Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums, 1841/1843/1848.

Religion wird verwandelt in Anthropologie (2. Teil, 28. Kapitel),1 das Wesen der Religion (hier vor allem eingeschränkt auf das Christentum) zurückverwandelt in die Gefühlswelt und Denkwelt des Menschen, die Person Gottes in der Person des Menschen.

Nach etwa 40 Jahren, in Erinnerung an die Studentenzeit, las ich wieder einmal obiges Werk. Wie habe ich eigentlich damals diese Schrift ausgehalten? Es finden sich viele Unterstreichungen, viele Fragezeichen, viele Bestätigungen – ich werde es damals als unbeantwortbar zur Seite gelegt haben! Im Abstand der Jahre staune ich über dieses Kompendium von Wissen, das hier L. Feuerbach ausgebreitet hat. Hier schreibt einer, der sich nicht aus verschiedenen Artikeln und Bücher etwas zusammengelesen und dann etwas kompiliert hat, sondern wie aus einem Guss, stilistisch wie sprachlich, kommt mir ein klassisches Werk entgegen. Hier entwirft einer eine Gesamtschau der Wirklichkeit, wie sie größer kaum sein könnte. Eine jahrtausendelange Tradition des Denkens und Fühlens wird auf den Kopf gestellt, aber nie bloß polemisch, böswillig, suffisant, aphoristisch, sondern durchaus systematisch, zusammenhängend vom Anfang bis zum Ende. Außer natürlich – was ich nur beispielhaft anhand des 1. Kapitels der Einleitung darlegen will -, dass diese ganze Dialektik des Denkens falsch ist. Feuerbachs logische Axiomatik und Dialektik geht auf, wenn ich alles begrifflich abstrahiere und die Abstraktion selbst zum Beziehungsgrund (im Subjekt) hochstilisiere: Das Individuum Mensch ist die Wesenheit seiner Gattung, die Gefühle des Menschen sind die Wesenheiten der Religion, das Denken des Menschen ist die Wesenheit Gottes, und zu gegebener Stunde kann ich die Wesenheit wieder begrifflich zurückverwandeln in den Begriff einer Realität, wie ich sie empirisch vorfinde. Das ist schlechte hegelsche Dialektik und damals so falsch wie heute.2

Von Bibelzitaten bis zu anderen Religionen, von griechischen Kirchenvätern bis zu Thomas von Aquin, von Luther bis zu katholischen Grunddogmen, alles ist bei Feuerbach zu finden – und was ich besonders bewundern muss: Feuerbach versteht es, alle Gefühle und Denkgebäude der Menschengeschichte in eine geschlossene Axiomatik zu bringen – die aber, wie gesagt, ich für grundlos und falsch halte!

Religion ist die abstrahierte Gefühlswelt des Menschen, der Gottesbegriff der abstrahierte Persönlichkeitsbegriff, die Inhalte des Christentums sind nur psychische Projektionen. Feuerbach streift nicht unwesentlich das Judentum (1. Teil 12. u. 13. Kapitel), ebenso das „Heidentum“ (1. Teil 17. Kapitel), aber vor allem zeigt er sich bewandert im katholischen wie lutherischen Christentum. Er nimmt nichts von seiner Analyse aus: von den Dogmen der Schöpfung bis zur Trinität, vom Glaubensbegriff bis zum Gebet, von den Sakramenten (vorallem 2. Teil) bis zur Jungfrauenschaft Mariens und zum Sinn des Zölibats. Er vermag alles ist in den Begriff der „Wesenheit“ des Menschen einzuholen, in die „Wesenheit“ seiner Gefühle und seines Denkens, und alle Begriffe decken sich schließlich mit der empirischen Erfahrung.

Jetzt möchte ich mich aber hier der Wahrheitsfrage stellen, ohne Sekundärliteratur. Ich kenne (bisher) zu diesem Werk keine historisch-kritische Exegese, keine historischen Hintergründe, keine Kommentare. Dies mag alles nützlich sein zum Verstehen, doch am wichtigsten finde ich, die logische Struktur seines Denkens selbst zu verstehen. Deshalb hier nur exemplarisch eine Auseinandersetzung mit dem 1. Kapitel der Einleitung.

1) „Einleitung Das Wesen des Menschen im allgemeinen

Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede des Menschen vom Tiere – die Tiere haben keine Religion.“ (Zitiert nach Reclamausgabe, S 37)

Am ersten Satz, so meine ich, ist bereits die verhängnisvolle Dialektik einer bloßen Vermittlung durch Begriffe angesprochen. Die Begriffe sollen unter stiller Voraussetzung einer Übereinstimmung mit der Realität von selbst eine Einsicht erreichen, sodass von der Vorstellung des Begriffs zu seiner Wahrheit übergegangen werden kann. Aber diese ganze begriffliche Vermittlung hängt immer in der Luft.

Die Vorstellung der Religion (und der dahinterliegenden Gottesidee) wird auf einen „wesentlichen Unterschied des Menschen vom Tiere“ zurückgeführt, was so viel heißt wie, die Definition der anstehenden Untersuchung und des anstehenden Gegenstandes, des genus „Religion“, wird mit der species „Mensch“ (nicht mit Vernunft im allgemeinen oder in individuo) gleichgesetzt mittels Voraussetzung einer bestimmten Differenz. Wie diese Differenz zustande kommt, das wird noch gesagt werden, auf jeden Fall wird aber keine transzendentallogische Voraussetzung einer methodischen Annäherung an die Bestimmung der species „Mensch“ versucht, sondern nur logisch-dialektisch wird eine Vermittlung von Begriffen behauptet, die einmal auf Seiten des Subjekts, dann auf Seiten des Objekts, für geltend und wahr angenommen werden.

Für‘s erste ist es auch in die Augen fallend, wenn das Hauptthema der Religions- und Gottesfrage, im speziellen die Religion des Christentums mit ihren Dogmen und Vorstellungen , expliziert werden soll, dass implizit bereits eine naturalistische Konstitution des Menschen vorausgesetzt wird. (Differenz zwischen Mensch und Tier …..)

In der transzendentallogische Tradition eines Kant oder Fichte müsste gerade umgekehrt angefangen werden: Ausgehend von einer apriorischen Vernunfterkenntnis könnte zu Gott aufgestiegen bzw. zu empirischen Tatsachen herabgestiegen werden, aber nie kann bei der empirischen Natur selbst begonnen werden. Offensichtlich war um diese Zeit der Entstehung dieses Werkes (1. Auflage 1841) die apriorische Kunst des Philosophierens so in Vergessenheit geraten, dass die naturalistische Basis alles Wissens bereits salonfähig war. Feuerbach beginnt mit der empirischen Wirklichkeit – und wird ihr treu bleiben in stringenter und kohärenter Weise seiner Diktion.

Der Mensch, eingangs bestimmt in spezifischer Differenz zur Tierwelt, und nochmals logisch definiert in einer Differenz eines speziellen Bewusstseins im Unterschied zum Bewusstsein der Tiere, wird gemäß seiner „Wesenheit“ definiert:

„Was ist aber dieser wesentliche Unterschied des Menschen vom Tiere? Die einfachste und allgemeinste, auch populärste Antwort auf diese Frage ist: das Bewußtsein – aber Bewußtsein im strengen Sinne; denn Bewußtsein im Sinne des Selbstgefühls, der sinnlichen Unterscheidungskraft, der Wahrnehmung und selbst Beurteilung der äußern Dinge nach bestimmten sinnfälligen Merkmalen, solches Bewußtsein kann den Tieren nicht abgesprochen werden. Bewußtsein im strengsten Sinne ist nur da, wo einem Wesen seine Gattung, seine Wesenheit Gegenstand ist. (ebd.)

Feuerbachs verwendet hier bereits den Gattungsbegriff, definiert ihn als das Wesen des Menschen, und beliebig wird er dann, psychologisch-assoziativ, metaphorisch, interpretatorisch, die empirischen Phänomene auf das Wesen zurückbeziehen. Jedes Phänomen kann als Ausgangspunkt einer Negation einer höheren Reflexion (hier der Wesenheit) genommen werden, und die Phänomene stimmen, so die materiale Dialektik, mit der Realität irgendwann überein!? Das ist verquerte hegelsche Dialektik, die sogar

a) den Irrtum als logisches Mittel für wahr erklärt 3, weil er den Fortschritt in der Erkenntnis bewirken kann

und b) eine Aufhebung der Entgegensetzungen kann durch eine „doppelte Negation“ (Hegel, Wissenschaft der Logik, IV 534) angestrebt werden, d. h. „das Negative ist somit in einer umschlossenen Sphäre gehalten, worin dasjenige, was das eine nicht ist, etwas Bestimmtes ist.“ (Hegel, WdL, 86).4 In den Phänomenen selbst liegt die Vermittlung der Wahrheit, wenn man nur Begriff und Realität entsprechend denkt und in der Wahrnehmung glaubt, dies bestätigen zu können.

2) „Gott als Wesen des Verstandes

Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst: er setzt sich Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber. Gott ist nicht, was der Mensch ist – der Mensch nicht, – was Gott ist.“ (ebd. S 79) 5

Wie kommt L. Feuerbach zu einer solchen formelhaften Axiomatik, die er in systematisch-brillianter Weise auszubauen und durchzuhalten versteht? Da ich keine historisch-kritische Exegese und Sekundärliteratur hier bringen kann, beurteile ich die Sache, wie gesagt, nur begrifflich: Es werden a) die Phänomene der Beobachtung auf die empirische Daseinswelt reduziert, b) aus dem Dasein der Endlichkeit selbst wesenhafte Gründe ihrer Existenz abgeleitet und c) diese Gründe des Daseins in begriffslogischer, statt transzendentallogischer Weise, vermittelt in der Unendlichkeit des Bewusstseins.

Das Bewusstsein eines Tieres ist beschränkt, doch das Bewusstsein des Menschen ist unendlich. Das verbindet Feuerbach quasi mit der ganzen Tradition der platonischen und transzendentalen Tradition, aber der große Unterschied liegt darin, dass jene Tradition a) die subjektiven Erkenntnisgründe stets an die objektiven Seinsgründe zurückgebunden sieht und b) die Unendlichkeit der hinausgehenden Vorstellung methodisch und operational versteht. Der Begriff der Unendlichkeit gibt eine Regel vor, nicht eine Realität. Ein Hegel kennt aber nicht mehr die Einbildungskraft, die a) eine Grenze bestimmt und b) die Gegensätze zu vermitteln versteht und quantitativ vergleichbar macht. Die Einbildungskraft vermittelt in quantitativer Weise die Entgegensetzungen z. B. Mensch und Gott oder ein Gefühl und mit seiner Hemmung, indem über den Begriff hinausgegangen wird. Bei Hegel und Feuerbach schlägt alles um in eine qualitative Grenze und die Phänomene tragen in sich selbst einen Grund ihres Daseins und eine Grundbestimmung. Das von L. Feuerbach gleich in der Einleitung eingeführte „unendliche“ Bewusstsein (ebd. S 39) ist im Grunde nur eine Grundbestimmung eines empirischen Zustands und ein psychologischer Zustand – und kann deshalb nur, falls überhaupt, die Mannigfaltigkeit psychischer Erscheinungen produzieren, nicht aber das apriorische Denken selbst.

Genau genommen ist es aber eine sophistische Verdrehung: Die naturalistische Voraussetzung wird zur Seinserkenntnis erhoben, zur Unendlichkeit des Bewusstseins, obwohl es nur als empirisches Faktum (bestenfalls) definiert werden kann. Und in weiterer sophistischer Folge werden alle im Bewusstsein entgegengesetzen Bestimmungen von Religion und Gott relativ auf die naturalistische Ebene reduziert und als Erkenntnis behauptet. 6

Diese pseudo-realistische Relation des Denkens auf Objekte kann aber nie eine genetische Einsicht eines sich selbst hellen Grundes bzw. einer höchsten transzendentalen Idee Gottes ermöglichen, sondern Grund und Gründe auf beiden Seiten (des Subjekts wie des Objekts) sind dialektische Gegensatzglieder ohne einsichtige Wechselwirkung und einsichtige Wechselbestimmung. Die logische Axiomatik einer dialektischen Wechselbestimmung ist absolut unbegründet und nur sophistisch formuliert und nicht denkbar. 7

„Alles daher, was im Sinne der übermenschlichen Spekulation und Religion nur die Bedeutung des Abgeleiteten, des Subjektiven oder Menschlichen, des Mittels, des Organs hat, das hat im Sinne der Wahrheit die Bedeutung des Ursprünglichen, des Göttlichen, des Wesens, des Gegenstandes selbst. Ist z.B. das Gefühl das wesentliche Organ der Religion, so drückt das Wesen Gottes nichts andres aus als das Wesen des Gefühls. Der wahre, aber verborgene Sinn der Rede: »Das Gefühl ist das Organ des Göttlichen«, lautet: Das Gefühl ist das Nobelste, Trefflichste, d.h. Göttliche im Menschen. Wie könntest du das Göttliche vernehmen durch das Gefühl, wenn das Gefühl nicht selbst göttlicher Natur wäre? Das Göttliche wird ja nur durch das Göttliche, »Gott nur durch sich selbst erkannt«. Das göttliche Wesen, welches das Gefühl vernimmt, ist in der Tat nichts als das von sich selbst entzückte und bezauberte Wesen des Gefühls – das wonnetrunkene, in sich selige Gefühl. (Ebd. Einleitung 1. Kapitel, S 39)

M. a. W., es herrscht eine metaphorisch-psychologische Wechselbestimmung von Mensch und Religion bzw. dahinter liegender Gottesidee vor, aber keine im Denken abgeleitete, begründete Wechselbestimmung.

Alle Achtung vor dieser Enzyklopädie – doch bleiben alle Bestimmungen der Gefühle und Ideen nur faktisch aufgelesen. Es wird mit großem historischem Sachwissen agiert – wie ein einzelner das schaffen kann, bleibt mir unerklärlich! -, aber letztlich es sind nur Worte, leere Begriffe ohne Rekurs auf eine Rückbindung an die Anschauung. KANT sah wenigstens seine subjektive (tlw. idealistische) Wendung in allen Aussagen zur Erkenntnis der Phänomene noch rückgebunden an die Objektivität der Erscheinungen, Ding an sich hin oder her; FICHTE verstand den Unterscheidungsakt und Reflexionsakt (Beziehungsakt) an ein analytisch-synthetisches Verfahren gebunden und begründete jede Wechselwirkung bzw. Wechselbestimmung in einem jeweils höheren Disjunktionsgrund, der mittels logischer Vorzeichnung der Einbildungskraft nach logischen Regeln des Widerspruchs auf Wahrheit hin geprüft werden konnte. Ein Hegel oder L. Feuerbach kümmert das nicht mehr, sie sehen den Beziehungsgrund der Phänomene in den Grundbeziehungen der Dinge selbst liegen.

3) Diese bloß logische Vermittlung verlangt, so prospektiv im 1. Kapitel der Einleitung schon angedeutet, eine zweite eigentümliche Einebnung eines Problems: die zwischen allgemeiner Vernunfteinheit und individueller Vernunft. Offensichtlich könnte in concreto jedes individuelle Bewusstsein einem allgemeinen Satz der dialektischen Logik widersprechen und müsste sich in Freiheit nicht einer generischen Aussage unterordnen, aber das wäre zuviel der Individualität. Wie es einen höheren Grund der differentia spezifica zwischen Mensch und Tier gibt, nämlich den der Religion, so gibt es zwar auch das Individuum, aber es ist eingebunden in die allgemeinen Schranken des Gattungswesens „Mensch“.8

Es heißt in einer Anmerkung gleich zu Beginn:

„Ob diese Unterscheidung zwischen dem Individuum – ein, wie freilich alle abstrakten Wörter, höchst unbestimmtes, zweideutiges, irreführendes Wort – und der Liebe, der Vernunft, dem Willen eine in der Natur begründete ist oder nicht ist, das ist für das Thema dieser Schrift ganz gleichgültig. Die Religion zieht die Kräfte, Eigenschaften, Wesensbestimmungen des Menschen vom Menschen ab und vergöttert sie als selbständige Wesen – gleichgültig, ob sie nun, wie im Polytheismus, jede einzeln für sich zu einem Wesen macht oder, wie im Monotheismus, alle in ein Wesen zusammenfaßt –, also muß auch in der Erklärung und Zurückführung dieser göttlichen Wesen auf den Menschen dieser Unterschied gemacht werden, übrigens ist er nicht nur durch den Gegenstand geboten, er ist auch sprachlich und, was eins ist, logisch begründet, denn der Mensch unterscheidet sichvon seinem Geiste, seinem Kopfe, seinem Herzen, als wäre er etwas ohne sie.“ (ebd. S 41)

Die Phänomene der Welt und die Phänomene des Bewusstseins, alle stehen in einer dialektischen Wechselbestimmung, weil das (allgemeine) Bewusstsein selbst in Entgegensetzung und Vereinigung zweckhaft existiert.

„Der Mensch ist nichts ohne Gegenstand. Große, exemplarische Menschen – solche Menschen, die uns das Wesen des Menschen offenbaren, bestätigten diesen Satz durch ihr Leben. Sie hatten nur eine herrschende Grundleidenschaft: die Verwirklichung des Zwecks, welcher der wesentliche Gegenstand ihrer Tätigkeit war. Aber der Gegenstand, auf welchen sich ein Subjekt wesentlich, notwendig bezieht, ist nichts andres als das eigne, aber gegenständliche Wesen dieses Subjekts. Ist derselbe ein mehreren der Gattung nach gleichen, der Art nach aber unterschiedenen Individuen gemeinschaftlicher Gegenstand, so ist er, wenigstens so, wie er diesen Individuen je nach ihrer Verschiedenheit Objekt ist, ihr eignes, aber gegenständliches Wesen.“ (ebd. S 41)

Dank der hegelschen Begrifflichkeit von Gattungsbegriff (genus) und einem in den Phänomenen immanent liegenden Wesen, das qualitativ nach einem historischen Prozess umschlagen soll in eine neue Qualität und in ein neues begriffliches Wissen (wiederum nur reflexiv erschlossen, nur vorgestellt gedacht, nicht seinsmäßig begründet), kann so ziemlich alles in das Subjekt hineingelegt werden, was L. Feuerbach in seiner großen Gelehrsamkeit gerade einfällt. Das Subjekt spiegelt die eigenen Gefühle und kognitiven Leistungen nach außen und setzt sie in Gott und umgekehrt sind die Eigenschaften Gottes nichts anderes als das gegenständliche Wesen des Menschen. Das Wesen ist in allen Individuen gleich, und deshalb ist diese Übertragung/Vergegenständlichung/Entgegensetzung ein allgemeines Wesensgesetz.

4) Wenn es keine individuelle Spezifiziertheit geben kann, weil es ein dem Menschen angeborenes allgemeines Wesensgesetz gibt – nämlich, der Mensch überträgt und vergegenständlicht und setzt entgegen – , kann L. Feuerbach mit seiner Definitionskunst und Analyse für den Gattungsbegriff „Mensch“ fortfahren. Er argumentiert psychologisch-assoziativ, geradezu poetisch.

„An dem Gegenstande wird daher der Mensch seiner selbst bewußt: das Bewußtsein des Gegenstands ist das Selbstbewußtsein des Menschen. Aus dem Gegenstande erkennst du den Menschen; an ihm erscheint dir sein Wesen: der Gegenstand ist sein offenbares Wesen, sein wahres, objektives Ich. Und dies gilt keineswegs nur von den geistigen, sondern selbst auch den sinnlichen Gegenständen. Auch die dem Menschen fernsten Gegenstände sind, weil und wiefern sie ihm Gegenstände sind, Offenbarungen des menschlichen Wesens. Auch der Mond, auch die Sonne, auch die Sterne rufen dem Menschen das Gnôthi se auton, Erkenne dich selbst, zu.“ (ebd. S 42)

Es werden dann weitere Wesenseigenschaften des Menschen aufgezählt (ebd.), die in der Spitze so zusammengefasst werden:

„Das absolute Wesen, der Gott des Menschen ist sein eignes Wesen. Die Macht des Gegenstandes über ihn ist daher die Macht seines eignen Wesens. So ist die Macht desGegenstands des Gefühls die Macht des Gefühls, die Macht des Gegenstands der Vernunft die Macht der Vernunft selbst, die Macht des Gegenstands des Willens die Macht desWillens.“ (Ebd. S 43)

Dass hinter dem Begriff des „Wesens“ eine verquerte Art und Weise der Vorstellung und des Denkens liegt, fällt nicht gleich auf, aber bei etwas cartesischer (oder platonischer) Kritik stürzt alles zusammen: Kann das Gefühl sich selbst fühlen oder durch sich selbst bestimmt sein (als sein Gegenstand)? Kann eine Kraft sich selbst bekräftigen? Es stimmt nach aristotelischer Art, dass der Begriff „Wesen“ reflexiv ist, dass das „Sein“ reflexiv ist, aber das gilt nur geistig und nicht von den empirischen Dingen, auf die L. Feuerbach letztlich rekurrieren muss. Seine Reflexivität des Denkens ist eingebunden in eine materielle, naturale Totalität, die, ja von woher?, einfach da ist. Der Beziehungsgrund, der reflexiv im Denken nach transzendentaler Methode logisch bestimmt werden kann, ist zu einer Grund-Beziehung der Phänomene selbst geworden, die aus dem Dasein, ja von woher?, psychologisch-assoziativ sich finden wird (bei entsprechendem Allgemeinbewusstsein und hohem Allgemeinwissen).

Gerade an dieser Stelle der Reflexivität, der Selbstbespiegelung, muss L. Feuerbach in einen übertriebenen Stil verfallen, der seine fehlende Begründung nicht verbergen kann, und nach den Greueltaten des 20 Jhd. direkt peinlich wirkt (und nicht die Schuld L. Feuerbachs ist.)

„Es ist aber unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Vernunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkommenheit, jede Kraft und Wesenheit die unmittelbare Bewahrheitung und Bekräftigung ihrer selbst ist. Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne diese Tätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden, nicht wahrnehmen, daß man ein liebendes, wollendes, denkendes Wesen ist, ohne darüber eine unendliche Freude zu empfinden.“(ebd. S 43.44)

Aus der anfänglichen Dekonstruktion des Religions- und Gottesbegriffes ist eine peinliche Überheblichkeit geworden. Warum? Weil er die hohen Gefühls- und Kraftbegriffe, die ihm offensichtlich nicht fremd sind, auf keine metaphysische oder transzendentallogische Begründung zurückführen oder reglementieren will. Es klingt teilweise wie beim späteren „Zarathustra“von NIETZSCHE, aber L. Feuerbach gefällt mir hier besser, denn er gibt sich wenigstens eine dialektisch abgeleitete, logische Färbung:

Bewußtsein ist Selbstbetätigung, Selbstbejahung, Selbstliebe, Freude an der eignen Vollkommenheit. Bewußtsein ist das charakteristische Kennzeichen eines vollkommnen Wesens; Bewußtsein ist nur in einem gesättigten, vollendeten Wesen. Selbst die menschliche Eitelkeit bestätigt diese Wahrheit. Der Mensch sieht in den Spiegel; er hat einen Wohlgefallen an seiner Gestalt. Dieses Wohlgefallen ist eine notwendige, unwillkürliche Folge von der Vollendung, von der Schönheit seiner Gestalt. Die schöne Gestalt ist in sich gesättigt, sie hat notwendig eine Freude an sich, sie spiegelt sich notwendig in sich selbst. Eitelkeit ist es nur, (….)“ (Ebd. S 44)

Wiederum soll die individuelle Selbstverwirklichung hintan gehalten werden, denn darin läge eine uneinholbare Freiheit (keine allgemeine Wesenheit), nur die Gattung „Mensch“ kann zur Vollkommenheit aufsteigen. (Die modernen Evolutionsbiologen, die von der Stärke der Gene etc. reden, sie würden sich bestätigt fühlen!) Der individuelle Mensch fühlt bald seine Schranke, aber die Gattung „Mensch“ nie.

„Wohl kann und soll selbst das menschliche Individuum – hierin besteht sein Unterschied von dem tierischen – sich als beschränkt fühlen und erkennen; aber es kann sich seiner Schranken, seiner Endlichkeit nur bewußt werden, weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung Gegenstand ist.“ (ebd. S 45)

Der transzendentallogische Akt der Setzung eines untergeordneten Begriffes (species Individuum) ist wohl eine negative Bestimmung zum genus, das lässt sich logisch durchaus so sehen, doch ist es nur eine quantitative Bestimmung und schon gar nicht Negation des geistigen Setzungsaktes einer impliziten Position und einer impliziten Beanspruchung von Wahrheit – vielmehr bleibt die species „Individuum“ zu einer gleichen anteiligen Realität wie die Gattung „Mensch“ in einer höheren synthetischen Begründung eingebunden, die wohl einen transzendentallogischen Sinn haben dürfte: Der einzelne Mensch bedarf des interpersonalen Austausches und der interpersonalen Verwirklichung von Sinn, wie umgekehrt die interpersonale Kommunikation nur vom einzelnen her geführt werden kann. Aus den Verhältnisbestimmungen Individuum und Gattung aber einen Klassenkampf zu machen, das ist zuviel der Qualität in den Dingen!

5) Auf den nächsten Seiten (ebd. S 46 – 51) wird die dialektische Selbstbeziehung und Selbstbestimmung mittels reflexivem Wesensbegriff fortgesetzt. Im Geschmack, in der Urteilskraft, im Verstand, in der Unendlichkeit des Denkvermögens – überall herrscht die Selbstbezüglichkeit des eigenen Wesens. Und jeder Gegenstand ist sein eigenes Wesen.

Denkst du folglich das Unendliche, so denkst und bestätigst du die Unendlichkeit des Denkvermögens; fühlst du das Unendliche, so fühlst und bestätigst du die Unendlichkeit des Gefühlsvermögens. Der Gegenstand der Vernunft ist die sich gegenständliche Vernunft, der Gegenstand des Gefühls das sich gegenständliche Gefühl. (…)“ (ebd. S 47)

In der Logik des Wesens genügen die Begriffe, man braucht keine disjunktiv gesetzte Gegenständlichkeit (Kant), keine intellektuelle Anschauung und Überprüfung des logischen Vorgehens (Fichte), sondern begrifflich geht das Subjekt in das Objekt über, das Bewusstsein in den Gegenstand, das Gefühl in das Gefühlte – und alles umgekehrt. Die Axiomatik der logischen Selbstbeziehung (ohne transzendentallogische Begründung) zieht sich durch.

6) Es folgen wieder psychologisch-assoziative Bestimmungen der Religion und des Gottesbegriffs:

„Ist z.B. das Gefühl das wesentliche Organ der Religion, so drückt das Wesen Gottes nichts andres aus als das Wesen des Gefühls. Der wahre, aber verborgene Sinn der Rede: »Das Gefühl ist das Organ des Göttlichen«, lautet: Das Gefühl ist das Nobelste, Trefflichste, d.h. Göttliche im Menschen. Wie könntest du das Göttliche vernehmen durch das Gefühl, wenn das Gefühl nicht selbst göttlicher Natur wäre? Das Göttliche wird ja nur durch das Göttliche, »Gott nur durch sich selbst erkannt«. Das göttliche Wesen, welches das Gefühl vernimmt, ist in der Tat nichts als das von sich selbst entzückte und bezauberte Wesen des Gefühls – das wonnetrunkene, in sich selige Gefühl.“ (ebd. S 48)

Das Objektive wird sophistisch zum allgemeinen „Wesen“ verwandelt, und Reflexion und Sein decken sich (nach gewisser Zeit). Der Urakt dieser Differenz bleibt aber im sophistischen Dunkel der naturalen Basis. Man merkt es kaum.

„Wenn du aber dennoch ein Objekt des Gefühls festsetzen, zugleich aber dein Gefühl wahrhaft auslegen willst, ohne mit deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was bleibt dir übrig, als zu unterscheiden zwischen deinen individuellen Gefühlen und zwischen dem allgemeinen Wesen, der Natur des Gefühls, als abzusondern das Wesen des Gefühls von den störenden, verunreinigenden Einflüssen, an welche in dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden ist?“ (ebd. S 49)

7) L. Feuerbach klingt dann direkt versöhnlich gegenüber der Religion und therapeutisch gegenüber dem Menschen: Es geht nicht darum vor einem „religiösen Atheismus im Herzen“ zu erschrecken (ebd. S 50), vielmehr ist es eine neue „Anthropologie“ (Anhang ebd. S 456; im Nachwort der Reclamausgabe spricht K. Löwith von einer „religiösen Anthropologie“. ebd. 527)

Die Verneinung des Gefühls nur ist auf dem Standpunkt des Gefühls die Verneinung Gottes. Du bist nur zu feige oder zu beschränkt, um mit Worten einzugestehen, was dein Gefühl im stillen bejaht. Gebunden an äußere Rücksichten, unfähig, die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, erschrickst du vor dem religiösen Atheismus deines Herzens und zerstörst in diesem Schrecken die Einheit deines Gefühls mit sich selbst, indem du dir ein vom Gefühl unterschiednes, gegenständliches Wesen vorspiegelst und dich so notwendig wieder zurückwirfst in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott ist oder nicht ist? – Fragen und Zweifel, die doch da verschwunden, ja unmöglich sind, wo das Gefühl als das Wesen der Religion bestimmt wird. Das Gefühl ist deine innigste und doch zugleich eine von dir unterschiedene, unabhängige Macht, es ist in dir über dir: es ist dein eigenstes Wesen, das dich aber als und wie ein anderes Wesen ergreift, kurz, dein Gott – wie willst du also von diesem Wesen in dir noch ein anderes gegenständliches Wesen unterscheiden? wie über dein Gefühl hinaus?“ (ebd. S 50)

Aber natürlich nehme ich ihm diese, ich könnte sagen, humane, therapeutische Sicht nicht ab, denn warum sollte nach einer undurchschaubaren Logik das Bewusstsein mit den religiösen Vorstellungen und der Gottesidee in einer Wechselbestimmung stehen? Worin liegt das logische Kriterium dieses So-Denken-Müssens? Es kann nur in einem interessegeleiteten, ideologischen Denken liegen, keine klare Disjunktion und keinen transzendentallogische Konstruktion des Gegensatzes von Gott und Mensch zuzulassen, vielmehr

a) überhaupt keine Regel zu denken, sondern eine dialektische Vereinigung dem Spiel der Natur und der Kräfte zu überlassen,

b) die Konstruktion des „Wesens“ des Menschen nicht in intellektueller Anschauung zu bestimmen, sondern je nach Gefühl und empirischem Befund von der „Erfahrung“ her bestimmen zu lassen.

Dass es ein Wesen des Menschen geben soll, dies in logischer Funktion gesetzt zwecks näherer Bestimmung seiner selbst, sozusagen als thetisches Urteil, als absoluter Begriff gedacht, wie es Feuerbach ständig vorgibt tun zu wollen, müsste eigentlich den anderen Begriff Gottes (und der Religion) ständig negativ mitsetzen (d. h. auch positiv behaupten) – bzw. auch umgekehrt müsste, falls das insinuiert würde, das Wesen Gottes, als logische Funktion gesetzt, das Wesen und Bild des Menschen ständig mitsetzen. Wer möchte das leugnen, dass im Gottesbild ein Menschenbild liegt und umgekehrt – aber transzendentallogisch aus Wahrheit abgeleitet ist es bei Feuerbach nicht.

8) Stattdessen wird der Wesensbegriff, sei es vom „unendlichen Bewusstsein“ oder von der „Religion“, vom „Christentum“, von „Gott“, von vornherein dialektisch aufgespalten und beliebig verwendet, je nach Bedarf einmal auf die Seite des Menschen geschoben, dann wieder gegenständlich auf die Seite der Religion/Gottes gesetzt. Das verliert sich aber, bei aller Beredsamkeit und Leserlichkeit des „Wesens des Christentums“, in die typische Ungenauigkeit des dialektischen Denkens. Einmal wird die empirische Seite hervorgehoben und die apriorischen Aussagen werden vergessen, dann werden idealistische/materialistische Aussagen getätigt, die aber nicht realistisch beobachtet und verifiziert werden können. Der Wesensbegriff wird einmal subjektivistisch, dann objektivistisch, auf jeden Fall uneindeutig und material bestimmt.

Der Sinn der antiken und transzendentalen Dialektik war aber zuerst ein anderer (siehe Blog von mir zur Dialektik nach K. Hammacher): a) In einen (inneren) Dialog treten, b) mit genauer Beobachtung die inneren Erkenntnisschritte nach dem logischen Widerspruchsprinzip vollziehen. Dabei kann logisch nach dem Widerspruchsprinzip c) nachgeprüft werden, ob es eine Vereinigung der Gegensätze und eine genetische Einsicht geben kann oder nicht. Die Einheit der Gegensätze ist einerseits transzendentallogisch konstruiert, andererseits im Begriffe der Anschauung schon vorgegeben und braucht nur gefunden zu werden.

Eine transzendentale Logik – die leider Hegel und Feuerbach als methodisches Vorgehen verlassen haben -, würde nie den Anspruch erheben, aus den logischen Operationen selbst das qualitative Wesen eines Dinges – hier des Menschen oder Gottes – dem Sein nach ableiten zu können, vielmehr kann sie nur die logische Vorarbeit einer quantitativen Bestimmung leisten. 9

Bei L. Feuerbach wird aufgrund der Resultate, dass der Mensch starke Gefühle kennt, Urteilskraft besitzt, einen Verstand und eine Vernunft hat, auf eine innere Wechselbestimmung im Menschen an sich geschlossen. Aus den Gefühlen werden seine Vorstellungen abgeleitet, aus dem Denken die Objekten (und umgekehrt), und seine subjektive Auffassung vom Bewusstsein ist die objektive Widerspiegelung der Welt bzw. der Religion und des Gottesbildes.

9) Nun ist es zwar so, dass auch bei transzendentaler Vorgehensweise die dialektischen Gegensätze durch einen Begriff vereint werden sollen – weshalb die idealistisch/materialistische Vorgehensweise bei L. Feuerbach stets einen gewissen transzendentalen Schein erzeugen kann – , aber diese vereinten Gegensätze beruhen bereits

a) auf einer durch die Einbildungskraft fundamental geleisteten Einheit von Denken und Sein in der Anschauung, und sind nur b) formaler, quantitativer Natur.

Die Anschauung ist schon die grundlegende Subjekt-Objekt-Einheit und alle weiteren Erkenntnisse sind nur in und durch diese Einheit begründet und dürfen nicht zu einer Subjekt- oder Objektphilosophie vereinseitigt werden. Es ist gerade der Disjunktionsgrund zwischen Bewusstsein und Sein, der transzendental in der Anschauung stets vorauszusetzen und logisch vorgezeichnet bleiben muss – und nur dank dieser Disjunktion ist so etwas wie der Satz des Grundes und eine weitere dialektische Bestimmung seitens des Subjekts wie der Objekts möglich.10

10) Der Begriff „Bewusstsein“ oder „Wesenheit“ bei L. Feuerbach – und das geht durch das ganze Buch hindurch – zerfällt in eine Mannigfaltigkeit von Wechselbestimmungen – bis durch Machtspruch entschieden wird, ob das subjektive Bewusstsein oder das objektive Bewusstsein die bessere Erklärung bietet. Letztlich entscheidet die naturale Basis.

M. a. W. und in Absetzung zur Dialektik Feuerbachs gesprochen, könnte ich es auch so formulieren: Durch eine stringend transzendentale Methode wird eine logische Funktion und Rechenaufgabe gestellt, wie z. B. das Wesen des Menschen in einem Bedingungsverhältnis von Bewusstsein und Sein gedacht werden kann. Es werden geistige Bedingungsverhältnisse aufgestellt – und konstruierte Gegensätze müssen sich nach dem Widerspruchsprinzip auflösen lassen, wenn eine befriedigende und evidente, mithin in einen Begriff gefasste Erklärung erfolgen soll. Nicht die Sachen selbst (hier des Wesens „Mensch“) stehen in einem Bedingungsverhältnis, sondern das Bedingungsverhältnis wird durch die geistigen Beziehungen erst produziert bzw. auch bewährt.

Bei L. Feuerbach herrscht hier große Ungenauigkeit: Wenn er schon so stark auf das Gefühl abzielt, so dürfte in einer dialektischen Analyse des Gefühls nie und nimmer der Disjunktionsgrund gegenseitiger Bestimmung von Fühlendem und Gefühlten aufgeben werden. Aber gerade das ist explizit nicht der Fall, sondern das Gefühl ist schon Vollkommenheit, setzt schon subjektiv den Gottesbegriff in sich hinein, ist schon qualitative Verwandlung usw. Die quantitative und und bloß (transzendental)-logische Funktion der dialektischen Bestimmung ist eine qualitativ-materiale Bestimmung geworden.

11) In einer transzendentallogische Begriffsbestimmung, so meine Sicht, wird das Wesen des Gefühls in seiner Qualität nicht aufgelöst, sondern nur eingeordnet, sinnhaft bestimmt, und bleibt Produkt einer geistigen Selbsttätigkeit des praktischen und theoretischen Erkennens. Es muss selbst im leidenden Gefühl ein Minimum an Aktivität des Geistes (nicht der Materie) vorausgesetzt werden, sonst erstirbt auch das Gefühl.

Nochmals, mit anderen Worten, eine Kritik von mir formuliert: Bei L. Feuerbach und Hegel ist das streng nach dem Widerspruchsdenken vorgehende logische Denken (mittels transzendentaler Methode) verlassen. Das philosophische Erkennen ist eine hermeneutische Logik geworden, die in und aus den Phänomenen selbst den Begriff einer Wahrheit (als Übereinstimmung von Denken und Realität) ableiten will. Wie die Gegensätze logisch vereinigt werden können, in operationalem Vorgehen von Analyse und Synthese, wenn man so will „dialektisch“ im antiken Sinne, ergibt sich aber nie aus den Dingen selbst, sondern liegt in der Relation. Eine Wechselbestimmung ist nur vom Betrachter (Subjekt) aus unterscheidbar, nicht von den Dingen her.11 Wenn ich beim 1.Kapitel noch bleiben darf: Die Differenz oben zwischen Mensch und Tier bzw. Mensch und Gott, sie wird durch gleichzeitiges Unterscheiden und Beziehen umgedeutet zu einem Akt subjektiven Beziehens, der aber in seinem Disjunktionsgrund uneinsichtig bleibt. Das transzendentale Denken ist subjektives Denken geworden.

Ein klassisches Werk wurde geschaffen, an dem niemand mehr herumkommt. Wahrscheinlich war ich vor 40 Jahren hilflos und wehrlos diesem Werk ausgesetzt und legte es nur aufgrund meiner Sozialisation zur Seite.

© Franz Strasser

30. 12. 2017

 

Verwendete Literatur zur Dialektik: Klaus Hammacher, Transzendentale Theorie und Praxis. Zugänge zu Fichte. Fichte-Studien, Supplementa, Amsterdam-Atlanta, 1996, 49-65.

 

1(…) daß der Inhalt und Gegenstand der Religion ein durchaus menschlicher ist, bewiesen, daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie, des göttlichen Wesens das menschliche Wesen ist (…) (ebd. 2. Teil, 28. Kapitel, „Schlussanwendungen“, ebd. S 400)

2Aber man darf sich nicht wundern, wenn diese Dialektik bis heute nachwirkt in den naturalistischen Theorien zum Menschen und in den Anthropologien verschiedenster Provenienz, abgesehen davon, dass Feuerbachs religionskritischen Theorien verheerende Wirkung in der Vergangenheit entfaltet und in manchen atheistischen Staaten zur Begründung ihrer Diktatur heute noch herhalten müssen.

3Literatur: Klaus Hammacher, a. a. O., S 64.

4K. Hammacher, ebd. S 61.

5(…) im Wesen und Bewußtsein der Religion ist nichts anderes, als was überhaupt im Wesen und im Bewußtsein des Menschen von sich und von der Welt liegt. Die Religion hat keinen eignen, besondern Inhalt. Selbst die Affekte der Furcht und des Schreckens hatten in Rom ihre Tempel. Auch die Christen machten Gemütserscheinungen zu Wesen, ihre Gefühle zu Qualitäten der Dinge, die sie beherrschenden Affekte zu weltbeherrschenden Mächten, kurz, Eigenschaften ihres eignen, sei es nun bekannten oder unbekannten Wesens zu für sich selbst bestehenden Wesen. Teufel, Kobolde, Hexen, Gespenster, Engel waren heilige Wahrheiten, solange das religiöse Gemüt ungebrochen, ungeteilt die Menschheit beherrschte.“ (ebd. S 66)

6Ein klassisches Beispiel der Sophistik, wie der Schein selbst als wahr erklärt werden kann, ist Platons „Sophistes“. Siehe einen Blog von mir nach F. Bader.

7 Die Letztbegründung kommt weder aus der Totalität eines absoluten Wissens noch aus der absoluten Wahrheit des Seins, vielmehr bleibt alles ein unendliches, sophistisches Wechselspiel von Subjekt und Objekt, von subjektivistischer Beziehung und objektivistisch angesetzter Natur.

8Wohlgemerkt wird sehr subtil diesem „Gattungsbewusstsein“ eine naturale, reelle Wirksamkeit mit Folgen, zugeschrieben:

Der Mensch denkt, d.h. er konversiert, er spricht mit sich selbst. Das Tier kann keine Gattungsfunktion verrichten ohne ein anderes Individuum außer ihm; der Mensch aber kann die Gattungsfunktion des Denkens, des Sprechens – denn Denken, Sprechen sind wahreGattungsfunktionenohne einen andern verrichten. Der Mensch ist sich selbst zugleich Ich und Du; er kann sich selbst an die Stelle des andern setzen, eben deswegen, weil ihm seine Gattung, sein Wesen, nicht nur seine Individualität Gegenstand ist.“ (Ebd. S 37)

9Ein Beispiel wäre: das transzendental-logische Denken würde nicht den Anspruch erheben, den Leib eines Menschen an sich bestimmen zu können, vielmehr will sie aus den Bedingungen eines freien Selbstbewusstseins die Notwendigkeit eines Leibes ableiten, der sich frei bewegen können muss, der fünf/sechs Sinne hat usw…….Bei Feuerbach wäre es umgekehrt: weil der Leib des Menschen sich (frei) bewegt, deshalb muss notwendig das Wesen des Menschen selbst so definiert sein. Es wird vom Resultat auf eine Wechselbestimmung im Bewusstsein des Menschen geschlossen, dass er frei ist. Ob dieses frei sein allerdings dann zurecht so genannt werden darf, mag stark bezweifelt werden, denn die freie Bewegung könnte nur eine empirische Steuerung sein.

10Fichte hat diesen Ausgangspunkt gegenseitiger theoretischer und praktischer Bestimmung im § 3 der GRUNDLAGE genau bestimmt als Abstraktion und Reflexion. Nie kann und soll die Disjunktion von Ich und Nicht-Ich aufgehoben oder minimiert werden. Erst dank der Disjunktion ist Analyse und Synthese möglich – und nicht umgekehrt geht aus einer abstrakten Einheit eine postulierte „Wesenheit“ der Gegensätze Ich und Nicht-Ich hervor.

11Die Reflexion als transzendentale Methode verstanden kann eine sehr brauchbare Methode sein, entgegengesetzte Merkmale aufzusuchen, um zugleich eine Beziehung herzustellen, aber damit ist der Widerspruch zwischen entgegengesetzten Bestimmungen nicht in der Sache selbst liegend, sondern durch das „dialegein“ der Einbildungskraft wird er gedacht und muss implizit schon aufgelöst sein, damit er überhaupt formuliert werden kann. Das philosophische Denken und die philosophische Kunst formuliert anschließend einen Begriff der vereinten Gegensätze, der die erreichte Evidenz hinlänglich beschreibt.

 

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Autor: Franz Strasser

Dr. Franz Strasser