In der WL 1804/2 wird die Gewissheit als erster Ausdruck der Äußerung der Einsicht in das „esse in mero actu“ bezeichnet. Vgl. dort zahlreiche Stellen.
14Vgl. J. Widmann, ebd. S 190
15Es sei mir erlaubt, ein kritisches Bedenken zu KANT hier zu bringen: die Selbstverpflichtung des Willens im Kategorischen Imperativ, wonach der Bestimmungsgrund des Willens sich aus der angeblichen apriorischen Form eines für alle verbindlichen Gesetzes (dem Sittengesetz) herleitet, ist dieser Bestimmungsgrund vom Gewissen her einsehbar und gerechtfertigt, oder leitet sich seine Gültigkeit und Allgemeinheit von einem für alle gleichen Gesetz der Universalisierung erst nachträglich ab? „Autonomie genannt? M. a. W., kann bei KANT a priori vom Gewissen her entschieden werden, was gut oder böse heißt, ehe noch eine Universalisierungs- und Tauglichkeitsprüfung einer Maxime durchgeführt wurde? Erfolgt der Geltungsanspruch des Kategorischen Imperativs aus der nachträglichen Prüfung seiner Tauglichkeit für alle und aus den Folgen einer Handlung, oder kann a priori entschieden werden, was moralisch heißt?
16Siehe dazu: K. Hammacher, Das Fundament der Ethik: Zur Bestimmung des Gewissens. Phil. Jahrbuch 76, 243 – 256.
17P. Rohs, ebd. S 181.
18Ebd. S 181.
19Siehe dazu auch die Interpretation der SL von Wilhelm Metz, Der oberste Deduktionsgrund der Sittlichkeit. Fichtes Sittenlehre von 1798 in ihrem Verhältnis zur Wissenschaftslehre. In: Fichte-Studien, Bd. 11, Amsterdam, Atlanta, 1997, 147-159.
20J. Widmann, J. G. Fichte, ebd. S 175.